Es müsse einen verborgenen Sinn des Lebens geben, war Romano Guardini überzeugt, einen Sinn, der früher vielleicht offenbar war, sich aber heute nicht mehr entschlüssele. Heute sähen wir nur noch seine Spuren, wenn wir uns mit vergangenen Zeiten auseinandersetzten. Diesen Spuren ging Guardini zeit seines Lebens nach - ein Archäologe, der, wie er 1952 in seiner Dankesrede zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erklärte, dem Sinn des Daseins mithilfe der Sprachgeschichte nachspürte.
"Alle echten, aus langer Geschichte heraufgewachsenen Worte wurzeln in den Gründen des Seins. Diese Wurzeln sterben aber im Fortgang der neueren Zeit ab. Die Worte verlieren ihre Dimension nach innen, ich möchte sagen, ihre Frömmigkeit. Schlagen Sie in einem guten Wörterbuch nach. Da kann es einem ganz schwer zumute werden, wenn man sieht, wie flach ein Wort geworden ist, in dem vorher die Tiefe redete."
Der Befund passt in eine Zeit, die nach dem Sündenfall des Nationalsozialismus nach neuer Orientierung suchte. Guardini, am 17. Februar 1885 in Verona geboren, ein Jahr später wegen der Geschäfte seines Vaters nach Mainz gezogen, war Zeuge dieses Sündenfalls. Mehr noch, er war auch von ihm betroffen, als die Nazis ihn, den seit 1923 an der damaligen Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität lehrenden Professor für Religionsphilosophie und Christliche Weltanschauung, zur Emeritierung zwangen. Die Nationalsozialisten, erklärte Guardini, hatten auf schlimme Weise gezeigt, was aus einer Gesellschaft werden kann, der jegliche Transzendenz abhandenkommt.
"Den schärfsten Ausdruck dieser Situation findet jene radikale Abwesenheit von Gewissen, wie sie sich in vielen politischen Ereignissen der letzten Jahrzehnte gezeigt hat. Das sind Symptome, meine Damen und Herren – nicht bloß Verbrechen!"
Bevor Guardini sich der Theologie zuwandte, hatte er einige Semester Chemie und Volkswirtschaft studiert. Seit 1920 arbeitete er als Priester und Jugendseelsorger auf der bei Mainz gelegenen Burg Rothenfels, dem Zentrum der sogenannten Quickborn-Bewegung, die sich für eine undogmatische Auseinandersetzung mit dem Glauben einsetzte. Zugleich bekräftigte er aber den Sinn bewährter Traditionen. So etwa in seiner 1918 erschienenen Schrift "Vom Geist der Liturgie":
"In der Liturgie wird dem Menschen Gelegenheit geboten, dass er, von der Gnade getragen, seinen eigensten Wesenssinn verwirkliche, dass er ganz so sei, wie er seiner göttlichen Bestimmung gemäß sein sollte und möchte: ein 'Kind Gottes'. Das ist etwas ganz Übernatürliches, gewiss, aber eben deshalb zugleich der innersten Natur entsprechend."
Doch dieses Vertrauen bröckelte. Insgeheim, berichtet seine ehemalige Kollegin und Biografin Hannah Barbara Gerl, begann Guardini an seinem Glauben zu zweifeln – und zwar radikal.
"Buber hat einmal von der Gottesfinsternis gesprochen. Soweit geht Guardini nicht. Aber Guardini hat ganz nachhaltig, lange als alter Mann die Erfahrung gemacht, dass Gott ihm nicht greifbar ist, dass er ihn wohl im Gebet ansprechen kann, aber dass Gott da auch keine Antwort gibt. Dass alles das, was er wusste, ihn in bestimmten Dingen nicht mehr getragen hat."
Guardini war ein moderner Theologe gerade darum, weil er zweifelte. So betonte er immer wieder, dass es viele Möglichkeiten gebe, das Christentum angemessen zu leben. Dass der Mensch aber einen Auftrag hat, daran ließ er in seinem Vortrag "Das Risiko der Kultur" von 1957 keinen Zweifel:
"Sehen Sie, der Sinn einer Kulturepoche liegt letztlich nicht darin, ob in ihr der Mensch zu immer höherer Wohlfahrt und Naturbeherrschung gelangt. Sondern dass er in ihr die geschichtlich geforderte Gestalt des Daseins hervorbringe."
