Die Kirche des Heiligen Andreas in Petralona, einem Stadtteil unweit der Athener Altstadt. Vor dem Altar: Meine Freundin Maria, in einem wunderschönen weißen Brautkleid; ihre langen Locken fallen auf ihre Schultern. Neben ihr: ihr Noch-Verlobter Jannis im dunklen Anzug. Außer ihnen: rund 70 Freunde und Verwandte. Für griechische Verhältnisse eine Hochzeit im kleinen Rahmen.
Maria: "Für uns war das sehr wichtig, auch aus finanziellen Gründen. Man braucht keine pompöse Trauung mit Hochzeitskutsche. Das, was zählt, ist doch dass sich zwei Menschen gefunden haben und ihr Leben teilen wollen."
So wie Maria und Jannis denken immer mehr junge Pärchen: Sie lassen den überflüssigen Schnickschnack beiseite, vergleichen Angebote und laden nicht mehr wie früher 300 oder 400 Gäste ein, sondern nur noch die engsten Verwandten und Freunde. Maria konnte dabei viel Geld sparen. Sie hatte aber auch keine andere Wahl, denn als Rechtsanwältin verdient sie nur 600 Euro im Monat:
"Wir haben für unsere Hochzeitsfeier zum Beispiel eine einfache Taverne gefunden, auf aufwendige Hochzeitsdeko haben wir verzichtet. Ganz ohne Feier wollten wir aber nicht heiraten, denn die Eltern wollen mitfeiern und auch andere Familienmitglieder einladen. So ist es nun mal in Griechenland!"
Doch das ändert sich langsam: Immer mehr junge Paare verzichten ganz auf eine Feier, sogar auf eine kirchliche Hochzeit. Sie heiraten nur noch standesamtlich - bislang etwas völlig Verpöntes, eine absolute Notlösung. Dieses Jahr aber gibt es vielerorts mehr standesamtliche als kirchliche Trauungen - zum ersten Mal seit Einführung der standesamtlichen Hochzeit vor genau 30 Jahren.
Einen Tag nach Marias Hochzeit gehe ich zu meiner Freundin Soula. Sie ist 38 Jahre alt, von Beruf Bauingenieurin. Soula wohnt bei mir um die Ecke. Ich helfe meinem zweijährigen Sohn auf sein Dreirad und es kann losgehen. Die Kinder meiner Freundin sind schon acht und zehn Jahre. Im Sommer bedeutet das vor allem eins: lange Schulferien, von Anfang Juni bis in den September hinein. Doch in diesem Jahr kann die Familie nicht verreisen. Durch die Krise ist der Bausektor zum Erliegen gekommen - Soula hat kaum Arbeit:
"Wir konnten nicht einmal ins Dorf fahren, um die Kinder bei der Oma zu lassen. Die Benzinpreise sind zu hoch und dann sind da noch die Mautgebühren! Allein die Fahrt würde uns rund 250 Euro kosten. Also müssen die Kinder hier in Athen bleiben."
Meine Freundin ist da keine Ausnahme. Einer Studie des griechischen Verbraucherinstituts In-Ka zufolge können sich sieben von zehn Griechen dieses Jahr keinen Urlaub leisten und bleiben zuhause. Soula verwundert das wenig:
"Wie sollte das auch anders sein? Die Leute haben kein Geld! Jetzt im Sommer flattern die Steuerbescheide ins Haus. Jeder weiß: Wenn ich aus dem Urlaub zurück bin, muss ich viel Geld bezahlen! Also bleibt man lieber hier!"
Zurück in meiner Wohnung. Tatjana, die Nachbarin, schaut vorbei. Auch sie hat Angst vor dem Steuerbescheid, mit dem sie täglich rechnet. Tatjana kommt ursprünglich aus Moldawien, lebt aber seit zehn Jahren hier in Griechenland und arbeitet als Putzfrau. Sie sieht geschafft aus. Ich mache ihr einen griechischen Eiskaffee, einen Frappé. Sie zieht am Strohhalm, schüttet ihr Herz aus:
"Es ist so schwer, ich arbeite nur noch, um meine Rechnungen und Steuern zu bezahlen. Viele meiner Landsleute sind schon weg, es gibt aber andere, die können nicht zurück: Ihre Kinder sind hier geboren, gehen hier zur Schule, sie haben hier eine Wohnung gekauft. Die haben keine Alternative."
Tatjana selbst hat keine Kinder. Sie will ihr Glück weiterhin hier in Athen versuchen. Optimistisch ist sie aber nicht:
"Auch im Bus gibt es nur noch ein Thema: Alle reden über neue Einschnitte, neue Kürzungen, neue Steuern. Wenn es so weiter geht, befürchte ich, dass wir aus der Eurozone raus müssen. Dann muss Griechenland wieder bei null anfangen. Es wird bestimmt 20, 30, vielleicht 50 Jahre dauern, bis es wieder aufwärts geht!"
Tatjana hat genaue Vorstellungen davon, wie das Leben dann sein wird. Wie nach der Perestroika, sagt sie:
"In meiner Heimat haben wir diese Schwierigkeiten schon einmal durchgemacht, wir haben in einer Nacht unser ganzes Geld verloren, mussten Brot mit Essensmarken bezahlen. Die Griechen aber sind verwöhnt! Sie hatten immer alles, wollten ein bequemes Leben. Da müssen sie langsam umdenken!"
Recht hat sie, denke ich! Die Hochzeit meiner Freundin Maria jedenfalls war so oder so schön.
