Christine Heuer: Ursula von der Leyen wird Verteidigungsministerin, Wolfgang Schäuble bleibt Chef im Finanzressort, Sigmar Gabriel übernimmt als Wirtschaftsminister gleich noch die komplette Zuständigkeit für die Energie, ein Themenfeld, auf das die Sozialdemokratin Barbara Hendricks dann als neue Umweltministerin verzichten muss. Und die CSU bekommt gerade mal drei Ministerien, von denen zwei, Entwicklung und Landwirtschaft, als eher unwichtig gelten. Über das neue Kabinett möchte ich jetzt mit einem Politiker aus der Opposition sprechen: mit Jürgen Trittin von den Grünen. Guten Morgen.
Jürgen Trittin: Guten Morgen, Frau Heuer.
Heuer: Was hat Sie am meisten überrascht?
Trittin: Überrascht hat mich wenig, aber dass die CSU in dieser Ausgestaltung, nachdem Herr Seehofer sich nach dem Wahltag so aufgeblasen hat, die eigentliche Verliererin der Großen Koalition ist, das ist schon ein sehr deutliches Signal: Verlust des Innenministeriums, zentrale Bereiche im Übergang ins Entwicklungszusammenarbeits-Ministerium. Das ist schon eine Klatsche für die CSU.
Heuer: Und das freut Sie?
Trittin: Ich bin ja, wenn sich eine Große Koalition sozusagen über die Beute hermacht, sehe das mit einer sportiven Gelassenheit und Distanziertheit. Aber man muss schon feststellen, dass bei dieser Ressortverteilung die eigentliche Verliererin die CSU ist, und die CDU hat sich mit der Rückeroberung des Innenministeriums natürlich einen Punkt gesichert, wo sie auch im Wettbewerb der Union eine andere Aufstellung gesucht hat. Da sieht man schon, wo die Macht innerhalb der Union jetzt angesiedelt ist.
Beim Klimaschutz handlungsunfähig
Heuer: Welche Besetzung in diesem neuen Kabinett stört Sie am meisten?
Trittin: Sehen Sie, Sie können mit einem ehemaligen Umweltminister kein Interview führen, ohne dass der natürlich sagt, wir haben es jetzt mit dem schwächsten und eher handlungsunfähigsten Umweltministerium zu tun, das wir je vorgefunden haben.
Heuer: Genau darauf hatte ich gehofft.
Trittin: Selbst zu Zeiten, als Frau Merkel noch Umweltministerin gewesen ist, hatte das Umweltministerium mehr Kompetenzen. Wir haben es damit zu tun, dass in dieser Bundesregierung künftig das Umweltministerium keinerlei Energiekompetenzen mehr hat. Unter meiner Verantwortung sind eigentlich die zentralen Kompetenzen für die erneuerbaren Energien ja ins Umweltministerium gekommen. Erst danach hat der Ausbau erneuerbarer Energien den Schwung aufgenommen, den er heute gefunden hat. Und es kommt etwas anderes hinzu: Wenn Sie die Energiekompetenz und die Klimakompetenz trennen, dann sind Sie eigentlich handlungsunfähig, insbesondere auch beim Klimaschutz, und das wird dann nicht dadurch kompensiert, dass man die eine oder andere Million noch zur Verfügung hat, um sie im Baubereich zu verbauen. Hier geht es ganz zentral um die Frage, ob die Bundesrepublik Deutschland, deren CO2-Emissionen ja in den letzten Jahren massiv angestiegen sind, im letzten Jahr massiv angestiegen ist, weil so viel Kohle verstromt worden ist, ob da endlich eine Trendwende eingeleitet wird, und da sind die Kräfte, die sich für Klimaschutz einsetzen, durch diese Ressortverteilung natürlich entscheidend geschwächt worden.
Heuer: Herr Trittin, jetzt haben Sie viel darüber gesprochen, wie erfolgreich die Grünen waren. Ich erinnere mich aber auch an Zeiten, als Sie Umweltminister waren und Werner Müller von der SPD war Wirtschaftsminister. Da gab es ziemliche Reibungsverluste auf dem Feld der Energiepolitik. Ist es nicht auch von Vorteil, dass das jetzt alles in einer Hand ist?
Trittin: Es gab Reibungen, aber es gab am Ende Ergebnisse. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz ist in dieser Reibung entstanden, auf den Weg gebracht und am Ende auch novelliert worden. Das System des Emissionshandels, also der Handel mit den Rechten zum Ausstoß von CO2, ist damals in diesem Konflikt auf den Weg gebracht worden, etwas was bis heute oder heute durch die Politik von Frau Merkel der letzten vier Jahre weitgehend ruiniert worden ist. Das heißt, die entscheidenden energiepolitischen Weichenstellungen, die Weichenstellungen, die zu Klimaschutz geführt haben, die sind gerade aus dieser Reibung heraus entstanden. Das hängt natürlich auch und gerade ab von der Person und der Kompetenz des jeweiligen Wirtschaftsministers und der Dependance im Umweltministerium, und da mache ich keinen Hehl daraus: das ging damals mit Werner Müller besser als mit Wolfgang Clement. Aber auch unter den Bedingungen von Clement hat es am Ende Ergebnisse gegeben, und genau jetzt fürchte ich, dass das Umweltministerium mit seinen Interessen und der Verknüpfung zwischen den nationalen Maßnahmen und den Verpflichtungen im internationalen Klimaschutz unter die Räder kommt. Insofern stelle ich fest: Dieses institutionelle Gerüst, was die Große Koalition sich gegeben hat, das schwächt die Umweltseite eklatant.
