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Zwei-Klassen-Impfung?

Hochrangige Politiker sollen einen H1N1-Impfstoff bekommen, der weniger Nebenwirkungen mit sich bringt als das Mittel, das dem Rest der Bevölkerung zur Verfügung gestellt wird. Für den Mediziner Alexander Kekulé ist das ein Skandal.

Alexander Kekulé im Gespräch mit Gerwald Herter |
    Gerwald Herter: Die Impfaktion gegen die Schweinegrippe ist in Deutschland Ländersache, aber nicht ausschließlich. Für das Bundeskabinett, also Kanzlerin und Minister sowie Ministerialbeamte und nachgeordnete Behörden, hat das Bundesinnenministerium 200.000 Dosen Impfstoff bestellt. Dieser Impfstoff enthält keine Wirkungsverstärker und das lässt aufhorchen. Diese Wirkungsverstärker sind nämlich in jenem Impfstoff enthalten, den viele Bundesbürger injiziert bekommen sollen, und einige Wissenschaftler warnen vor Nebenwirkungen, die durch den Zusatzstoff entstehen könnten. Auch Professor Dr. Alexander Kekulé, Mediziner, Lehrstuhlinhaber an der Universität Halle-Wittenberg. Guten Morgen, Herr Kekulé.

    Alexander Kekulé: Guten Morgen!

    Herter: Herr Kekulé, werden Sie sich und Ihre Familie auch impfen lassen?

    Kekulé: Ja, ich werde mich selber impfen lassen, auch mit dem ganz normalen Pandemrix, was jeder bekommen soll, wobei man sagen muss, ich bin gesund, erwachsen und im Moment nicht schwanger, so dass ich keine Befürchtungen habe. Meine beiden kleinen Söhne und meine Tochter, die erst eineinhalb Jahre alt ist, werde ich erst mal nicht impfen lassen, sondern warten, was sich noch tut in den nächsten Wochen.

    Herter: Was könnten denn Nebenwirkungen sein, wenn sich gesunde Menschen so wie Sie, die nicht besonders alt, nicht besonders jung sind, die nicht schwanger sind, die also zu keiner Risikogruppe gehören, gegen die Schweinegrippe mit dem konventionellen, weit verbreiteten Impfstoff impfen lassen?

    Kekulé: Die Hälfte der Menschen, die mit diesem mit Verstärker versehenen Impfstoff geimpft werden, bekommt Nebenwirkungen an der Einstichstelle, das heißt Schmerzen, Schwellungen. Manche sagen dann, ich kann den Arm nicht heben, je nachdem wie empfindlich man ist. Aber es sind keine lang anhaltenden und keine bleibenden Nebenwirkungen. Das geht spätestens nach zwei Tagen weg. Ein Drittel ungefähr bekommt zusätzlich Fieber und fühlt sich unwohl, aber es geht alles wieder zurück. Das sind reversible, also zurückgehende Nebenwirkungen.

    Herter: Keine sehr ernsthaften Nebenwirkungen also. Wie erklären Sie sich, dass dieser Impfstoff von den Bundesländern bestellt worden ist? Ist das ein folgenschwerer Irrtum?

    Kekulé: Das ist auf jeden Fall ein Irrtum. Die Bundesländer können nichts dafür, die Empfehlung kam ganz klar vom Bundesgesundheitsministerium und den zugehörigen Fachbehörden. Wir haben ja von der Schutzkommission bereits im Mai empfohlen, dass man es macht wie in Amerika, also den ganz normalen saisonalen Impfstoff nimmt und anpasst an die Schweinegrippe, weil wir der Meinung waren, dass die Schweinegrippe eben nicht so besonders gefährlich ist und die normale Impfung hier ausreichend ist, und die Daten haben uns jetzt in den letzten Wochen bestätigt. Man hat eben ursprünglich gedacht, das wäre so was Ähnliches wie die Vogelgrippe, und für diese schwereren Viren, die gefährlicher sind, die auch von den Vögeln stammen und wo die Immunantwort dann nicht so gut ist, wäre der Impfstoff ganz hervorragend. Das muss man ganz klar sagen. Dieses Pandemrix ist ein guter Impfstoff, aber ein bisschen mit Kanonen auf Spatzen geschossen.

    Herter: Zu den beratenden Instituten oder den befassten Instituten gehört auch das Paul-Ehrlich-Institut und da heißt es, dass dieses Institut für die Mitarbeiter auch Serum bestellt habe, das ohne diesen Wirkungsverstärker funktioniert.

    Kekulé: Das ist natürlich am Ende des Tages ein Skandal oder zumindest ein Treppenwitz. Seit Monaten werden Kritiker, zu denen ich ja gehöre, bekämpft vom Paul-Ehrlich-Institut, vom Robert-Koch-Institut, vom Bundesgesundheitsministerium bis rauf zum Staatssekretär persönlich und dann haben die sich offensichtlich selbst den Impfstoff ohne Adjuvans besorgt. Das ist zumindest extrem ungeschickt, muss man sagen, das sieht ganz merkwürdig aus.