Der Mensch kann sich Gott nähern, erklärte Guardini in seiner 1942 erschienenen Schrift "Vorschule des Betens". Er könne sich etwa vor aller Rohheit hüten und die menschliche Würde achten. Doch auf einen göttlichen Heilsplan, so der 1968 verstorbene Theologe später, könne der Mensch nicht vertrauen:
"Und so bleibt die Frage, ob dieses Ganze sich auf das Bessere oder Schlimmere zubewege, durchaus ohne Antwort."
"Alle echten, aus langer Geschichte heraufgewachsenen Worte wurzeln in den Gründen des Seins. Diese Wurzeln sterben aber im Fortgang der neueren Zeit ab. Die Worte verlieren ihre Dimension nach innen, ich möchte sagen, ihre Frömmigkeit. Schlagen Sie in einem guten Wörterbuch nach. Da kann es einem ganz schwer zumute werden, wenn man sieht, wie flach ein Wort geworden ist, in dem vorher die Tiefe redete."
Der Befund passt in eine Zeit, die nach dem Sündenfall des Nationalsozialismus nach neuer Orientierung suchte. Guardini, am 17. Februar 1885 in Verona geboren, ein Jahr später wegen der Geschäfte seines Vaters nach Mainz gezogen, war Zeuge dieses Sündenfalls. Mehr noch, er war auch von ihm betroffen, als die Nazis ihn, den seit 1923 an der damaligen Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität lehrenden Professor für Religionsphilosophie und Christliche Weltanschauung, zur Emeritierung zwangen. Die Nationalsozialisten, erklärte Guardini, hatten auf schlimme Weise gezeigt, was aus einer Gesellschaft werden kann, der jegliche Transzendenz abhandenkommt.
"Den schärfsten Ausdruck dieser Situation findet jene radikale Abwesenheit von Gewissen, wie sie sich in vielen politischen Ereignissen der letzten Jahrzehnte gezeigt hat. Das sind Symptome, meine Damen und Herren – nicht bloß Verbrechen!"
Bevor Guardini sich der Theologie zuwandte, hatte er einige Semester Chemie und Volkswirtschaft studiert. Seit 1920 arbeitete er als Priester und Jugendseelsorger auf der bei Mainz gelegenen Burg Rothenfels, dem Zentrum der sogenannten Quickborn-Bewegung, die sich für eine undogmatische Auseinandersetzung mit dem Glauben einsetzte. Zugleich bekräftigte er aber den Sinn bewährter Traditionen. So etwa in seiner 1918 erschienenen Schrift "Vom Geist der Liturgie":
"In der Liturgie wird dem Menschen Gelegenheit geboten, dass er, von der Gnade getragen, seinen eigensten Wesenssinn verwirkliche, dass er ganz so sei, wie er seiner göttlichen Bestimmung gemäß sein sollte und möchte: ein 'Kind Gottes'. Das ist etwas ganz Übernatürliches, gewiss, aber eben deshalb zugleich der innersten Natur entsprechend."
Doch dieses Vertrauen bröckelte. Insgeheim, berichtet seine ehemalige Kollegin und Biografin Hannah Barbara Gerl, begann Guardini an seinem Glauben zu zweifeln – und zwar radikal.
"Buber hat einmal von der Gottesfinsternis gesprochen. Soweit geht Guardini nicht. Aber Guardini hat ganz nachhaltig, lange als alter Mann die Erfahrung gemacht, dass Gott ihm nicht greifbar ist, dass er ihn wohl im Gebet ansprechen kann, aber dass Gott da auch keine Antwort gibt. Dass alles das, was er wusste, ihn in bestimmten Dingen nicht mehr getragen hat."
Guardini war ein moderner Theologe gerade darum, weil er zweifelte. So betonte er immer wieder, dass es viele Möglichkeiten gebe, das Christentum angemessen zu leben. Dass der Mensch aber einen Auftrag hat, daran ließ er in seinem Vortrag "Das Risiko der Kultur" von 1957 keinen Zweifel:
"Sehen Sie, der Sinn einer Kulturepoche liegt letztlich nicht darin, ob in ihr der Mensch zu immer höherer Wohlfahrt und Naturbeherrschung gelangt. Sondern dass er in ihr die geschichtlich geforderte Gestalt des Daseins hervorbringe."
Der Mensch kann sich Gott nähern, erklärte Guardini in seiner 1942 erschienenen Schrift "Vorschule des Betens". Er könne sich etwa vor aller Rohheit hüten und die menschliche Würde achten. Doch auf einen göttlichen Heilsplan, so der 1968 verstorbene Theologe später, könne der Mensch nicht vertrauen:
"Und so bleibt die Frage, ob dieses Ganze sich auf das Bessere oder Schlimmere zubewege, durchaus ohne Antwort."