Januar 2015. Mit Beginn des neuen Jahres tritt der ehemalige Kanzleramtsminister Ronald Pofalla seinen neuen Job bei der Deutschen Bahn an. Der CDU-Politiker hatte in seiner Amtszeit auch Entscheidungen zugunsten des Verkehrs-Konzerns getroffen. Pofalla wird als Chef-Lobbyist für das Unternehmen arbeiten.
"Das Problem sind Interessenkonflikte! Das Problem ist der Verdacht, dass Amtsträger Insiderwissen aus der Regierungstätigkeit nachträglich für sich selbst und natürlich auch für das privatwirtschaftlich organisierte Unternehmen nutzen!"
Bundestagsabgeordnete Halina Wawzyniak von den Linken ist empört. Und ihr grüner Kollege Konstantin von Notz forderte, als der geplante Jobwechsel bekannt wurde, schnelle Reformen.
"Ohne eine Regelung – und das zeigt doch nun die Debatte um den Kollegen Pofalla – nimmt unsere Glaubwürdigkeit, die Glaubwürdigkeit unseres politischen Systems, unsere Demokratie, Schaden!"
Unionspolitiker: "Ich sehe da NULL Problem!"
Während die Opposition den Seitenwechsel scharf kritisiert, hält Unions-Abgeordneter Hans-Peter Uhl dagegen:
"Ein Kanzleramtsminister, der zu einem ehemaligen Bundesunternehmen geht, das formal privatisiert worden ist – ich habe da überhaupt keine Probleme mit diesem Wechsel. Er wechselt vom Bund zum Bund, und ich sehe da NULL Problem!"
Berlin-Mitte, im Jakob-Kaiser-Haus des Bundestages, in einem lichtdurchfluteten Büro mit Spreeblick. Eine Frau mit kurzen blonden Haaren stürmt herein: Eva Högl, SPD. Kaum legt die 45-Jährige ihre Handtasche ab, berichtet sie – energiegeladen – von einem neuen Gesetzesprojekt: einer Karenzzeit, einer Zwangspause für Politiker, die aus dem aktiven Geschäft ausscheiden:
"Natürlich war damals der aktuelle Fall des Wechsels von Pofalla in die Bahnspitze Ausgangspunkt für Überlegungen zum Thema Karenz, das ist völlig klar. Es ist ja immer so, dass man sich anlässlich von Einzelfällen Gedanken über eine allgemeine Regelung macht."
Die Große Koalition hat im Oktober Regeln für Seitenwechsler beschlossen. Bislang gab es nur Vorschriften für Beamte, die aus ihrem Dienst ausscheiden. Nun sollen auch Minister und parlamentarische Staatssekretäre, die etwa in die Wirtschaft gehen, bei Interessenkollisionen eine Auszeit nehmen.
Pofalla Wechsel löste Karenzzeit-Diskussion aus
"Geplant ist ein Jahr, in Ausnahmefällen, in schweren Fällen, sogar 18 Monate. Und vor allen Dingen ist geplant, dass über diese Karenzzeit die Bundesregierung entscheidet, also ein Kabinettsbeschluss, die Bundesregierung ist das höchste Gremium in dieser Sache. Und das Zweite ist: Die Bundesregierung soll sich beraten lassen von einem Expertengremium."
Die Arbeits- und Rechts-Politikerin gesteht: CDU-Mann Pofalla sei lediglich der letzte Anstoß gewesen für ein Karenzzeit-Gesetz. Der ursprüngliche Fall, der ihr persönlich schwer im Magen liege, sei älter.
"Die SPD engagiert sich, weil wir natürlich auch die eigenen Fälle in den eigenen Reihen auch kritisch bewertet haben. Zum Beispiel den Wechsel von Gerhard Schröder zu Gazprom."
Als Kanzler hatte er die Ostseepipeline des russischen Gasmultis gefördert. Schröders Regierung wollte Gazprom zudem mit einer Kredit-Bürgschaft unterstützen.
Wechsel zwischen Politik und Wirtschaft: Bereicherung oder Geschmäckle?
Zwei Etagen vom Büro Högl entfernt, ebenfalls im Jakob-Kaiser Haus, sitzt Hans-Peter Uhl von der CSU. Die räumliche Nähe täuscht: Zwischen beiden Koalitions-Politikern liegen Welten. Uhl hat sich als Justiziar der Unionsfraktion mit der Karenzzeit beschäftigt. In seinen Augen ist ein Wechsel zwischen Politik und Wirtschaft - und umgekehrt - zumeist eine Bereicherung.
