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Zwei Jahre nach dem "Maidan"
"Ich wünschte, all das wäre nicht passiert"

Vor genau zwei Jahren kam es auf dem Maidan-Platz in Kiew zum Blutbad, Dutzende Bürger wurden getötet. Die Demonstranten gingen für ein würdigeres Leben ohne Korruption auf die Straße und für einen Systemwechsel. Das meiste davon lässt auch heute noch auf sich warten.

Von Jan Pallokat |
    Am 20.02.2014 kam es auf dem Maidan zu Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten.
    Der Maidan-Platz am 20. Februar 2014. (dpa / picture alliance / Andreas Stein)
    Zwei Jahre danach haben sie auf dem Kiewer Maidan Schautafeln aufgestellt; Farbfotocollagen aus den Leben jener, die bei den Schusswechseln starben, Schnappschüsse, Familiensituationen, Hobbies. Es ist wie Blättern in Fotoalben. Dutzende starben hier beidseits der Barrikaden. Und die Korruption ist längst nicht besiegt: War es das wirklich wert?
    "Ich wünschte, all das wäre nicht passiert. Wir hatten ja schon 2004 einen Maidan, damals ohne Blutvergießen. Für mich ist es wie ein Albtraum. Es belastet, und die Ereignisse mit Russland beunruhigen mich."
    "Ich denke, die Jungs sind nicht umsonst gestorben. Lange Zeit wollte die Ukraine wirklich unabhängig werden, nun ist es geglückt, es war mein lebenslanger Traum: unabhängig von der Kreml-Führung, die uns regierte."
    "Revolution der Würde" haben sie den Aufstand rückblickend getauft. In Abgrenzung zur Orangenen Revolution zehn Jahre vorher, als es "nur" gegen Wahlfälschungen ging. Diesmal seien die Leute für ein generell besseres, würdigeres Leben auf die Straße gegangen, ohne Korruption, für einen Systemwechsel. Der allerdings lässt auf sich warten; auch die neue Führung umwehen Korruptionsvorwürfe, weiter halten Oligarchen viele Fäden in der Hand.
    "Die Situation mit der Korruption ist nicht so dramatisch, wie gesagt wird"
    "Die Korruption ist nicht verschwunden. Aber in ein oder zwei Jahren kann man nicht viel ändern. Wie lange hat Europa für die Demokratie gebraucht? Und Amerika? Nicht nur ein, zwei Jahre."
    "Ich denke, wir haben einen guten Präsidenten und die Situation mit der Korruption ist nicht so dramatisch, wie gesagt wird."
    "Ich vertraue diesen Betrügern nicht. Sie berauben das Volk und lassen sich durchfüttern. Regierung und Parlament sind zu nichts nutze: Korrupte Hundesöhne, weit weg vom Volk."
    Tatsächlich erlebt die Führung des Landes - jedenfalls in Umfragen - einen schwindelerregenden Verlust an Vertrauen mit Messwerten teilweise noch unter jenen des früheren Regimes. So bekennen die Befragten mehrheitlich, sie vertrauten der Kirche, auch den Freiwilligenbataillonen im Osten. Der regulären Armee dann schon weniger, dem Präsidenten aber trauen inzwischen nur noch 17, der Regierung neun Prozent der Befragten, und dem eigenen Parlament klägliche sechs Prozent. Damit rangiert das hohe Haus etwa auf dem Niveau russischer Staatsmedien, denen in der Ukraine auch kaum noch jemand traut.
    Doch all das mündet nicht in neue Revolutionsstimmung. Die Leute schimpfen zu Hause. Und draußen, auf dem Maidan in Kiew, spürt man trotz schwerer Probleme im Land dann doch so etwas wie grundsätzlichen Optimismus.
    "Wir hoffen auf bessere Zeiten. Es gibt Veränderungen, man spürt sie, und das ist schon ein gutes Zeichen. Und wenn es sich erst bessert, dann wollen die Menschen auch mehr. Wir wollen mehr! Aber wie und wann wirklich bessere Zeiten kommen, weiß niemand."
    "Wirtschaftlich hat sich nichts verändert. Aber in den Köpfen schon. Und man muss auch opfern können. Für die Unabhängigkeit."
    "Das Atmen ist leichter geworden. Sich bewegen und leben geht besser jetzt. Finanziell ist es schwieriger, aber moralisch leichter."