Katja Lückert: Zu DDR-Zeiten wurden die Gebäude des ehemaligen Zwangsarbeiterlagers in Berlin-Schöneweide als Impfinstitut benutzt. Erst seit sechs Jahren sind die 13 symmetrisch angelegten Steinbaracken ein Dokumentationszentrum. Seit zwei Jahren ist auch die Baracke 13, eine gut erhaltene Unterkunftsbaracke, für Besucher zugänglich.
Heute nun ist die Dauerausstellung zur Zwangsarbeit, deren Eröffnung heute Abend in der nahe gelegenen Friedenskirche feierlich begangen wird, Anlass für ein Gespräch mit der Historikerin und Leiterin des Dokumentationszentrums Christine Glauning.
Frau Glauning, Sie bitten auf Ihrer Website um Spenden, Fotos und Erinnerungsstücke. Haben Sie noch zu wenig zum Ausstellen?
Christine Glauning: Parallel zur Erarbeitung der Dauerausstellung sind wir dabei, eine Sammlung aufzubauen, ein Archiv aufzubauen, und insofern suchen wir weiterhin nach aussagefähigen Objekten, Exponaten, die wir auch in zukünftigen Wechselausstellungen zeigen können.
Lückert: Was sind das für Objekte zum Beispiel, die Sie jetzt schon haben?
Glauning: Wir zeigen sehr viele Fotos, historische Fotos, aus Archiven in ganz Deutschland zu unseren drei Leitthesen, nämlich Zwangsarbeit war ein Massenphänomen, Zwangsarbeit war allgegenwärtig, und der Alltag der Zwangsarbeiter war von der rassistischen Hierarchie der NS-Ideologie bestimmt, da gibt es eine Fülle von Fotos aus unterschiedlichsten Orten, die Zwangsarbeit am öffentlichen Straßenbild, Zwangsarbeiter mit Ostarbeiter- und P-Abzeichen. Sie mussten ja gekennzeichnet werden, durften sich sonst nicht bewegen.
Wir zeigen Objekte wie zum Beispiel einen Flugzeugmotor der Firma Argus, der zum Teil von Zwangsarbeitern hergestellt wurde, eine Fülle von Plaketten, eine Arrestzellentür der Fritz Werner AG, und Zwangsarbeiter, die in Anführungszeichen "aufsässig" geworden sind, in unterirdischen Arrestzellen eingesperrt hat.
Lückert: Das heißt, wie kann man sich so einen Alltag vorstellen: Man lebte in diesem Lager, konnte aber zu seiner Arbeitsstätte frei gehen, oder wurde man gebracht, oder wie war das?
Glauning: Das war unterschiedlich, je nach Herkunft, die Westeuropäer hatten in der Regel größere Bewegungsmöglichkeiten als die Osteuropäer, da sind auch eine Reihe von Fotografien entstanden, die Alltagssituationen zeigen im Lager, aber auch außerhalb des Lagers.
Lückert: Und wie lebten die Menschen dort, hatten die Familie?
Glauning: Also wir zeigen ja in der Ausstellung nicht nur die Geschichte des Lagers Schönewalde, sondern gehen ja darüber hinaus, zeigen Zwangsarbeit in Berlin und auch im gesamten Deutschen Reich. Und es war ganz unterschiedlich, es gab Lager, in denen nur Frauen untergebracht waren, Lager, in denen nur Männer untergebracht waren, aber es sind gerade in Osteuropa oft ganze Dorfgemeinschaften in einer Razzia von der Straße weg verschleppt worden, und insofern waren auch sehr viele Kinder in Deutschland. Und obwohl das Arbeitsalter bei 16, später bei 14 Jahren lag, sind auch acht-, neunjährige Kinder zur Zwangsarbeit eingesetzt worden.
Lückert: 3000 Lager gab es während der NS-Zeit in Berlin, dieses Detail aus einer amerikanischen Studie publizierte einst jetzt die "New York Times". Warum ist eigentlich davon nur eines erhalten, und andererseits, wie kann eine solche Zahl unsere Wahrnehmung von der Bedeutung von Zwangsarbeitern im Nationalsozialismus verändern?