"Wenn man wirklich den Wechsel will, dann darf man nicht die Dinge so erschweren, dass er faktisch nicht mehr stattfinden kann."
Uhl, 70 Jahre alt, Glatze und grauer Haarkranz, hält nicht viel vom geplanten Karenzzeit-Gesetz für Bundesminister - auch wenn die Regelung von seiner Fraktionsspitze mitbeschlossen wurde.
"Das ist ja gerade das Problem, dass Sie diese komplizierten, unterschiedlichen Sachverhalte in einem Gesetz abstrakt, generell, nicht normieren können. Sie müssen willkürlich eine Zeit festlegen: ein Jahr, zwei Jahre, drei Jahre – das ist alles gewürfelt!"
Der CSU-Mann wehrt sich auch gegen eine Gleichsetzung prominenter Seitenwechsler aus Union und SPD:
Lobbycontrol kritisiert Einflussnahmen auf die Politik
"Wenn Sie jetzt mal Pofalla mit Gerhard Schröder vergleichen: Ob ein Kanzleramtsminister die Geschicke der Bundesregierung bearbeitet, um danach die Geschicke des Personennahverkehrs im Eigentum des Bundesrepublik Deutschland bearbeitet – darüber kann ich mich nicht erregen. Wenn aber jemand als Bundeskanzler sich danach um wirtschaftliche Interessen von Herrn Putin via Gazprom befasst – darüber könnte ich mich schon erregen."
Januar 2015. Im neuen Jahr tritt auch der ehemalige Entwicklungshilfe-Minister Dirk Niebel, FDP, einen neuen Job an: Er wird Lobbyist des Rüstungskonzerns Rheinmetall. In seiner Amtszeit war Niebel Mitglied des Bundessicherheitsrates, wo er über Waffenexporte mit entschieden hat.
Otto Schily, Innenminister, Eckard von Klaeden, Staatsminister, Caio Koch-Weser, Finanzstaatsekretär. Christina Deckwirth zieht hinter einem Schrank metergroße Transparente hervor mit blauen, stilisierten Abbildungen einflussreicher Seitenwechsler. Transparente, mit denen die Nichtregierungsorganisation Lobbycontrol im vergangenen März vor dem Kanzleramt demonstriert hat. Lobbycontrol will Einflussnahmen auf die Politik öffentlich machen.
"Das Problem bei Seitenwechseln liegt darin, dass Politiker ihr Insiderwissen an Lobbyisten verkaufen. Davon profitieren einige wenige Unternehmen oder Verbände, die sich das überhaupt leisten können, Spitzenpolitiker einzukaufen. Und andere, schwächere Interessensverbände können sich so was gar nicht leisten. Das heißt, mit solchen Seitenwechseln werden gesellschaftliche Machtungleichgewichte gestärkt."
Wie unabhängig kann das Bundeskabinett sein?
Aktivistin Deckwirth begrüßt zwar das geplante Gesetz der Großen Koalition, betrachtet aber zentrale Aspekte als unzureichend. Vor allem die Dauer der "Abklingzeit".
"12 bis 18 Monate sind nicht lang genug. Wir fordern eine Karenzzeit von drei Jahren. Weil auch nach 12 oder auch nach 18 Monaten noch viele Kontakte nützlich sind, die Netzwerke bestehen weiter, viele politische Prozesse sind noch nicht abgeschlossen, deswegen ist die Zeit zu kurz. Zumindest sollte Deutschland doch hier auf den Standard der EU kommen."
Auf EU-Ebene gilt, dass ausgeschiedene Kommissare mindestens 18 Monate lang pausieren müssen bei einem Interessenkonflikt. Lobbycontrol hält einen weiteren Ansatz in der deutschen Regelung für falsch: Das Bundeskabinett soll über die Zwangspause für Ex-Minister und parlamentarische Staatsekretäre entscheiden. Die geplante Expertenkommission darf nämlich nur beraten – aber nicht grünes oder rotes Licht geben.
"Es ist natürlich durchaus schwierig, problematisch, wenn das Kabinett über praktisch seine früheren Kollegen entscheidet, da ist dann natürlich auch die Frage, wie unabhängig das dann sein kann. Insofern hoffen wir, dass das Gremium wirklich eine starke Rolle spielen wird und dass die Entscheidungen vom Gremium ernst genommen werden und dass nicht das Kabinett diese Entscheidungen einfach übergeht."
Übergangsgeld für Bundesminister während der Zwangspause
November 2014.Bahr war als Minister auch zuständig für die Versicherungsbranche. Mehrfach hatte er sich für den Erhalt der Privaten Krankenversicherungen starkgemacht.
