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Zwei auf einer Insel. Lotte Lenya und Kurt Weill

Jens Rosteck: "Man hat kaum Gelegenheit, insbesondere nicht in diesen 20er, 30er, 40er Jahren mit all ihren politischen und kulturellen Wirren, sich buchstäblich zurückzuziehen. Es gab also nur einen ganz kleinen gemeinsamen Nenner, nämlich ihre Liebe, ihre Zweisamkeit, und in ihren Briefen ihre Sprache, das was sie miteinander verbindet, wo Außenstehende außen vor bleiben. Also Insel: Das, was nicht außen ist, sondern das, was nur den beiden gehört, das, was innen liegt."

Jörg-Christian Schillmöller |
    Youkali - so heißt die Insel der Träume in einem der Lieder von Kurt Weill. Youkali - das steht für Glück und Genuß, für Unbeschwertheit und Lebensfreude. Lotte Lenya und Kurt Weill haben immer wieder ihr persönliches Youkali, ihre gemeinsame Insel gefunden. Manchmal war das die imaginäre Insel ihrer gegenseitigen Liebe, manchmal war das, ganz konkret, die eigene Bleibe, zum Beispiel die kleine Pension am Berliner Luisenplatz oder das Häuschen in der Künstlerkolonie New City jenseits des Ozeans, in der Nähe von New York. Und kennengelernt haben die beiden sich - wo sonst - bei einer gemeinsamen Kahnpartie auf einem See, im Sommer 1924. Lotte mußte zwar rudern, aber dafür machte Kurt ihr auf der Stelle einen Heiratsantrag.

    Die Insel als Leitmotiv einer Doppelbiographie: Schicht für Schicht setzt der Begriff beim Lesen des Buches die ganze Fülle seiner Bedeutungen frei. Auch die Biographie selbst wird dabei zu einer Insel: Der in Paris lebende Musikwissenschaftler Jens Rosteck grenzt sich mit seinem Buch deutlich von der ausufernden Fachliteratur ab:

    "Die ganze Weill-Lenya-Rezeption wird immer wieder zurückgefahren auf die Dreigroschen-Epoche, auf die Jahre mit Brecht, weil in diesen Werken eben Lenya die Hauptrolle oder wichtige Nebenrollen gesungen hat, und weil man immer glaubt, daß dieses Triumvirat Brecht - Weill - Lenya eine ganz ideale Konstellation war. Aber dem war erstens nicht so, und zweitens hat Lenya eben schon mit Weill sehr lange zusammengearbeitet, als er noch experimentelle und keine volkstümlichen Opern geschrieben hat. Und sie hat noch sehr lange mit ihm zusammengelebt, als er ganz weg wollte von dieser politischen Oper und hin zur American Opera, zum Broadway Musical, zu ganz neuen literarischen Strömungen, die er sich in Amerika erschlossen hat."

    "Du kommst gleich nach meiner Musik" sagte Kurt Weill einmal zu Lotte Lenya. Sie aber hörte: "erst nach meiner Musik" - von dieser kleinen Nuance sollte die ganze Partnerschaft geprägt bleiben. Der Seßhafte und die Nomadin: Immer wieder findet Rosteck in seiner Biographie eingängige und weitsichtige Begriffe, um den Status Quo des Paares zu fixieren. Lotte ist stets unruhig. Manchmal treibt ihre Spielleidenschaft sie durch die Casinos von halb Europa - an der Seite eines Liebhabers. Kurt sitzt derweil zu Hause: Er ist der Arbeiter - mit all seiner Energie schreibt er an seiner Musik und verschanzt sich hinter seinen Partituren. Die beiden treffen ein stillschweigendes Arrangement: Kurt duldet die außerehelichen Rendezvous seiner Frau. Er weiß, daß er ihr in dieser Hinsicht nicht genug Zeit widmen kann. Jahre später, in den USA wird dann auch Lotte hinnehmen, daß Kurt sich anderweitig vergnügt. Das Verdienst der neuen Biographie liegt darin, diese komplizierte und sprunghafte Beziehung ohne Spekulationen nachzuzeichnen. Jens Rosteck:

