Sigrid Fischer: Colin Firth, waren Sie auf so einen großen, weltweiten Erfolg gefasst mit diesem kleinen britischen Arthousefilm "The King's Speech"?
Colin Firth: Nein, als Stoff für einen Film war das nicht sehr wahrscheinlich. Jetzt im Nachhinein sagen natürlich alle: Das war doch offensichtlich. Man hat einen König und jemanden mit einem Sprachproblem, damit kriegt man die Zuschauer, das ist eine Erfolgsgarantie. Aber sehen Sie sich doch mal das Drehbuch an: Zwei Männer mittleren Alters werden Freunde. Ist das eine gute Werbung? Es gibt keinen Sex im Film, keine jungen Leute, es fehlen also alle Komponenten, auf die man normalerweise setzt, um kommerziell erfolgreich zu sein. Zwei Männer in einem Raum, die viel reden - das ist normalerweise kein Erfolgsrezept.
Fischer: Was glauben Sie mögen die Leute an dem Film so sehr, auch in Amerika, wo man doch am liebsten amerikanische Geschichten und Darsteller im Kino sieht?
Firth: Ich denke, es ist die Freundschaft zwischen King George und seinem Sprachlehrer. Und die Tatsache, dass da jemand in einem gewissen Alter schon aufgegeben hat und sagt: Mir kann keiner mehr helfen, es ist zu spät. Wenn ich mein Sprachproblem bis jetzt nicht überwunden habe, werde ich es nie mehr überwinden. Und dann sieht man, wie er das in diesem Alter doch noch anpackt. Er bekommt zwar nicht das Stottern an sich weg, aber den Terror und die hinderlichen Begleiterscheinungen, die es für ihn auslöst. Und das gelingt ihm über eine Freundschaft. Ich glaube, die Leute mögen vor allem die Rolle von Geoffrey Rush, der den Sprachlehrer spielt. Der ist ja wie ein Schutzengel. So einen Freund oder Mentor hätte doch jeder gerne. Jemanden, der sich um einen kümmert und auf einen aufpasst und nie aufgibt. Der trotz aller Widrigkeiten immer wieder kommt. Ich glaube, das ist das Herz der Geschichte.
Fischer: Gab es Audio- oder visuelles Material von George VI., anhand dessen Sie sich vorbereiten konnten.
Firth: Es gibt nicht viel Material. Soweit ich weiß, gibt es gar keins aus der Zeit, bevor er seinen Lehrer trifft. Das heißt, wir wissen nicht genau, wie schlimm es wirklich klang. Wir hatten nur Beschreibungen. Einige sagen jetzt, wir übertreiben es mit dem Stottern im Film. Wir hatten aber auch einen Brief seines Privatsekretärs an den Lehrer, in dem steht: Bitte helfen sie ihm, er spricht überhaupt nicht, er schüttelt Hände, aber er spricht nicht, er kann es nicht. Also vielleicht war es in Wirklichkeit sogar schlimmer als das, was man im Film sieht.
Fischer: Wie haben Sie sich denn dann schließlich auf das Stottern vorbereitet? Haben Sie mit Betroffenen gesprochen?
Firth: Zwei Dinge haben mir sehr geholfen: einmal der Drehbuchautor David Seidler, der selbst mal gestottert hat. Und er hat mir genau beschrieben, wie man damit lebt, wie es den ganzen Alltag bestimmt, und man nicht mehr man selbst ist. Man bekommt eine andere Identität. Man wählt seine Worte sehr genau. Man sagt nie, was man sagen will, sondern immer das, was man glaubt, stotterfrei herauszubringen. Man verändert sich, man kann seinen Humor nicht zum Ausdruck bringen, man isst das Falsche im Restaurant, man kauft die falschen Dinge, man gibt die falschen Antworten. Über all das habe ich nachgedacht. Und ein kleines Stück Film von George gab es doch, als er schon König war und 1938 eine Rede hielt. Da sieht man ihn im Profil, die Kamera schwenkt auf die Umgebung, um nicht auf ihn zu fokussieren, aber man sieht trotzdem, wie hart er kämpft, das geht einem sehr nahe. Wie er gegen diese Mauer ankämpft, die Nackenmuskeln angespannt, der Mund kämpft, man sieht seinen Konflikt genau, der sich mental und körperlich abspielt. Und alles, was er will, ist aus dieser Stille ausbrechen, um zu tun, was seine Aufgabe ist. Das hat mich sehr bewegt, vor allem sein Mut. Da wurde mir klar, was ich von ihm lernen kann.
