Ann-Kathrin Büüsker: Es ist der zweite Dürresommer in Folge, der zweite Sommer, den Mensch, Tier und Pflanzen mit weniger Wasser zurechtkommen müssen. Vor allem für Letztere wird das zunehmend zu einem Problem – was sichtbar wird im Laub, das jetzt schon Waldböden und Straßen bedeckt. Die Bäume werfen ihre Blätter ab, um zu überleben oder weil sie bereits sterben. Experten und Expertinnen warnen: Der Zustand der deutschen Wälder ist desolat, die Politik sieht sich im Zugzwang und diskutiert heute im
sächsischen Moritzburg
über mögliche Maßnahmen.
Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner wird auch daran teilnehmen, wir haben es gehört. Sie betonte heute Morgen im Deutschlandfunk, die Politik habe das Thema Wald seit Jahren auf dem Schirm.
Julia Klöckner: Wir in der Union haben schon immer dem Wald einen Fokus gegeben. Wir sind das Bundeswaldministerium, und wir forschen massiv seit Jahren, geben viel, viel Geld dafür aus, dass wir auch beratend zur Seite stehen, aber jetzt vor allen Dingen auch mit Geldern zur Verfügung stehen, um räumen zu können die Wälder und dann aber auch Standort-angepasst auch wieder aufforsten zu können.
Büüsker: So Klöckner heute Morgen im Deutschlandfunk. Das Thema Wald wollen wir jetzt vertiefen, am Telefon ist Hubert Weiger, Vorsitzender des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland. Schönen guten Tag, Herr Weiger!
Hubert Weiger: Guten Tag, Frau Büüsker!
Büüsker: Herr Weiger, die Landwirtschaftsministerin, die schreibt sich jetzt auf die Fahne, die Politik hätte die Probleme des Waldes seit Jahren auf dem Schirm. Können Sie das aus Ihrer Perspektive so unterschreiben?
Weiger: Das mag vielleicht für die Bundeslandwirtschaftsministerin als Person gelten, aber ich glaube nicht für die gesamte Politik. Der Wald ist seit vielen Jahren ein Stiefkind, und von daher ist das, was jetzt in den Wäldern abläuft, eben auch die Folge, dass in den letzten Jahren, Jahrzehnten zu wenig für den Wald gemacht worden ist. Wir haben gewaltige Defizite beim Umbau unserer Wälder, von Nadelreinbeständen zu stabileren Mischwäldern, vor allem mit Laubbäumen, und das kostet Geld, das erfordert Personal, und beides ist nicht vorhanden. Von daher gibt es, glaube ich, gewaltige Defizite.
"Politik hat eine zentrale Verantwortung"
Büüsker: Aber sind das denn Defizite, die die Politik zu verantworten hat, oder nicht vielmehr Defizite, die die Waldbesitzer zu verantworten haben?
Weiger: Nun, die Politik, die hat hier schon eine zentrale Verantwortung, denn natürlich kann man sagen, die Waldbesitzer selbst – immerhin sind sie verantwortlich als Private für 50 Prozent der Wälder in Deutschland –, die müssen zuerst handeln, aber die Waldwirtschaft steht ja auch erheblich unter ökonomischem Druck. Von daher ist sie gar nicht in der Lage, in vielen Fällen aus den Erträgen heraus diese notwendige Umbaumaßnahme zu leisten. Von daher gibt es schon Versäumnisse der Politik, nicht zuletzt weil auch Beratungspersonal systematisch aus Kostengründen abgebaut wurde, das heißt, es fehlen Förster in unseren Wäldern, die die Privatwaldbesitzer überzeugen, gewinnen, motivieren für die entsprechenden arbeitsintensiven, kostenintensiven Umbaumaßnahmen. Und die Politik hat auch, glaube ich, deshalb versagt, weil sie eine der Hauptursachen, warum wir hier so wenig vorankommen, nämlich überhöhte vor allem Rehwildbestände, dass sie das nicht engagiert angegangen ist und den Grundsatz "Wald vor Reh" wild durchgesetzt hat. Wir haben also damit ja auch erhebliche Probleme mit der Naturverjüngung. Das heißt, die Bäume, die verjüngen sich sehr wohl, auch Laubbäume, natürlich gerade auch unter Stress werfen sie noch mehr Samen ab als sonst, aber das, was hier nachwächst, das kann sich kaum entwickeln, weil es sehr stark von Rehwild quasi gefressen wird.
Büüsker: Herr Weiger, ich glaube, das müssen wir unseren Hörerinnen und Hörern ein bisschen genauer erklären. Also das Rehwild ist warum genau ein Problem für den Wald?
Weiger: Das Rehwild ist deshalb ein Problem, weil es vor allem die Knospen von Laubbäumen frisst, von Eichen, von Buchen, und damit verhindert, dass diese Bäume größer werden, das heißt, die sterben dann ab. Von daher ist das Rehwild zwar ein natürlicher Teil unserer Wälder, aber wir haben es in den letzten Jahrzehnten zu stark gefördert, mit dem Ergebnis, dass diese zu hohen Rehwildbestände dazu führen, dass ohne Zaunschutz sich unsere Waldbäume, unsere natürlichen Waldbäume nicht mehr vermehren können. Dieser Grundsatz "Wald vor Wild" ist nur in einigen Landeswaldgesetzen verankert, aber nicht flächendeckend, von daher gilt es auch gerade auf Bundesebene, diesen Grundsatz endlich festzulegen, damit dann auch tatsächlich in den Wäldern entsprechend gehandelt werden kann.
