"Ich teile absolut die Auffassung von Friedrich Merz. Bin auch ein Rheinland-Pfälzer und habe den Antrag mehr Netto initiiert, aus dem Bezirksverband Trier und es ist absolut keine Frage wenn wir glaubwürdig gegenüber unseren Wählerinnen und Wählern sein wollen. Wenn wir vor der letzten Bundestagswahl versprochen haben, dass wir leistungsgerechte Steuern machen, dann müssen wir zum 1. Januar diesen Jahres die kalte Progression abschaffen."
Michael Billen ist ein alter Parteihase. Der 53-Jährige hat schon so manchen Haken geschlagen, seit er mit siebzehn in die Junge Union eingetreten ist. Inzwischen sitzt er im rheinland-pfälzischen Landtag und ist Bezirksvorsitzender seiner Partei in Trier. Angefeindet wurde er in seiner Heimat schon reichlich. Da macht es ihm nichts mehr aus, sich gegen seine Parteichefin zu stellen. Steuern runter jetzt, fordert Billen im Gegensatz zu Angela Merkel.
"Was wir nicht machen werden, dass ist eine strukturelle Steuerreform an die Stelle sofort wirkender, zeitlich befristeter Konjunkturimpulse zu setzen. Aber wenn wir über Konjunkturimpulse reden, wenn wir darüber reden, wie wir Arbeitsplätze sichern können, dann brauchen wir dazu natürlich eine Diskussion. Damit wir entscheiden können, ob und - gegebenenfalls - was wir Anfang Januar noch hinzufügen, liebe Freunde. Aber ich sage auch, an einem Überbietungswettbewerb von immer neuen Vorschlägen, an einem sinnlosen Wettbewerb um Milliarden, daran beteiligen wir uns nicht. Der ist mit uns, der ist mit mir nicht zu machen, denn wir haben auch in solchen Zeiten Verantwortung vor dem Steuerzahler von heute und vor dem Steuerzahler in der Zukunft, liebe Freunde."
"Ich teile absolut die Auffassung von Friedrich Merz, "
hatte Michael Billen gesagt. Und als Kronzeugen für seine Überzeugung führt er den ehemaligen Fraktionschef der Union im Bundestag an. Friedrich Merz ist längst auf dem Rückzug, für die nächste Legislaturperiode will der Wirtschaftskopf der Partei nicht mehr kandidieren. Vor sechs Jahren hatte sein langer Abschied begonnen, als Angela Merkel beide Ämter für sich beanspruchte: die des Partei- und Fraktionsvorsitzes. Schon fast vergessen geglaubt, schießt Friedrich Merz wie Phönix aus der Asche vor den tausend Delegierten vom Plenarsaal rauf aufs tiefblaue Podium. Und die klatschen bereits, als er noch kein einziges Wort von sich gegeben hat - und auch hinterher ist er plötzlich wieder in aller Munde, nicht nur bei Michael Billen aus Trier.
O-Töne:
"Ich glaub, Friedrich Merz hat Recht.
Wie Friedrich Merz es ja auch gesagt hat.
Friedrich Merz hat es auch angesprochen.
Ich teile absolut die Auffassung von Friedrich Merz."
Was war da geschehen? Forschen Schrittes eilte der energische Sauerländer wie gesagt ans Pult, um noch in diesem Jahr die Weichen zu stellen für mehr Netto vom Brutto. Und das ganz offen gegen die Politik der ruhigen Hand der Kanzlerin.
"Ich erinnere mich jedenfalls gerne und manch einer von Ihnen wenigstens dunkel an einen Parteitag in Leipzig, wo wir zur Steuerpolitik etwas gesagt und aufgeschrieben und beschlossen haben. Wir haben nämlich beschlossen, dass wir endlich raus müssen aus der kalten Progression. Und jetzt stelle ich uns mal die Frage, ob das nicht jetzt genau der richtige Zeitpunkt ist, diesen Teil der Antwort für ein späteres umfassendes Konzept heute und für das Jahr 2009 zu geben."
Kalte Progression, darunter verstehen die Steuerfachleute jenes Phänomen, das nicht nur Merz als zutiefst ungerecht empfindet: Gerade bei den mittleren Einkommensschichten steigt die Steuerbelastung enorm, werden nur ein paar Euro dazu verdient. Auf den ersten Blick verwunderlich: Erst klatschen die Christdemokraten bei Merkel, dann bei Merz. Erst, wenn die Parteichefin genau erklärt:
"Durch eine Strukturreform für ein einfacheres und gerechtes Steuersystem das die Leistungsträger motiviert, den Missstand der kalten Progression abschafft, Familien stärkt und damit dauerhaft mehr Netto vom Brutto für die Menschen in unserem Lande ermöglicht."
Und damit meint, frühestens nach der Bundestagswahl 2009 darüber ernsthaft nachzudenken. Und sie klatschen nicht nur, sie stimmen auch dem großen Leitantrag zu, der dieses Vorgehen zementiert. Ohne Ausnahme. Dann applaudieren sie bei Friedrich Merz:
"Das erste Mal seit langer Zeit haben viele Arbeitnehmerhaushalte in Deutschland zum Jahreswechsel 2008/2009 wieder höhere Löhne und Gehälter. Mit diesem steuerpolitischen Tarif ist der Staat der steuerpolitische Trittbrettfahrer der Lohn- und Gehaltssteigerung. Dies jetzt zu korrigieren, zum 1. Januar 2009, ist keine Steuerreduzierung, sondern verzichtet nur auf eine Steuermehreinnahme durch moderate Gehalts- und Lohnsteigerungen die zuvor gemacht wurden."
