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Zuwanderungsdebatte
"Migration ist gut für ein Land"

Im Zusammenhang mit Migration fokussiere Deutschland vor allem negative Aspekte, sagte Cornelia Kelber im DLF. Die Redakteurin vom Magazin des Zukunftsinstituts plädiert dafür, die Chancen der Zuwanderung in den Vordergrund zu stellen. So könne Deutschland durch Zuwanderung qualifizierte Fachkräfte ins Land holen und das Demografie-Problem lösen.

04.03.2014
    Änne Seidel: "Wer betrügt, der fliegt!" Mit diesem drastisch formulierten Vorsatz hatte die CSU zu Jahresbeginn für Wirbel gesorgt. Der Satz fiel im Rahmen einer Kampagne, mit der die Partei vor einem Phänomen warnen wollte, das gerne auch als "Sozialtourismus" bezeichnet wird: Menschen, die nach Deutschland einwandern, allerdings nicht mit dem vorrangigen Ziel, hier zu arbeiten, sondern lediglich vom deutschen Sozialstaat profitieren wollen. Wer betrügt, der fliegt – das ist natürlich ein sehr knackiger, ein sehr provokanter, ein sehr medienwirksamer, aber eben auch ein Satz, der nicht differenziert und Zuwanderer pauschal verurteilt. Die Chancen, die Zuwanderung einem Land bieten kann, klingen in einem solchen Satz nicht an. Genau damit, mit den positiven Möglichkeiten der Zuwanderung, beschäftigt sich das Zukunftsinstitut, ein Think Tank für Zukunftsfragen, und zwar in der neuesten Ausgabe seines Monatsmagazins. Cornelia Kelber ist Redakteurin des Instituts. Ich habe vor der Sendung mit ihr gesprochen und sie gefragt, ob sie findet, dass die Chancen der Migration in der öffentlichen Wahrnehmung, also ganz allgemein und nicht nur in den Medien, zu kurz kommen.
    Cornelia Kelber: Ja, das ist richtig. Es gibt im Zusammenhang mit Migration in Deutschland eine Debatte, die sehr, sehr festgefahren ist. Die Geschichte, die erzählt wird, ist eigentlich im Prinzip immer dieselbe: Es ist die Geschichte vom Sozialtourismus, es ist die Geschichte von der Armutsmigration, es ist die Geschichte von den Flüchtlingsströmen nach Europa. Es gibt aber auch noch andere Geschichten, die zum Teil auch sehr große Erfolgsgeschichten sind, und die Fakten sprechen nicht immer für dieses Storytelling von der Armutsmigration. So ist zum Beispiel zu lesen, dass von allen Migranten auf der Welt, die derzeit unterwegs sind, nur sieben Prozent Flüchtlinge sind. Der Rest wandert aus, weil er etwas aus seinem Leben machen möchte, und das sollte uns eigentlich ganz hoffnungsfroh stimmen.
    "Deutschland tut sich schwer, sich als Einwanderungsland zu begreifen"
    Seidel: Und jetzt konkret auf Deutschland als Einwanderungsland bezogen - wir müssen uns hierzulande mit Problemen auseinandersetzen wie dem demografischen Wandel, dem Fachkräftemangel. Lässt sich Deutschland da derzeit die Chancen, die Migration bieten kann, entgehen?
    Kelber: Bis zu einem gewissen Grat auf jeden Fall, weil es ist ja insgesamt so, dass Migration gut ist für ein Land. Das kann man erst mal pauschal so sagen. Vor allem auf lange Sicht. Es ist aber speziell bei Deutschland so, dass wir wirklich Probleme haben, die ganz konkret durch Migration gelöst werden können, wie zum Beispiel der demografische Wandel, wenn man ihn denn als Problem sehen möchte, was man ja nicht muss. Das Problem bei Deutschland ist eigentlich, dass wir da ein sehr festgefahrenes Selbstbild auch haben. Wir haben die Vorstellung von "wir und die anderen". Wir ziehen da eine ganz klare Grenze, wo wir unsere Identität sehen, und legen die auch national fest, und das ist eigentlich schon eine Sichtweise, die man zum einen aus heutiger Sicht sehr in Frage stellen kann. Zum anderen ist es auch so, dass man immer wieder liest, dass Deutschland sich total schwer tut, sich selber als Einwanderungsland zu begreifen, was absurd ist, denn Deutschland ist tatsächlich das drittgrößte Einwanderungsland der Welt.
    Nach den USA und Russland haben wir die meisten Einwanderer. Es ist irgendwie sinnlos, so zu tun, als wäre das nicht so. Aber dann ist es auch so, dass Migration für Deutschland ja nicht nur Einwanderung heißt, sondern Migration heißt ja auch Auswanderung. Wir haben einen sehr, sehr hohen Anteil von Hochqualifizierten, die aus diesem Land abwandern, und wir haben auch einen sehr großen Anteil an ausländischen Studierenden in Deutschland, und das ist was, das ist auch vielen gar nicht bewusst, dass Deutschland ja auch Ausbildungsstandort ist, ein internationaler und ein sehr, sehr bedeutender. Das bedeutet für Deutschland aber auch die Chance, dass wir sehr viele junge, hochqualifizierte und sehr, sehr ehrgeizige Menschen im Land haben, die danach aber meistens Deutschland wieder verlassen, und das ist bei uns anders als zum Beispiel in den USA. Da werden dann diejenigen, die an der Uni promoviert haben, bewusst im Land gehalten, eben in der Hoffnung, dass die dann nachher Unternehmen gründen oder sich sonst wie einbringen im großen Stil, und das funktioniert wohl sehr, sehr gut. Jetzt kann sich Deutschland natürlich mit den USA nicht vergleichen, aber was wir im Endeffekt ja schon sind, ist eine Drehscheibe für die Migration, die auf der Welt stattfindet. Hier passiert sehr, sehr, sehr viel und es wäre einfach gut für unser Land, wenn wir das ein bisschen offener angehen würden und vielleicht mit ein bisschen weniger Ängsten.
    Seidel: Die Chancen der Migration – Cornelia Kelber vom Zukunftsinstitut war das.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.