Archiv

Damon Galgut: „Das Versprechen“
Zwischen Apartheid-Regime und Regenbogen-Nation

Damon Galgut verknüpft in „Das Versprechen“ mehrere Jahrzehnte der Entwicklung Südafrikas mit einer tragischen Familiengeschichte. Vordergründige Anklagen sind dem mit dem Booker Prize ausgezeichneten Roman fremd.

Von Dirk Fuhrig |
Ein Portrait des Schriftstellers Damon Galgut und das Buchcover  „Das Versprechen“
Bookerpreis 2021 für Damon Galgut: „Das Versprechen“ (Buchcover Luchterhand Verlag / Autorenportrait © Michaela Verity)
Sie heißen Astrid, Anton und Amor - drei Geschwister, die auf einer Farm in Südafrika aufwachsen. Es herrscht finstere Apartheid, wer Herr ist und wer Knecht, daran gibt es keinen Zweifel:
„Lexington selbst ist eine Hieroglyphe, mit seiner Chauffeursmütze und seiner Jacke. Er muss sie tragen, sagt Pa, damit die Polizei sofort erkennt, dass er kein skelm, kein Krimineller ist, sondern mein Fahrer. Und aus demselben Grund muss Anton auf dem Rücksitz Platz nehmen, damit die Schranken klar ersichtlich sind.“
Der Sohn des Großgrundbesitzers lernt früh, wo sein angestammter Platz ist - eben auf der bequemen Rückbank.

Zusage am Sterbebett

Damon Galgut erzählt von einer Buren-Familie über mehrere Jahrzehnte hinweg, in vier Kapiteln, die sich jeweils um eine Beerdigung ranken. Ganz am Anfang steht ein Versprechen, nämlich dass die langjährige schwarze Hausangestellte Salome das bescheidene Haus, in dem sie auf dem Gelände der Farmer wohnt, als Eigentum erhalten soll. Diese Zusage nimmt die Mutter der Geschwister ihrem Mann Manie auf ihrem Sterbebett ab. Die Tochter Amor beobachtet die Szene heimlich: 
„Sie hatten völlig vergessen, dass ich da saß, in der Ecke. Sie sahen mich nicht, ich war wie eine Schwarze für sie.
Versprichst du es mir, Manie?
(…)
Ich will, dass sie etwas bekommt. Nach allem, was sie für mich getan hat.
Verstehe, sagt er.
Versprich es mir. Sag es.
Ich versprech’s, sagt Pa mit erstickter Stimme.“
Diesen letzten Wunsch zu erfüllen, darum schert sich weder der Witwer noch der Rest der Buren-Familie - die ausgerechnet Swart heißt, also „Schwarz“ auf Afrikaans. Man kann diesen Schwur am Sterbebett als Symbol für viele leere Versprechungen sehen, die bei der „Transition“ Südafrikas vom Apartheids-Staat zur Demokratie gemacht wurden.
Die Euphorie des Wechsels hatte nicht lange gehalten: 
„Eine neue, demokratische Regierung in den Union Buildings! Als sie in die Stadt kommen, sieht er in der Ferne die ehrwürdigen Sandsteinfassaden, die sich im milden Schein der Wintersonne gegen das Grün des Hügels abzeichnen. Ob Mandela wohl gerade da drin an seinem Schreibtisch sitzt? Aus der Zelle auf den Thron, ich hätte nie gedacht, dass ich das noch erleben darf.“

