" Es ist klar, dass der jüdische Staat im biblischen Land Israel sein muss. Der jüdische Staat, das heißt der gesamte jüdische Staat. Es gibt hier keinen Platz für einen palästinensischen Staat."
Josef Elnekaveh ist Rabbiner im Gush Katif, dem jüdischen Siedlungsblock im Gazastreifen. Wie die anderen religiösen Siedler ist er der Auffassung, dass das biblische Land Israel dem jüdischen Volk gehört und nur dem jüdischen Volk.
" Der Heilige, gelobt sei er, hat unserem Vater Abraham dieses Land gegeben. Abraham hatte zwei Söhne, Isaak und Ismael. Isaak hat er das Land gegeben und Ismael nicht. Ihn hat er gesegnet und darum haben die Araber Gold und Erdöl, das ist der Segen unseres Erzvaters Abraham. Aber das Land Israel hat er ihnen nicht gegeben. Der Heilige, gelobt sei er, hat sie mit Erdöl gesegnet und uns hat er das Land Israel gegeben."
Der Glaube ist die treibende Kraft hinter der ideologischen Siedlerbewegung. Gott hat dieses Land seinem auserwählten Volk, den Juden versprochen. Nun ist es ihre Pflicht, dieses Land zu besiedeln. Und seit dem Ende des Sechs-Tage-Kriegs von 1967 setzen sie dieses Gebot um. Damals eroberte und besetzte Israel das Westjordanland, den Gazastreifen und die Golanhöhen. Noch im gleichen Jahr wurden die Ortschaften des Etzion-Blocks bei Jerusalem wieder besiedelt, die während des Unabhängigkeitskriegs von 1948 aufgegeben worden waren. Ein Jahr später gründeten religiöse Siedler gegen den anfänglichen Widerstand der Regierung die Siedlung Kirjat Arba am Rande von Hebron. Der richtige Durchbruch für die Siedlungsbewegung aber kam im Jahr 1975, als in der Nähe von Nablus die erste Siedlung im biblischen Samaria, dem nördlichen Westjordanland gegründet wurde. Das war der Beginn der Siedlungspolitik, die seither von allen israelischen Regierungen widerstrebend geduldet, heimlich unterstützt oder offen und bewusst gefördert wurde.
Der Vater der Siedlungspolitik war Ariel Scharon, der in verschiedenen Funktionen in der Armee und in der Politik die Siedlungspolitik vorantrieb. Noch im Jahr 1998 rief er die Siedler dazu auf, die Hügel des Westjordanlandes zu besetzen.
" Alle sollen sich jetzt bewegen und losrennen. Besetzt die Hügel! Alles, was wir uns jetzt schnappen, wird uns gehören. Alles, was wir nicht besetzen, wird ihnen gehören. So wird es sein."
Heute leben im Westjordanland und in Ostjerusalem insgesamt rund 450.000 Siedler. Nicht alle sind religiös. Viele haben sich aus wirtschaftlichen Gründen in den Siedlungen niedergelassen. Denn hier sind die Wohnungen billig, die Schulen gut ausgestattet und die Kommunen wohlhabend. Nach internationalem Recht aber sind die Siedlungen illegal, denn es ist einer Besatzungsmacht nicht erlaubt, die eigene Bevölkerung in besetztem Gebiet anzusiedeln. Die Historikerin Idit Zertal findet es daher unbegreiflich, dass Israel an der Siedlungspolitik festhält.
" Ich frage, wie der Staat Israel das tun konnte. Wie konnte ein moderner, demokratischer Staat im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts, nach dem Zweiten Weltkrieg, nach dem Holocaust, nach dem Zusammenbruch der Kolonialimperien, wie konnte Israel in den späten sechziger und den siebziger Jahren sich selbst in diesen schrecklichen Sumpf hineinmanövrieren, in diese aussichtlose Lage der Besatzung, der Kolonisierung eines anderes Volkes? Wie konnte Israel seine eigene Bevölkerung in das besetzte Land bringen? Wie konnte Israel das nur tun? Gegen alle internationalen Konventionen und Gesetze und gegen die internationale Kultur."
Idit Zertal hat, gemeinsam mit dem Journalisten Akiva Eldar ein Buch über die Siedlerbewegung geschrieben. In dem umfangreichen Werk beschreiben die Autoren detailliert, wie die religiösen jüdischen Fundamentalisten die Kolonisierung der besetzten palästinensischen Gebiete vorangetrieben haben - oft genug mit aktiver Unterstützung von Regierung und Armee, mit Geld aus öffentlichen Töpfen und mit der stillschweigenden Duldung der israelischen Bevölkerung.
