Das Valle de los Caídos 50 Kilometer nordwestlich von Madrid: Ein 155 Meter hohes Betonkreuz weist den Weg. Darunter: Eine in den Berg gesprengte Basilika. Am 1. April 1959 weihte General Francisco Franco das Valle de los Caídos ein: als Denkmal seines Sieges im spanischen Bürgerkrieg.
Im Bericht der spanischen Wochenschau heißt es:
"Heute, zum 20. Jahrestag des nationalen Triumphs, wird die Große Basilika des Heiligen Kreuzes im Valle de los Caídos eingeweiht. Sie wird der Zeit trotzen. In ihr werden die kommenden Generationen jenen danken, die ihnen ein besseres Spanien hinterließen."
Am Bau der Basilika waren auch politische Gefangene beteiligt. Heute ist sie die Grabstätte des Diktators – und Massengrab von vermutlich 30 bis 70 Tausend Bürgerkriegsopfern beider Seiten.
Santiago Cantera ist der Prior des Klosters, das sich um dieses umstrittene nationale Erbe kümmert: "Wir wünschen uns, dass das Denkmal vor allem als Ort geistlichen Lebens wahrgenommen wird. Natürlich hat es eine besondere Dimension, wegen seiner Entstehungszeit. Aber die lesen wir als Auftrag zur Versöhnung aller Spanier, ungeachtet aller Polemik, die sich um dieses Monument rankt."
Ortswechsel: das Kloster von Montserrat, 60 Kilometer nordwestlich von Barcelona. Es ist Marienheiligtum und Wallfahrtsort. Seit Jahrhunderten wird die schwarze hölzerne Darstellung der Jungfrau verehrt und besungen.
"Rose im April, kleine Braune der Berge,
Stern des Montserrat,
erleuchte das katalanische Land
und leite uns in den Himmel."
Stern des Montserrat,
erleuchte das katalanische Land
und leite uns in den Himmel."
Während der Franco-Diktatur fanden hinter den Klostermauern auch Regime-Kritiker Zuflucht. Bernabeu Dalmau, Historiker und Mönch von Montserrat: "Montserrat hat seinen einzigartigen Charakter wegen der geographischen Lage und weil die 'Moreneta', die schwarze Jungfrau von Montserrat, seit 1881 Schutzpatronin aller katalanischen Diözesen ist. Das verleiht Montserrat auch eine politische Dimension."
Montserrat und das Valle de los Caídos. Der Zufluchtsort für Regimekritiker – und das Totenmahnmal. Zwei Klöster, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. In beiden leben und beten Benediktinermönche: ein kontemplativ ausgerichteter Orden, für den jede Tätigkeit der Verherrlichung Gottes dient. Ora et Labora! Bete und arbeite!
In der Geschichte der ungleichen Glaubensbrüder spiegeln sich die Kämpfe eines – bis heute – zerrissenen Landes wider.
Franco kam gerne ins Valle de los Caídos
Die Kirche reicht Franco die Hand. Schon kurz nach 1936 stellte sich die Mehrheit der Bischöfe hinter die Generäle, die gerade gegen die demokratisch gewählte republikanische Regierung geputscht hatten. Die Kirche bezeichnete den Militärputsch als "Verteidigung der christlichen Zivilisation gegen die Gottlosen" und erhob die sieben bis acht Tausend Priester, Nonnen und Mönche, die im Bürgerkrieg von Anhängern der Republik ermordet wurden, zu Märtyrern. Der Bürgerkrieg, der 1939 mit Francos Sieg endete, wird zum heiligen Krieg, zum Kreuzzug.
In die Felsenkirche im Valle de los Caídos dringt kein Tageslicht. Über 270 Meter zieht sich das gewaltige Tunnelgewölbe in den Berg, an den Seiten: Marienkapellen, den Schutzpatroninnen der spanischen Heere gewidmet. Über dem Altar zeigt ein Deckengemälde Christus auf dem Thron, zu seiner Rechten steigen Geistliche gen Himmel auf, zu seiner Linken Soldaten und Zivilisten. Am Bildrand sind eine spanische Fahne und das Rutenbündel der faschistischen Falange zu sehen.