Warum soll in Deutschland die Karenzpflicht nur 12 bis 18 Monate dauern? Sozialdemokratin Eva Högl hatte ursprünglich ebenfalls drei Jahre im Blick, musste dann aber zurückrudern.
"Wir kollidieren ja mit so einem Gesetz, das muss man ganz klar sehen, mit der Berufsfreiheit, Artikel 12 Grundgesetz. Es ist ja nicht so einfach, einer Person zu verbieten, einen bestimmten Arbeitsplatz zu übernehmen. Und ich finde, diesen Kompromiss jetzt: Ein Jahr, maximal eineinhalb, finde ich einen guten Regelungsvorschlag."
Weiteres Argument für eine knappe Karenzzeit: Müssen Ex-Bundesminister in eine Zwangspause, können sie auch so lange Übergangsgeld kassieren. Die Überbrückungshilfe kann derzeit maximal zwei Jahre lang gezahlt werden und insgesamt bis zu 190.000 Euro betragen. Warum hat nun das Kabinett die brisanten Personal-Entscheidungen zu treffen? Högls Koalitions-Kollege Hans-Peter Uhl hält zwar insgesamt nicht viel von der Gesetzesinitiative, begrüßt aber, dass die Bundesregierung dabei immerhin das letzte Wort behält.
Karenzzeit-Gesetz gilt nicht für Landesregierungen
"Die Politik hat die Aufgabe, Interessenkollisionen zu lösen. Der Eine will dies, und der Andere will das Gegenteil - und die Politik entscheidet über die Kollision dieser Interessen. Das ist das zutiefst Politische. Also wer soll es denn sonst machen? Kann ich mir nicht vorstellen, welche Alternativen... Sie können natürlich den Vatikan befragen. Vielleicht kommt dann mehr Wahrheit rein oder mehr Zuversicht in die Wahrheit der Entscheidung."
Auffällig an der gesamten Karenzdebatte: Die Wirtschaft, die schließlich von den Seitenwechslern profitiert, schweigt weitgehend. Zwar erklärt der einflussreiche Bundesverband der Deutschen Industrie, man solle den Austausch mit der Politik nicht bremsen – Interviewanfragen werden aber abgelehnt. Die Karenzeit sei kein Thema, mit dem man punkten könne, räumt eine BDI-Sprecherin am Telefon ein.
Mai 2015. Der ehemalige Innenminister des Landes Schleswig-Holstein, Andreas Breitner, wird zum Verband norddeutscher Wohnungsunternehmen wechseln. Der SPD-Politiker war in seiner Amtszeit auch für die Wohnungsbauförderung verantwortlich – nun will er als Lobbyist dieser Branche wirken.
Es ist beschlossene Sache: Auf Bundesebene wird es Karenzregeln geben. Doch das zugrunde liegende Bundesminister-Gesetz gilt nicht für die Landesregierungen. Wie ärgerlich fehlende Vorschriften sind, mussten kürzlich Schleswig-Holsteins Sozialdemokraten feststellen: Der geplante Jobwechsel des Ex-Innenministers löste nämlich einen Proteststurm aus. Zwar gehört Breitner zu den wenigen Politikern, die sich überhaupt über ihren Gang in die Wirtschaft äußern. Allerdings zeigt er keine Einsicht:
"Ich bin heute nicht mehr Innenminister, ich bin nicht mehr für Wohnungsbau zuständig, da ist eine Karenzzeit von sieben Monaten, ich glaube, das ist ein ausreichender Abstand, um auch keine Interessenkollision in irgendeiner Form auftreten zu lassen."
Nun, nach massiver öffentlicher Kritik, will die Landes-SPD ein Karenzzeit-Gesetz anstoßen. Als Vorbild gilt eine Regelung im benachbarten Hamburg. Dort hatten im vergangenen September SPD, CDU, Grüne und Linke – parteiübergreifend - eine zweijährige Warteschleife für Seitenwechsler beschlossen. Auch Niedersachsen plant ein solches Gesetz. In Nordrhein-Westfalen gelten bereits weit reichende Vorschriften.
Transparency International kritisiert fehlende Karenzregelungen auf Länderebene
"Nordrhein-Westfalen macht das so, dass die Minister, die werden gleich behandelt in Sachen Karenzzeit wie die Beamten. Und das bedeutet, dass - wenn sie ausscheiden während der aktiven Zeit - eine Karenzzeit sogar von fünf Jahren gilt, und wenn's eine Ruhestandssache ist, Altersruhestand, dann gilt die Karenzzeit von drei Jahren."