Bettina Marx über die israelische Siedlungspolitik. Das größte Problem für die Palästinenser ist mit dem Gaza-Rückzug also längst nicht gelöst: die rund 120 anerkannten und zahllosen wilden Siedlungen im Westjordanland. Und trotzdem ist es eine historische Wende: mit Gaza gibt Israel zum ersten Mal in seiner Geschichte palästinensisches Gebiet auf. Wie und warum es dazu kam - erklärt Carsten Kühntopp:
Es begann mit einem Presseinterview: Am zweiten Februar 2004 sagte der israelische Ministerpräsident Ariel Scharon der Zeitung Haaretz, er beabsichtige, die Siedlungen und die Armeeposten im Gaza-Streifen aufzugeben. Er arbeite unter der Annahme, dass es in Zukunft - so wörtlich - keine Juden im Gaza-Streifen mehr geben wird. Die Nachricht schlug wie die sprichwörtliche Bombe ein: Ausgerechnet Scharon, der Architekt der Siedlungsbewegung, will Siedlungen räumen, und zwar einseitig, ohne Absprache und ohne im Gegenzug dafür etwas von den Palästinensern zu erhalten.
" Wir haben eine Entscheidung über die Prioritäten getroffen: Wir gehen raus aus dem Gaza-Streifen - aus einer Gegend, in der es überhaupt keine Chance gibt, dort eine jüdische Mehrheit anzusiedeln. Uns allen ist klar, dass dieses Gebiet in einer späteren Lösung niemals ein Teil Israels sein wird. Gleichzeitig richten wir unser Hauptaugenmerk auf die Regionen, die für die Sicherung unserer Existenz am wichtigsten sind: Galiläa, der Negev, der Großraum Jerusalem, die Siedlungsblocks und die Sicherheitszonen. Ich habe den Trennungsplan initiiert, weil er das beste Instrument für eine grundlegende Änderung der nationalen Situation Israels ist."
Der Abzug aus dem Gaza-Streifen soll es Israel also erlauben, den größten Teil des Westjordanlands auf ewig zu behalten. Ein Berater des israelischen Ministerpräsidenten sagte später, der Trennungsplan sei deswegen bedeutsam, weil er den Friedensprozess mit den Palästinensern einfriere. - Das Vorhaben, alle Ansprüche auf den Gaza-Streifen aufzugeben, reifte in Scharon gegen Ende des Jahres 2003. Innenpolitisch war der Regierungschef damals unter Druck: Israelische und palästinensische Friedensaktivisten hatten den Entwurf für einen Friedensvertrag vorgelegt, eine Gruppe ehemaliger Geheimdienstchefs hatte Scharons Politik der harten Hand zur Niederschlagung der Intifada öffentlich kritisiert, und immer mehr Piloten der Luftwaffe und Elitesoldaten verweigerten den Dienst. Scharon begriff, dass er die Initiative ergreifen musste. - In den folgenden Monaten schritt der Ministerpräsident auf dem Weg seines Trennungsplanes voran. Dabei verlor er die Unterstützung der Hälfte seiner Likud-Fraktion und der Basis seiner Partei. Gleichzeitig gewann er neue politische Freunde. So unterstützte ihn plötzlich die linksgerichtete Opposition, und die Arbeitspartei trat sogar in die Regierung ein. Parteichef Schimon Peres:
" Ich werde meinen Freunden empfehlen, für den Plan von Ariel Scharon zu stimmen. Aber ich werde meinen Freunden auch sagen, dass diese Abstimmung es uns nicht ersparen wird, für vollen und echten Frieden zu kämpfen."
Meinungsumfragen zeigen, dass nach wie vor die meisten Israelis Scharon unterstützen. Doch die Siedler, ihre politische Lobby und ihre religiösen Führer wollen sich längst noch nicht geschlagen geben. Israel eroberte den Gaza-Streifen im Sechs-Tage-Krieg von 1967. Aus Sicht der Nationalreligiösen ist auch Gaza ein Teil von Eretz Yisrael, ein Teil des biblischen Landes Israel, das Gott den Juden versprochen habe. Deshalb sei es völlig undenkbar, sich von dort zurückzuziehen. Ein Rabbiner der Siedler:
David Hacohen:
" Die Sünde und das Verbrechen der Zerstörung der jüdischen Siedlungen, die durch Regierungsbeschlüsse mit den Kräften der Besten des Volkes errichtet wurden - das ist ein Verbrechen gegen das jüdische Volk aller Generationen; dafür gibt es keine Entschuldigung und kein Verzeihen."
