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Zwangsverheiratung verhindern

Jährlich rund 3500 junge Frauen sind hierzulande von Zwangsverheiratungen betroffen, hat das Bundesfamilienministerium in einer Studie ermittelt. Damit Lehrerinnen, Erzieher und Behörden rechtzeitig bemerken, wann ein Mädchen von diesem Schicksal bedroht ist, bietet die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes in Berlin Seminare zur Prävention an.

Von Dorothea Jung |
    Gruppenarbeit im Seminarraum von Terre des Femmes in Berlin. Die Kursteilnehmerinnen sollen über Meryam nachdenken. Meryam ist 17 und verzweifelt. Seitdem ihre Eltern herausbekommen haben, dass sie einen Freund hat, verprügelt ihr Vater sie täglich. Meryam traut sich nicht abzuhauen, weil sie ihre Familie trotz allem liebt. Morgen soll sie mit ihren Eltern in die Türkei fliegen. Sie hat Angst, dass sie dort verheiratet werden soll.

    Was kann die Pädagogin tun? "Die Lehrerin muss wissen, ob Meryam einen deutschen Pass hat", meint eine Seminarteilnehmerin.

    Diskussionsrunde: "Ich denke, wenn sie die deutsche Staatsangehörigkeit hat, hat sie ja die Möglichkeit, sich beim Auswärtigen Amt zu melden. Weil das Amt im Ausland das Recht hat, sie irgendwie zurückzuholen und sich mit anderen Beratungsstellen in der Türkei in Verbindung zu setzen." / "Aber damit kommt man doch gar keinen Schritt weiter." / "Ja, das finde ich jetzt aber nicht." / "Die Frage ist ja, kann sie sich wirklich einfach so querstellen und sagen, ich komme da morgen nicht mit? Wird sie dann k.o. geschlagen? Wird sie entführt? Und da ist die Frage ja schon wichtig, hat sie die deutsche Staatsbürgerschaft? Weil dann ist ja die Möglichkeit gegeben, sie auch aus der Türkei zu retten."

    Allen Seminarteilnehmerinnen ist jedoch klar, dass es für Meryam besser wäre, gar nicht erst in die Türkei zu fliegen. Aber wie kann man das verhindern?

    "Zunächst sollte die Lehrerin Meryam darüber informieren, dass Zwangsverheiratung nicht nur in Deutschland, sondern auch in der Türkei verboten ist," empfiehlt Myria Böhmecke von Terre des Femmes. Außerdem muss so schnell wie möglich geklärt werden, ob für das Mädchen eine konkrete Gefahr besteht. Denn in einer Gefahrensituation kann das Jugendamt die Betroffene in Obhut nehmen und getrennt von der Familie in einer geschützten Wohnung unterbringen.

    Maria Böhmecke: "Zum einen kann es so sein, dass das Mädchen selbst sagt: Ich möchte in Obhut genommen werden. Also ich bin selbst sehr gefährdet und möchte auf gar keinen Fall wieder nach Hause zurückgehen. Oder es kann auch so sein, dass das Jugendamt von sich aus sagt: Du bist jetzt so gefährdet, ich darf Dich jetzt nicht mehr zurücklassen, weil ich nicht weiß, was dann passieren wird."

    Zehnpunkteplan für Lehrkräfte
    Terre des Femmes hat einen Zehnpunkteplan entwickelt, an dem sich Lehrkräfte orientieren können, wenn junge Frauen wie Meryam sie um Hilfe bitten. Der Plan enthält neben Informationen über gesetzliche Bestimmungen und Adressen von Spezial-Beratungsstellen auch Ratschläge für Vorsichtsmaßnahmen im Fall einer Flucht.

    In den seltensten Fällen sei es sinnvoll, die Väter und Mütter zum Umdenken zu bewegen, weiß Corinne Ter Nedden von der Kriseneinrichtung Papatya, die Mädchen aus Einwandererfamilien Zuflucht gewährt. Nach ihrer Erfahrung viele Eltern, ihre Tochter zur Rückkehr zu überreden. Und zwar nicht immer mit lauteren Methoden.

    Corinna Ter Nedden: "Also, Strafanzeigen bei der Polizei zu stellen, der Freund hat sie entführt. Ne Anzeige gegen das Mädchen zu machen wegen Diebstahl. Zu behaupten, die Mutter liegt im Krankenhaus. Appellieren an die Schuldgefühle und manchmal dann auch Drohungen: Glaubst Du, wir finden Dich nicht? Wenn Du jetzt nicht innerhalb der nächsten Woche zurück bist, dann wirst Du schon sehen, was passiert. Also, dass sie friedlich sagen, ach, geh Du Deiner Wege, das kommt eher selten vor, sondern es ist schon immer eine heftige Konfrontation auch."

    Weil die Konfrontation mit Familienangehörigen sich rasch gefährlich zuspitzen kann, müsse die Adresse einer Krisenwohnung immer geheim bleiben, erklärt die Sozialarbeiterin den Kursteilnehmerinnen. Besonders wichtig sei aber, bereits im Vorfeld eine Sensibilität dafür zu entwickeln, welche Schülerin unter Umständen gefährdet ist, von der Familie in eine Zwangsehe geschickt zu werden.

    Katrin Grau, Beratungslehrerin an einem Oberstufenzentrum hat bereits einen Blick dafür entwickelt:

    "Es gibt halt schon jede Menge Konflikte, wenn es um Bekanntschaften mit Männern geht, Ausgehen und Klassenfahrt, solche Sachen. Oder, dass auch Mädchen nicht zum Unterricht kommen, weil sie auf ihre Geschwister aufpassen müssen. Weil sie Behördengänge machen müssen und dass sie die Dinge, die sie eigentlich machen wollen, eigentlich nicht machen können. Und das kann dann auch dazu führen, dass sie größere Konflikte haben."

    Am Ende des Seminars sind die Teilnehmerinnen sicher, dass sie in Zukunft genauer hinhören werden, wenn ihnen ein Mädchen vom geplanten Urlaub in der Türkei erzählt. Oder von einem Cousin, den sie nach Meinung ihrer Eltern unbedingt kennenlernen müssten. Da könnte eine Zwangsehe drohen. Und die Pädagoginnen wissen jetzt: Wenn die erst einmal geschlossen wurde, wird es für sie sehr schwer, ihrer Schülerin zu helfen.