Glauning: Die Tatsache, dass kaum ein Lager noch erhalten ist, liegt zum einen schlichtweg an der Bauweise – die meisten Lager sind in Holz gebaut worden, das Lager in Schöneweide wurde in Stein errichtet, und es ist nach dem Krieg intensiv weitergenutzt worden. Die Zahl zeigt meines Erachtens, wie allgegenwärtig Zwangsarbeit war, die Studien des United States Holocaust Memorial Museum haben ja auch ergeben, dass es insgesamt schätzungsweise 30.000 Lager allein für zivile Zwangsarbeiter gegeben hat, also ohne Kriegsgefangenenlager, ohne KZ-Lager.
Das zeigt, dass Zwangsarbeit nicht nur ein Massenphänomen war, sondern quasi an jeder Ecke ein Lager bestand und keinem Deutschen während des Zweiten Weltkrieges Zwangsarbeit und die Zwangsarbeiter verborgen bleiben konnten.
Lückert: Schöneweide liegt ein wenig abgelegen – wie viele Besucher hatten Sie im letzten Jahr?
Glauning: Wir hatten im letzten Jahr 8000 Besucher und hoffen, durch die Dauerausstellung neue Besucher anziehen zu können.
Lückert: Warum sind diese Erinnerungsorte so wichtig? Gibt es Begegnungen auch mit ehemaligen Zwangsarbeitern, also lebendige Geschichte, oder sieht man tatsächlich eben doch dann wieder die Schwarzweißfotos und die Baracken?
Glauning: Die Lebensgeschichten ehemaliger Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen sind uns sehr wichtig, und sie nehmen auch eine zentrale Position in der Ausstellung ein, es gibt einen eigenen biografischen Erzählstrang, wenn man so will.
Wir zeigen 17 Biografien von ehemaligen Zwangsarbeitern und Zwangsarbeiterinnen, und wir zeigen 16 Biografien von deutschen Akteuren, das reicht von Fritz Sauckel, dem Hauptorganisator der Zwangsarbeit bis zu einem Lagerleiter, einer Zuschauerin oder einem Helfer, und die Zeitzeugen, die zur Ausstellungseröffnung kommen mit ihrem Familien, sind alle in der Ausstellung auch vertreten mit einer Biografie, mit einer eigenen Biografievitrine, mit Fotos, Dokumenten, und auch Auszügen aus Interviews.
Lückert: Die Leiterin des Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit in Berlin-Schöneweide, Christine Glauning, war das.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Heute nun ist die Dauerausstellung zur Zwangsarbeit, deren Eröffnung heute Abend in der nahe gelegenen Friedenskirche feierlich begangen wird, Anlass für ein Gespräch mit der Historikerin und Leiterin des Dokumentationszentrums Christine Glauning.
Frau Glauning, Sie bitten auf Ihrer Website um Spenden, Fotos und Erinnerungsstücke. Haben Sie noch zu wenig zum Ausstellen?
Christine Glauning: Parallel zur Erarbeitung der Dauerausstellung sind wir dabei, eine Sammlung aufzubauen, ein Archiv aufzubauen, und insofern suchen wir weiterhin nach aussagefähigen Objekten, Exponaten, die wir auch in zukünftigen Wechselausstellungen zeigen können.
Lückert: Was sind das für Objekte zum Beispiel, die Sie jetzt schon haben?
Glauning: Wir zeigen sehr viele Fotos, historische Fotos, aus Archiven in ganz Deutschland zu unseren drei Leitthesen, nämlich Zwangsarbeit war ein Massenphänomen, Zwangsarbeit war allgegenwärtig, und der Alltag der Zwangsarbeiter war von der rassistischen Hierarchie der NS-Ideologie bestimmt, da gibt es eine Fülle von Fotos aus unterschiedlichsten Orten, die Zwangsarbeit am öffentlichen Straßenbild, Zwangsarbeiter mit Ostarbeiter- und P-Abzeichen. Sie mussten ja gekennzeichnet werden, durften sich sonst nicht bewegen.
Wir zeigen Objekte wie zum Beispiel einen Flugzeugmotor der Firma Argus, der zum Teil von Zwangsarbeitern hergestellt wurde, eine Fülle von Plaketten, eine Arrestzellentür der Fritz Werner AG, und Zwangsarbeiter, die in Anführungszeichen "aufsässig" geworden sind, in unterirdischen Arrestzellen eingesperrt hat.