"Fichte ist der Baum, der am raschesten wächst"
Büüsker: Sie machen also das Rehwild mitverantwortlich für die schlechte Situation des Waldes. Gucken wir auf einen anderen Faktor, der immer wieder von Expertinnen und Experten genannt wird, das sind die Monokulturen, insbesondere die Fichte steht da im Fokus. Warum wurde da eigentlich nicht schon viel eher umgesteuert und andere Bäume angepflanzt als die empfindliche Fichte?
Weiger: Die Fichte ist der Baum, der eben am raschesten wächst, der auch am stärksten nachgefragt wird – Stichwort für Bauholz, für Papierindustrie – und die auch quasi am leichtesten nachgezogen werden kann, die in Reinbeständen sehr gute Erträge bringt, allerdings die große Gefahr hat, dass sie als Erstes häufig ein Opfer wird, wenn sie größer wird, von Stürmen beziehungsweise bei entsprechenden Massenvermehrungen von Forstinsekten, sprich Borkenkäfer, besonders stark hier zu Tode kommt.
Büüsker: Und über den Borkenkäfer und die Fichte haben wir ja tatsächlich schon in den 80er-Jahren diskutiert, da hätte man ja eigentlich theoretisch schon umsteuern können und die Wälder anders neu anpflanzen. Warum hat man das damals nicht gemacht?
Weiger: Das sind alles in der Tat keine neuen Erkenntnisse, die Forstwissenschaft fordert eigentlich schon seit über hundert Jahren, Laubmischwälder verstärkt anzubauen. Warum man es nicht gemacht hat, ja, weil es eben zusätzliche Kosten verursacht, zusätzlichen Aufwand bedingt und man immer noch gehofft hat, diesen sogenannten Brotbaum auch als Monokultur erhalten zu können. Von daher gibt es eben in der Tat an vielen Stellen Defizite, aber eben auch nicht zuletzt, dass es sehr ruhig um den Wald geworden ist. Ich denke, dass gerade wir als Naturschutzverbände seit vielen Jahren, Jahrzehnten das fordern, mehr Gelder, mehr Personal für diese notwendigen Maßnahmen in unseren Wäldern, und da hat man eben gespart. Und jetzt in der Stunde der Not ist man offensichtlich wieder bereit, hier konsequent zu handeln. Das heißt wie in so vielen anderen Politikbereichen: Es wird erst dann gehandelt, wenn es einen gewaltigen Handlungsdruck gibt. Den haben wir jetzt natürlich, weil die Fichtenreinbestände auf zig Hektar absterben und wir damit eine dramatische Situation in unseren Wäldern haben. Das Schlimme ist ja, dass vor allem auf der Freifläche dann es sehr schwierig ist, empfindlichere Laubbäume wie die Eiche oder wie die Buchen nachzuziehen – da hilft das Pflanzen nicht, die werden dann ein Opfer des Frostes. Von daher ist es notwendiger denn je, diese Reinbestände, diese Nadelreinbestände – und davon haben wir in ganz Deutschland fast drei Millionen Hektar –, dass die dringend in Laubmischwälder umgebaut werden.
Laubbäume müssen dominieren
Büüsker: Herr Weiger, ich würde gern noch mal auf das Stichwort Finanzierung zu sprechen kommen. Sie haben ja gesagt, 50 Prozent des Waldes in Deutschland sind in privaten Händen, Sie fordern jetzt mehr Geld für die Aufforstung. Ist das denn, ich sage mal, gerecht, wenn man tatsächlich die Privatwaldbesitzer, die ja ein ökonomisches Interesse an ihrem Wald haben, mit öffentlichen Hilfen unterstützt?
Weiger: Die Frage kann man berechtigt stellen, aber es ist sicherlich notwendig und damit hier durchaus auch gerechtfertigt, öffentliche Gelder bereitzustellen, weil sie es aus eigener Kraft nicht mehr schaffen, denn das Holz, das jetzt auf dem Markt ist, das bringt kaum mehr etwas. Die Fällkosten und die Transportkosten aus dem Wald, die sind fast größer als das, was die Waldbesitzer jetzt für das Holz bekommen, das heißt, wir haben hier einen drastischen Holzpreisverfall. Es profitieren davon eben die großen Sägewerke, aber zulasten letztendlich der kleineren Waldbesitzer. Von daher ist es, glaube ich, schon notwendig, dass hier auch die öffentliche Hand eingreift, allerdings indem man eben dann auch klare Anforderungen an das richtet, was nachgepflanzt wird, nämlich dass hier die Laubbäume dominieren müssen und nicht wir die nächste Nadelreinkultur wieder bekommen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.