Wolfgang Jäckle leitet bei Transparency International die Arbeitsgruppe Politik. Der Professor der Münsteraner Fachhochschule für öffentliche Verwaltung hat die Karenzregelungen der Bundesländer unter die Lupe genommen. Seine Bilanz: Bislang haben sich nur wenige Länder um das Problem gekümmert:
"In Bayern, Hessen, aber auch Brandenburg, Bremen, im Saarland gibt's überhaupt keine Regelungen und nicht einmal Pläne zur Einführung einer Karenzzeit."
Auf Bundesebene: ein geplantes Karenzgesetz. Auf Landesebene: vereinzelte Projekte. Und auf Kommunalebene?
Januar 2015. Im niedersächsischen Osterholz-Scharmbeck wechselt im neuen Jahr der ehemalige Bürgermeister Martin Wagener, SPD, zum Möbelhaus Meyerhoff. Wagener hatte in seiner Amtszeit, die Anfang November endete, auch mit dem Unternehmen zu tun. Nun wird er als Geschäftsführer des Möbelhauses arbeiten.
Auch Wechsel aus Kommunalpolitik hat "Geschmäckle"
Herbert Behrens, Fraktionschef der Linken im Stadtrat von Osterholz-Scharmbeck, findet den schnellen Seitenwechsel des Bürgermeisters anrüchig:
"Also wir haben im Stadtrat uns immer wieder mit der Frage beschäftigt, was müssen wir eigentlich tun, um den Standort für dieses Möbelhaus zu sichern. Und die damalige Geschäftsführung sagt: Wir müssen einfach mehr anbieten, es muss ein großer Einkaufsmarkt her, es muss ein Baumarkt her, damit man das Ganze als Center etablieren könne. Wir sind im Rat diesen Erwartungen nachgekommen – und an diesen Entscheidungen war der Bürgermeister immer beteiligt. Und nun wechselt der Bürgermeister genau in dieses Unternehmen als Geschäftsführer, dass es eben ein Geschmäckle hat."
Ex-Bürgermeister Wagener ist für die Medien nicht zu sprechen. Wie ist überhaupt die Rechtslage? In der niedersächsischen Stadt – wie in anderen Kommunen auch – greift zuerst einmal das Beamtenrecht. Denn Bürgermeister und Landräte gelten als sogenannte Wahlbeamte. Sie sind – ähnlich wie die Minister in NRW - normalen Beamten gleichgestellt, müssen also bei einem Seitenwechsel bis zu fünf Jahre warten – wenn, Zitat, "dienstliche Interessen beeinträchtigt werden". So schreibt es das Beamtenstatusgesetz vor. Stadtrat Behrens, der außerdem Abgeordneter des Bundestages ist, geht das nicht weit genug. Der Links-Politiker möchte, dass die Kommunen bzw. die übergeordneten Bundesländer ganz klare Richtlinien finden, wann genau ein Loyalitätskonflikt vorliegt.
"Um eben dieses Geschmäckle zu vermeiden, was zwangsläufig sich auftut und ein bestimmtes Misstrauen sich bilden könnte, das ist nicht gut."
Hoffen auf Vorbildwirkung des Bundesprojekts
"Vielleicht bekommt diese Diskussion jetzt auch noch mal Fahrt, dass alle Bundesländer so eine Karenzregelung bekommen, sich vielleicht an der Bundesregelung orientieren und dass wir einheitliche Regeln für den Wechsel von Politik in die Wirtschaft bekommen."
Eva Högl hofft auf die Vorbildwirkung ihres Bundesprojektes. Die Abgeordnete verweist auf ihren geduldigen Einsatz: Bereits in der letzten Legislaturperiode wollte die SPD das Seitenwechseln regeln – doch die damalige schwarz-gelbe Koalition mauerte. Nach der Bundestagswahl 2013 konnten die Sozialdemokraten im Koalitionsvertrag mit der CDU fixieren, dass eine "angemessene Regelung" gefunden werden soll. Ab Januar 2014 kochte der Fall Pofalla hoch und Bundeskanzlerin Angela Merkel empfahl – laut Medienberichten – dem Kanzleramtschef eine freiwillige "Abkühlphase".
Nach monatelanger Debatte haben sich die Koalitionsspitzen im Herbst schließlich auf Vorschriften geeinigt. Das Bundesinnenministerium schrieb einen Gesetzentwurf, welcher derzeit zwischen den Ressorts abgestimmt wird.
