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Zwei Realos als grünes Spitzen-Duo
"Die beiden werden durchaus auch linke Inhalte vertreten müssen"

Dass die Grünen mit zwei Realos in den Bundestagswahlkampf ziehen, sei keine Richtungsentscheidung gewesen, sagte der Parteienforscher Oskar Niedermayer im DLF. Das Spitzen-Duo müsse auch den linken Flügel repräsentieren, um die Partei "wenigstens einigermaßen zusammenzuhalten". Ihre eigene Flügelzugehörigkeit zu sehr zu betonen, wäre ein Fehler.

Oskar Niedermayer im Gespräch mit Martin Zagatta |
    Porträtaufnahme von Oskar Niedermayer im November 2015
    Bei einem personalisierten Wahlkampf, wie bei dem der CDU, sei es generell schwieriger mit zwei Kandidaten dagegen zu halten, sagte Politologe Oskar Niedermayer über das grüne Spitzen-Duo Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir. (dpa / Julian Stratenschulte)
    Martin Zagatta: Nach ihrer Urwahl haben die Grünen heute ihr Spitzenkandidaten-Duo benannt für die Bundestagswahl. Neben der Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt darf Parteichef Cem Özdemir die Seinen in den Wahlkampf führen. Er hat sich durchgesetzt gegen Robert Habeck und Anton Hofreiter. In Berlin sind wir jetzt mit dem Parteienforscher Oskar Niedermayer verbunden. Guten Tag, Herr Niedermayer!
    Oskar Niedermayer: Ja, guten Tag.
    Zagatta: Herr Niedermayer, wir haben es jetzt gehört. Die Grünen ziehen im Prinzip mit zwei Realos an der Spitze in diesen Wahlkampf, mit Katrin Göring-Eckardt und mit Parteichef Cem Özdemir. Ist das für Sie eine Richtungsentscheidung?
    Niedermayer: Nein, das ist keine Richtungsentscheidung, weil die beiden jetzt im Führungsduo natürlich die Gesamtheit der Partei repräsentieren müssen. Sie sind beide dem Realo-Flügel angehörig, aber sie dürfen auf keinen Fall den Fehler machen, dass sie jetzt allzu sehr ihre eigene Flügelzugehörigkeit betonen, denn der linke Flügel will repräsentiert sein. Er wird das jetzt natürlich, wo das über das Personal gescheitert ist, über die Inhalte versuchen. Das heißt, die beiden werden durchaus auch linke Inhalte vertreten müssen, damit sie die Partei wenigstens einigermaßen zusammenhalten können.
    "Cem Özdemir muss jetzt die Parteilinie durchaus auch vertreten"
    Zagatta: Aber wie passt das überhaupt zusammen? Die Grünen haben sich ja beim letzten Parteitag ein relativ "linkes" Programm gegeben. Sie haben sich bei der Einführung der Vermögenssteuer durchgesetzt, dass man das mit aufnimmt für die Bundestagswahl. Jetzt sind da zwei Persönlichkeiten an der Spitze, die als Realos gelten. Wie passt das zusammen?
    Niedermayer: Na ja. Das mit dem Linksruck auf dem Parteitag muss man sehr stark infrage stellen, wenn man sich anschaut, wie die Positionen der Grünen vor der letzten Bundestagswahl waren im Steuer- und Abgabenbereich. Da waren die Positionen deutlich linker noch als jetzt der Beschluss des letzten Parteitages. Man könnte fast sagen, es war eher fast ein bisschen ein Rechtsruck, weil die Beschlüsse damals vor der Bundestagswahl wurden ja nie aufgehoben und sind erst jetzt in neue Beschlüsse umgewandelt worden.
    Dennoch ist es klar, Herr Özdemir selber hat gegen einiges gekämpft auf dem Parteitag, gerade Vermögenssteuer zusammen auch mit dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten. Er hat da verloren, aber er muss jetzt die Parteilinie durchaus auch vertreten.
    "Die Grünen werden sich jetzt wieder auf ihre Urthemen konzentrieren"
    Zagatta: Wenn Sie sagen, im Prinzip ein Rechtsruck, in Umfragen sind die Grünen jetzt gerade nach neuesten Umfragen abgesackt auf 8,5 Prozent nur noch, offenbar auch eine Folge der Sicherheitsdebatte. Was heißt das denn jetzt? Kommt da Özdemir noch am glaubhaftesten herüber in dieser Sicherheitsdebatte und was wird das jetzt mit den Grünen machen?
    Niedermayer: In der Sicherheitsdebatte haben sie ja jetzt Beschlüsse gefasst, die versuchen sollen, da wenigstens die Grünen zu positionieren. Sie wissen aber auch, dass mit Sicherheit, mit dieser Thematik für die Grünen nicht viel zu gewinnen ist. Das ist auch klar, denn die Kompetenzzuweisungen, die liegen in dem Bereich bei ganz anderen Parteien.
    Zagatta: Aber das könnte ja den Bundestagswahlkampf maßgeblich bestimmen.