Der schon viel früher loslegen will und später weiterdenken. Eine offene Konfrontation mit Merkel in der Sache - und lang anhaltender Beifall auch dafür. Zwei Herzen schlagen ach in einer Brust in diesen Krisenzeiten, die Parteifreunde zeigen sich hin- und hergerissen. Zwischen jenen, die schon jetzt ein Signal setzen wollen wie neben Merz der rheinland-pfälzische Landeschef Christian Baldauf. Er geht noch weiter und fordert einen sofort erhöhten Grundfreibetrag.
"Der arbeitenden Mitte geht die Luft aus. Facharbeiter, Angestellte, Beamte, selbst wer ein mittleres Gehalt bezieht, liebe Parteifreundinnen, liebe Parteifreunde, muss schauen, dass und wie er über die Runden kommt. Höhere Preise, Steuern, Energiekosten, ständig steigende Abgaben, Einkommen, die bei den Familien nicht mehr Netto so ausreichend vorhanden sind, wie es sein müsste."
Und denen, die es weit wichtiger finden, noch abzuwarten.
O-Töne Umfrage:
"Eindeutig stehe ich zur Auffassung der Kanzlerin Merkel, weil ich der Auffassung bin, es ist populär, populistisch, jetzt schnell den Wählerinnen und Wählern etwas zu versprechen, aber man muss in dem Moment als verantwortlicher Politiker immer die Gesamtsituation im Auge behalten.
Gesamtgesellschaftspolitisch bin ich der Auffassung, dass wir hier strukturell eine Reform brauchen und nicht vom Grundsatz her hier mal eben schnell Steuererleichterung, Reduzierung für die Bürgerinnen und Bürger.
Es muss schnell was passieren, das ist wohl richtig, aber mit Augenmaß. Es hat überhaupt keinen Zweck, irgendwelche Ad-hoc-Entscheidungen zu treffen und dann noch mehr ins Verderben zu rennen, letztendlich.
Ja, es wäre eine kluge Idee vor dem Hintergrund, den Menschen etwas zuteil werden zu lassen, in diesen schwierigen Zeiten. Ich habe allerdings auch Verständnis dafür, wenn man sich zunächst Gedanken machen will, wie man mögliche andere Investitionen, die noch zu tätigen sind, gegenfinanzieren möchte. Und insofern halte ich im Moment mehr davon, etwas abzuwarten, wie die Entwicklung sein wird, man kann Steuern bekanntlich auch rückwirkend senken.
Ich sehe das wie die Bundeskanzlerin, dass man das nicht jetzt so übers Knie brechen sollte, sondern - also nicht mehr mit der SPD - sondern halt nach der Wahl."
Felsenfest überzeugt scheinen sie dabei nicht. Doch welche Möglichkeit bleibt sonst? -Merkel bei der Abstimmung des Leitantrages attackieren oder gar bei der Wiederwahl zur Parteivorsitzenden abstrafen: ausgeschlossen vor einem Superwahljahr 2009. Und so halten sich auch all jene zurück, die in der zweiten Reihe stehen. Gleich hinter der Kanzlerin.
Der Dolch im Gewand, nicht das gezogene Schwert ist die Waffe, die - käme es überhaupt zu einem Kampf, Verwendung finden würde. Auch wenn "Angela mutlos", wie der "Spiegel" in dieser Woche titelte, in der öffentlichen Kritik steht wie zuvor nur vor ihrer Kanzlerschaft - gegen die Chefin anzutreten, wagt niemand ihrer Parteifreunde. Als die gestern mit 94,8 Prozent wiedergewählte CDU-Vorsitzende noch nicht an der Spitze der Regierung war, machten ihr die sogenannten jungen Wilden ihren Platz streitig, verhinderten 2002 mehr oder weniger offen ihre Kanzlerkandidatur. Das hat die mächtigste Frau Deutschlands bis heute keinem vergessen. Jürgen Rüttgers, Günter Oettinger, Roland Koch, Peter Müller und Christian Wulff - mittlerweile zieren den Haarschopf eines jeden von ihnen mehr oder weniger viele silbergraue Strähnen. Die Kanzlerin mit den nach wie vor hohen persönlichen Beliebtheitswerten hat die CDU zwar noch nicht über 40 Prozent in der Sonntagsfrage gehoben, doch in ein Superwahljahr geht die ohnehin wenig streitlustige Partei mit demonstrativer Geschlossenheit. Devot unterstützt vom baden-württembergischen Ministerpräsidenten Oettinger.
"Die Kanzlerin, die die große Koalition bis zum Sommer nächsten Jahres ordentlich führen wird, die aber im Sommer und Herbst mit uns gemeinsam für eine andere Mehrheit in Deutschland, eine bürgerlich-demokratische Mehrheit, für die nächsten Jahre in Deutschland kämpfen wird."