Franco, dessen Überreste heute hinter einer schlichten Granitplatte vor dem Altar liegen, kam gern und oft ins Valle de los Caídos. Die Idee, in den Seitenkapellen die Gebeine von Gefallenen beider Seiten zu bestatten, stammt nicht von Franco, sondern vermutlich aus dem Vatikan. Die Basilika sollte ein Mahnmal aller Toten sein, das gigantische Kreuz zum Symbol der Vergebung und der Versöhnung werden.
Doch ein Vierteljahrhundert nach dem Bürgerkrieg – in den 1960er Jahren – konnte von Versöhnung keine Rede sein. Die Unterstützung der Republik galt noch immer als Delikt als dieses Interview erschien.
Montserrat ist Fürsprecher der Opposition
"Die Sieger - und dazu zählt auch die Kirche, die sich gezwungen sah, auf Francos Seite zu kämpfen -– sie haben nichts getan, um die Spaltung in Sieger und Besiegte zu überwinden. Das ist einer der bedauerlichsten Misserfolge eines Regimes, das sich christlich nennt, aber einem der grundlegenden christlichen Gebote nicht Folge leistet." Das Interview, das Aureli María Escarré, der Abt von Montserrat, im November 1963 der französischen Tageszeitung "Le Monde" gibt, sorgt für ein kleines Erdbeben. Noch nie hatte ein spanischer Kirchenvertreter so massiv Kritik am Regime geübt.
Die Gräben zwischen den beiden Benediktinerklöstern sind tief. Im Valle de los Caídos versteht man sich als Stützpfeiler des Staates; Montserrat entwickelt sich zum Fürsprecher einer sich formierenden Opposition. Bernabeu Dalmau vom Kloster Montserrat: "Zwischen Kirche, Montserrat und Franco-Regime gab es keinen Bruch, sondern eine fortschreitende Distanzierung. Das Zweite Vatikanische Konzil hatte bedeutende Neuerungen verkündet: zur Religionsfreiheit, zur Ökumene und zur Beziehung zur Welt. Es stand für eine Öffnung der Kirche – und diametral zur Ideologie des Franco-Regimes."
Das Zweite Vatikanische Konzil war für Franco der größte Rückschlag seiner Herrschaft, schreibt sein Biograph Ricardo de la Cierva. Das bedeutete Rückenwind für Montserrat – und brachte die Glaubensbrüder vom Valle de los Caídos ins Abseits.
Was tun mit Francos Erbe?
Am 12. Dezember 1970 versammelten sich 300 katalanische Intellektuelle in Montserrat, darunter renommierte Künstler wie Joan Miró oder Antoni Tàpies Sie fordern die Aufhebung von Todesurteilen gegen mutmaßliche ETA-Terroristen. Die Guardia Civil umstellt das Kloster. Nach zwei Tagen will die Polizei das Gebäude stürmen. Unter der Bedingung, dass die Intellektuellen Montserrat frei verlassen dürfen, handelt Abt Cassià Just das Ende des Treffens aus.
Als sich die schweren Holztüren öffnen, führt er gemeinsam mit zwei anderen Mönchen den Auszug aus dem Kloster an. Das ist mehr als eine politische Geste. Medien aus aller Welt berichten. Jetzt schweigt man im Valle de los Caídos Die Franco-Ära geht zu Ende.
Am 20. November 1975 stirbt General Francisco Franco. Drei Tage später wird er im Valle de los Caídos begraben. Der Erzbischof von Toledo hält die Trauerrede. Doch einen Gottesdienst mit allen spanischen Bischöfen verweigert der Vorsitzende der Bischofskonferenz. In Zeiten des Wandels bemüht man sich um Neutralität. Die Getreuen des Diktators jedoch versammeln sich jahrzehntelang zu seinem Todestag im Valle de los Caídos. Erst seit 2007 sind politische Kundgebungen auf dem Gelände verboten.
Was tun mit dem Valle de los Caídos? Was tun mit Francos Erbe? Diese Frage beschäftigt Spanien seit Jahren. Ein Vorschlag: Francos Überreste exhumieren, um so den politischen Charakter des Mahnmals zu entschärfen. Unnötig, findet Prior Cantera: "Die Grabstätte selbst ist doch betont schlicht. Ja, vielleicht würde man die politische Polemik dadurch entschärfen. Aber das Monument ist doch nur polemisch, weil bestimmte Personen Interesse an dieser Polemik haben und sie in Gang gesetzt haben."