"Wir haben die Union überzeugt, die Abgeordnetenbestechung zu regeln im Strafgesetzbuch, wir haben jetzt was vereinbart oder sind auf dem Weg zur Karenz, über das Lobbyregister werden wir noch sprechen. Und da ist die SPD sehr treibend, und an der einen oder anderen Stelle müssen wir den Koalitionspartner auch überzeugen."
"Ist geschenkt."
Kontert der CSU-Abgeordnete Hans-Peter Uhl.
"Ja, also wenn sie meinen, die SPD, alles passiert auf ihren Druck hin. Ist doch lächerlich, oder? Vielleicht ist das der Grund, warum sie bei 25 Prozent Wählerzustimmung herumkrebsen und wir bei 42 uns bewegen."
Ehemaliger Atomkraftgegner berät nun Atomkraftkonzerne
2007. Der ehemalige Außenminister Joschka Fischer von den Grünen wechselt in die Privatwirtschaft. Ein Jahr nach Ende seines Bundestagsmandats gründet er ein eigenes Consulting-Unternehmen. Zu seinen Kunden zählen der Autokonzern BMW und der Atomkraftkonzern RWE.
Die Transparenz-Offensive der Sozialdemokraten stößt nicht nur im konservativen Lager auf Widerstand. Sondern – teilweise – auch bei Opposition. Die SPD will nämlich zusätzliche Karenzregeln: Ist das Gesetz für Minister und parlamentarische Staatssekretäre erst beschlossen, soll es auch Richtlinien für den Bundestag geben.
"Dann überlegen wir uns, ob wir auch entsprechende Regelungen für die "normalen" Abgeordneten brauchen. Und wir müssen natürlich auch wissen, dass wir dann auch das Übergangsgeld verlängern müssen. Denn wir können niemanden in die Arbeitslosigkeit schicken, sondern wir müssen natürlich gucken, welche begleitenden Maßnahmen wir dann auf den Weg bringen müssen."
Viele Parlamentskollegen, wie der Linke Herbert Behrens, betrachten eine Karenz für die eigenen Kreise mit Skepsis:
SPD will zusätzliche Karenzregeln für Abgeordnete
"Das ist glaube ich schwierig, das auch für Abgeordnete zu regeln, weil wir eben nach Grundgesetz unser Mandat frei ausüben, und wenn ich eine gesetzliche Regelung schaffe, die einem Abgeordneten verbietet, eine bestimmte Tätigkeit aufzunehmen, dann bin ich glaube ich schon jenseits dieser rechtlichen Möglichkeiten. Ich glaube, das darf ein Gesetzgeber gar nicht machen."
Einige NGOs, die die Karenzdiskussion mit voran getrieben haben, wollen sogar noch weiter gehen. So fordert Christina Deckwirth vom Verein Lobbycontrol, dass Politiker überhaupt keine Lobbyjobs mehr annehmen dürfen - weil sie dort nur Partikularinteressen, also Interessen einzelner Gruppen, vertreten.
"Wir wollen generell ausschließen, dass Politiker in Lobbytätigkeiten wechseln, auch wenn es dort keine thematischen Überschneidungen gibt. Ja, wenn Politiker als Lobbyisten tätig sind, dann nutzen sie eben ihr Kontaktnetzwerk, ihr Insiderwissen – und dort ist es dann auch egal, aus welchem Bereich sie Fachkenntnisse mitbringen."
Lobbykritiker fordern Verbot von Seitenwechsel
CSU-Abgeordneter Hans-Peter Uhl widerspricht. Nach seiner Meinung sollte die Lobbyproblematik während eines Mandats und auch danach viel entspannter gesehen werden:
"Ich werde bezahlt dafür, dass ich mit Lobbyisten rede! Diese verkrampfte Haltung: Igitt, das ist ein Lobbyist, mit dem darf ich nicht reden – ich sag immer: Gerade in Deutschland ist der Lobbyist so verpönt, was töricht ist."
Zwangspause, Karenzzeit für Politiker – nach prominenten Einzelfällen und langen Diskussionen ist nun ein erstes Kontrollgesetz auf dem Weg. Lobbykritiker finden es allerdings bedenklich, dass ein Paragrafenwerk überhaupt notwendig geworden ist.
"Die vielen Seitenwechsel der letzten Zeit haben gezeigt, dass hier anscheinend nicht genügend Anstand besteht, dass es nicht genügend Hemmungen gibt, dass Politiker die Seiten wechseln. Insofern brauchen wir ganz klar eine gesetzliche Regelung, die solche Seitenwechsel verbietet."