Archiv


Zwiesprache zwischen Kunst und Poesie

1994 - über dreißig Jahre nach seiner ersten Begegnung mit seiner späteren Ehefrau Marie José in Indien, sagte der mexikanische Dichter, Essayist und Nobelpreisträger Octavio Paz in einem Interview, er wäre glücklich, weil es Marie José gäbe. Dass seine Ehefrau ihm nicht nur den Rücken zum Schreiben frei hielt, sondern selbst wunderschöne Collagen und "poetische Gebilde" anfertigte, beweist das Bändchen "Figuren und Variationen".

Von Margrit Klinger-Clavijo |
    1994 - über dreißig Jahre nach seiner ersten Begegnung mit seiner späteren Ehefrau Marie José in Indien, sagte der mexikanische Dichter, Essayist und Nobelpreisträger Octavio Paz in einem Interview, er wäre glücklich, weil es Marie José gäbe. Und so beschrieb die mexikanische Schriftstellerin Elena Poniatowska den wohltuenden Einfluss von Marie José Paz auf ihren Lebensgefährten: "Ihre Vertrautheit mit Octavio Paz ist die des Brotes. Sie ist seine Hefe, seine Kruste." Dass seine Ehefrau ihm nicht nur den Rücken zum Schreiben frei hielt, sondern selbst wunderschöne Collagen und "poetische Gebilde" anfertigte, erfuhr die Öffentlichkeit allerdings erst nach seinem Tod im April 1998 anhand des Bändchen "Figuren und Variationen". In diesem literarischen Kleinod wird der Dialog der beiden anhand von seinen Gedichten und ihren "Kästen" eindrucksvoll belegt. Diese beschrieb Octavio Paz folgendermaßen:

    Marie Josés Gebilde und Kästen sind dreidimensionale Objekte, kraft ihrer Phantasie und Sensibilität verwandelt in visuelle Ideen, gedankliche Rätsel, die mal bizarre, beunruhigende Bilder transportieren, mal ironische Betrachtungen. Es sind weniger Objekte zum Anschauen als Flügel zum Reisen, Segel zum Schweifen und Abschweifen, Spiegel zum Durchschreiten.

    " Ich hatte das Glück, den Maler Josef Cornell besuchen zu können. Nach der Begegnung mit Josef Cornell - er war ziemlich schüchtern, isoliert, nicht sonderlich interessiert am kulturellen Leben New Yorks - ist der Funke übergesprungen: Ich verspürte ein großes Interesse an seiner Arbeit, ohne zu ahnen, dass ich hier auf eine verwandte Seele stoßen würde, die sich für diese Kästchen - Octavio Paz nannte sie poetische Objekte - interessieren würde und die meines Erachtens viel mit Poesie zu tun haben. "

    Mit diesen Worten schildert Marie José Paz, die Witwe des mexikanischen Dichters, Essayisten und Nobelpreisträgers Octavio Paz, wie sie 1971 über die Begegnung mit dem Maler Josef Cornell zu jenen Kästchen und Collagen fand, die sie seitdem fabriziert. Dafür benutzt sie ganz verschiedene Materialien: Pappe, Fotos, Stecknadeln und Spitzen, Knöpfe, Holz, rostige Nägel, buntes Papier, etc. Das Zeug zu einer eigenen Künstlerkarriere hat sie durchaus, doch darum ging es ihr offensichtlich nicht. Sie wollte in erster Linie ihren Mann erheitern, wenn er nach den langen Stunden am Schreibtisch zu ihr ins Atelier kam:

    " Eigentlich machte ich die Collagen nur für ihn und nicht für irgendwelche Ausstellungen- eine Art Zwiesprache mit ihm - geheim und geheimnisvoll, intim. Ich wollte ihn überraschen, wenn er nach dem Schreiben zu mir ins Studio kam, um das Gespräch wieder aufzunehmen, nahm ich eins dieser Kästchen und wartete seine Reaktion ab."

