In den Regalen im Hamburger Zusatzstoffemuseum finden sich einige hundert Dosen, Fläschchen und Schachteln. Die meisten tragen Warnhinweise: ein schwarzes Kreuz, ein abgestorbener Baum, ein verendeter Fisch auf orangem Grund. Und viele dieser Substanzen finden sich in unseren Nahrungsmitteln, erzählt Christian Niemeyer, Diplombiologe und Leiter des Museums:
"Da ist auch ein Totenkopf für 'tödlich giftig'. Das gibt es eben auch. Aber das bezieht sich auf die Stoffe in ihrer Reinform. Man versucht also immer herauszufinden: wie viel können sie dann in ihrem Frühstücksbrötchen ab, damit sie das nach Möglichkeit ohne Schaden ihr Leben lang genießen können. 'Die Dosis macht das Gift' – geht auf Paracelsus zurück. Es gibt natürlich auch Stoffe, die sind ganz unabhängig von ihrer Dosis kritisch zu beurteilen."
Zusätze im Wein - schon bei den alten Römern
Und diese Erkenntnis, erzählt Christian Niemeyer, ist noch wesentlich älter als die Forschungen des Alchimisten, Astrologen und Philosophen Paracelsus aus dem Mittelalter. Anschaulich gemacht wird die Geschichte der Zusatzstoffe auf einem großen Wandbild, einer Art Zeitstrahl im kleinen Museum. Schon 100 vor Christus beschäftigt sich Plinius Valerianus im alten Rom mit einem künstlich hergestellten Süßstoff für allzu saure Weine.
"Die waren je nach Qualität der Trauben nicht so attraktiv für die Leute. Und sie mit Honig zu versetzen oder Süßholzwurzeln war sehr teuer. Und jetzt hatte man eine Methode gefunden, sauren Wein, saure Trauben einzukochen in großen Bleikesseln. Dann gibt es eine chemische Reaktion, die wir heute kennen: das Blei reagiert mit der Essigsäure in den Trauben zum Blei(II)-acetat. Und diese Verbindung passt auf den Süßrezeptor der Zunge. Wenn sie so wollen, ein früher synthetischer Süßstoff, der aber heute keine E-Nummer, keine Zulassung erhalten würde, der aber Jahrhunderte eingesetzt wird, weil er den Wein süß und haltbar macht und durch das Blei eben auch ein langsam wirkendes Gift enthält."
Verwendung fand diese billige Bleisüße nicht nur im Wein, sie wurde auch echtem, teuren Zucker beigemischt. Und schon im alten Ägypten wurden Methoden entwickelt, um diese Schummelei, um derart gestreckte Ware entdecken zu können. Grund dafür war aber nicht die Gesundheit der Konsumenten, sondern das wirtschaftliche Interesse der Händler, die reine Ware einkaufen wollten. Und nicht nur den Geschmack versuchten die Lebensmittel-Produzenten der Vergangenheit mit allzu sorglos ausgesuchten Zusatzstoffen zu verbessern, sondern auch das Aussehen der Speisen und Getränke:
Gesetzliche Kontrolle erst seit dem 19. Jahrhundert
"Mennige, das Bleirot, hat man für Rote Grütze eingesetzt oder um rote Süßwaren zu färben, als sie als Luxusgüter im 19. Jahrhundert attraktiv wurden. Dann hat man Substanzen wie Pikrinsäure: das ist ein schöner gelber Farbstoff, der zum einen eingesetzt wird im Bier, weil er Bitternis reinbringt, die Bitterkeit ist wichtig bei den Bieren, die Haltbarkeit verlängert und von den Bäckern, weil man eben Eier in den Feinbackwaren einsparen konnte und trotzdem ein bisschen gelbe Farbe in den Produkten drin gehabt hat. Das ist nicht nur gefährlich, sondern hochgiftig. Deshalb hat man das auch nicht mehr in den Produkten drin."
Erst Ende des 19. Jahrhunderts entstehen die ersten gesetzlichen Vorschriften für die Beimischung von Zusatzstoffen in Lebensmitteln. Ein einheitliches deutsches Nahrungsmittelgesetz wird 1879 verabschiedet. Und erst in 1960er- und Siebzigerjahren, in Vorbereitung eines einheitlichen Europäischen Wirtschaftsraums, werden umfangreiche Listen von zugelassenen Zusatzstoffen erstellt.
Verbraucher rätseln weiter über Inhaltsstoffe
"Und auf diesen Listen beruht eben das, was heute zu den E-Nummern, zu den Zusatzstoffen führt und was heute einer Zulassung unterliegt. Aber der erste Gedanke ist: Wirtschaft. Der zweite Gedanke ist, nachdem man die Listen hat, ist: wie müssen wir es dem Verbraucher kenntlich machen und wie können wir die Sicherheit darstellen."
Aber auch heute sind noch längst nicht alle Inhaltsstoffe auf den Zutatenlisten unserer Lebensmitteln vermerkt. Und oft genug haben die Verbraucher nach wie vor keine Ahnung, um was sich es bei den Emulgatoren, Stabilisatoren und Lecithinen in unserer Nahrung handelt.
"Sie können auch sagen: 'Ich kaufe nur Sachen, wo Sachen draufstehen, die ich verstehe. Wo nur Zutaten drin sind. Aber je komplexer und praktischer die Produkte von Kartoffelpüreepulver mit Buttergeschmack, umso weniger haben sie das als Verbraucher im Griff. Wie bei allen anderen Produkten auch."