Seit seiner misslichen Rede am Grab des Marinerichters Hans Filbinger, seinem öffentlichen Ehekrach, dem rüden Rauswurf seines Finanzministers, wird der Mann mit der verkrampften Gesichtsmuskulatur als Fettnapf-ICE verspottet, was seinen staatsmännischen Fähigkeiten womöglich nicht gerecht wird. Dennoch: In Berlin mag sich ihn niemand vorstellen, zu hölzern, auch wenn Oettinger privat sogar witzig sein soll und gern über die Stränge schlägt. Die jüngste Sanftmut der drei, die als Stellvertretende Parteivorsitzende wiedergewählt werden wollten, wurde auf dem Stuttgarter Parteitag honoriert. Verglichen mit 2006 in Dresden erreichten die Ministerpräsidenten aus Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Hessen gestern weit bessere Wahlergebnisse. Roland Koch ganze zwanzig Prozent mehr. Von ihm wird ein sauberer beispielgebender Start in das Superwahljahr 2009 erwartet. Er bekam den Rückenwind seiner Parteifreunde. Mehrfach nach dem verpatzten Wahlkampf hatte er öffentlich Asche auf sein Haupt gestreut, freilich ohne zu spezifizieren, worin genau er seine Schuld sieht:
"Wir haben in den letzten Monaten viel über die Frage nachdenken müssen und nachdenken können, was haben wir eigentlich aus dem letzten Wahlergebnis gelernt. Ich sage sehr offen, dass einiges heute auch aus meiner Sicht anders ist, als es sich im letzten Wahlkampf dargestellt hat und ich daraus Konsequenzen gezogen habe."
Roland Koch, der mit seinen 50 Jahren bereits zehn als Ministerpräsident gedient hat, wird unter den Kronprinzen der Kanzlerin die steilste Karriere zugetraut. Wegen seines Fleißes, seiner Krisenresistenz, vor allem aber, weil er Angela Merkel, die er einst als Kanzlerkandidatin verschmähte, heute unterstützt, wo er kann: Ob Erbschaftssteuerreform, Pendlerpauschale oder Krisenmanagement der Kanzlerin, das er besser verkauft als sie. Nicht Brüssel, Berlin heißt das Ziel. Vielleicht wird im Wirtschaftsministerium ein Platz frei nach dem Bundestagswahlkampf, der aus heutiger Sicht von Kochs Lieblingsthemen - Wirtschaft und Finanzen - bestimmt sein dürfte. Jürgen Rüttgers, dem zweiten im Bunde, traute man 1998, nach glücklosen Jahren als sogenannter Minister für Zukunft selbige nicht mehr zu. 2005 aber vollbrachte er das Kunststück, der 39-jährigen SPD-Herrschaft in Nordrhein-Westfalen ein Ende zu bereiten. Rüttgers Sieg hatte zu vorgezogenen Neuwahlen im Bund geführt, weshalb der Kölner für sich in Anspruch nimmt, derjenige zu sein, dem Angela Merkel ihr Amt verdanke. Der blasse Kohl-Mann, der sich spät von seinem Ziehvater löste, hatte ein Image als Zauderer, Verlierer. Bis er sich neu erfand, das Thema soziale Gerechtigkeit für sich entdeckte.
"Der Vorsitzende der Arbeiterpartei in Nordrhein-Westfalen bin ich und das ist eine gute Sache, weil dies zeigt, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der CDU zutrauen, neue Arbeitsplätze zu schaffen und Investitionen zu fördern."
Anders als Roland Koch scheut der Rheinländer, seinen mächtigen Landesverband im Rücken, die direkte Konfrontation mit der Kanzlerin nicht. Auffällig ist: ob Rüttgers, Koch, Müller, Wulff oder Oettinger, sowohl die Kronprinzen als auch Angla Merkels Minister im Kabinett stehen für eine moderne CDU. Selbst Bundesinnenminister Schäuble ist mit seiner Islamkonferenz, dem Eintreten für Integration kein im früheren Sinne Konservativer mehr. Für konservative Werte steht kaum noch ein CDU-Spitzenpolitiker. Fast vergessen sind Alfred Dregger, Manfred Kanther, sogar Jörg Schönbohm.
"Interessant ist, dass konservative Kräfte innerhalb der CDU immer wieder ihre Appelle an die CSU richten,"
erzählt Peter Ramsauer, Chef der CSU-Bundestagsgruppe. Seine Erklärung für die kaum mehr wahrnehmbaren konservativen Stimmen in der CDU:
"Als CSU und damit als eigenständiger Partei das konservative umso klarer herauszustellen, weil die konservativen Kräfte innerhalb der CDU, wegen der Größe auch dieser Partei, es oft viel schwerer haben sich entsprechend darzustellen."
Mit ihren schwarz-gelben Koalitionen leben Rüttgers in Düsseldorf, Oettinger in Stuttgart, Wulff in Hannover und womöglich bald Koch in Wiesbaden wie Müller im Saarland vor, was für die Kanzlerin die Wunschkonstellation im Bund wäre: schwarz-gelb. Zumindest offiziell. Hinter vorgehaltener Hand gilt die in der Krise zaudernde, abwartende als eine Kanzlerin, die sich aus der Gegenposition zur SPD definiert, der der Kompromiss, die Verständigung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner durchaus kein Gräuel sind. Angela Merkel, so meinen Beobachter, braucht die Konfrontation mit einem mächtigen Gegner, weil es ihr für eine eigene Führung, das Voranschreiten als Wegbereiterin an Format fehlt. Die Union wiederum bietet niemanden, der dies gern übernähme. Friedrich Merz, der Finanz- und Wirtschaftsspezialist, will sich, nach einer letzten Kostprobe seines rhetorischen und fachlichen Könnens vorerst verabschieden. Rüttgers hat seine Rolle als selbsternannter Arbeiterführer erst vor so kurzer Zeit übernommen, dass man ihm noch immer unterstellt, auf der sozialen Schiene nur zu fahren, weil es hilfreich für seine Profilierung ist. Anders als 2006 in Dresden, wo er zum Schrecken der Partei für die Verlängerung des Arbeitslosengeldes 1 auftrat, verhielt er sich in Stuttgart unauffällig. Der Niedersachse Wulff, anders als Rüttgers und Koch ohnehin niemand, der zuspitzt und polarisiert, verkündet seit dem Sommer, die Landeshauptstadt Hannover sei der Nabel seiner Welt, höher wolle er nicht mehr hinaus.
