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Zwangsarbeit in ostukrainischen Separatistengebieten
"Fühlen uns an die Schrecken des Zweiten Weltkrieges erinnert"

"Wir haben mit Bestürzung und Entsetzen auf die Nachricht reagiert, dass die russische Besatzungsmacht im Donbass auch Zwangsarbeiter einsetzt", sagte Andrij Melnyk, Botschafter der Ukraine in Deutschland, im Dlf. Die Ukraine selbst habe seit drei Jahren keinen Zugang zu diesen Gebieten. Entscheidend sei, den Druck auf Russland zu erhöhen.

Andrij Melnyk im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Porträtbild des ukrainischen Botschafters Andrej Melnyk
    Der Botschafter der Ukraine in Deutschland, Andrej Melnyk, im März 2016 (picture alliance / dpa/ Michael Kappeler)
    Christoph Heinemann: Mitgehört hat Andrij Melnyk, der Botschafter der Ukraine in Deutschland. Guten Morgen.
    Andrij Melnyk: Guten Morgen, Herr Heinemann.
    Heinemann: Herr Botschafter, kannten Sie die Zuständen im Strafvollzug im besetzten Osten der Ukraine?
    Melnyk: In dieser schrecklichen Dimension, die jetzt gerade auch vom Deutschlandfunk, von Sabine Adler herausgefunden wurde, leider nicht, und wir haben natürlich mit Bestürzung und auch mit Entsetzen über diese Nachrichten reagiert, dass die russische Besatzungsmacht im Donbass auch die Zwangsarbeiter einsetzen, und dieses unzumutbare Vorgehen erinnert uns auch an die Schrecken des Zweiten Weltkrieges, als über zwei Millionen Ukrainer als Ostarbeiter ausgebeutet wurden. Diese Willkür muss natürlich gestoppt werden, und zwar sofort. Die Ukraine hat leider seit drei Jahren überhaupt keinen Zugang zu den besetzten Gebieten und schon gar nicht zu den Gefängnissen.
    Heinemann: Sabine Adler hat gerade darüber berichtet. Die Ombudsfrau des Parlaments hat sehr ausführlich und immer wieder darüber berichtet; es gibt Menschenrechtsgruppen. Deshalb noch mal die Frage: Wieso weiß Ihre Regierung so wenig darüber?
    Melnyk: Die Regierung weiß sehr wohl von dem Unrecht, das tagtäglich im Donbass passiert.
    "Noch mehr Druck auf russische Führung ausüben"
    Heinemann: Aber sie kümmert sich offenbar nicht.
    Melnyk: Das kann man so nicht behaupten. Wir versuchen, gerade im Rahmen des Minsker Prozesses mit den Deutschen, mit den Franzosen die Kriegsgefangenen zu befreien, und da geht es um wenige Personen. Und trotz der Zusagen von Putin höchst persönlich hatte sogar das Rote Kreuz keinen Zugang zu diesen Menschen. Und deswegen: Was kann die Ukraine tun? Eins ist, natürlich die Weltgemeinschaft alarmieren. Das werden wir natürlich jetzt auch verstärkt unternehmen, unsere westlichen Partner und Verbündeten einbinden und an sie appellieren, dass da noch viel mehr Druck auf die russische Führung ausgeübt wird.
    Heinemann: Fragt sich wie, Herr Botschafter. In der Minsk Group – Sie haben sie erwähnt -, da werden die Gespräche über die Zukunft der Ukraine geführt. Auf ukrainischer Seite ist zuständig für das Schicksal dieser Gefangenen Wiktor Medwedtschuk, der als Putin-Vertrauter gilt. Führen für Ihr Land die falschen Leute die Gespräche?
    Melnyk: Es sind viele Menschen, die in Minsk diese sehr, sehr schwierigen Gespräche führen, unter anderem auch der ehemalige Präsident Leonid Kutschma, der auch sein politisches Schwergewicht benutzt, um da eine Lösung herbeizuführen. Aber bis jetzt waren diese Gespräche leider ergebnislos. Deswegen: Man muss nicht nur diese Menschen, nicht nur die Gefangenen in den Gefängnissen, sondern man muss die drei Millionen Ukrainer befreien, die als Geisel dieses Unrechtsregimes jeden Tag zu leiden haben.
    Heinemann: Aber deutet die Untätigkeit Ihrer Regierung in dieser speziellen Frage jetzt darauf hin, dass Ihrer Regierung Strafgefangene weniger wert sind?
    Melnyk: Ich gehe davon aus, dass jeder Mensch, egal ob er eine Straftat begangen hat oder nicht, die gleiche Würde besitzt.