Lückert: Das heißt, wie kann man sich so einen Alltag vorstellen: Man lebte in diesem Lager, konnte aber zu seiner Arbeitsstätte frei gehen, oder wurde man gebracht, oder wie war das?
Glauning: Das war unterschiedlich, je nach Herkunft, die Westeuropäer hatten in der Regel größere Bewegungsmöglichkeiten als die Osteuropäer, da sind auch eine Reihe von Fotografien entstanden, die Alltagssituationen zeigen im Lager, aber auch außerhalb des Lagers.
Lückert: Und wie lebten die Menschen dort, hatten die Familie?
Glauning: Also wir zeigen ja in der Ausstellung nicht nur die Geschichte des Lagers Schönewalde, sondern gehen ja darüber hinaus, zeigen Zwangsarbeit in Berlin und auch im gesamten Deutschen Reich. Und es war ganz unterschiedlich, es gab Lager, in denen nur Frauen untergebracht waren, Lager, in denen nur Männer untergebracht waren, aber es sind gerade in Osteuropa oft ganze Dorfgemeinschaften in einer Razzia von der Straße weg verschleppt worden, und insofern waren auch sehr viele Kinder in Deutschland. Und obwohl das Arbeitsalter bei 16, später bei 14 Jahren lag, sind auch acht-, neunjährige Kinder zur Zwangsarbeit eingesetzt worden.
Lückert: 3000 Lager gab es während der NS-Zeit in Berlin, dieses Detail aus einer amerikanischen Studie publizierte einst jetzt die "New York Times". Warum ist eigentlich davon nur eines erhalten, und andererseits, wie kann eine solche Zahl unsere Wahrnehmung von der Bedeutung von Zwangsarbeitern im Nationalsozialismus verändern?
Glauning: Die Tatsache, dass kaum ein Lager noch erhalten ist, liegt zum einen schlichtweg an der Bauweise – die meisten Lager sind in Holz gebaut worden, das Lager in Schöneweide wurde in Stein errichtet, und es ist nach dem Krieg intensiv weitergenutzt worden. Die Zahl zeigt meines Erachtens, wie allgegenwärtig Zwangsarbeit war, die Studien des United States Holocaust Memorial Museum haben ja auch ergeben, dass es insgesamt schätzungsweise 30.000 Lager allein für zivile Zwangsarbeiter gegeben hat, also ohne Kriegsgefangenenlager, ohne KZ-Lager.
Das zeigt, dass Zwangsarbeit nicht nur ein Massenphänomen war, sondern quasi an jeder Ecke ein Lager bestand und keinem Deutschen während des Zweiten Weltkrieges Zwangsarbeit und die Zwangsarbeiter verborgen bleiben konnten.
Lückert: Schöneweide liegt ein wenig abgelegen – wie viele Besucher hatten Sie im letzten Jahr?
Glauning: Wir hatten im letzten Jahr 8000 Besucher und hoffen, durch die Dauerausstellung neue Besucher anziehen zu können.
Lückert: Warum sind diese Erinnerungsorte so wichtig? Gibt es Begegnungen auch mit ehemaligen Zwangsarbeitern, also lebendige Geschichte, oder sieht man tatsächlich eben doch dann wieder die Schwarzweißfotos und die Baracken?
Glauning: Die Lebensgeschichten ehemaliger Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen sind uns sehr wichtig, und sie nehmen auch eine zentrale Position in der Ausstellung ein, es gibt einen eigenen biografischen Erzählstrang, wenn man so will.
Wir zeigen 17 Biografien von ehemaligen Zwangsarbeitern und Zwangsarbeiterinnen, und wir zeigen 16 Biografien von deutschen Akteuren, das reicht von Fritz Sauckel, dem Hauptorganisator der Zwangsarbeit bis zu einem Lagerleiter, einer Zuschauerin oder einem Helfer, und die Zeitzeugen, die zur Ausstellungseröffnung kommen mit ihrem Familien, sind alle in der Ausstellung auch vertreten mit einer Biografie, mit einer eigenen Biografievitrine, mit Fotos, Dokumenten, und auch Auszügen aus Interviews.
Lückert: Die Leiterin des Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit in Berlin-Schöneweide, Christine Glauning, war das.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.