"Es ist wirklich so, dass ich meine Arbeit hier in Niedersachsen mache und es unglaublich viel Spaß und Freude macht, in Niedersachsen zu arbeiten. Ich wollte lange Ministerpräsident werden, jetzt möchte ich es verständlicherweise lange bleiben."
Ob polarisierend oder auf Ausgleich bedacht: jeder der Kronprinzen würde seinen politischen Selbstmord einläuten, setzte er jetzt auf Profilierung gegen die Kanzlerin. Die Chance auf eine Nach-Merkel-Kanzlerschaft wäre ein für alle Male vorbei.
So halten sie still, die einst Widerworte gaben. Die Einigkeit von Stuttgart, die sich im Wahlergebnis der Vorsitzenden wie ihrer Stellvertreter gleichermaßen niederschlägt, täuscht über die Unsicherheit in den Reihen hinweg. Wenn Angela Merkel von einem deutschen Exportschlager "Soziale Marktwirtschaft" visioniert und Feinjustierungen globaler Wirtschaftskriterien vornehmen will,
"Und deshalb brauchen wir so, wie wir für die Fragen der Sicherheit und der Menschenrechte die Vereinten Nationen und einen UN-Sicherheitsrat haben, nach meiner festen Überzeugung auch für die Wirtschaft einen Weltwirtschaftsrat. Wir brauchen so etwas, wie eine Wirtschafts-Uno und wir können feststellen, wir müssen gar nicht bei Null anfangen, weil die Gründungsväter der vereinten Nationen bereits einen Rat für Wirtschafts- und Sozialfragen installiert haben, der allerdings heute ein jämmerliches Schattendasein führt und deshalb muss sich das ändern, deshalb müssen wir eine Weltwirtschaftsordnung mit Hilfe eines solchen Weltwirtschaftsrates bauen."
Dann reißt das die Parteifreunde nicht gerade von den Stühlen in der neuen Messehalle. Das zeigt deren Blick in die Tageszeitungen ebenso wie der Plausch mit dem Sitznachbarn. Aber: Die Kanzlerin schafft Zeit mit ihrem Zögern. Zeit bis Weihnachten, Zeit bis zum 5. Januar. Dann will sie mit den Koalitionsspitzen erneut beraten, ob weitere Konjunkturhilfen notwendig werden. Zeit, die der Parteibasis vor Ort nicht als Argument weiterhilft. Wobei wir wieder bei Menschen wie Michael Billen wären. Der darauf verweist, dass der Verlust der Kaufkraft in seiner Region Trier bei mittlerweile vierzehn Prozent liegt. Und der seinen Wählern deshalb möglichst rasch etwas vorweisen will.
"Wir haben festgestellt bei genauem Hinsehen der Lohntabellen, dass nur noch ein Drittel der Lohnerhöhungen beim Lohnempfänger ankommen. Zwei Drittel werden über die kalte Progression abgeschöpft. Und das kann nicht sein, das führt natürlich nicht, wie unser Generalsekretär Pofalla meint, wenn wir ihnen mehr Netto lassen, zur Erhöhung des Bankkontos sondern die Menschen brauchen es zum Leben. 25 Millionen Deutsche arbeiten, und 25 Millionen Deutsche müssen von der kalten Progression - das ist in meinen Augen geklautes Geld - befreit werden. Und insofern denke ich, muss man das zum 1. Januar machen. Hat der Bürger mehr Geld, und ein besseres Konjunkturprogramm wie wenn der Bürger selbst über sein Geld verantwortlich ist, gibt es nicht."
Der Wirtschaftsflügel, der Mittelstand, einige Landesverbände, die CSU: der Druck auf die Kanzlerin, die sich in Stuttgart so deutlich durchsetzen konnte, wird spätestens im nächsten Jahr zunehmen. Im Wahlkampf kochen bekanntlich die Emotionen hoch. Hier und heute schlug noch die Stunde der Vernunft - und somit die der Kanzlerin. Fraktionschef Volker Kauder hat noch einmal alle eingepeitscht. Für die nahe Zukunft. Mit Vernunft und Emotion.
"Ich bin sicher, sie hat das richtige Personal, sie hat die richtige Kanzlerin, die richtige Spitzenkandidatin. Sie hat das richtige inhaltliche Konzept, sie weiß, was in dieser schwierigen Zeit zu tun ist, auf die Union wird es im nächsten Jahr ankommen. Wir können so viel, dass wir im nächsten Jahr eine zweite Regierung Merkel in einer neuen Koalition, eine neue Koalition von neuen Chancen bilden können. Für neue Perspektiven in unserem Vaterland. Auf geht`s liebe Freundinnen und Freunde. Jetzt ist unser Einsatz gefragt. Die Sozis sollen sich warm anziehen, wir sind gerüstet."
