Rückschlag für Curevac: Der Corona-Impfstoffkandidat CVnCoV des Tübinger Biopharmaunternehmens hat bei einer zweiten Zwischenanalyse die statistischen Ziele verfehlt. Das teilte das Tübinger Unternehmen in der Nacht auf den 17. Juni in einer Pflichtmitteilung mit. Erste Analysen hätten gezeigt, dass die Wirksamkeit von der untersuchten Altersgruppe und den Virusstämmen abhänge. Die Studie werde aber bis zur endgültigen Analyse fortgesetzt. Die Wirksamkeit des Impfstoffs liegt laut der Zwischenanalyse lediglich bei 47 Prozent, das ist deutlich weniger als bei den anderen mRNA-Impfstoffen von Biontech/Pfizer und Moderna und auch weniger als beim Vakzin von Astrazeneca. Sicherheitsbedenken wurden allerdings nicht festgestellt.
Curevac galt schon als Hoffnungsträger für die Corona-Impfstoffe, als die Firma Biontech nur Insidern bekannt war. Die Bundesregierung investierte 300 Millionen Euro. Ein Jahr später gibt es in Europa vier zugelassene Impfstoffe, Curevac ist bisher nicht darunter. Bislang lag das an kleineren Problemen, die sich gegenseitig verstärkten, und an einer Verzögerung der Zulassungsstudie. Dazu kommt jetzt die Nachricht von der geringen Wirksamkeit in der Zwischenauswertung, die allgemein als Enttäuschung bewertet wird. Experten hatten eine gute Wirksamkeit erwartet. Der Börsenkurs von Curevac rutschte kurz danach erheblich ab.
Curevac-Chef Franz Werner Haas betonte, dass der Impfstoff gegen völlig andere Viren-Varianten antreten musste. Er hatte deswegen schon früher versucht, zu hohe Erwartungen zu dämpfen und von einer möglichen Wirksamkeit von 70 Prozent gesprochen. Da rächt es sich, dass Curevac sich länger Zeit gelassen hat. Bei den Studien von Biontech oder Astrazeneca war die Situation noch eine andere.
Gleichwohl sind die neuen Varianten nun ein Problem für alle Impfstoffe. Nach Angaben von "Public Health England" sind die Vakzine von Biontech/Pfizer und Astrazeneca zwar zu mehr als 90 Prozent wirksam auch gegen die Delta-Variante des Coronavirus. Diese Daten beziehen sich allerdings auf das Verhindern von Krankenhausaufenthalten. Die Curevac-Zulassungsstudie guckt auf alle Infektionen - auch solche, die kaum Symptome auslösen. Es könnte also durchaus so sein, dass auch das Curevac-Vakzin schwere Verläufe verhindert. Da bislang nur eine Zwischenauswertung vorliegt, ist das noch nicht bekannt.
Hinzu kommen noch zwei andere Faktoren: Alle Hersteller von mRNA-Corona-Impfstoffen setzten auf Lipidnanopartikel, die mRNA für das Spike-Protein enthalten. Moderna enthält 100 Mikrogramm RNA, bei Biontech/Pfizer sind es 30, bei Curevac nur 12. Es könnte sein, dass diese geringe Dosis nicht ausreicht, um eine starke Immunantwort auszulösen.
Zweitens unterscheidet sich die RNA auch chemisch. Einen der vier genetischen Buchstaben, Uridin, gibt es auch in einer Variante namens Pseudouridin. Curevac verwendet Uridin, für die menschlichen Zellen ist das der Normalfall. Biontech/Pfizer und Moderna setzen auf Pseudouridin, das gibt es unter anderem in Viren. Das könnte das unspezifische Abwehrsystem aktivieren und der Impfung so einen zusätzlichen Impuls verleihen. mRNA-Impfstoff ist ein Oberbegriff, unter dem sich verschiedene Ansätze verbergen. Curevac hat sich möglicherweise nicht den optimalen ausgesucht.
Der Curevac-Impfstoff wird gerade in einer großen Phase-3-Studie auf seine Wirksamkeit geprüft. Die läuft seit Dezember in Lateinamerika und in Europa. Eigentlich waren schon viel früher Ergebnisse erwartet worden, die Firma selbst hat immer wieder die Daten und dann auch einen Zulassungsantrag angekündigt, aber das musste immer wieder verschoben werden.
Zuvor gab es Ende Mai Neuigkeiten. Nicht von Curevac selbst, Unternehmen kennen generell nicht die täglichen Daten von laufenden Studien, sondern vom Data Safety Monitoring Board. Dieses Gremium bekommt laufend alle Informationen, vor allem um zu schauen, ob es Hinweise auf gefährliche Nebenwirkungen gibt. Das ist aktuell nicht der Fall, der Impfstoff wird gut vertragen.
