Jule Reimer: Es sind mehr als 100.000 Bürger, die gemeinsam gegen das Freihandelsabkommen CETA vor dem Bundesverfassungsgericht Klage eingereicht haben. Ab Mittwoch wird der Fall im Eilverfahren in Karlsruhe verhandelt. Es ist die größte Bürgerklage in der Geschichte des Gerichts. Das soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die meisten Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten bereit sind, das CETA-Abkommen vorläufig in Kraft treten zu lassen, das Freihandelsabkommen zwischen EU und Kanada, obwohl noch die Zustimmung der eigentlichen Gesetzgeber, nämlich des Europaparlaments und der nationalen Parlamente aussteht. Die klagenden Bürger in Karlsruhe treibt die Sorge, dass zum Beispiel das deutsche Parlament nach der Unterschrift des CETA-Abkommens etwa kein Gesetz mehr erlassen kann, das die Kennzeichnung gentechnisch veränderter Futtermittel verpflichtend einführt, denn CETA sieht die sogenannte regulatorische Kooperation vor. Will heißen: Sowie nur die Idee eines neuen Gesetzes auf dem Tisch liegt, prüft ein EU-Kanada-Ausschuss, ob das Vorhaben den Freihandel behindern könnte, und damit würde so eine Regel direkt wieder beerdigt. - Frage an den Völkerrechtsprofessor Markus Krajewski: Glauben Sie, dass das Bundesverfassungsgericht diese Sorge teilen wird?
Markus Krajewski: Das kann ich Ihnen so nicht sagen. Das Bundesverfassungsgericht wird vor allen Dingen sich natürlich anschauen müssen, was in der Verfassung selber drinsteht. Da steht drin, dass die Abgeordneten des Deutschen Bundestages frei gewählt sind und frei entscheiden müssen, dass jeder ein Recht darauf hat, dass seine Abgeordneten die Gesetze erlassen können, und da wird sich das Verfassungsgericht sehr genau anschauen müssen, wie stark das CETA tatsächlich die Freiheit der Abgeordneten des Bundestages hier beeinträchtigen wird.
Reimer: Zweiter Kritikpunkt in Karlsruhe: Die Investitionsschutz-Schiedsgerichte, die CETA einrichtet, schaffen für ausländische Investoren immer noch - trotz Verbesserungen - Sondergerichte, über die diese jenseits des nationalen Rechts gegen Staaten vorgehen können, wenn sie sich durch deren Gesetze benachteiligt fühlen. Passt das zu einem Rechtsstaat, wie es die Bundesrepublik Deutschland ist? Wie, glauben Sie, wird da das Bundesverfassungsgericht entscheiden?
"Die Verfassung lässt dem Staat viel Freiheit, wie er sich völkerrechtlich verpflichtet"
Krajewski: Das Bundesverfassungsgericht wird sich hier die Frage stellen, ob das eine Ungleichbehandlung ist, die deutsche Investoren schlechter behandelt als kanadische, weil die deutschen ja nicht klagen können. Das ist eine Frage, die im Moment auch noch offen ist.
Reimer: Deutsche Investoren können nicht klagen?
Krajewski: Deutsche Investoren können nicht in Deutschland klagen. Das heißt: Die Frage ist, wenn ein deutsches Gesetz einen deutschen Investor und einen kanadischen Investor beeinträchtigt, dann kann der kanadische sich vor einem Schiedsgericht oder dem Interventionsgericht beschweren, der deutsche eben nicht. Ansonsten muss man sehen, dass die Verfassung eigentlich dem deutschen Staat relativ viel Freiheit lässt, wie er sich völkerrechtlich verpflichtet. Man muss auch sehen, dass natürlich das, was bislang in den Schiedsgerichten möglich war in dem alten Investitionsschutz-Abkommen, im Kanada-Abkommen durch eine neue Institution verändert wurde. Wir haben jetzt hier keine Schiedsgerichte mehr, sondern ein internationales öffentliches Gericht. Das wird das Verfassungsgericht sich sicherlich auch überlegen müssen, ob es das anders bewertet als die klassischen Schiedsgerichte.