Michael Billen ist ein alter Parteihase. Der 53-Jährige hat schon so manchen Haken geschlagen, seit er mit siebzehn in die Junge Union eingetreten ist. Inzwischen sitzt er im rheinland-pfälzischen Landtag und ist Bezirksvorsitzender seiner Partei in Trier. Angefeindet wurde er in seiner Heimat schon reichlich. Da macht es ihm nichts mehr aus, sich gegen seine Parteichefin zu stellen. Steuern runter jetzt, fordert Billen im Gegensatz zu Angela Merkel.
"Was wir nicht machen werden, dass ist eine strukturelle Steuerreform an die Stelle sofort wirkender, zeitlich befristeter Konjunkturimpulse zu setzen. Aber wenn wir über Konjunkturimpulse reden, wenn wir darüber reden, wie wir Arbeitsplätze sichern können, dann brauchen wir dazu natürlich eine Diskussion. Damit wir entscheiden können, ob und - gegebenenfalls - was wir Anfang Januar noch hinzufügen, liebe Freunde. Aber ich sage auch, an einem Überbietungswettbewerb von immer neuen Vorschlägen, an einem sinnlosen Wettbewerb um Milliarden, daran beteiligen wir uns nicht. Der ist mit uns, der ist mit mir nicht zu machen, denn wir haben auch in solchen Zeiten Verantwortung vor dem Steuerzahler von heute und vor dem Steuerzahler in der Zukunft, liebe Freunde."
"Ich teile absolut die Auffassung von Friedrich Merz, "
hatte Michael Billen gesagt. Und als Kronzeugen für seine Überzeugung führt er den ehemaligen Fraktionschef der Union im Bundestag an. Friedrich Merz ist längst auf dem Rückzug, für die nächste Legislaturperiode will der Wirtschaftskopf der Partei nicht mehr kandidieren. Vor sechs Jahren hatte sein langer Abschied begonnen, als Angela Merkel beide Ämter für sich beanspruchte: die des Partei- und Fraktionsvorsitzes. Schon fast vergessen geglaubt, schießt Friedrich Merz wie Phönix aus der Asche vor den tausend Delegierten vom Plenarsaal rauf aufs tiefblaue Podium. Und die klatschen bereits, als er noch kein einziges Wort von sich gegeben hat - und auch hinterher ist er plötzlich wieder in aller Munde, nicht nur bei Michael Billen aus Trier.
O-Töne:
"Ich glaub, Friedrich Merz hat Recht.
Wie Friedrich Merz es ja auch gesagt hat.
Friedrich Merz hat es auch angesprochen.
Ich teile absolut die Auffassung von Friedrich Merz."
Was war da geschehen? Forschen Schrittes eilte der energische Sauerländer wie gesagt ans Pult, um noch in diesem Jahr die Weichen zu stellen für mehr Netto vom Brutto. Und das ganz offen gegen die Politik der ruhigen Hand der Kanzlerin.
"Ich erinnere mich jedenfalls gerne und manch einer von Ihnen wenigstens dunkel an einen Parteitag in Leipzig, wo wir zur Steuerpolitik etwas gesagt und aufgeschrieben und beschlossen haben. Wir haben nämlich beschlossen, dass wir endlich raus müssen aus der kalten Progression. Und jetzt stelle ich uns mal die Frage, ob das nicht jetzt genau der richtige Zeitpunkt ist, diesen Teil der Antwort für ein späteres umfassendes Konzept heute und für das Jahr 2009 zu geben."
Kalte Progression, darunter verstehen die Steuerfachleute jenes Phänomen, das nicht nur Merz als zutiefst ungerecht empfindet: Gerade bei den mittleren Einkommensschichten steigt die Steuerbelastung enorm, werden nur ein paar Euro dazu verdient. Auf den ersten Blick verwunderlich: Erst klatschen die Christdemokraten bei Merkel, dann bei Merz. Erst, wenn die Parteichefin genau erklärt:
"Durch eine Strukturreform für ein einfacheres und gerechtes Steuersystem das die Leistungsträger motiviert, den Missstand der kalten Progression abschafft, Familien stärkt und damit dauerhaft mehr Netto vom Brutto für die Menschen in unserem Lande ermöglicht."
Und damit meint, frühestens nach der Bundestagswahl 2009 darüber ernsthaft nachzudenken. Und sie klatschen nicht nur, sie stimmen auch dem großen Leitantrag zu, der dieses Vorgehen zementiert. Ohne Ausnahme. Dann applaudieren sie bei Friedrich Merz:
"Das erste Mal seit langer Zeit haben viele Arbeitnehmerhaushalte in Deutschland zum Jahreswechsel 2008/2009 wieder höhere Löhne und Gehälter. Mit diesem steuerpolitischen Tarif ist der Staat der steuerpolitische Trittbrettfahrer der Lohn- und Gehaltssteigerung. Dies jetzt zu korrigieren, zum 1. Januar 2009, ist keine Steuerreduzierung, sondern verzichtet nur auf eine Steuermehreinnahme durch moderate Gehalts- und Lohnsteigerungen die zuvor gemacht wurden."
