Ralf Krauter: Viereinhalb Stunden, so lange brauchen die Funksignale der Raumsonde New Horizons bis zur Erde. Und diese Zeitverzögerung ist einer der Gründe dafür, dass die Bilder und Messwerte, die die Sonde aufgenommen hat, als sie vor knapp zwei Wochen am Pluto vorbeigerauscht ist, erst so nach und nach bei uns eintrudeln. Am Wochenende zum Beispiel, da veröffentlichte die NASA ein neues Foto, das Pluto im Gegenlicht mit einer Art Heiligenschein zeigt. "Mir stand der Mund offen, als ich dieses Foto gesehen habe", sagte Missionsleiter Alan Stern bei der Präsentation. Dr. Hermann Böhnhardt forscht am Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Göttingen. Er ist nicht direkt an der Mission beteiligt, und ich habe ihn vorhin gefragt, ob es ihm ähnlich ging, als er das neue Bild gesehen hat.
Hermann Böhnhardt: Der Mund stand mir nicht offen, aber ich hatte vorher den Text gelesen und dann das Foto angeguckt, also das Foto ist bei mir quasi erst mal im Vorübergehen wahrgenommen worden. Die Messung selber ist natürlich sehr, sehr schön. Das ist etwas, was man bei dreckigen Fensterscheiben nutzt: Im Gegenlicht sieht man den Staub gut, und die festen Teile, die darauf abgelagert sind, das hat New Horizons auch gemacht. Das Neue ist eben, dass in der Atmosphäre Nebelteilchen existieren - dass eine Atmosphäre da ist, war schon vorher bekannt -, diese nebulösen Einlagerungen da drin sind das Neue daran, und das ist sicherlich auskristallisierter Dampf von Methan oder CO-Eis. Das ist jetzt eine Vermutung von mir, so ist es vielleicht noch nicht beschrieben.
Krauter: Wie genau dieser Nebel entsteht, ist noch nicht so ganz klar, da gibt es verschiedene Hypothesen, trotzdem noch mal die Frage: Was macht generell diesen Befund, dass es da Nebel gibt, Partikel in der Atmosphäre, so spannend?
Böhnhardt: Na ja, das sind halt Dinge, die dann für doch relativ rasche Veränderungen verantwortlich sein können, die sich auf der Oberfläche manifestieren können, natürlich auch in der Atmosphäre. Vielleicht kann man das nicht nachverfolgen von New Horizons aus, weil dann die Distanzen zu groß werden, aber es kann benutzt werden dann, um spätere Befunde auf der Oberfläche mit zu interpretieren, denn Nebel ist ein variables Phänomen - hier auf der Erde und vermutlich auch auf Pluto.
"Dass da sich was Komplexeres bilden könnte, ist ja bekannt"
Krauter: Bei der NASA heißt es, die jetzt entdeckten Nebel, die sind ein Schlüsselelement für die Entstehung von komplexen Kohlenwasserstoffen - dass solche Nebel quasi Brutstätten komplexerer Moleküle sein könnten, das ist schon richtig, davon geht man aus?
Böhnhardt: Dass es da also solche Dinge geben kann, das kann man schlichtweg schon daraus schließen: Es gibt Methan - Methan ist ja auch ein Kohlenwasserstoff, ein relativ simpler halt. Dass da sich was Komplexeres bilden könnte, ist ja bekannt, und es gibt auch dann noch mehr Dinge, die in die Richtung Organik gehen. Zum Beispiel wurde schon vermutet aufgrund von Bodenbeobachtungen, dass es Nitrile gibt. Das sind CN-Verbindungen mit reaktiven Komponenten, kann auch mal ein HCN sein, dann wäre es Blausäure, aber so was wird vermutet, ist ganz legitim, zu vermuten, im Umfeld Organik im Planetensystem.
Krauter: Ein zweites neues Foto, was auch am Wochenende veröffentlicht worden ist, zeigt eine riesige Eisfläche in dieser Herzregion, die wir inzwischen alle kennengelernt haben auf Pluto. Diese Eisfläche ist offenbar im Fluss, war das oder ist es vielleicht immer noch, weil da Spuren von Bewegung zu sehen sind, die man von der Erde zum Beispiel so eben kennt von Treibeis oder Gletscherarealen. Welche Schlüsse kann man daraus ziehen, dass man das jetzt auch auf Pluto gefunden hat?