    Niedermayer: Ja, eben! Deswegen haben sie da jetzt kein Thema, mit dem sie sehr stark reüssieren können. Sie müssen versuchen, mit ihren eigenen Themen halbwegs wenigstens durchzukommen. Sie sind immer noch die Umweltpartei, das müssen sie auch darstellen. Sie müssen auf ihren Markenkern sehr stark abzielen. Das haben sie bei der letzten Bundestagswahl nicht gemacht. Da wollten sie sich ja in Konkurrenz mit der Linkspartei und der SPD als Partei der sozialen Gerechtigkeit profilieren. Das ist eindeutig schiefgegangen.
    Also denke ich, dass sie sich jetzt auch wieder auf ihre Urthemen konzentrieren werden. Das ist jetzt die Energiewende und alles, was mit Umwelt zu tun hat. Aber sie müssen sich natürlich auch in den anderen Dingen profilieren und positionieren. Das ist die Sicherheitspolitik, das ist natürlich auch die Flüchtlings- und Asylpolitik. Aber da, denke ich, haben sie kein Problem, ihre Klientel mit diesem Thema bei der Stange zu halten und auch zu mobilisieren.
    "Die Grünen-Wählerschaft ist durchaus gespalten"
    Zagatta: Stand heute ist ja, Herr Niedermayer, dass die Grünen offenlassen wollen, ob sie sich nach der Wahl für ein Linksbündnis möglicherweise entscheiden wollen, oder doch mit der Union zusammengehen. Kann man das machen? Ist das nicht eine höchst gefährliche Strategie, wenn dann bestimmte Wählergruppen sagen, ich weiß gar nicht, in welche Richtung die Grünen gehen, ich will aber auf alle Fälle entweder die CDU oder ein Linksbündnis, dann entscheide ich mich doch gleich für das Original und wähle auf keinen Fall die Grünen, die dann vielleicht das Gegenteil von dem machen, was ich will?
    Niedermayer: Na ja. Im Prinzip ist es durchaus eine gefährliche Strategie. Aber es machen ja die anderen Parteien jetzt genauso, und zwar schlicht und einfach aus dem Grund, dass man nicht weiß, wie das Ergebnis der Wahl aussehen wird und mit wem man dann möglicherweise gar nicht mehr koalieren kann, auch wenn man es will, oder mit wem man gezwungen wird zu koalieren, auch wenn man es nicht will.
    Zudem ist es so, dass die Grünen-Wählerschaft da ja durchaus gespalten ist. Die Mehrheit neigt eher wohl Schwarz-Grün zu, aber die Frage ist, ob das überhaupt rein rechnerisch möglich ist. Aufgrund ihrer Anhängerschaft muss man da auch vorsichtig sein und der Ausweg ist dann immer, man sagt, man setzt voll auf die eigenen Inhalte und schaut nach der Wahl, mit wem man diese eigenen Inhalte am besten verwirklichen kann.
    Zagatta: Was ist denn mit den eigenen Inhalten, wenn man sich jetzt bei dieser Wahl das Thema Frauenförderung anschaut? Das war ja bei den Grünen auch mit ein beherrschendes Thema. Jetzt haben sie nur eine Kandidatin und veranstalten mit der quasi so etwas wie eine Einheitswahl in der DDR, wie das früher üblich war. Wie kommt das denn an bei den Wählern, oder warum ist das überhaupt so, dass die Grünen in dieser Position sind?
    Niedermayer: Na ja. Sie haben zwei Kandidaten. Die anderen Parteien haben einen oder eine. Und die Votierung ist bei den Grünen ja schon seit Jahrzehnten so, dass man mit einem Spitzenduo auftritt. Zuweilen sah es dann nach einem Spitzenquartett aus, aber das Duo ist eigentlich das, was das Markenzeichen der Grünen ist, und das ist eine Frau und ein Mann. Insofern denke ich, dass sie in dieser Flanke keine Probleme haben.
    Niedermayer: Inoffizieller Spitzenkandidat wäre eher Özdemir
    Zagatta: Wie ist das mit der Doppelspitze? Da gibt es ja in der eigenen Partei bei den Grünen durchaus Kritik, dass das nicht alle gut finden. Hat das irgendwelche Auswirkungen auf den Wahlkampf, weil das machen die anderen Parteien ja nicht so ausgeprägt?
    Niedermayer: Nein, die großen schon gar nicht. Die FDP auch nicht. Bei der Linkspartei ist es immer so, dass man mehrere Kandidaten an der Spitze hat, ja jetzt auch wieder zwei. Bei den Grünen ist die Doppelspitze schon so etabliert, dass die Wählerinnen und Wähler da gar nichts anderes erwarten. Es ist generell schwieriger natürlich, wenn der Wahlkampf sehr personalisiert abläuft, und der CDU-Wahlkampf wird personalisiert ablaufen, dann da gegenzuhalten mit zwei Kandidaten. Deswegen ist es oft so, dass sich dann einer oder eine herauskristallisiert als sozusagen der inoffizielle Spitzenkandidat. Das ist zu vermuten, dass das bei den Grünen diesmal in der Außenwirkung möglicherweise eher Özdemir als Frau Göring-Eckardt ist.
    Zagatta: … sagt der Berliner Parteienforscher Oskar Niedermayer. Ich danke für das Gespräch, Herr Niedermayer.
    Niedermayer: Bitte schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.