Der schon viel früher loslegen will und später weiterdenken. Eine offene Konfrontation mit Merkel in der Sache - und lang anhaltender Beifall auch dafür. Zwei Herzen schlagen ach in einer Brust in diesen Krisenzeiten, die Parteifreunde zeigen sich hin- und hergerissen. Zwischen jenen, die schon jetzt ein Signal setzen wollen wie neben Merz der rheinland-pfälzische Landeschef Christian Baldauf. Er geht noch weiter und fordert einen sofort erhöhten Grundfreibetrag.
"Der arbeitenden Mitte geht die Luft aus. Facharbeiter, Angestellte, Beamte, selbst wer ein mittleres Gehalt bezieht, liebe Parteifreundinnen, liebe Parteifreunde, muss schauen, dass und wie er über die Runden kommt. Höhere Preise, Steuern, Energiekosten, ständig steigende Abgaben, Einkommen, die bei den Familien nicht mehr Netto so ausreichend vorhanden sind, wie es sein müsste."
Und denen, die es weit wichtiger finden, noch abzuwarten.
O-Töne Umfrage:
"Eindeutig stehe ich zur Auffassung der Kanzlerin Merkel, weil ich der Auffassung bin, es ist populär, populistisch, jetzt schnell den Wählerinnen und Wählern etwas zu versprechen, aber man muss in dem Moment als verantwortlicher Politiker immer die Gesamtsituation im Auge behalten.
Gesamtgesellschaftspolitisch bin ich der Auffassung, dass wir hier strukturell eine Reform brauchen und nicht vom Grundsatz her hier mal eben schnell Steuererleichterung, Reduzierung für die Bürgerinnen und Bürger.
Es muss schnell was passieren, das ist wohl richtig, aber mit Augenmaß. Es hat überhaupt keinen Zweck, irgendwelche Ad-hoc-Entscheidungen zu treffen und dann noch mehr ins Verderben zu rennen, letztendlich.
Ja, es wäre eine kluge Idee vor dem Hintergrund, den Menschen etwas zuteil werden zu lassen, in diesen schwierigen Zeiten. Ich habe allerdings auch Verständnis dafür, wenn man sich zunächst Gedanken machen will, wie man mögliche andere Investitionen, die noch zu tätigen sind, gegenfinanzieren möchte. Und insofern halte ich im Moment mehr davon, etwas abzuwarten, wie die Entwicklung sein wird, man kann Steuern bekanntlich auch rückwirkend senken.
Ich sehe das wie die Bundeskanzlerin, dass man das nicht jetzt so übers Knie brechen sollte, sondern - also nicht mehr mit der SPD - sondern halt nach der Wahl."
Felsenfest überzeugt scheinen sie dabei nicht. Doch welche Möglichkeit bleibt sonst? -Merkel bei der Abstimmung des Leitantrages attackieren oder gar bei der Wiederwahl zur Parteivorsitzenden abstrafen: ausgeschlossen vor einem Superwahljahr 2009. Und so halten sich auch all jene zurück, die in der zweiten Reihe stehen. Gleich hinter der Kanzlerin.
Der Dolch im Gewand, nicht das gezogene Schwert ist die Waffe, die - käme es überhaupt zu einem Kampf, Verwendung finden würde. Auch wenn "Angela mutlos", wie der "Spiegel" in dieser Woche titelte, in der öffentlichen Kritik steht wie zuvor nur vor ihrer Kanzlerschaft - gegen die Chefin anzutreten, wagt niemand ihrer Parteifreunde. Als die gestern mit 94,8 Prozent wiedergewählte CDU-Vorsitzende noch nicht an der Spitze der Regierung war, machten ihr die sogenannten jungen Wilden ihren Platz streitig, verhinderten 2002 mehr oder weniger offen ihre Kanzlerkandidatur. Das hat die mächtigste Frau Deutschlands bis heute keinem vergessen. Jürgen Rüttgers, Günter Oettinger, Roland Koch, Peter Müller und Christian Wulff - mittlerweile zieren den Haarschopf eines jeden von ihnen mehr oder weniger viele silbergraue Strähnen. Die Kanzlerin mit den nach wie vor hohen persönlichen Beliebtheitswerten hat die CDU zwar noch nicht über 40 Prozent in der Sonntagsfrage gehoben, doch in ein Superwahljahr geht die ohnehin wenig streitlustige Partei mit demonstrativer Geschlossenheit. Devot unterstützt vom baden-württembergischen Ministerpräsidenten Oettinger.
"Die Kanzlerin, die die große Koalition bis zum Sommer nächsten Jahres ordentlich führen wird, die aber im Sommer und Herbst mit uns gemeinsam für eine andere Mehrheit in Deutschland, eine bürgerlich-demokratische Mehrheit, für die nächsten Jahre in Deutschland kämpfen wird."