Beide Unternehmen haben an RNA-Impfstoffen für Krebspatienten gearbeitet und schnell erkannt, dass ihre Technologie sich potenziell auch bei Corona anwenden lässt. Der wichtigste Unterschied ist wohl, dass Biontech wirklich alles auf diese Karte gesetzt hat, alles andere gestoppt hat und dann sehr pragmatisch vorgegangen ist. Curevac hatte dagegen den Anspruch, nicht einen Impfstoff, sondern den besten Impfstoff zu produzieren. In mancher Hinsicht ist das auch gelungen. Dieser Impfstoff kann über Monate im Kühlschrank gelagert werden, das ist ein entscheidender Vorteil. Er sollte zudem mit deutlich weniger RNA auskommen - was sich jetzt möglicherweise als nicht ausreichend herausstellt. Während Curevac am Impfstoff gefeilt hat, entschied sich Biontech für einen Kandidaten und begann mit der klinischen Studie.
Dazu kamen noch weitere Faktoren: Unter anderem holte Biontech sich mit Pfizer früh einen Partner, der Erfahrung mit großen Studien hatte, während Curevac erst einmal alles selber machen wollte. Erst seit diesem Jahr sind Bayer und Novartis mit im Boot. Biontech ist auch voll ins Risiko gegangen und hat sehr früh - gewissermaßen auf Verdacht - große Mengen an Ausgangsmaterialien eingekauft. Das alles führte dazu, dass Curevac die entscheidende Phase-3-Studie erst im Dezember starten konnte, zu einem Zeitpunkt, als Biontech damit längst fertig und dessen Impfstoff in Großbritannien schon zugelassen war.
Biontech, Moderna und Astrazeneca hatten ihre Daten nach jeweils etwa drei Monaten zusammen, die Studie von Curevac läuft jetzt etwa ein halbes Jahr und ist noch nicht fertig. Damit eine Studie aussagekräftig wird, braucht es zum einen viele Teilnehmer und zum anderen muss es auch zu einer Mindestzahl von Ansteckungen kommen. Nur dann sieht man, ob der Impfstoff die Infektion tatsächlich verhindert.
Bis Mai waren in der Studie 59 Corona-Fälle aufgetreten. Für eine solide Aussage zur Wirksamkeit müssten die Forscher aber mindestens 160 Infektionen registrieren und dann prüfen: Waren die Geimpften deutlich weniger betroffen als die Placebogruppe? Das heißt, es müssen noch viele Daten hinzukommen.
Vergangenes Jahr war es kein Problem, genügend Probanden zu finden, denn damals gab es noch keine Alternativen. Viele waren bereit, an einer Studie teilzunehmen, auch wenn sie vielleicht nicht den Impfstoff, sondern nur ein Placebo bekommen würden. In Europa, aber auch in einigen Ländern Lateinamerikas gibt es inzwischen aber zugelassene Impfstoffe, die gut wirken. In dieser Situation ist die Teilnahme an einer Studie für viele Menschen nicht mehr so attraktiv. Außerdem sinken in vielen Ländern gerade die Inzidenzen, das macht es schwerer, ausreichend Ansteckungen zu dokumentieren.
Die Verzögerungen am Anfang bei Curevac haben sich offenbar gegenseitig verstärkt, so dass die Phase-3-Studie nicht so schnell gestartet werden konnte und deshalb auch nicht so schnell Ergebnisse liefert.
In jedem Fall. Die EU hat bis zu 405 Millionen Dosen bei Curevac bestellt. Die werden entweder in den normalen Impfprogrammen eingesetzt, könnten aber auch für eine dritte Impfdosis zur Auffrischung genutzt werden, wenn diese nötig werden sollte. Dazu läuft bereits eine Studie in Panama und Peru, eine weitere wird in Großbritannien demnächst beginnen. Es gibt global einen riesigen Bedarf, da ist jeder Impfstoff willkommen und wird benötigt. Nicht nur der von Curevac, auch der von Novavax und den anderen Kandidaten, die gerade in Phase-3-Studien sind.
Das Curevac-Vakzin bietet sogar durchaus Vorteile für eine globale Impfkampagne, weil es sich lange im Kühlschrank lagern lässt. Vielleicht lässt sich der Impfstoff sogar vor Ort in vielen Ländern herstellen, dafür forscht Curevac an kleinen Bioreaktoren. Ob und welche Rolle Curevac spielen wird, in Deutschland und global, hängt nun aber von den Endergebissen der Phase-3-Studien ab.
Erst einmal wird das Unternehmen die Studie abschließen. Vielleicht zeigt sich noch eine höhere Wirksamkeit zum Beispiel gegen schwere Verläufe. Vor allem aber setzt Curevac auf einen Impfstoff der zweiten Generation. Der hat eine chemisch veränderte RNA. Damit bilden Affen zehnmal so viele Antikörper wie bei dem ersten Curevac-Impfstoff. Dass dafür die niedrige Dosis von zwölf Mikrogramm RNA pro Dosis ausreicht, könnte zum Vorteil werden, denn es erlaubt, verschiedene RNAs zu kombinieren, maßgeschneidert für verschiedene Varianten. Klinische Studien sollen im Herbst beginnen, eine Zulassung wäre aber frühestens nächstes Jahr möglich.