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Zwischen allen Fronten

Erneut droht eine Eskalation der Gewalt - ein Krieg zwischen dem Sudan und seinem Nachbarn Tschad ist nicht mehr auszuschließen. Rebellengruppen unterstützen die beiden Staatsregime. Eine politische Lösung ist in diesem Konflikt nicht in Sicht. Leidtragende sind vor allem die Zivilisten, die zwischen beide Fronten geraten.

Von Birgit Morgenrath | 28.06.2008
    Im Moment ist es ruhig in N'Djamena, der Hauptstadt des Tschad. In der Haupt-Einkaufsstraße wurden alle großen Bäume gefällt, damit sich Rebellen bei einem möglichen Angriff nicht mehr verschanzen können. Die Stadt, die mit ihren niedrigen Häusern eigentlich einem weitläufigen Dorf gleicht, ist neuerdings von einem breiten Graben umgeben. Der soll jedes Fahrzeug zwingen, nur über die gut kontrollierbaren Einfall-Strassen in die Stadt des Präsidenten Idriss Déby zu fahren. Unter der ruhigen Oberfläche aber brodelt es. Das bekommen vor allem die Kritiker des Regimes zu spüren.

    "Ich trete nicht öffentlich auf, ich gebe keine öffentlichen, offiziellen Erklärungen, ich bin wie festgenagelt."

    Baldal Oyamtá von der tschadischen Menschenrechtsliga kann nur per Handy aus der tschadischen Hauptstadt N'Djamena berichten. Er hat zurzeit kein funktionstüchtiges Büro.

    "Wir stehen ständig unter Kontrolle. Wir werden bedroht. In der Stadt verfolgen mich Unbekannte. Vor meinem Haus stehen Fahrzeuge, ich weiß nicht, von wem. Das Militär patrouilliert in den Straßen - also man lebt quasi mit vorgehaltener Pistole."

    Baldal Oyamtá und viele andere Mitglieder der Zivilgesellschaft werden zur Zeit von den sogenannten Sicherheitskräften des Regimes besonders stark drangsaliert. Baldal ist schon vor der jüngsten Krise zweimal auf der Straße von Uniformierten aufgegriffen und anschließend zusammengeschlagen worden. Ohne Angabe von Gründen.

    Idriss Déby herrscht seit 1990 im Tschad - und dabei sind ihm alle Mittel recht: Gewalt, Verfolgung, Einschüchterung, Korruption und Günstlingswirtschaft. Déby umgibt sich mit einem kleinen Zirkel naher Verwandter und stützt sich auf eine durch und durch korrupte Verwaltung - die Öleinnahmen des Landes kommen ihm dabei zugute. Sein Geheimdienst, Gendarmen und Polizei schüchtern die Bevölkerung, Menschenrechtler, Parteienvertreter und regierungskritische Medien ein. Den letzten Putschversuch Anfang Februar nutzte das Déby-Regime, um einen Ausnahmezustand samt Ausgangssperre und Pressezensur zu verhängen.

    Zwar wurden diese Zwangsmaßnahmen - auch auf Druck der traditionellen Schutzmacht Frankreich und der EU - Mitte März wieder aufgehoben. Aber einer der vier Oppositionsführer, die die Präsidentengarde während der dramatischen Tage des Umsturzversuches verschleppt hatten, ist immer noch spurlos verschwunden: Ibni Oumar Mahamat Saleh, 59 Jahre alt, war Vorsitzender einer Oppositionspartei und Doktor der Mathematik:

    "Sein Sohn behauptet, er sei noch am Leben, aber ich glaube das ist nur ein Zeichen seiner Verzweiflung, weil man bisher keine Beweise für seinen Tod hat und die Leiche nicht gefunden wurde. Jetzt gerade haben alle privaten Zeitungen einen Appell der Partei Oumars veröffentlicht, Saleh freizulassen. Seine Partei wollte außerdem eine öffentliche Gebetsstunde für seine Freilassung abhalten. Die wurde verboten - das ist eine sehr irritierende Lage für uns."

    Das Misstrauen sitzt tief. Die Menschenrechtler sind überzeugt davon, dass nicht nur der tschadische Präsident bei der Verschleppung des Oppositionellen seine Finger im Spiel hatte, sondern auch die alte Schutzmacht Frankreich.

    Die Menschenrechtler glauben, dass nicht nur der tschadische Präsident, sondern auch der französische Präsident Nicolas Sarkozy wissen könnte, wo sich Oumar Saleh aufhält. Schließlich hat Frankreich ihn in der Vergangenheit mehrfach gegen Aufständische unterstützt.

    "Es gibt diese Militärberater beim Präsidenten und Frankreich ist ein spezieller Berater des Präsidenten. Ich glaube, sie wissen, wo Ibni ist. Frankreich muss es wissen."

    Aber die ehemalige Kolonialmacht hüllt sich in Schweigen und hält sich im übrigen derzeit mit militärischem Beistand auffällig zurück. Offenbar will man nicht die EUFOR Mission in Misskredit bringen. Der französische Präsident Sarkozy selbst hat auf Demokratisierung gedrängt. Unter diesem Druck gibt sich Déby konziliant - nach außen hin.

    Ende April hat er vier Politiker aus dem Oppositionsbündnis in sein Kabinett aufgenommen.

    Außerdem aktivierte Déby ein Komitee, das einen Vertrag zwischen den verfeindeten politischen Fraktionen umsetzen soll. Der Vertrag war im August 2007 unter Vermittlung der Europäischen Union zustande gekommen. Die drängt nun auf Ergebnisse.