Fischer: Auch wenn den originalen King George VI. niemand mehr im Ohr hat, Sie mussten trotzdem aufpassen, dass Ihre Darstellung nicht lächerlich wirkt, nicht wie eine Parodie,
Firth: Das war das Problem, vor dem wir am meisten Angst hatten. Wenn es nicht authentisch klingt, wird es, wie Sie sagen, lächerlich und wir haben keinen Film. Damit lastete ein großer Druck auf der Produktion, weil eigentlich die ganze Geschichte darauf beruht. Es musste richtig klingen, nicht nur sprachtechnisch, sondern auch menschlich und persönlich. Es musste wirklich aus meinem Inneren kommen. Wenn er zu wenig stottert, macht sich keiner Sorgen und Geoffrey Rush hat nichts zu tun. Wenn es zu extrem ist, wird das Publikum sich vielleicht abwenden. Wie erreicht man das? Ich weiß es nicht, denn keiner kann einem dabei helfen, ich musste das alles selbst entwickeln, da kann einem niemand helfen: der Regisseur nicht, der Sprechtherapeut nicht, denn seine Aufgabe ist es ja, Leuten das Stottern abzugewöhnen. Und Bücher zum Stottern lernen gibt es nicht.
Fischer: Konnten Sie in irgendeiner Weise auch auf eigene Erfahrungen zurückgreifen, als Theaterschauspieler müssen sie ja auch vor Ihr Publikum treten, kennen Sie Lampenfieber?
Firth: Ja, jeder Darsteller und öffentliche Redner hat doch Angst. Wegen des Adrenalins machen wir das ja vermutlich auch. Und als Schauspieler geht man immer von dem aus, was man kennt, um schließlich das zu verstehen, was man nicht kennt. Natürlich kenne ich Lampenfieber, das ist zwar nicht das Gleiche, aber man kann sich darauf stützen. Mit Mitte 20 hatte ich auch einmal Stimmbandprobleme, wie viele Schauspieler und Sänger, die Stimmbänder waren überstrapaziert von einer Szene, in der ich laut schreien musste. Meine Stimme kam fast ein Jahr lang nicht zurück. Aber ich habe mir nicht nur Sorgen wegen der Schauspielerei gemacht - die Stimme ist ja mein Instrument - sondern auch wegen des täglichen Lebens. Daraus habe ich auch geschöpft. Ich kannte die Erfahrung, nicht mehr ich selbst zu sein. Nicht den Gedankenfluss wiedergeben zu können. Es ging bei mir soweit, dass ich nicht mehr raus gehen wollte.
Fischer: Ihre Filmkarriere nimmt gerade einen guten Lauf. Sie bekommen in letzter Zeit wunderbare Rollen zu spielen wie in "The King's Speech" oder auch "A Single Man". Denken Sie, na endlich? Oder, warum erst jetzt?
Firth: Das ist toll. Als ich noch Schauspielstudent war, fand ich das Material, mit dem ich gearbeitet habe, immer sehr anspruchsvoll. Und ich war ganz versessen aufs Schauspielen. Aber im professionellen Leben später hatte ich vielleicht ein, zwei Mal Glück mit den Rollen, ich konnte nur selten anwenden, was ich gelernt hatte. Die meisten Rollen haben mir sehr wenig abverlangt. Deshalb weiß ich: Was in den letzten Jahren passiert, dass ich so komplexe Stoffe gefunden habe, das ist einfach Glück. Das heißt aber nicht, dass sich diese Qualität in Zukunft halten wird. Leider.