Ausbau erneuerbarer Energien eher gedeckelt
Heuer: Herr Trittin, wenn die Klimaschutzpolitik, die Energiewende unter die Räder kommt, dann sind das die Räder von Sigmar Gabriel. Das ist doch der Mann, mit dem Sie eigentlich koalieren wollten, oder?
Trittin: Ich habe ja nicht gesagt, dass das so sein muss. Ich habe nur gesagt, dass die institutionellen Regeln an dieser Stelle so sind, dass das Umweltministerium geschwächt ist.
Heuer: Aber Gabriel trauen Sie die Energiewende zu?
Trittin: Aber was den Kurs der Energiepolitik angeht, das kann man ja im Koalitionsvertrag nachlesen. Dort werden die entscheidenden Weichenstellungen, nämlich dass man den Emissionshandel wieder ans Laufen bringen muss durch die Einführung insbesondere von Mindestpreisen für CO2, etwas was es in anderen Ländern der Europäischen Union ja bereits gibt, nicht angegangen. Es gibt Zielsetzungen für den Ausbau erneuerbarer Energien, die die Ausbauraten für den Ausbau erneuerbarer eher deckeln. Es gibt Regeln für den Ausbau der Windenergie, die am Ende dazu führen werden, dass, wenn man sie so umsetzen würde - ich habe ja Zweifel, ob man das so durchbekommt -, südlich von Hannover kein einziges Windrad mehr entstehen wird.
Heuer: Herr Trittin, Entschuldigung! Jetzt lassen Sie uns bitte noch ein bisschen über das Personal sprechen und nicht nur über den Koalitionsvertrag.
Trittin: Aber Sie können ja Personal nicht loslösen vom Koalitionsvertrag. Sie haben mich gefragt, ob Sigmar Gabriel von vornherein gegen die Energiewende ist. Das weiß ich nicht und das glaube ich nicht. Aber ich stelle fest, dass im Koalitionsvertrag in der Sache, was die Energiewende angeht, eher auf der Bremse gestanden wird als darauf, diese Energiewende ein ganzes Stück voranzutreiben.
Heuer: Ursula von der Leyen ist ein anderer Name im Kabinett. Sie wird Verteidigungsministerin. Wird Sie aus Ihrer Sicht die künftige führende Frau in der CDU und was hielten Sie davon?
Trittin: Ich sehe das als ein klares Signal zur Regelung der Nachfolge von Frau Merkel. Frau von der Leyen hat das Familienministerium bisher gemacht und danach das Arbeits- und Sozialministerium. Nun übernimmt sie ein sogenanntes hartes oder klassisches Ressort. Das ist aber auch für sie mit Sicherheit keine einfache Aufgabe. Wir wissen - und die Erfahrung musste ja auch Thomas de Maizière machen -, dass dieses Ministerium ein sehr, sehr schwieriges ist. Es häufen sich die Beschaffungsskandale in dem Bereich Rüstung und es gibt bis heute wirklich kein geschlossenes Konzept, was eigentlich dieses Verteidigungsministerium tatsächlich unter den Bedingungen einer globalisierten Welt, in der Deutschland von Freunden umstellt ist, für eine neue Rolle einnehmen muss. Wir schleppen uns immer noch zum großen Teil mit Rüstungsprojekten herum, die in den Zeiten entstanden sind, als man von einer so gestalteten Welt noch gar nicht wirklich am Denken war.
"Merkel muss den Preis dafür zahlen"
Heuer: Eingangs, Herr Trittin, haben wir über die CSU gesprochen. Zum Schluss möchte ich Sie nach der SPD fragen. Die hat sich ja über alle Maßen hochverhandelt und eine Niederlage in einen Sieg verwandelt. Finden Sie das angemessen, wie sich die Stärke der SPD jetzt im Kabinett widerspiegelt?
Trittin: Frau Merkel hat die Wahl gewonnen, aber sie hat keine Mehrheit von Mandaten gehabt, und für die Mehrheit der Mandate musste sie eine Koalition eingehen. Sie hat sich sehr früh für eine Koalition mit der SPD entschieden und nun muss sie den Preis dafür zahlen, dass die SPD diese Koalition mit einem anderen Selbstbewusstsein beginnt, als sie die letzte Große Koalition verlassen hat.
Heuer: Jürgen Trittin von den Grünen. Mit ihm habe ich über das neue Kabinett gesprochen und auch über die mögliche Politik der Großen Koalition. Herr Trittin, danke schön!
Trittin: Ich danke Ihnen!
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