Soweit Carsten Kühntopp. Wütende Siedler beschimpfen Soldaten, setzen sich mit Händen und Füßen, mit Eiern, Steinen und Farbbeuteln zur Wehr. Weinende Frauen, Soldaten, die mit Planierraupen anrücken ... Bilder wie aus der Intifada. Der Abzug aus dem Gaza-Streifen ist eine Zerreißprobe für Israel. Und vor allen Dingen für die Armee: Viele Soldaten haben Angehörige in den Siedlungen. Und manch einer stellt sich die Frage: Wem folge ich? Den Rabbinern oder den Offizieren? Bettina Marx:
" Soldat, Polizist, verweigere den Befehl!"
So schallt es den Angehörigen der israelischen Sicherheitskräfte seit Wochen entgegen. Unablässig versuchen die Gegner des Abzugs aus dem Gazastreifen, Soldaten und Grenzschützer auf ihre Seite zu ziehen. Manche halten dem Druck nicht stand und brechen zusammen. Andere verweigern den Befehl zwar nicht ausdrücklich, tun aber alles, um die Anweisungen der Armeeführung zu sabotieren. Und wieder andere rufen selbst zur Befehlsverweigerung auf, wie dieser junge Militärrabbiner, der in Offiziersuniform und vor laufender Fernsehkamera seine Untergebenen zum Ungehorsam aufforderte.
Bar'eli:
" Wir sind die israelische Verteidigungsarmee. Eine Armee, deren Ziel es ist, den Staat Israel, das Volk Israel zu verteidigen und nicht, unsere Brüder zu vertreiben. Ich werde meinen Soldaten keine Befehle erteilen, die den Werten der israelischen Armee widersprechen, die der jüdischen Tradition widersprechen und die auch dem Zionismus widersprechen. Es ist verboten, Befehle auszuführen, die all diesen Werten widersprechen."
Die israelische Armee wird von dem Auftrag, die Siedlungen zu räumen und die Siedler notfalls mit Gewalt zu evakuieren, förmlich zerrissen. Denn wie keine andere Institution in Israel ist sie eng mit der Siedlungspolitik verwoben - personell und ideologisch. Ein Drittel der Angehörigen des Offizierskorps sind Siedler und selbst im Generalstab gibt es mehrere religiöse Offiziere. In den Eliteeinheiten der Armee sieht man immer mehr die gehäkelten Kopfbedeckungen der national-religiösen Juden. Die meisten von ihnen entstammen den 40 Religionsschulen, den Jeshivot Hahesder, deren Zöglinge den Militärdienst mit Talmudstudien verbinden.
Die Rabbiner dieser Hochschulen unterstreichen den Vorrang des göttlichen Gebotes vor den Befehlen der militärischen Führung. So wie Rabbi Elyakim Levanon, Oberhaupt einer Religionsschule in der Siedlung Elon Moreh.
" Es ist unmöglich, einen Menschen dazu zu zwingen, seine Familie zu evakuieren. Und genauso ist es unmöglich, einen Menschen dazu zu zwingen, gegen seinen Glauben zu handeln. Wir sagen, lasst uns nach unserem Glauben leben."
Generalstabschef Dan Halutz drohte zunächst damit, die militärischen Religionsschulen Jeshivot Hahesder zu schließen. Nach heftigen Protesten aus dem national-religiösen Lager ruderte er jedoch wieder zurück und versprach, lediglich einzelne Rabbiner zur Rechenschaft zu ziehen.
" Wir müssen eine genaue Gewissensprüfung vornehmen und die Auseinandersetzung führen. Ich habe kein Problem mit den Schulen an sich, aber wir müssen darauf achten, dass es in der Armee nur eine Befehlsinstanz gibt, nur eine und nicht zwei."
Genau dies ist für viele religiöse Soldaten überhaupt nicht selbstverständlich. Für sie ist nicht die militärische und schon gar nicht die demokratisch gewählte politische Führung ausschlaggebend. Eli Landau ist Hauptmann der Reserve und lebt in der Siedlung Neve Tsuf im Westjordanland. Vor der Kamera des prominenten israelischen Journalisten Chaim Yavin bekannte er sich ganz offen zu seiner Überzeugung.
" Der Heilige, gelobt sei er, ist mein Befehlshaber, das ist klar. Was ist das Volk Israel, was ist die Tora Israels, was ist das Land Israel? Das sind Werte, die in der Diskussion keine Rolle spielen. Immerzu spricht man nur von der Demokratie. Aber für das, was Ihr Demokratie nennt, sollen wir alles opfern, das Land Israel, den zionistischen Traum. Das alles sollen wir opfern für das Ungeheuer, das Demokratie heißt."
Aus Tel Aviv Bettina Marx. - Die Palästinenser haben diesen Tag lange herbeigesehnt. Für sie ist der Abzug der Israelis ein Erfolg. Trotzdem sehen sie für die neue Zeit, die nun anbricht viele Fragezeichen: Was soll, was kann aus dem Gaza-Streifen und den 1,4 Millionen Palästinensern dort werden? Carsten Kühntopp über Skepsis und Hoffnung:
Vom Dach eines Hauses an der Küstenstraße des Gaza-Streifens zeigt Rizik Abu-Medein landeinwärts.