Depression und Fatalismus

Jede von Damon Galguts Hauptfiguren steht für eine bestimmte politische Haltung, die sich über die Jahrzehnte hinweg immer stärker manifestiert: Während Astrid einen hedonistischen Lifestyle mit reichem Gatten, dickem BMW und schwarzem Liebhaber führt, versinkt ihr Bruder Anton in Depression und Fatalismus. Er kommt mit den gesellschaftlichen Veränderungen nicht klar, lässt die Farm verlottern, versucht sich als Schriftsteller, aber endet im Selbstmord.
Nur Amor - die schon durch ihren Vornamen, „Amor“, das Liebesprinzip verkörpert - spürt, wie brutal und ungerecht die von der  Apartheid geprägte Welt war, in der sie aufgewachsen ist. Als ihr nach dem Tod der beiden Geschwister das Erbe zufällt, überschreibt sie das Haus endlich an Salome.
Amor, lesbisch und als Krankenschwester tätig, ist zwar der mit Abstand sympathischste Charakter im Swart-Clan. Ihr Drang, sich aufzuopfern, der darin gipfelt, dass sie ihr gesamtes Vermögen verschenkt, hat jedoch auch etwas hilflos Naives, verzagt Selbstanklägerisches.
„Der letzte Rest meiner Zärtlichkeit, aufgespart für Menschen, die ich nicht kenne und die mich nicht kennen. Keine Liebe mehr, nur Güte, die womöglich stärker ist. Und dauerhafter sowieso. Obwohl ich über die Jahre durchaus einige Male geliebt habe, wenn ich dazu imstande war. (…) Ein paar Männer, ein paar Frauen, nebenbei. Was spielt das für eine Rolle, Körper, Namen, jetzt bin ich allein. Schwer genug, mich selbst noch zu lieben.“

Rassismus als Teil des Alltags

Damon Galgut legt in „Das Versprechen“ die wechselvolle Geschichte Südafrikas subkutan unter die individuellen Schicksale. Zeithistorische Elemente fügt er oft überraschend und beiläufig ein. Die Gefahr von Entführungen, die Abschottung der Mittelschicht hinter Mauern und Zäunen, der Einfluss der heuchlerischen Kirche. Die Stadt Rustenburg, in deren Nähe die Handlung angesiedelt ist, war die Heimat des - deutschstämmigen -  ehemaligen Staatspräsidenten Paul Kruger, nach dem der berühmte Nationalpark benannt ist - eine Bastion der burischen Tradition also. Oder eine Rand-Bemerkung darüber, dass der Präsident Thabo Mbeki die Krankheit AIDS verharmloste und dadurch für viele HIV-Infizierte verantwortlich war - die Amor nun in ihrem Krankenhaus zu Tode pflegt. 
Auch Rassismus, Gewalt und Apartheid werden quasi „nebenbei“ erwähnt, als Teil eines selbstverständlichen Alltags, in dem alle gefangen sind. Vordergründige Anklage ist diesem Roman fremd.
Gelegentlich schaltet sich der Erzähler ein, was manchen Passagen eine leicht humoristische Anmutung verleiht:
„Aber darauf soll hier nicht näher eingegangen werden, da es für diesen Fall ohne Belang ist und eigentlich gar nicht hätte erwähnt zu werden brauchen.“

Leidenschaftslose, spöttische Erzählstimme

Galgut schildert die existentielle Verlorenheit seiner Figuren auf vielen metaphorischen Ebenen, die auch von der Jury des Booker Prize gelobt wurden. Seine Erzählerstimme ist trotz dieser symbolischen Aufladung leidenschaftslos, konstatierend, mitunter spöttisch. Der Text hat einen uneinheitlichen Rhythmus. Zeitweise verliert er sich in ausufernden Beschreibungen, dann wieder begnügt er sich mit Andeutungen - ein nicht unmittelbar eingängiger Stil, der einen aufmerksamen, aktiven Leser erfordert.
In der exakten Austarierung solcher Leerstellen zeigt sich die literarische Qualität dieses kraftvollen Südafrika-Romans, der den schmerzhaften Übergang vom repressiven Apartheid-Regime zu einer immer noch fragilen Regenbogen-Nation beleuchtet.
Damon Galgut: „Das Versprechen“
Aus dem Englischen von Thomas Mohr
Luchterhand Verlag, München, 368 Seiten, 24 Euro.