    "Wir haben keine Kontrolle über diese Gebiete "
    Heinemann: Warum merkt man das nicht?
    Melnyk: Wie gesagt, die Ukraine verfügt über keine politischen Mittel, da eine Lösung herbeizuführen. Das Rote Kreuz hat keinen Zugang. Wie kann die Ukraine, was kann die Ukraine konkret tun, um das Leid dieser Menschen zu lindern. Wir sind auf die Hilfe der internationalen Partner angewiesen, um da voranzukommen. Wir können keinen Einfluss auf die Separatisten ausüben, weil sie hundertprozentig aus Moskau kontrolliert werden. Deswegen muss man diese Frage sehr wohl nach Russland richten und auch nicht nur die Frage der Kriegsgefangenen, sondern auch die Frage der Häftlinge, die buchstäblich wie gesagt wie Sklaven explodiert werden.
    Heinemann: Ausgebeutet.
    Melnyk: Ja, ausgebeutet. Das muss man auf jeden Fall tun.
    Heinemann: Herr Botschafter, Oxana Syroiid sieht das ein bisschen anders. Sie ist Vizepräsidentin des ukrainischen Parlaments von der Oppositionspartei "Selbsthilfe". Das ist die deutsche Übersetzung. Sie sagt: "Wenn die ukrainische Regierung das Kriegsrecht ausriefe, dann wären diese Menschen, diese Strafgefangenen durch internationales Recht geschützt" - das passiert aber nicht. "Und die Zustände würden bei einer entsprechenden Änderung der rechtlichen Grundlage auch weltweit publik" – passiert alles nicht.
    Melnyk: Wissen Sie, ich respektiere die Meinung von Frau Syroiid, die ich persönlich sehr gut kenne. Aber ich glaube, dass in dieser Frage, die sehr populistisch klingt, egal wie man diesen Zustand bezeichnet, einen Krieg, einen Konflikt, das ändert nichts an dem Schicksal von diesen Menschen. Und deswegen: Das ist ein purer Populismus, der in dieser sehr, sehr sensiblen Frage benutzt wird. Wir wollen diesen Menschen helfen, ja, und egal wie wir dann quasi gesetzlich vorgehen, das wird an der Tatsache, dass wir keine Kontrolle über diese Gebiete haben, nichts ändern. Deswegen muss man sehr wohl da im Rahmen des Formates der Normandie, das wir Gott sei Dank haben, alle möglichen Mittel einsetzen, damit der Einfluss auf Russland genommen wird. Für die Russen ist es egal, wie wir diesen Zustand nennen, einen Krieg oder einen bewaffneten Konflikt oder wie auch immer. Das heißt, da muss man mit anderen Mitteln und mit anderen Bandagen handeln und nicht jetzt in diesen Wortgefechten da sich üben.
    Heinemann: Wie gesagt, Frau Syroiid sieht das ein bisschen anders und sagt, die Regierung könnte schon etwas tun, wenn sie wollte. Dieselbe Frau Syroiid gehört einer Oppositionspartei an, ich habe es gesagt, die die Regierungskoalition verlassen hat, und sie wirft dem Präsidenten, sie wirft auch der Regierung vor, sie seien korrupt. Herr Melnyk, Herr Botschafter, so was hört man nicht gern über sein Land, aber wie gehen Sie als Botschafter mit einem solchen Vorwurf um?
    Melnyk: Ich gehe davon aus, dass wir die Fakten und die Tatsachen auf den Tisch legen, nämlich das, was wir bereits in diesen ein paar Jahren in Sachen der Korruptionsbekämpfung geleistet haben, und da haben wir wirklich viel zu erzählen. Vorgestern hat das Parlament zum Beispiel die Immunität von drei Abgeordneten aufgehoben und jetzt wird die Staatsanwaltschaft gegen diese Abgeordneten, die übrigens aus den Koalitionsfraktionen stammen, auch ermitteln können. Das heißt, es passiert wirklich sehr viel. Wir haben die Anti-Korruptions-Behörde eingesetzt mit über 200 Ermittlern, die bereits über 300 Strafverfahren in dieser kurzen Zeit eingeleitet haben, und da geht es um den Schaden, der dem Staat zugefügt wurde, um drei Milliarden Euro, nicht mehr und nicht weniger. Das heißt, zu behaupten, dass das Land korrupt ist und dass nichts unternommen wird, das wäre, glaube ich, schon eine große Übertreibung.
    Heinemann: Herr Botschafter, vielen Dank für das Gespräch.
    Melnyk: Ich habe zu danken, Herr Heinemann.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.