Seit seiner misslichen Rede am Grab des Marinerichters Hans Filbinger, seinem öffentlichen Ehekrach, dem rüden Rauswurf seines Finanzministers, wird der Mann mit der verkrampften Gesichtsmuskulatur als Fettnapf-ICE verspottet, was seinen staatsmännischen Fähigkeiten womöglich nicht gerecht wird. Dennoch: In Berlin mag sich ihn niemand vorstellen, zu hölzern, auch wenn Oettinger privat sogar witzig sein soll und gern über die Stränge schlägt. Die jüngste Sanftmut der drei, die als Stellvertretende Parteivorsitzende wiedergewählt werden wollten, wurde auf dem Stuttgarter Parteitag honoriert. Verglichen mit 2006 in Dresden erreichten die Ministerpräsidenten aus Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Hessen gestern weit bessere Wahlergebnisse. Roland Koch ganze zwanzig Prozent mehr. Von ihm wird ein sauberer beispielgebender Start in das Superwahljahr 2009 erwartet. Er bekam den Rückenwind seiner Parteifreunde. Mehrfach nach dem verpatzten Wahlkampf hatte er öffentlich Asche auf sein Haupt gestreut, freilich ohne zu spezifizieren, worin genau er seine Schuld sieht:
"Wir haben in den letzten Monaten viel über die Frage nachdenken müssen und nachdenken können, was haben wir eigentlich aus dem letzten Wahlergebnis gelernt. Ich sage sehr offen, dass einiges heute auch aus meiner Sicht anders ist, als es sich im letzten Wahlkampf dargestellt hat und ich daraus Konsequenzen gezogen habe."
Roland Koch, der mit seinen 50 Jahren bereits zehn als Ministerpräsident gedient hat, wird unter den Kronprinzen der Kanzlerin die steilste Karriere zugetraut. Wegen seines Fleißes, seiner Krisenresistenz, vor allem aber, weil er Angela Merkel, die er einst als Kanzlerkandidatin verschmähte, heute unterstützt, wo er kann: Ob Erbschaftssteuerreform, Pendlerpauschale oder Krisenmanagement der Kanzlerin, das er besser verkauft als sie. Nicht Brüssel, Berlin heißt das Ziel. Vielleicht wird im Wirtschaftsministerium ein Platz frei nach dem Bundestagswahlkampf, der aus heutiger Sicht von Kochs Lieblingsthemen - Wirtschaft und Finanzen - bestimmt sein dürfte. Jürgen Rüttgers, dem zweiten im Bunde, traute man 1998, nach glücklosen Jahren als sogenannter Minister für Zukunft selbige nicht mehr zu. 2005 aber vollbrachte er das Kunststück, der 39-jährigen SPD-Herrschaft in Nordrhein-Westfalen ein Ende zu bereiten. Rüttgers Sieg hatte zu vorgezogenen Neuwahlen im Bund geführt, weshalb der Kölner für sich in Anspruch nimmt, derjenige zu sein, dem Angela Merkel ihr Amt verdanke. Der blasse Kohl-Mann, der sich spät von seinem Ziehvater löste, hatte ein Image als Zauderer, Verlierer. Bis er sich neu erfand, das Thema soziale Gerechtigkeit für sich entdeckte.
"Der Vorsitzende der Arbeiterpartei in Nordrhein-Westfalen bin ich und das ist eine gute Sache, weil dies zeigt, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der CDU zutrauen, neue Arbeitsplätze zu schaffen und Investitionen zu fördern."
Anders als Roland Koch scheut der Rheinländer, seinen mächtigen Landesverband im Rücken, die direkte Konfrontation mit der Kanzlerin nicht. Auffällig ist: ob Rüttgers, Koch, Müller, Wulff oder Oettinger, sowohl die Kronprinzen als auch Angla Merkels Minister im Kabinett stehen für eine moderne CDU. Selbst Bundesinnenminister Schäuble ist mit seiner Islamkonferenz, dem Eintreten für Integration kein im früheren Sinne Konservativer mehr. Für konservative Werte steht kaum noch ein CDU-Spitzenpolitiker. Fast vergessen sind Alfred Dregger, Manfred Kanther, sogar Jörg Schönbohm.
"Interessant ist, dass konservative Kräfte innerhalb der CDU immer wieder ihre Appelle an die CSU richten,"
erzählt Peter Ramsauer, Chef der CSU-Bundestagsgruppe. Seine Erklärung für die kaum mehr wahrnehmbaren konservativen Stimmen in der CDU:
"Als CSU und damit als eigenständiger Partei das konservative umso klarer herauszustellen, weil die konservativen Kräfte innerhalb der CDU, wegen der Größe auch dieser Partei, es oft viel schwerer haben sich entsprechend darzustellen."
Mit ihren schwarz-gelben Koalitionen leben Rüttgers in Düsseldorf, Oettinger in Stuttgart, Wulff in Hannover und womöglich bald Koch in Wiesbaden wie Müller im Saarland vor, was für die Kanzlerin die Wunschkonstellation im Bund wäre: schwarz-gelb. Zumindest offiziell. Hinter vorgehaltener Hand gilt die in der Krise zaudernde, abwartende als eine Kanzlerin, die sich aus der Gegenposition zur SPD definiert, der der Kompromiss, die Verständigung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner durchaus kein Gräuel sind. Angela Merkel, so meinen Beobachter, braucht die Konfrontation mit einem mächtigen Gegner, weil es ihr für eine eigene Führung, das Voranschreiten als Wegbereiterin an Format fehlt. Die Union wiederum bietet niemanden, der dies gern übernähme. Friedrich Merz, der Finanz- und Wirtschaftsspezialist, will sich, nach einer letzten Kostprobe seines rhetorischen und fachlichen Könnens vorerst verabschieden. Rüttgers hat seine Rolle als selbsternannter Arbeiterführer erst vor so kurzer Zeit übernommen, dass man ihm noch immer unterstellt, auf der sozialen Schiene nur zu fahren, weil es hilfreich für seine Profilierung ist. Anders als 2006 in Dresden, wo er zum Schrecken der Partei für die Verlängerung des Arbeitslosengeldes 1 auftrat, verhielt er sich in Stuttgart unauffällig. Der Niedersachse Wulff, anders als Rüttgers und Koch ohnehin niemand, der zuspitzt und polarisiert, verkündet seit dem Sommer, die Landeshauptstadt Hannover sei der Nabel seiner Welt, höher wolle er nicht mehr hinaus.