    Octavio Paz schätzte die Arbeit seiner Frau, deren Collagen für ihn eine Quelle der Inspiration waren. In seinem ausführlichen Nachwort zu "Figuren und Variationen", einem erst nach seinem Tod erschienenen Bändchen, das ein beeindruckendes Zeugnis ihrer Zusammenarbeit ist und die Zwiesprache zwischen seinen Gedicht und ihren poetischen Gebilden illustriert, schrieb er:

    Die Vielfalt von Marie Josés Arbeitsmitteln, Themen und Techniken ergibt sich ganz natürlich aus einem Werk, das in über fünfzehn Jahren gewachsen ist. Trotz seiner Verschiedenartigkeit überrascht als erstes seine Einheitlichkeit. Einheitlichkeit nicht in der Idee, sondern in Sensibilität und Vision. Diese beiden Worte definieren es: Sensibilität ist Empfindung, Instinkt, Gefühl. Vision ist Gestalt gewordene Empfindung, Gefühl, das ein Objekt und das wir zugleich mit den Sinnen und dem Geist wahrnehmen. (...) Sie verwandelt Empfindungen in Vision und eine Vision in ein lebendiges Objekt. (...) Marie Josés Kunst ist ein Dialog mit dem Hier und dem Dort.

    Die Zwiesprache zwischen Kunst und Poesie ist gelungen. Marie- José Paz schuf zwei ihrer Poetischen Gebilde, indem sie von den Gedichten Ruhe und Hier ausging. Octavio Paz schrieb 1994 zehn Gedichte, in denen er das künstlerische Universum seiner Frau zu durchdringen versuchte. In dem Gedicht DEIN GESICHT liest sich das dann so:

    DEIN GESICHT

    Eine Hand - von wem? -,
    blau die Haut, die Nägel rot,
    hält eine Palette.
    Ich will Gesicht sein, sagt die Palette.
    Und die Hand macht sie zum Spiegel,
    im Spiegel erscheinen deine Augen,
    deine Augen werden Bäume, Wolken, Hügel.
    Ein Weg windet sich zwischen dem Spalier
    Von Andeutungen und Anspielungen.
    Der Weg führt mich zu deinem Mund,
    Quelle von Wahrheiten, eben geboren.


    Begegnet waren sich Marie - José Tramini und Octavio Paz zuerst in Indien, dann wieder in Paris. Gemeinsam gingen sie dann nach Indien - von 1962 bis 1968 war Octavio Paz dort Botschafter seines Landes - und heirateten unter einem uralten Nembaum. Die sechs Jahre in Indien zählen zu den glücklichsten und künstlerisch fruchtbarsten des mexikanischen Dichters. In dem Gedicht "Brief an León Felipe" schrieb Octavio Paz:

    Die einen wollen die Welt verändern
    die anderen sie lesen
    wir wollen mit ihr sprechen
    Indem wir schweigen
    meine Frau und ich
    lernen wie sie zu hören
    Eines Tages vielleicht wird sie uns etwas sagen.


    Und so beschrieb die mexikanische Schriftstellerin Elena Poniatowska Marie José Paz:

    Marie José hüllt die Arbeiten des Lebens in ein goldenes Licht und sieht Honig, wo Essig ist, Lächeln statt gerunzelte Augenbrauen, Süße und keine Gleichgültigkeit. Das Leben mit ihr wird zu einem stürmischen "Ja" gegenüber allem, was da kommt.

    In dem kleinen Bändchen "Figuren und Variationen" steckt viel Lebensweisheit, viel Neugier und viel Rätselhaftes. Ja, das Universum ist ein unüberschaubares Dickicht von Rätseln und Fragen, sagt man sich, wenn man vor dem Kästchen mit den großen und kleinen Haken aus rostigem Eisen steht. Lässt sich das Wesen Indiens überhaupt erfassen, wenn man eine große Lupe " mit einer fahlroten Metallpfote", wie es im dem folgenden Gedicht heißt, auf die Landkarte des Subkontinentes richtet?


    INDIEN

    Diese Lettern und gewundenen Linien,
    die sich auf dem Papier verflechten und verzweigen
    wie auf dem Teller einer Hand:
    ist das Indien?
    Und die fahlrote Metallpfote,
    - von der Sonne geschmiedet, gekühlt vom Mond -
    ihre Kralle fest um eine harte Kugel aus Kristall,
    und dies schillernde Rund,
    in dem die Myriaden von Kerzen brennen und funkeln,
    die Nacht für Nacht die Pilger
    auf die Reise schicken auf Seen und Flüssen:
    sind sie Prophezeiung, Rätsel,
    Andenken an eine Begegnung,
    die versprengten Zeichen eines Schicksals?

    - Sie sind das Zepter des Zufalls.
    Zurückgelassen am Baum der Zeit
    Vom König dieser Welt.


    Bibliografische Angaben

    Octavio Paz/Marie Jo Paz:
    "Figuren und Variationen"
    (Insel Verlag)