Es geht um die Reparatur einer Straße, die von der äthiopischen Grenze zu den zwei Häfen in Eritrea führt. Die beiden Nachbarn waren jahrzehntelang verfeindet, im Juli 2018 schlossen sie Frieden. Ein paar Monate später zahlte die EU 20 Millionen Euro für Baumaschinen und Material, damit die lange vernachlässigte Strecke wieder benutzbar werde. Ende vergangenen Jahres bewilligte Brüssel weitere 60 Millionen für das Projekt.
Auf den ersten Blick ein unproblematisches Vorhaben, das Frieden und Handel fördern soll. Menschenrechtsaktivisten sehen das anders, von ihnen kommt scharfe Kritik. Der Grund: Die Straße wird durch Zwangsarbeit gebaut. Laetitia Bader von Human Rights Watch: "Und zwar durch diejenigen, die in Eritrea zum Nationaldienst verpflichtet sind. Die EU räumt zum ersten Mal ein, dass ein Projekt, für das sie sich engagiert und das sie unterstützt, auch Zwangsarbeit beinhalten könnte. Das ist eine Kehrtwende, die uns sehr beunruhigt."
Lebenslanger Nationaldienst
Das ostafrikanische Eritrea gilt als eine der härtesten Diktaturen der Welt. In dem fünf-Millionen-Staat sind Männer und Frauen lebenslang zum Nationaldienst verpflichtet. Nach der militärischen Ausbildung können die Nationaldienstpflichtigen militärisch oder zivil eingesetzt werden, beispielsweise als Lehrer, im Straßenbau oder als Landarbeiter. Einen freien Arbeitsmarkt gibt es praktisch nicht, weil die gesamte arbeitsfähige Bevölkerung lebenslang für Armee und Regierung arbeiten muss - für einen Sold, der zum Leben nicht reicht.
Diesen unbefristeten Zwangsdienst begründete die eritreische Regierung früher mit dem drohenden Krieg gegen Äthiopien. Seit zwischen beiden Ländern offiziell Frieden herrscht, hat sich die Begründung geändert: dank des Nationaldienstes hätten die Menschen wenigstens Arbeit. Ana Pisonero, Sprecherin der EU-Kommission, scheint diese Perspektive zu übernehmen.
"Sie wissen ja selbst, dass die Schaffung von ausreichend Jobs eine der Bedingungen dafür sein wird, dass wir Eritrea dabei helfen können, den unbegrenzten Charakter seines Nationaldienstes zu reformieren. Und darauf wird die EU in ihrem politischen Dialog mit Eritrea weiterhin drängen."
Isolation hat nichts verändert
Nach Jahren, in denen die EU auf die Einhaltung gewisser Standards pochte und deshalb mit Eritrea nicht kooperierte, hat sie sich jetzt für ein zweigleisiges Vorgehen entschieden: Sie hält einerseits am politischen Dialog fest, überweist aber andererseits Geld, ohne die Umsetzung menschenrechtlicher demokratischer Minimalforderungen abzuwarten. Angesichts der heftigen Kritik von Menschenrechtsaktivisten betont Kommissionssprecherin Pisonero:
"Wir betonen, dass wir Menschenrechtsverletzungen verurteilen. Und auch wir sind der Ansicht, dass der unbefristete Charakter des eritreischen Nationaldienstes die Konvention der Internationalen Arbeitsorganisation ILO nicht respektiert. Wir drängen darauf und werden auch in Zukunft darauf drängen, dass sich das ändert. Aber wir müssen auch deutlich sagen, dass die vergangene Politik der Isolation Eritreas nicht funktioniert hat."
Also fließt jetzt Geld - allerdings nicht an die Zwangsarbeiter. Die EU-Kommission hat dafür gesorgt, etwas Abstand zwischen sich und das Projekt zu bringen: Umgesetzt wird es vom Büro für Projektdienste der Vereinten Nationen UNOPS. Auf die Kritik von Menschenrechtsaktivisten unterstrich die EU denn auch, sie zahle nicht für die Arbeit, trage dafür also auch keine Verantwortung. Brüssel zahle nur für Baumaterialien und technische Geräte.
"Uns beunruhigt an der Unterstützung der EU für Eritrea außerdem, dass die Verwendung der Mittel nicht von unabhängiger Seite überprüft werden kann. Die eritreische Regierung ist sehr zurückhaltend, was die Erlaubnis von Fahrten außerhalb der Hauptstadt Asmara angeht."
Eine EU-Sprecherin widersprach auf Anfrage dem Vorwurf, Brüssel könne die Verwendung der Gelder nicht kontrollieren: Die EU mache sich regelmäßig ein Bild von der Lage, durch den Dialog mit ihren eritreischen Partner und die Inspektion des gelieferten Baumaterials. Außerdem hätten im vergangenen Jahr drei Ortsbesuche stattgefunden, sie hätten keine unnormalen Arbeitsbedingungen zutage gebracht.
Regierung kooperiert mit Menschenschmugglern
Bemerkenswert sind die EU-Überweisungen an die eritreische Regierung auch, weil Regierung und Militär ihrerseits an der massenhaften Flucht der Bevölkerung verdienen: Sie kooperieren unter der Hand mit Menschenschmugglern, verhelfen Fluchtwilligen für viel Geld über die Grenzen, die ansonsten scharf bewacht sind. Das belegen Interviews mit Geflüchteten in mehreren afrikanischen Ländern. Zum Beispiel mit einem etwa 30-jährigen Eritreer, der Ende 2015 nach Uganda floh. Sein Schlepper habe mit der Regierung zusammen gearbeitet.
"Den Beweis dafür sah ich, als wir unterwegs waren. Erstens fuhren wir mit Fahrzeugen der Regierung. Zweitens gibt es zwischen Asmara und der Grenze viele Kontrollposten. Unser Fahrer zeigte jedes Mal einige Dokumente, und wir konnten passieren – normalerweise kommt da kein Auto durch, ohne durchsucht zu werden. Wir waren mit insgesamt drei Autos unterwegs. Wir fuhren sehr schnell. An einigen Kontrollposten wurde die Straßensperre schon geöffnet, wenn sie uns heranrasen sahen. Wir konnten einfach durchfahren."
Die eritreische Regierung treibt die Menschen also durch einen lebenslangen Zwangsdienst in die Flucht - die sie sich dann illegaler Weise von den Flüchtenden zahlen lässt. Und bekommt von Europa zusätzlich Geld in der Hoffnung, dass sie ein System ändert, an dem sie sich zusammen mit der Armee in vielfältiger Weise bereichert.