Colin Firth: Nein, als Stoff für einen Film war das nicht sehr wahrscheinlich. Jetzt im Nachhinein sagen natürlich alle: Das war doch offensichtlich. Man hat einen König und jemanden mit einem Sprachproblem, damit kriegt man die Zuschauer, das ist eine Erfolgsgarantie. Aber sehen Sie sich doch mal das Drehbuch an: Zwei Männer mittleren Alters werden Freunde. Ist das eine gute Werbung? Es gibt keinen Sex im Film, keine jungen Leute, es fehlen also alle Komponenten, auf die man normalerweise setzt, um kommerziell erfolgreich zu sein. Zwei Männer in einem Raum, die viel reden - das ist normalerweise kein Erfolgsrezept.
Fischer: Was glauben Sie mögen die Leute an dem Film so sehr, auch in Amerika, wo man doch am liebsten amerikanische Geschichten und Darsteller im Kino sieht?
Firth: Ich denke, es ist die Freundschaft zwischen King George und seinem Sprachlehrer. Und die Tatsache, dass da jemand in einem gewissen Alter schon aufgegeben hat und sagt: Mir kann keiner mehr helfen, es ist zu spät. Wenn ich mein Sprachproblem bis jetzt nicht überwunden habe, werde ich es nie mehr überwinden. Und dann sieht man, wie er das in diesem Alter doch noch anpackt. Er bekommt zwar nicht das Stottern an sich weg, aber den Terror und die hinderlichen Begleiterscheinungen, die es für ihn auslöst. Und das gelingt ihm über eine Freundschaft. Ich glaube, die Leute mögen vor allem die Rolle von Geoffrey Rush, der den Sprachlehrer spielt. Der ist ja wie ein Schutzengel. So einen Freund oder Mentor hätte doch jeder gerne. Jemanden, der sich um einen kümmert und auf einen aufpasst und nie aufgibt. Der trotz aller Widrigkeiten immer wieder kommt. Ich glaube, das ist das Herz der Geschichte.
Fischer: Gab es Audio- oder visuelles Material von George VI., anhand dessen Sie sich vorbereiten konnten.
Firth: Es gibt nicht viel Material. Soweit ich weiß, gibt es gar keins aus der Zeit, bevor er seinen Lehrer trifft. Das heißt, wir wissen nicht genau, wie schlimm es wirklich klang. Wir hatten nur Beschreibungen. Einige sagen jetzt, wir übertreiben es mit dem Stottern im Film. Wir hatten aber auch einen Brief seines Privatsekretärs an den Lehrer, in dem steht: Bitte helfen sie ihm, er spricht überhaupt nicht, er schüttelt Hände, aber er spricht nicht, er kann es nicht. Also vielleicht war es in Wirklichkeit sogar schlimmer als das, was man im Film sieht.
Fischer: Wie haben Sie sich denn dann schließlich auf das Stottern vorbereitet? Haben Sie mit Betroffenen gesprochen?
Firth: Zwei Dinge haben mir sehr geholfen: einmal der Drehbuchautor David Seidler, der selbst mal gestottert hat. Und er hat mir genau beschrieben, wie man damit lebt, wie es den ganzen Alltag bestimmt, und man nicht mehr man selbst ist. Man bekommt eine andere Identität. Man wählt seine Worte sehr genau. Man sagt nie, was man sagen will, sondern immer das, was man glaubt, stotterfrei herauszubringen. Man verändert sich, man kann seinen Humor nicht zum Ausdruck bringen, man isst das Falsche im Restaurant, man kauft die falschen Dinge, man gibt die falschen Antworten. Über all das habe ich nachgedacht. Und ein kleines Stück Film von George gab es doch, als er schon König war und 1938 eine Rede hielt. Da sieht man ihn im Profil, die Kamera schwenkt auf die Umgebung, um nicht auf ihn zu fokussieren, aber man sieht trotzdem, wie hart er kämpft, das geht einem sehr nahe. Wie er gegen diese Mauer ankämpft, die Nackenmuskeln angespannt, der Mund kämpft, man sieht seinen Konflikt genau, der sich mental und körperlich abspielt. Und alles, was er will, ist aus dieser Stille ausbrechen, um zu tun, was seine Aufgabe ist. Das hat mich sehr bewegt, vor allem sein Mut. Da wurde mir klar, was ich von ihm lernen kann.