"Es ist wirklich so, dass ich meine Arbeit hier in Niedersachsen mache und es unglaublich viel Spaß und Freude macht, in Niedersachsen zu arbeiten. Ich wollte lange Ministerpräsident werden, jetzt möchte ich es verständlicherweise lange bleiben."
Ob polarisierend oder auf Ausgleich bedacht: jeder der Kronprinzen würde seinen politischen Selbstmord einläuten, setzte er jetzt auf Profilierung gegen die Kanzlerin. Die Chance auf eine Nach-Merkel-Kanzlerschaft wäre ein für alle Male vorbei.
So halten sie still, die einst Widerworte gaben. Die Einigkeit von Stuttgart, die sich im Wahlergebnis der Vorsitzenden wie ihrer Stellvertreter gleichermaßen niederschlägt, täuscht über die Unsicherheit in den Reihen hinweg. Wenn Angela Merkel von einem deutschen Exportschlager "Soziale Marktwirtschaft" visioniert und Feinjustierungen globaler Wirtschaftskriterien vornehmen will,
"Und deshalb brauchen wir so, wie wir für die Fragen der Sicherheit und der Menschenrechte die Vereinten Nationen und einen UN-Sicherheitsrat haben, nach meiner festen Überzeugung auch für die Wirtschaft einen Weltwirtschaftsrat. Wir brauchen so etwas, wie eine Wirtschafts-Uno und wir können feststellen, wir müssen gar nicht bei Null anfangen, weil die Gründungsväter der vereinten Nationen bereits einen Rat für Wirtschafts- und Sozialfragen installiert haben, der allerdings heute ein jämmerliches Schattendasein führt und deshalb muss sich das ändern, deshalb müssen wir eine Weltwirtschaftsordnung mit Hilfe eines solchen Weltwirtschaftsrates bauen."
Dann reißt das die Parteifreunde nicht gerade von den Stühlen in der neuen Messehalle. Das zeigt deren Blick in die Tageszeitungen ebenso wie der Plausch mit dem Sitznachbarn. Aber: Die Kanzlerin schafft Zeit mit ihrem Zögern. Zeit bis Weihnachten, Zeit bis zum 5. Januar. Dann will sie mit den Koalitionsspitzen erneut beraten, ob weitere Konjunkturhilfen notwendig werden. Zeit, die der Parteibasis vor Ort nicht als Argument weiterhilft. Wobei wir wieder bei Menschen wie Michael Billen wären. Der darauf verweist, dass der Verlust der Kaufkraft in seiner Region Trier bei mittlerweile vierzehn Prozent liegt. Und der seinen Wählern deshalb möglichst rasch etwas vorweisen will.
"Wir haben festgestellt bei genauem Hinsehen der Lohntabellen, dass nur noch ein Drittel der Lohnerhöhungen beim Lohnempfänger ankommen. Zwei Drittel werden über die kalte Progression abgeschöpft. Und das kann nicht sein, das führt natürlich nicht, wie unser Generalsekretär Pofalla meint, wenn wir ihnen mehr Netto lassen, zur Erhöhung des Bankkontos sondern die Menschen brauchen es zum Leben. 25 Millionen Deutsche arbeiten, und 25 Millionen Deutsche müssen von der kalten Progression - das ist in meinen Augen geklautes Geld - befreit werden. Und insofern denke ich, muss man das zum 1. Januar machen. Hat der Bürger mehr Geld, und ein besseres Konjunkturprogramm wie wenn der Bürger selbst über sein Geld verantwortlich ist, gibt es nicht."
Der Wirtschaftsflügel, der Mittelstand, einige Landesverbände, die CSU: der Druck auf die Kanzlerin, die sich in Stuttgart so deutlich durchsetzen konnte, wird spätestens im nächsten Jahr zunehmen. Im Wahlkampf kochen bekanntlich die Emotionen hoch. Hier und heute schlug noch die Stunde der Vernunft - und somit die der Kanzlerin. Fraktionschef Volker Kauder hat noch einmal alle eingepeitscht. Für die nahe Zukunft. Mit Vernunft und Emotion.
"Ich bin sicher, sie hat das richtige Personal, sie hat die richtige Kanzlerin, die richtige Spitzenkandidatin. Sie hat das richtige inhaltliche Konzept, sie weiß, was in dieser schwierigen Zeit zu tun ist, auf die Union wird es im nächsten Jahr ankommen. Wir können so viel, dass wir im nächsten Jahr eine zweite Regierung Merkel in einer neuen Koalition, eine neue Koalition von neuen Chancen bilden können. Für neue Perspektiven in unserem Vaterland. Auf geht`s liebe Freundinnen und Freunde. Jetzt ist unser Einsatz gefragt. Die Sozis sollen sich warm anziehen, wir sind gerüstet."