Böhnhardt: Wenn das mit flüssigen Materialien zu tun hat, dann ist die einfache Schlussfolgerung, okay, es gibt flüssige Stoffe auf Pluto. Das ist nicht komplett unerwartet. Ich kann mich erinnern, auf einem früheren New-Horizons-Teammeeting mal gewesen zu sein, da hat Bill McKinnon, auch ein Theoretiker, davon gesprochen, dass es durchaus denkbar ist, unter bestimmten Bedingungen auch flüssiges Wasser auf Pluto zu erzeugen. Das ist also nicht komplett aus der Welt, auch in dieser großen Sonnendistanz, wo man zunächst mal halt Kälte erwartet, aber im Inneren muss es nicht so kalt sein, dass es also nicht zu flüssigen Formen kommen kann.
"Das, was jetzt gesehen wird, ist nicht unbedingt überraschend"
Krauter: Jetzt haben wir ja im Rahmen dieser Mission New Horizons schon einiges Neues gelernt über Pluto. Wir haben erfahren, dass er wohl 40 Kilometer größer ist als ursprünglich gedacht, wir haben auch gelernt, dass seine Oberfläche erstaunlich wenig Meteoritenkrater zeigt, dafür bis zu 3.000 Meter hohe Gebirgsketten aus Eis, die vielleicht auf geologische Aktivität hindeuten. Wie bewerten Sie all diese bisherigen Einsichten, wie viele Aha-Ergebnisse gab's da für Sie?
Böhnhardt: Pluto war in meinem Bewusstsein immer als ein aktiver Planet, hätte ich jetzt gesagt, aber Zwergplanet muss man richtigerweise sagen, eingestuft. Das beruht darauf, dass auch selbst die Bodenbeobachtungen schon Variabilität gezeigt haben, und das heißt also, es gibt Vorgänge, die die Oberfläche auf Pluto verändern, und die werden getrieben offenbar aus dem Inneren heraus, weniger durch die Sonnenenergie, sondern durch Prozesse, die im Innern stattfinden. Auch die Atmosphäre selbst ist vermutlich ja ein temporäres Phänomen und insofern also auch variabel. In diesem Sinne ist das, was jetzt gesehen wird, nicht unbedingt überraschend, die Form durchaus, also dass man vielleicht so eisschollenartige Strukturen sieht auf der Oberfläche, verknüpft mit - an anderer Stelle natürlich - Bergen, die vorhanden sind, und die wenigen Krater.
Wenige Krater bedeutet ja, es ist ein Refreshment der Oberfläche, eine Erneuerung der Oberfläche findet statt, die dann die vorhandenen Kratereinschläge wieder überdeckt, wie es auf der Erde auch ist. Die Erde hat es halt mit einem anderen Prozess zu tun, hauptsächlich biologisch und geologisch interne Dinge. Aber Pluto macht das offenbar auch, und in dem Sinne war es für mich eigentlich immer ein aktiver Planet. Die Form der Darstellung der Aktivität ist jetzt schon überraschend für mich.
"Eine Frage sind die Berge, die gefunden wurden"
Krauter: Was meinen Sie damit, also was genau hat Sie da überrascht?
Böhnhardt: Ja, dass es solche Eisschollen gibt. Die kennt man in ähnlicher Form im Übrigen auch von den Jupitermonden, auch da ist die Vermutung innere Prozesse mit flüssigem Ozean dahinter. Das kommt jetzt bestimmt auch bei Pluto dazu.
Krauter: Das heißt, die Vermutung auch von möglichen Geysiren unter der Oberfläche, das ist durchaus eine Theorie, die für Sie noch im Raum steht und jetzt vielleicht bestätigt werden kann oder widerlegt demnächst?
Böhnhardt: Ja, ja, durchaus. Ich meine, da gibt es Beispiele mit Uranusmonden oder die Neptunmonde, Triton, wo eben Aktivität auch vor Ort gesehen wird, in kleinerer Skala. Hier sieht man das vielleicht schon auch auf einer größeren Skala.
Krauter: Haben die neuen Taten und Bilder von Pluto jetzt dazu geführt, dass auch neue Fragen entstanden sind, wo Sie sagen, Mensch, die hatten wir uns vorher noch gar nicht gestellt, aber das ist jetzt ganz drängend?
Böhnhardt: Ja, ich glaube, eine Frage sind die Berge, die gefunden wurden. Wie kann man Berge von drei Kilometer Höhe, die Sie da sehen auf den Bildern, wie kann man die aufrechterhalten, beziehungsweise wenn die also vielleicht nur ein temporäres Phänomen sind, wie kann man dies als temporäres Phänomen wieder erzeugen? Ich glaube eher, das ist was Permanentes, aber das muss man sehen. Die Berge, das ist ein bisschen, nicht ein Problem, aber das muss angegangen werden. Die Frage, wie die entstehen können, das, denke ich, ist eins, und wie man jetzt die innere Aktivität von Pluto in ein Gesamtbild reinbringen kann.
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