Um 4:45 Uhr haben heute Morgen die Feierlichkeiten in Danzig begonnen, genauer: auf der Ostsee-Halbinsel Westerplatte. 75 Jahre zuvor hatte das deutsche Kriegsschiff "Schleswig-Holstein" mit dem Beschuss der polnischen Stellungen dort begonnen. Dies gilt als Anfang des Zweiten Weltkrieges, obwohl die deutsche Luftwaffe schon wenige Minuten zuvor die Stadt Wielun im Bezirk Lodsch angegriffen hatte. Die Schleswig-Holstein wurde damals eigentlich nur noch als Schulschiff benutzt und war angeblich zu einem Besuch in den Hafen gekommen. Unter Deck hatte sich jedoch eine Marinestoßtruppkompanie versteckt.
Die polnische Armee verteidigte die Westerplatte unerwartet hartnäckig und konnte die Halbinsel sieben Tage lang halten. Dies gelang ihr, obwohl Deutschland vom 2. September an auch Jagdbomber einsetzte.
Heute Morgen steht eine Rede des Danziger Bürgermeister Pawel Adamowicz auf dem Programm. Er wird am Denkmal auf der Halbinsel einen Kranz niederlegen. Um 12 Uhr wird in der Danziger Innenstadt ein Gottesdienst stattfinden - unmittelbar vor dem Denkmal der Verteidiger der Polnischen Post. Die Wehrmacht hatte das Postgebäude gleichzeitig mit der Westerplatte angegriffen, dort dauerten die Kämpfe bis zum Abend des 1. September. Danzig war nach dem Ersten Weltkrieg zu einem Freistaat unter Aufsicht des Völkerbunds geworden. Polen hatte neben der Post und dem Militärstützpunkt auf der Westerplatte außerdem die Verwaltung über den Hafen und die Eisenbahn.
"Zeigen, wie weit wir in Europa sind"
Höhepunkt der Feierlichkeiten wird der gemeinsame Besuch der Präsidenten von Polen und Deutschland auf der Westerplatte sein. Bronislaw Komorowski und Joachim Gauck werden ab 17.10 Uhr jeweils eine Ansprache halten.
Polnische Beobachter blicken gelassen auf den Auftritt der Präsidenten. Er stehe im Zeichen der Versöhnung, sagt Waldemar Czachur, Deutschland-Experte der Universität Warschau.
"Was seit 50er, 60er Jahren für Polen wichtig war, für die polnische Erinnerungskultur, das zu betonen, dass Polen das erste Opfer des Zweiten Weltkriegs war. Mittlerweile haben diejenigen, die für die polnische Erinnerungskultur zuständig sind, wahrgenommen, dass das zu wenig wird. Und ich habe den Eindruck, dass heute der Jahrestag des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs dafür genutzt wird, um zu zeigen, wie weit wir in Europa sind. Das ist eher Ansporn zur Reflexion, was Europa bedeutet, was deutsch-polnische Versöhnung bedeutet und was Normalisierung in der Nachbarschaft bedeutet."
Deutlich wurde dies schon vor fünf Jahren, beim 70. Jahrestag, an dem auch die Regierungschefs von Russland, Frankreich und Großbritannien teilnahmen. Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte damals, kein Land habe so lange unter der deutschen Besatzung gelitten wie Polen, den Menschen des deutschen Nachbarlandes sei dabei unsägliches Leid zugefügt worden.
Solche Worte machten die Versöhnung möglich, so Czachur.
"Mittlerweile haben wir, also die Deutschen und die Polen, eine gemeinsame Sprache gefunden, mit der wir über den Zweiten Weltkrieg sprechen. Noch vor 20 Jahren, noch vor 15 Jahren war das nicht möglich. Polen spielte in der deutschen Erinnerungskultur, die sich auf den Zweiten Weltkrieg bezieht, keine dominante Rolle. Das war der Holocaust und Russland-Sowjetunion. Aber Polen hat sich reduziert auf das Datum 1. September, den Überfall Polens."
Dass dies nicht mehr so ist, zeigte die im Juli in Berlin eröffnete Ausstellung zum Warschauer Aufstand von 1944.
Sorge um die Ukraine
Den Jahrestag des Kriegsbeginns begehen heute auch viele andere polnische Städte. Überall im Land finden Gottesdienste und Kranzniederlegungen statt.
20 polnische Intellektuelle ziehen indes in einem offenen Brief, der heute veröffentlicht wird, eine Parallele zwischen der Situation 1939 in Polen und derzeit in der Ukraine. Sie erinnerten daran, dass die Westmächte nach dem 1. September Deutschland zwar den Krieg erklärten, zunächst aber nicht eingriffen. Ähnlich sei die derzeitige Lage in der Ukraine: Russland habe mit der Krim einen Teil des kleineren Nachbarstaates annektiert und unterstütze bewaffnete Banden in der Ostukraine. Darüber dürfe Europa nicht zur Tagesordnung übergehen, so die Unterzeichner, unter ihnen der Regisseur Andrzej Wajda und die Schriftstellerin Olga Tokarczuk.