    "In Berlin und in der frühen Nazizeit, da gab es ja viele Affären von Lenyas Seite, und da gab es auch eine große Krise in der Beziehung, aber in Amerika haben die beiden ja wirklich 15 Jahre nonstop parallel gelebt. Das war eine große Herausforderung, das eben auch parallel zu erzählen, sowohl die historischen Umwälzungen, die musikhistorischen Umwälzungen: Was hatte Weill vor? Wie wollte er dieser American Opera, der er sich verschrieben hatte, auf den Leib rücken? Und dann gleichzeitig dieses Privatleben, was ja immer wieder hineinspielt und in dem Lenya ja auch eine ganz andere Rolle gespielt hat als in der europäischen Zeit."

    Die Großstadt als Insel: Nach Berlin und dem Pariser Exil folgt ab 1935 die dritte Metropole: New York. Hier leistet die Doppelbiographie echte Pionierarbeit: In den bisherigen Weill-Büchern blieb die Amerika-Zeit immer unterbelichtet. Erwähnt wurden dort - gerne in einem Atemzug - die finanziellen Probleme und Weills Engagements in Hollywood - und dann ist immer schnell von seinem Tod 1950 die Rede. Rosteck entwirft stattdessen ein detailliertes Amerika-Mosaik. Er zeigt, wie erfolgreich Weill jahrelang am Broadway regiert hat. Seine Musicals waren in den Staaten berühmt: Zur Premiere von "Lady in the Dark" kam sogar Igor Strawinsky, und "One Touch of Venus" erreichte die außergewöhnliche Zahl von 567 Aufführungen. Dazu Rosteck:

    "Ich habe also vor allen Dingen in New York bei meinen Recherchen eben versucht, mir ein Bild zu machen von der amerikanischen Theaterszene: Wer waren die maßgeblichen Autoren in den 30er, 40er und 50er Jahren? Wie kommt so etwas wie 'Broadway' oder 'Off-Broadway' überhaupt zustande? Das sind Begriffe, die wir heute im Munde führen, ohne zu wissen: Wann ging das eigentlich los? Man kann sich dann auch die ganzen Dokumente von Weill ansehen. Er hat ja für jedes amerikanische Werk mehr Jahre gebraucht, um es überhaupt in die Produktion zu bringen, um überhaupt Leute zu finden, Sponsoren, alles, was man heute natürlich kennt, und das war eine ganz andere, viel zermürbendere Arbeit als in Deutschland."

    Der Kreis schließt sich, wo sonst, auf der imaginären Trauminsel Youkali: Den Text des Liedes hat Jens Rosteck seinem Buch als Motto vorangestellt. "Hier ist das Land der unteilbaren, gegenseitigen Liebe", heißt es im Text. Kurt Weill und Lotte Lenya haben trotz aller Gegensätze und Abenteuer immer einen ganz besonderen Umgang miteinander gepflegt: Ihre zärtlichen, witzigen und vertrauten Briefe bezeugen das. Zurecht bezeichnet Rosteck den Briefwechsel zurecht als eine der wichtigsten Inseln des ungleichen Paares. Seine Biographie darf auch deshalb als so gelungen bezeichnet werden, weil er seine beiden Protagonisten immer wieder in ihren schriftlichen Dokumenten selbst zu Wort kommen läßt. Nichts könnte Kurt Weills lebenslängliche Liebe zu Lotte Lenya besser wiedergeben als ein Auszug aus der Münchener Illustrierten Presse vom 14. April 1929. Dort schreibt Kurt Weill ganz öffentlich zum Thema "Meine Frau". Rosteck zitiert:

    "Sie kann keine Noten lesen, aber wenn sie singt, dann hören die Leute zu wie bei Caruso. Sie hat mich geheiratet, weil sie gern das Gruseln lernen wollte, und sie behauptet, dieser Wunsch sei ihr in ausreichendem Maß in Erfüllung gegangen. Meine Frau heißt Lotte Lenja".