" Da können Sie die Siedlung Netzarim sehen, ganz deutlich, die roten Dächer. Und rund um Netzarim, sehen Sie das Land? Es ist wie eine Wüste. Alles wurde zerstört. Sehen Sie den Zaun? Der wurde vor einem Jahr errichtet. Und da ist eine Wache, Sie können den Wachturm der Israelis sehen."
Die jüdische Siedlung Netzarim mit ihren rund 400 Bewohnern liegt völlig isoliert mitten im palästinensischen Gaza-Streifen. In einem Radius von mehreren Hundert Metern zerstörte die israelische Armee vor Jahren die Felder rundherum und erklärte sie zur Gelben Zone, zum Sicherheitsgebiet, dem sich kein Palästinenser nähern darf. Rizik Abu-Medein, ein Ingenieur Mitte 40, zählt bereits die Tage, bis Netzarim geräumt wird. Seiner Großfamilie gehört das meiste Land in dieser Gegend. Früher brachten alleine die Weintrauben, die die Abu-Medeins hier anbauten, etwa 20.000 Dollar im Jahr. Doch mit Beginn der Intifada weitete Israel die Gelbe Zone um Netzarim aus:
" Unser Schaden ist beträchtlich. Etwa 70 Hektar wurden planiert. Bis dahin war es ein gutes Einkommen gewesen. Viele Arbeiter waren hier beschäftigt und konnten so ihre Familien ernähren. Aber jetzt ist es völlig unmöglich, überhaupt da hin zu kommen. Wenn du es versuchst, wirst du erschossen. Es wurde vollständig planiert, es ist jetzt Wüste, und wir werden es wieder aufbauen müssen."
Rizik Abu-Medein schaut nach vorne, in die Zukunft. Mitten in Netzarim besitzen die Abu-Medeins ein Stück Land, vier Hektar, das werden sie wahrscheinlich an die Palästinenserbehörde verkaufen. Bis auf dieses kleine Stück wurde die Siedlung auf so genanntem Staatsland errichtet. Staatsland - das ist eine Eigentumsform aus der Zeit des Osmanischen Reiches. Die Frage, wem das Land nach dem Abzug der Israelis gehören wird, dürfte damit klar sein - es wird an die Palästinenserbehörde fallen. - Kurz vor dem geplanten Abzug der Israelis haben die Palästinenser mehr Fragen als Antworten. In welchem Zustand wird Israel die Infrastruktur der Siedlungen zurücklassen? Wie kann die palästinensische Polizei Plünderungen verhindern? Mohammed Samhouri steht an der Spitze eines Teams, das in der Palästinenserbehörde für die Zeit nach der Siedlungsräumung plant:
" Wir wollen, dass unsere Sicherheitskräfte nach dem Abzug die volle Kontrolle über das Land übernehmen. Wir wollen nicht, dass die Menschen einfach so in die geräumten Gebiete stürmen; Bagdad nach dem Fall Saddams - so soll es nicht sein. Andererseits kann man die palästinensische Bevölkerung auch nicht um den Augenblick der Freude bringen, der Freude über den Abzug. Natürlich werden die Leute mit ihren eigenen Augen sehen wollen, was die Israelis zurücklassen, und das sollte die Palästinenserbehörde auch nicht verhindern. Die Kunst ist, es so zu machen, dass es gut organisiert ist und unsere Reife widerspiegelt."
Die palästinensische Wirtschaft steht bereits in den Startlöchern. Salah Abdel-Schafi hat vor ein paar Monaten eine Consulting-Firma in Gaza gegründet. Er sieht die Räumung der Siedlungen als Chance für die Privatwirtschaft, für Investoren aus dem In- und Ausland:
" Die Frage für uns Palästinenser ist, wie wir Gaza promoten wollen, als attraktiven Standort für Anleger. Zuerst einmal hat die Palästinenserbehörde Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union, den USA und mit Kanada. Das ist eine sehr gute Grundlage. Dann die Lage. Gaza liegt im Zentrum des Nahen Ostens. Wenn wir einen Flughafen und einen Hafen hätten, würde Gaza zu einem wichtigen Handelskreuz werden. Und außerdem gibt es auch Potential im Tourismus. Im Internet werden Sie lesen, dass der Gaza-Streifen eine der fünf besten locations weltweit für Windsurfing ist - das habe ich im Internet gelesen!"
Die Weltbank ist skeptisch: Der israelische Abzug allein reicht nach Meinung ihrer Experten nicht aus, um den Gaza-Streifen zum erfolgreichen Modell für den Wiederaufbau der palästinensischen Wirtschaft zu machen. Vielmehr müsse Israel die Rahmenbedingungen ändern und vor allem die Grenzen öffnen.