    Das Abkommen sieht vor, dass zivile Opposition und Regierung gemeinsam faire Wahlen bis zum Jahr 2009 vorbereiten. Den Vorsitz gab Déby einem der drei Oppositionellen, die im Februar verhaftet worden waren.

    Die international bekannte Anwältin, Menschenrechtskämpferin und Gründerin des tschadischen Aufrufs zu Frieden und Versöhnung, Delphine Djiraibé, hält das für völlig unzureichend:

    "Wir glauben wirklich, dass man darüber hinaus gehen muss. Wir haben ja nicht nur Probleme mit bislang undemokratischen Wahlen. Sondern wir haben ernste Sicherheitsprobleme. Eine Menge Waffen zirkuliert unkontrolliert im Land, es existieren Milizen und Selbstverteidigungseinheiten, und außerdem haben wir keine normale Armee. Die tschadische Armee ist die einzige auf der Welt, die mehr Generäle zählt als Soldaten, und manche Generäle sind Analphabeten. Darum kann es keinen Frieden geben, wenn man die Frage der Sicherheit nicht regelt."

    Déby hat neben diesem Komitee auch eine Untersuchungskommission in Gang gesetzt, die neben den Menschenrechtsverletzungen vom vergangenen Februar auch das Verschwinden von Oumar Saleh untersuchen soll. Zunächst hatte der Diktator die Kommission nur aus regimetreuen Tschadern zusammengesetzt und ihr Mandat auf den Angriff der Rebellen beschränkt. Erst nach intensivem Druck internationaler und tschadischer Organisationen gehören den 25 Mitgliedern des Gremiums nun auch internationale Gesandte aus der EU und der Afrikanischen Union an - allerdings nur mit Beobachterstatus. An der Spitze steht ein Anwalt aus dem Tschad.

    "Ich für meinen Teil bin nicht zufrieden mit der Kommission, weil wir gehofft hatten, dass eine unabhängige internationale Persönlichkeit an der Spitze stehen würde, um die Unabhängigkeit zu garantieren. Jetzt ist ein tschadischer Rechtsanwalt der Vorsitzende. Man kann das nicht a priori beurteilen, aber die Zusammensetzung sagt uns noch immer, dass die Kommission nicht neutral sein wird."

    Dennoch waren auch Mitglieder der Zivilgesellschaft nach langer, heftiger Diskussion dem Gremium beigetreten.

    "Das erlaubt uns, mitzubekommen, was da in der Kommission vorgeht, aber nur unter einer Bedingung. Selbst wenn unsere Organisationen dort vertreten sind, arbeiten wir gleichzeitig an einem Bericht über die Krise im Tschad. Und man wird sehen, ob die Befunde der Kommission der Wahrheit entsprechen - wenn dem nicht so ist, behalten sich unsere Organisationen das Recht vor, diesen Bericht zu veröffentlichen."

    Die Mitglieder der Menschenrechtsorganisationen kennen seit vielen Jahren die Winkelzüge des Regimes. Sie sagen, der Tschad befinde sich bereits seit vielen Jahren in einem bürgerkriegsähnlichen Zustand. Jederzeit könnten die Kämpfe wieder aufflammen. Darum fordern sie seit 2002 einen umfassenden Dialog aller verfeindeten Parteien im Tschad, auch der bewaffneten Gegner. Die Anwältin und Menschenrechtlerin Jaqueline Moudeina, die selbst im Jahr 2001 nur knapp einem Anschlag entkam:

    "Warum müssen wir weiter dieser Kriegslogik folgen. Wir hätten diese Möglichkeit, uns alle - ohne Ausnahme - an einen Tisch zu setzen und miteinander zu reden, das Übel zu analysieren und zu erklären, was den Frieden untergräbt. Denn für eine wahrhafte Entwicklung brauchen wir Frieden. Aber Großmächte wie Frankreich verfolgen ihre eigenen Interessen. Und ich glaube, diese Politik unterwirft den Tschad und zerstört ihn auf lange Zeit. Aber man kann diesen Krieg beenden und in eine Richtung schauen, die dem Tschad nachhaltige Entwicklung bringt und dauerhaften Frieden."

    Vertreter der Europäischen Union wie etwa EU-Chefdiplomat Javier Solana riefen noch Ende April zu einem nationalen Friedensprozess auf. Aber, so Jaqueline Moudeina, die EU lasse sich in Sachen Tschad immer noch zu sehr von der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich beeinflussen:

    "In dieser heutigen Krise, muss jedes Land seine eigene sorgfältige Analyse durchführen und Frankreich zur Ordnung rufen. Das ist möglich. Gemeinsame Politik bedeutet doch auch, dem anderen zu sagen: Sie handeln schlecht, man muss die Dinge auf diese oder jene Art zurechtrücken. Das fordern wir von den Ländern der EU. Das könnte eine Art Druck sein auf Frankreich, die seine Position gegenüber dem Tschad zu revidieren."

    Eine Erfüllung dieser Forderung ist eher unwahrscheinlich. Die Menschenrechtler im Tschad sitzen auf gepackten Koffern. Falls die Rebellen wie schon im Februar wieder bis in die Hauptstadt vorstoßen, werden sie wieder zu Tausenden über den neuen Graben rund um N'Djamena ins Nachbarland Kamerun fliehen müssen.