    Herter: Dieses Institut sagt, das Serum mit Zusatzstoff sei 20.000 Mal getestet worden, ohne dass ernsthafte Nebenwirkungen auftraten. Das deckt sich mit dem, was Sie sagen.

    Kekulé: Nein, das ist nicht ganz richtig. Da sind leider auch die Informationen vom Paul-Ehrlich-Institut immer so ein bisschen nicht ganz korrekt. Es ist so: der Impfstoff von Novartis, der auch bestellt werden soll, der ist tatsächlich mindestens 20.000 Mal getestet worden. Da sind sogar einige Millionen Anwendungen draußen im Feld gewesen. Bei dem Impfstoff von GlaxoSmithKline sind bisher nur die klinischen Studien an einigen Tausend Patienten gelaufen. Die sind alle ganz hervorragend gewesen, das ist richtig, aber man hat eben hier keine Erfahrungen im sehr großen Stil. Sie müssen das einfach mal vergleichen: die normale Grippeimpfung ist einige Milliarden Mal gemacht worden und war viele Jahre lang auch empfohlen für Schwangere, so dass man da 100 Prozent auf der sicheren Seite gewesen wäre, und jetzt hat man eben eine Neuzulassung, die nach allem, was die Daten sagen, sicher aussieht – das muss man klar sagen -, aber es ist ein Riesen Unterschied zu den normalen saisonalen Impfstoffen.

    Herter: Andererseits könnte man auch argumentieren, mit diesem Wirkungsverstärker geht man ganz sicher, weil dieses Serum eben besonders, wie Sie ja auch sagen, wirkt. Ist das eine Argumentation, die Sie nachvollziehen können?

    Kekulé: Nein. Das ist auch nicht so, man ist nicht sicherer von der Wirksamkeit her. Es gibt zwei Argumente, die für diesen Wirkungsverstärker sprechen. Das eine ist: in der jetzigen Situation gibt es einfach nur noch ganz wenig von diesen abgetöteten Viren, die ja da auch immer mit drin sein müssen, also von dem eigentlichen Wirkstoff. Und wenn der sehr knapp ist, kann man durch den Wirkungsverstärker dafür sorgen, dass es einfach für mehr Menschen reicht. Und das andere ist ein sehr hypothetisches Argument, dass man immer gehofft hat, wenn das Virus sich geringfügig verändert, dass man dann mit dem Adjuvans, also mit diesem Wirkungsverstärker, trotzdem noch eine gewisse Schutzwirkung hat. Aber das Schweinegrippe-Virus hat sich nicht verändert.

    Herter: Gibt es einen Gegensatz zwischen einzelnen Interessen und den Interessen der Allgemeinheit? Sollte der Einzelne also Risiken auf sich nehmen, damit das Virus möglichst wenig Gelegenheit hat zu mutieren?

    Kekulé: Ich glaube, in dem Fall muss man es genau so formulieren. Derjenige, der gesund ist und der sich impfen lassen kann – und die Nebenwirkungen sind nicht viel anders als, sage ich mal, zum Beispiel bei einer Tetanus-Impfung -, der sollte das wirklich meines Erachtens auf sich nehmen, weil wir hier zum ersten Mal die Chance haben, so eine Influenza-Welle wirklich durch eine Impfung zu begrenzen, und diese Chance sollen wir nicht einfach hier verstreichen lassen.

    Herter: Warten geht also nicht, weil die Grippe-Saison irgendwann beginnen wird?

    Kekulé: Warten geht nicht. Vor allem: wo sollte der Impfstoff herkommen? Ich bin sehr gespannt, wo die Bundesgesundheitsministerin für die Schwangeren jetzt was herbekommt, und ich fordere ja auch, dass man für Kinder unter sechs Jahren noch zusätzlich diesen adjuvansfreien Impfstoff besorgt. Das ist jetzt ganz, ganz schwer zu besorgen. Die Bundesregierung hat sehr spät bestellt, auch im Vergleich zum Ausland, und deshalb hat es keinen Sinn zu warten, weil da wird nichts mehr kommen.

    Herter: Sollte man sich auch mit dem normalen Grippe-Impfstoff impfen lassen, im Abstand von zwei Wochen?

    Kekulé: Ja. Man sollte die normale Impfung auf jeden Fall zusätzlich auch machen, weil man jetzt in der Influenza-Saison, die dann kommt, natürlich nicht weiß, ob man das eine, oder das andere Virus eingefangen hat. Deshalb ist es auf jeden Fall besser, sich gegen alles, was da so kommen kann, in der jetzigen Situation zu schützen.

    Herter: In einer Woche soll die Impf-Kampagne gegen die Schweinegrippe beginnen. Das waren Informationen des Virologen Alexander Kekulé im Deutschlandfunk. Vielen Dank.

    Kekulé: Bitte schön!