Josef Elnekaveh ist Rabbiner im Gush Katif, dem jüdischen Siedlungsblock im Gazastreifen. Wie die anderen religiösen Siedler ist er der Auffassung, dass das biblische Land Israel dem jüdischen Volk gehört und nur dem jüdischen Volk.
" Der Heilige, gelobt sei er, hat unserem Vater Abraham dieses Land gegeben. Abraham hatte zwei Söhne, Isaak und Ismael. Isaak hat er das Land gegeben und Ismael nicht. Ihn hat er gesegnet und darum haben die Araber Gold und Erdöl, das ist der Segen unseres Erzvaters Abraham. Aber das Land Israel hat er ihnen nicht gegeben. Der Heilige, gelobt sei er, hat sie mit Erdöl gesegnet und uns hat er das Land Israel gegeben."
Der Glaube ist die treibende Kraft hinter der ideologischen Siedlerbewegung. Gott hat dieses Land seinem auserwählten Volk, den Juden versprochen. Nun ist es ihre Pflicht, dieses Land zu besiedeln. Und seit dem Ende des Sechs-Tage-Kriegs von 1967 setzen sie dieses Gebot um. Damals eroberte und besetzte Israel das Westjordanland, den Gazastreifen und die Golanhöhen. Noch im gleichen Jahr wurden die Ortschaften des Etzion-Blocks bei Jerusalem wieder besiedelt, die während des Unabhängigkeitskriegs von 1948 aufgegeben worden waren. Ein Jahr später gründeten religiöse Siedler gegen den anfänglichen Widerstand der Regierung die Siedlung Kirjat Arba am Rande von Hebron. Der richtige Durchbruch für die Siedlungsbewegung aber kam im Jahr 1975, als in der Nähe von Nablus die erste Siedlung im biblischen Samaria, dem nördlichen Westjordanland gegründet wurde. Das war der Beginn der Siedlungspolitik, die seither von allen israelischen Regierungen widerstrebend geduldet, heimlich unterstützt oder offen und bewusst gefördert wurde.
Der Vater der Siedlungspolitik war Ariel Scharon, der in verschiedenen Funktionen in der Armee und in der Politik die Siedlungspolitik vorantrieb. Noch im Jahr 1998 rief er die Siedler dazu auf, die Hügel des Westjordanlandes zu besetzen.
" Alle sollen sich jetzt bewegen und losrennen. Besetzt die Hügel! Alles, was wir uns jetzt schnappen, wird uns gehören. Alles, was wir nicht besetzen, wird ihnen gehören. So wird es sein."
Heute leben im Westjordanland und in Ostjerusalem insgesamt rund 450.000 Siedler. Nicht alle sind religiös. Viele haben sich aus wirtschaftlichen Gründen in den Siedlungen niedergelassen. Denn hier sind die Wohnungen billig, die Schulen gut ausgestattet und die Kommunen wohlhabend. Nach internationalem Recht aber sind die Siedlungen illegal, denn es ist einer Besatzungsmacht nicht erlaubt, die eigene Bevölkerung in besetztem Gebiet anzusiedeln. Die Historikerin Idit Zertal findet es daher unbegreiflich, dass Israel an der Siedlungspolitik festhält.
" Ich frage, wie der Staat Israel das tun konnte. Wie konnte ein moderner, demokratischer Staat im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts, nach dem Zweiten Weltkrieg, nach dem Holocaust, nach dem Zusammenbruch der Kolonialimperien, wie konnte Israel in den späten sechziger und den siebziger Jahren sich selbst in diesen schrecklichen Sumpf hineinmanövrieren, in diese aussichtlose Lage der Besatzung, der Kolonisierung eines anderes Volkes? Wie konnte Israel seine eigene Bevölkerung in das besetzte Land bringen? Wie konnte Israel das nur tun? Gegen alle internationalen Konventionen und Gesetze und gegen die internationale Kultur."
Idit Zertal hat, gemeinsam mit dem Journalisten Akiva Eldar ein Buch über die Siedlerbewegung geschrieben. In dem umfangreichen Werk beschreiben die Autoren detailliert, wie die religiösen jüdischen Fundamentalisten die Kolonisierung der besetzten palästinensischen Gebiete vorangetrieben haben - oft genug mit aktiver Unterstützung von Regierung und Armee, mit Geld aus öffentlichen Töpfen und mit der stillschweigenden Duldung der israelischen Bevölkerung.