Reimer: Aber es gibt Kritik an diversen juristisch unklaren Gummiparagrafen in CETA und deshalb arbeitet die EU-Kommission an einer Zusatzerklärung zum Freihandelsabkommen. Begründung: Das Abkommen selbst könne ja nun nicht mehr geändert werden. Diese Erklärung ist noch nicht offiziell auf dem Markt, sie soll jetzt in den nächsten Tagen veröffentlicht werden, aber ein Entwurf wurde schon geleakt. Was sind erst mal solche Zusatzerklärungen im Völkerrecht wert?
"Erklärungen ändern natürlich an dem Vertragstext nichts mehr"
Krajewski: Diese Erklärungen sind Interpretationserklärungen. Da sagen die beiden Vertragsparteien, wenn noch Begriffe unklar sind, haben wir die so und so gemeint. Das ist eine verbindliche Interpretation, die dann von dem Gericht oder von den Schiedsgerichten oder wer auch immer das Abkommen interpretieren muss so entsprechend auch angewendet werden. Sie ändern natürlich an dem Vertragstext nichts mehr.
Reimer: Der DGB fordert Protokolle. Wäre das qualitativ höherwertig, verbindlicher?
Krajewski: Wie man das nachher nennt, ist gar nicht so entscheidend, sondern entscheidend ist, ob die Vertragsparteien sagen, wir ändern noch mal inhaltlich Dinge in dem Vertrag - das kann man dann auch durch ein Protokoll machen -, oder ob man sagt, wir ändern nichts mehr, aber wir erklären jedenfalls an den Stellen, wo Dinge unklar sind, noch mal schärfer, was wir meinen.
Reimer: Ich sagte bereits: Diese Zusatzerklärung ist schon geleakt worden. Wir kennen sie, Sie haben auch schon mal eine Version gelesen. Im CETA-Abkommen selbst gibt es wohlklingende Kapitel pro Umwelt- und Arbeitnehmerschutz. Aber der große Unterschied in CETA ist: Anders als beim Schutz ausländischer Investoren fehlt hier die Möglichkeit, vors Investitionsschutz-Schiedsgericht zu ziehen, wenn diese Ziele verletzt werden. Bessert da die Zusatzerklärung - wie gesagt, wir haben den endgültigen Entwurf noch nicht -, die auf dem Markt ist, entscheidend nach?
Krajewski: Nein. An dieser Stelle, an diesen Fragen der institutionellen Streitbeilegung, gerade was das Umwelt- und Arbeitsschutzabkommen, diese Teile angeht, da wird nichts institutionell nachgebessert. Es bleibt dabei, dass das hier ein anderer Streitschlichtungsmechanismus ist und dass es keine verbindlichen Klagemöglichkeiten gibt.
"Noch bestehende Unsicherheiten konnten beseitigt werden"
Reimer: Öffentlicher Dienst war auch ein Kritikpunkt, vor allen Dingen der Gewerkschaften.
Krajewski: Richtig.
Reimer: Trinkwasserversorgung, kein Zwang zur Privatisierung. Welchen Wert hat da im Augenblick der inoffizielle Inhalt der Zusatzerklärung?
Krajewski: An der Stelle ist die Zusatzerklärung nach meinem Dafürhalten recht gut. Die Kritik oder das Problem war ja immer, dass tatsächlich im CETA-Text unklare Klauseln sind, und hier benutzt die Erklärung zunächst einmal den umfassenden Begriff der öffentlichen Dienstleistungen. Public Service steht da drin, das ist sehr hilfreich. Und es macht auch deutlich, dass Rekommunalisierungen generell mit CETA auch möglich sein sollen. Ich glaube, hier ist den Vertragsparteien tatsächlich doch gelungen, die noch bestehenden Unsicherheiten jedenfalls soweit das im Rahmen einer Interpretationserklärung möglich ist, zu beseitigen.
Reimer: Der Völkerrechtler Markus Krajewski heute Morgen hier zum CETA-Abkommen. Vielen Dank.
Krajewski: Bitte schön.
Reimer:
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.