Link zur fünfteiligen Serie über Leben und Arbeit in der "zweiten Heimat"::
Nahaufnahme - Reporteralltag in der Eurokrise
Schuldenkrise, Eurokrise, Finanzkrise - Schlagworte, die die Nachrichten beherrschen. In "Europa heute" berichten Reporter und Reporterinnen darüber, wie "die Krise" Einzug in ihren Alltag gehalten, was sich dadurch verändert hat.
Maria: "Für uns war das sehr wichtig, auch aus finanziellen Gründen. Man braucht keine pompöse Trauung mit Hochzeitskutsche. Das, was zählt, ist doch dass sich zwei Menschen gefunden haben und ihr Leben teilen wollen."
So wie Maria und Jannis denken immer mehr junge Pärchen: Sie lassen den überflüssigen Schnickschnack beiseite, vergleichen Angebote und laden nicht mehr wie früher 300 oder 400 Gäste ein, sondern nur noch die engsten Verwandten und Freunde. Maria konnte dabei viel Geld sparen. Sie hatte aber auch keine andere Wahl, denn als Rechtsanwältin verdient sie nur 600 Euro im Monat:
"Wir haben für unsere Hochzeitsfeier zum Beispiel eine einfache Taverne gefunden, auf aufwendige Hochzeitsdeko haben wir verzichtet. Ganz ohne Feier wollten wir aber nicht heiraten, denn die Eltern wollen mitfeiern und auch andere Familienmitglieder einladen. So ist es nun mal in Griechenland!"
Doch das ändert sich langsam: Immer mehr junge Paare verzichten ganz auf eine Feier, sogar auf eine kirchliche Hochzeit. Sie heiraten nur noch standesamtlich - bislang etwas völlig Verpöntes, eine absolute Notlösung. Dieses Jahr aber gibt es vielerorts mehr standesamtliche als kirchliche Trauungen - zum ersten Mal seit Einführung der standesamtlichen Hochzeit vor genau 30 Jahren.
Einen Tag nach Marias Hochzeit gehe ich zu meiner Freundin Soula. Sie ist 38 Jahre alt, von Beruf Bauingenieurin. Soula wohnt bei mir um die Ecke. Ich helfe meinem zweijährigen Sohn auf sein Dreirad und es kann losgehen. Die Kinder meiner Freundin sind schon acht und zehn Jahre. Im Sommer bedeutet das vor allem eins: lange Schulferien, von Anfang Juni bis in den September hinein. Doch in diesem Jahr kann die Familie nicht verreisen. Durch die Krise ist der Bausektor zum Erliegen gekommen - Soula hat kaum Arbeit:
"Wir konnten nicht einmal ins Dorf fahren, um die Kinder bei der Oma zu lassen. Die Benzinpreise sind zu hoch und dann sind da noch die Mautgebühren! Allein die Fahrt würde uns rund 250 Euro kosten. Also müssen die Kinder hier in Athen bleiben."
Meine Freundin ist da keine Ausnahme. Einer Studie des griechischen Verbraucherinstituts In-Ka zufolge können sich sieben von zehn Griechen dieses Jahr keinen Urlaub leisten und bleiben zuhause. Soula verwundert das wenig:
"Wie sollte das auch anders sein? Die Leute haben kein Geld! Jetzt im Sommer flattern die Steuerbescheide ins Haus. Jeder weiß: Wenn ich aus dem Urlaub zurück bin, muss ich viel Geld bezahlen! Also bleibt man lieber hier!"
Zurück in meiner Wohnung. Tatjana, die Nachbarin, schaut vorbei. Auch sie hat Angst vor dem Steuerbescheid, mit dem sie täglich rechnet. Tatjana kommt ursprünglich aus Moldawien, lebt aber seit zehn Jahren hier in Griechenland und arbeitet als Putzfrau. Sie sieht geschafft aus. Ich mache ihr einen griechischen Eiskaffee, einen Frappé. Sie zieht am Strohhalm, schüttet ihr Herz aus:
"Es ist so schwer, ich arbeite nur noch, um meine Rechnungen und Steuern zu bezahlen. Viele meiner Landsleute sind schon weg, es gibt aber andere, die können nicht zurück: Ihre Kinder sind hier geboren, gehen hier zur Schule, sie haben hier eine Wohnung gekauft. Die haben keine Alternative."
Tatjana selbst hat keine Kinder. Sie will ihr Glück weiterhin hier in Athen versuchen. Optimistisch ist sie aber nicht:
"Auch im Bus gibt es nur noch ein Thema: Alle reden über neue Einschnitte, neue Kürzungen, neue Steuern. Wenn es so weiter geht, befürchte ich, dass wir aus der Eurozone raus müssen. Dann muss Griechenland wieder bei null anfangen. Es wird bestimmt 20, 30, vielleicht 50 Jahre dauern, bis es wieder aufwärts geht!"
Tatjana hat genaue Vorstellungen davon, wie das Leben dann sein wird. Wie nach der Perestroika, sagt sie:
"In meiner Heimat haben wir diese Schwierigkeiten schon einmal durchgemacht, wir haben in einer Nacht unser ganzes Geld verloren, mussten Brot mit Essensmarken bezahlen. Die Griechen aber sind verwöhnt! Sie hatten immer alles, wollten ein bequemes Leben. Da müssen sie langsam umdenken!"
Recht hat sie, denke ich! Die Hochzeit meiner Freundin Maria jedenfalls war so oder so schön.
Link zur fünfteiligen Serie über Leben und Arbeit in der "zweiten Heimat"::
Nahaufnahme - Reporteralltag in der Eurokrise
Schuldenkrise, Eurokrise, Finanzkrise - Schlagworte, die die Nachrichten beherrschen. In "Europa heute" berichten Reporter und Reporterinnen darüber, wie "die Krise" Einzug in ihren Alltag gehalten, was sich dadurch verändert hat.