Bettina Marx über die israelische Siedlungspolitik. Das größte Problem für die Palästinenser ist mit dem Gaza-Rückzug also längst nicht gelöst: die rund 120 anerkannten und zahllosen wilden Siedlungen im Westjordanland. Und trotzdem ist es eine historische Wende: mit Gaza gibt Israel zum ersten Mal in seiner Geschichte palästinensisches Gebiet auf. Wie und warum es dazu kam - erklärt Carsten Kühntopp:
Es begann mit einem Presseinterview: Am zweiten Februar 2004 sagte der israelische Ministerpräsident Ariel Scharon der Zeitung Haaretz, er beabsichtige, die Siedlungen und die Armeeposten im Gaza-Streifen aufzugeben. Er arbeite unter der Annahme, dass es in Zukunft - so wörtlich - keine Juden im Gaza-Streifen mehr geben wird. Die Nachricht schlug wie die sprichwörtliche Bombe ein: Ausgerechnet Scharon, der Architekt der Siedlungsbewegung, will Siedlungen räumen, und zwar einseitig, ohne Absprache und ohne im Gegenzug dafür etwas von den Palästinensern zu erhalten.
" Wir haben eine Entscheidung über die Prioritäten getroffen: Wir gehen raus aus dem Gaza-Streifen - aus einer Gegend, in der es überhaupt keine Chance gibt, dort eine jüdische Mehrheit anzusiedeln. Uns allen ist klar, dass dieses Gebiet in einer späteren Lösung niemals ein Teil Israels sein wird. Gleichzeitig richten wir unser Hauptaugenmerk auf die Regionen, die für die Sicherung unserer Existenz am wichtigsten sind: Galiläa, der Negev, der Großraum Jerusalem, die Siedlungsblocks und die Sicherheitszonen. Ich habe den Trennungsplan initiiert, weil er das beste Instrument für eine grundlegende Änderung der nationalen Situation Israels ist."
Der Abzug aus dem Gaza-Streifen soll es Israel also erlauben, den größten Teil des Westjordanlands auf ewig zu behalten. Ein Berater des israelischen Ministerpräsidenten sagte später, der Trennungsplan sei deswegen bedeutsam, weil er den Friedensprozess mit den Palästinensern einfriere. - Das Vorhaben, alle Ansprüche auf den Gaza-Streifen aufzugeben, reifte in Scharon gegen Ende des Jahres 2003. Innenpolitisch war der Regierungschef damals unter Druck: Israelische und palästinensische Friedensaktivisten hatten den Entwurf für einen Friedensvertrag vorgelegt, eine Gruppe ehemaliger Geheimdienstchefs hatte Scharons Politik der harten Hand zur Niederschlagung der Intifada öffentlich kritisiert, und immer mehr Piloten der Luftwaffe und Elitesoldaten verweigerten den Dienst. Scharon begriff, dass er die Initiative ergreifen musste. - In den folgenden Monaten schritt der Ministerpräsident auf dem Weg seines Trennungsplanes voran. Dabei verlor er die Unterstützung der Hälfte seiner Likud-Fraktion und der Basis seiner Partei. Gleichzeitig gewann er neue politische Freunde. So unterstützte ihn plötzlich die linksgerichtete Opposition, und die Arbeitspartei trat sogar in die Regierung ein. Parteichef Schimon Peres:
" Ich werde meinen Freunden empfehlen, für den Plan von Ariel Scharon zu stimmen. Aber ich werde meinen Freunden auch sagen, dass diese Abstimmung es uns nicht ersparen wird, für vollen und echten Frieden zu kämpfen."
Meinungsumfragen zeigen, dass nach wie vor die meisten Israelis Scharon unterstützen. Doch die Siedler, ihre politische Lobby und ihre religiösen Führer wollen sich längst noch nicht geschlagen geben. Israel eroberte den Gaza-Streifen im Sechs-Tage-Krieg von 1967. Aus Sicht der Nationalreligiösen ist auch Gaza ein Teil von Eretz Yisrael, ein Teil des biblischen Landes Israel, das Gott den Juden versprochen habe. Deshalb sei es völlig undenkbar, sich von dort zurückzuziehen. Ein Rabbiner der Siedler:
David Hacohen:
" Die Sünde und das Verbrechen der Zerstörung der jüdischen Siedlungen, die durch Regierungsbeschlüsse mit den Kräften der Besten des Volkes errichtet wurden - das ist ein Verbrechen gegen das jüdische Volk aller Generationen; dafür gibt es keine Entschuldigung und kein Verzeihen."
Soweit Carsten Kühntopp. Wütende Siedler beschimpfen Soldaten, setzen sich mit Händen und Füßen, mit Eiern, Steinen und Farbbeuteln zur Wehr. Weinende Frauen, Soldaten, die mit Planierraupen anrücken ... Bilder wie aus der Intifada. Der Abzug aus dem Gaza-Streifen ist eine Zerreißprobe für Israel. Und vor allen Dingen für die Armee: Viele Soldaten haben Angehörige in den Siedlungen. Und manch einer stellt sich die Frage: Wem folge ich? Den Rabbinern oder den Offizieren? Bettina Marx:
" Soldat, Polizist, verweigere den Befehl!"