Fischer: Auch wenn den originalen King George VI. niemand mehr im Ohr hat, Sie mussten trotzdem aufpassen, dass Ihre Darstellung nicht lächerlich wirkt, nicht wie eine Parodie,
Firth: Das war das Problem, vor dem wir am meisten Angst hatten. Wenn es nicht authentisch klingt, wird es, wie Sie sagen, lächerlich und wir haben keinen Film. Damit lastete ein großer Druck auf der Produktion, weil eigentlich die ganze Geschichte darauf beruht. Es musste richtig klingen, nicht nur sprachtechnisch, sondern auch menschlich und persönlich. Es musste wirklich aus meinem Inneren kommen. Wenn er zu wenig stottert, macht sich keiner Sorgen und Geoffrey Rush hat nichts zu tun. Wenn es zu extrem ist, wird das Publikum sich vielleicht abwenden. Wie erreicht man das? Ich weiß es nicht, denn keiner kann einem dabei helfen, ich musste das alles selbst entwickeln, da kann einem niemand helfen: der Regisseur nicht, der Sprechtherapeut nicht, denn seine Aufgabe ist es ja, Leuten das Stottern abzugewöhnen. Und Bücher zum Stottern lernen gibt es nicht.
Fischer: Konnten Sie in irgendeiner Weise auch auf eigene Erfahrungen zurückgreifen, als Theaterschauspieler müssen sie ja auch vor Ihr Publikum treten, kennen Sie Lampenfieber?
Firth: Ja, jeder Darsteller und öffentliche Redner hat doch Angst. Wegen des Adrenalins machen wir das ja vermutlich auch. Und als Schauspieler geht man immer von dem aus, was man kennt, um schließlich das zu verstehen, was man nicht kennt. Natürlich kenne ich Lampenfieber, das ist zwar nicht das Gleiche, aber man kann sich darauf stützen. Mit Mitte 20 hatte ich auch einmal Stimmbandprobleme, wie viele Schauspieler und Sänger, die Stimmbänder waren überstrapaziert von einer Szene, in der ich laut schreien musste. Meine Stimme kam fast ein Jahr lang nicht zurück. Aber ich habe mir nicht nur Sorgen wegen der Schauspielerei gemacht - die Stimme ist ja mein Instrument - sondern auch wegen des täglichen Lebens. Daraus habe ich auch geschöpft. Ich kannte die Erfahrung, nicht mehr ich selbst zu sein. Nicht den Gedankenfluss wiedergeben zu können. Es ging bei mir soweit, dass ich nicht mehr raus gehen wollte.
Fischer: Ihre Filmkarriere nimmt gerade einen guten Lauf. Sie bekommen in letzter Zeit wunderbare Rollen zu spielen wie in "The King's Speech" oder auch "A Single Man". Denken Sie, na endlich? Oder, warum erst jetzt?
Firth: Das ist toll. Als ich noch Schauspielstudent war, fand ich das Material, mit dem ich gearbeitet habe, immer sehr anspruchsvoll. Und ich war ganz versessen aufs Schauspielen. Aber im professionellen Leben später hatte ich vielleicht ein, zwei Mal Glück mit den Rollen, ich konnte nur selten anwenden, was ich gelernt hatte. Die meisten Rollen haben mir sehr wenig abverlangt. Deshalb weiß ich: Was in den letzten Jahren passiert, dass ich so komplexe Stoffe gefunden habe, das ist einfach Glück. Das heißt aber nicht, dass sich diese Qualität in Zukunft halten wird. Leider.