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Zwangssterilisierungen
Grausame Familienpolitik in Peru

In Peru wurden zwischen 1996 und 2001 schätzungsweise 350.000 Frauen und 25.000 Männer zwangssterilisiert. Für den damaligen Präsidenten Alberto Fujimori war die grausame Form der Geburtenkontrolle ein systematisches Instrument der Armutsbekämpfung. Bis heute kämpfen Opfer für Gerechtigkeit und Entschädigung.

Von Anne Herrberg |
    Opfer der Zwangssterilisierungen in Peru bei einem Treffen
    Eines der schlimmsten Menschenrechtsverbrechen Amerikas: Zwangssterilisierungen in Peru. (dpa / picture-alliance / Ernesto Arias)
    "Mein Name ist Rute Zúñiga Caceres, ich bin Präsidentin der Organisation der zwangssterilisierten Frauen aus der Region Cusco. Wir kämpfen seit über 18 Jahren. Weil sie mich als junges Mädchen sterilisiert haben, ohne zu fragen, ohne Narkose, ohne Nachbehandlung. Wie meine Schwestern in der Zeit, als Fujimori Präsident war. Wir sind mehr als 300.000 Frauen aus ganz Peru und es gibt auch Männer."
    Sie stehen im Scheinwerferlicht, vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben: Rute und 30 weitere Frauen in ausgestellten Röcken, bestickten Schultertücher und Hüten über den langen schwarzen Zöpfen.
    "Wir schämen uns nicht mehr. Wir haben keine Angst mehr. Wir erzählen, was uns passiert ist. Mir und meinen Schwestern vom Land, die oft nur Quechua sprechen, arm sind, weder lesen noch schreiben können, für uns kämpfe ich."
    Dieser Kampf wurde im Dezember mit dem peruanischen Menschenrechtspreis 2015 ausgezeichnet. Viele im hochkarätig besetzten Festsaal der Nationalbibliothek von Lima kämpften damals mit den Tränen. Die Frauen auf der Bühne kämpfen bis heute für Gerechtigkeit und Entschädigung.
    Instrument der Armutsbekämpfung
    Das, was sich zwischen 1996 und 2001 in Perus Gesundheitszentren abspielte, bezeichnet Amnestie International als eines der schlimmsten Menschenrechtsverbrechen Amerikas. Der damalige Präsident Alberto Fujimori nannte es: Familienplanung beziehungsweise Instrument der Armutsbekämpfung.
    In Zeiten der Warnung des "Club of Rome" vor einer "Bevölkerungsexplosion" gab es dafür anfangs sogar internationale Gelder: Unter falschen Versprechen, Lügen oder Androhungen wurden schätzungsweise 350.000 Frauen, aber auch 25.000 Männer aus ihren Dörfern in Krankensäle gebracht – und dort unfruchtbar gemacht. Es gab keine Information, oft keine Narkose oder Medikamente gegen Wundschmerz und Infektionen: Maria Irene Huanca, im dritten Monat schwanger, erlitt eine Fehlgeburt:
    "Erst nach drei Jahren konnte ich wieder richtig gehen, ich bin Monate wie ein Tier auf dem Boden gekrabbelt, ich kann nicht mehr auf dem Feld arbeiten, für meinen Mann war ich nichts mehr wert, wir sind getrennt."
    Grausame und systematische Geburtenkontrolle: Die Befehlskette ging vom Präsidentenpalast in den OP-Saal, es gab Quoten und Belohnungen für Ärzte, dafür existieren Beweise. Trotzdem verliefen alle bisherigen Anläufe, Fujimori juristisch zu belangen, im Sand. Auch unter der aktuellen Regierung von Ollanta Humala. Der erklärte die Massensterilisierungen jüngst zum nationalen Anliegen. Diese Initiative komme reichlich spät, meint Ana Maria Vidal von der nationalen Menschenrechtskoordination.
    Opfer kämpfen für Gerechtigkeit
    Bei den Wahlen vor vier Jahren versprach Humala bereits, sich für die zwangssterilisierten Frauen einzusetzen. Warum? Weil seine Gegnerin in der Stichwahl die Tochter von Fujimori war: Keiko. Aber wenige Monate nach Humalas Amtsantritt war das Thema plötzlich wieder vom Tisch. Nun, kurz vor den Wahlen, wird es wieder ausgegraben? Die Frauen werden für den Wahlkampf instrumentalisiert.
    Bei den bevorstehenden Wahlen im April wird es Keiko erneut versuchen – die Tochter von Alberto Fujimori gilt derzeit als aussichtsreichste Kandidatin für das Präsidentenamt, und sie hat dazu gelernt – im Oktober 2015 erklärte sie auf einer Konferenz in Harvard:
    "Ich verurteile die Ärzte und fühle mit all jenen Frauen, die einer Zwangssterilisierung unterzogen wurden."
    Für die zwangssterilisierten Frauen und Aktivisten, wie die Kongressabgeordnete Hilaria Supa klingt das wie purer Hohn.
    "Mich sorgt, wie wenig Erinnerungsvermögen die Peruaner haben. Noch mehr besorgt mich, was aus unseren Bemühungen wird, wenn Keiko Präsidentin wird. Die Fujimoristen sind stark. Aber ich habe keine Angst. Mir gibt es nur noch mehr Kraft wenn ich zurückdenke, was sie uns und Peru angetan haben."