So schallt es den Angehörigen der israelischen Sicherheitskräfte seit Wochen entgegen. Unablässig versuchen die Gegner des Abzugs aus dem Gazastreifen, Soldaten und Grenzschützer auf ihre Seite zu ziehen. Manche halten dem Druck nicht stand und brechen zusammen. Andere verweigern den Befehl zwar nicht ausdrücklich, tun aber alles, um die Anweisungen der Armeeführung zu sabotieren. Und wieder andere rufen selbst zur Befehlsverweigerung auf, wie dieser junge Militärrabbiner, der in Offiziersuniform und vor laufender Fernsehkamera seine Untergebenen zum Ungehorsam aufforderte.
Bar'eli:
" Wir sind die israelische Verteidigungsarmee. Eine Armee, deren Ziel es ist, den Staat Israel, das Volk Israel zu verteidigen und nicht, unsere Brüder zu vertreiben. Ich werde meinen Soldaten keine Befehle erteilen, die den Werten der israelischen Armee widersprechen, die der jüdischen Tradition widersprechen und die auch dem Zionismus widersprechen. Es ist verboten, Befehle auszuführen, die all diesen Werten widersprechen."
Die israelische Armee wird von dem Auftrag, die Siedlungen zu räumen und die Siedler notfalls mit Gewalt zu evakuieren, förmlich zerrissen. Denn wie keine andere Institution in Israel ist sie eng mit der Siedlungspolitik verwoben - personell und ideologisch. Ein Drittel der Angehörigen des Offizierskorps sind Siedler und selbst im Generalstab gibt es mehrere religiöse Offiziere. In den Eliteeinheiten der Armee sieht man immer mehr die gehäkelten Kopfbedeckungen der national-religiösen Juden. Die meisten von ihnen entstammen den 40 Religionsschulen, den Jeshivot Hahesder, deren Zöglinge den Militärdienst mit Talmudstudien verbinden.
Die Rabbiner dieser Hochschulen unterstreichen den Vorrang des göttlichen Gebotes vor den Befehlen der militärischen Führung. So wie Rabbi Elyakim Levanon, Oberhaupt einer Religionsschule in der Siedlung Elon Moreh.
" Es ist unmöglich, einen Menschen dazu zu zwingen, seine Familie zu evakuieren. Und genauso ist es unmöglich, einen Menschen dazu zu zwingen, gegen seinen Glauben zu handeln. Wir sagen, lasst uns nach unserem Glauben leben."
Generalstabschef Dan Halutz drohte zunächst damit, die militärischen Religionsschulen Jeshivot Hahesder zu schließen. Nach heftigen Protesten aus dem national-religiösen Lager ruderte er jedoch wieder zurück und versprach, lediglich einzelne Rabbiner zur Rechenschaft zu ziehen.
" Wir müssen eine genaue Gewissensprüfung vornehmen und die Auseinandersetzung führen. Ich habe kein Problem mit den Schulen an sich, aber wir müssen darauf achten, dass es in der Armee nur eine Befehlsinstanz gibt, nur eine und nicht zwei."
Genau dies ist für viele religiöse Soldaten überhaupt nicht selbstverständlich. Für sie ist nicht die militärische und schon gar nicht die demokratisch gewählte politische Führung ausschlaggebend. Eli Landau ist Hauptmann der Reserve und lebt in der Siedlung Neve Tsuf im Westjordanland. Vor der Kamera des prominenten israelischen Journalisten Chaim Yavin bekannte er sich ganz offen zu seiner Überzeugung.
" Der Heilige, gelobt sei er, ist mein Befehlshaber, das ist klar. Was ist das Volk Israel, was ist die Tora Israels, was ist das Land Israel? Das sind Werte, die in der Diskussion keine Rolle spielen. Immerzu spricht man nur von der Demokratie. Aber für das, was Ihr Demokratie nennt, sollen wir alles opfern, das Land Israel, den zionistischen Traum. Das alles sollen wir opfern für das Ungeheuer, das Demokratie heißt."
Aus Tel Aviv Bettina Marx. - Die Palästinenser haben diesen Tag lange herbeigesehnt. Für sie ist der Abzug der Israelis ein Erfolg. Trotzdem sehen sie für die neue Zeit, die nun anbricht viele Fragezeichen: Was soll, was kann aus dem Gaza-Streifen und den 1,4 Millionen Palästinensern dort werden? Carsten Kühntopp über Skepsis und Hoffnung:
Vom Dach eines Hauses an der Küstenstraße des Gaza-Streifens zeigt Rizik Abu-Medein landeinwärts.
" Da können Sie die Siedlung Netzarim sehen, ganz deutlich, die roten Dächer. Und rund um Netzarim, sehen Sie das Land? Es ist wie eine Wüste. Alles wurde zerstört. Sehen Sie den Zaun? Der wurde vor einem Jahr errichtet. Und da ist eine Wache, Sie können den Wachturm der Israelis sehen."
Die jüdische Siedlung Netzarim mit ihren rund 400 Bewohnern liegt völlig isoliert mitten im palästinensischen Gaza-Streifen. In einem Radius von mehreren Hundert Metern zerstörte die israelische Armee vor Jahren die Felder rundherum und erklärte sie zur Gelben Zone, zum Sicherheitsgebiet, dem sich kein Palästinenser nähern darf. Rizik Abu-Medein, ein Ingenieur Mitte 40, zählt bereits die Tage, bis Netzarim geräumt wird. Seiner Großfamilie gehört das meiste Land in dieser Gegend. Früher brachten alleine die Weintrauben, die die Abu-Medeins hier anbauten, etwa 20.000 Dollar im Jahr. Doch mit Beginn der Intifada weitete Israel die Gelbe Zone um Netzarim aus:
" Unser Schaden ist beträchtlich. Etwa 70 Hektar wurden planiert. Bis dahin war es ein gutes Einkommen gewesen. Viele Arbeiter waren hier beschäftigt und konnten so ihre Familien ernähren. Aber jetzt ist es völlig unmöglich, überhaupt da hin zu kommen. Wenn du es versuchst, wirst du erschossen. Es wurde vollständig planiert, es ist jetzt Wüste, und wir werden es wieder aufbauen müssen."
Rizik Abu-Medein schaut nach vorne, in die Zukunft. Mitten in Netzarim besitzen die Abu-Medeins ein Stück Land, vier Hektar, das werden sie wahrscheinlich an die Palästinenserbehörde verkaufen. Bis auf dieses kleine Stück wurde die Siedlung auf so genanntem Staatsland errichtet. Staatsland - das ist eine Eigentumsform aus der Zeit des Osmanischen Reiches. Die Frage, wem das Land nach dem Abzug der Israelis gehören wird, dürfte damit klar sein - es wird an die Palästinenserbehörde fallen. - Kurz vor dem geplanten Abzug der Israelis haben die Palästinenser mehr Fragen als Antworten. In welchem Zustand wird Israel die Infrastruktur der Siedlungen zurücklassen? Wie kann die palästinensische Polizei Plünderungen verhindern? Mohammed Samhouri steht an der Spitze eines Teams, das in der Palästinenserbehörde für die Zeit nach der Siedlungsräumung plant:
" Wir wollen, dass unsere Sicherheitskräfte nach dem Abzug die volle Kontrolle über das Land übernehmen. Wir wollen nicht, dass die Menschen einfach so in die geräumten Gebiete stürmen; Bagdad nach dem Fall Saddams - so soll es nicht sein. Andererseits kann man die palästinensische Bevölkerung auch nicht um den Augenblick der Freude bringen, der Freude über den Abzug. Natürlich werden die Leute mit ihren eigenen Augen sehen wollen, was die Israelis zurücklassen, und das sollte die Palästinenserbehörde auch nicht verhindern. Die Kunst ist, es so zu machen, dass es gut organisiert ist und unsere Reife widerspiegelt."
Die palästinensische Wirtschaft steht bereits in den Startlöchern. Salah Abdel-Schafi hat vor ein paar Monaten eine Consulting-Firma in Gaza gegründet. Er sieht die Räumung der Siedlungen als Chance für die Privatwirtschaft, für Investoren aus dem In- und Ausland:
" Die Frage für uns Palästinenser ist, wie wir Gaza promoten wollen, als attraktiven Standort für Anleger. Zuerst einmal hat die Palästinenserbehörde Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union, den USA und mit Kanada. Das ist eine sehr gute Grundlage. Dann die Lage. Gaza liegt im Zentrum des Nahen Ostens. Wenn wir einen Flughafen und einen Hafen hätten, würde Gaza zu einem wichtigen Handelskreuz werden. Und außerdem gibt es auch Potential im Tourismus. Im Internet werden Sie lesen, dass der Gaza-Streifen eine der fünf besten locations weltweit für Windsurfing ist - das habe ich im Internet gelesen!"
Die Weltbank ist skeptisch: Der israelische Abzug allein reicht nach Meinung ihrer Experten nicht aus, um den Gaza-Streifen zum erfolgreichen Modell für den Wiederaufbau der palästinensischen Wirtschaft zu machen. Vielmehr müsse Israel die Rahmenbedingungen ändern und vor allem die Grenzen öffnen.