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Zwischen Baum und Burka

Vincenzo Bellinis "Norma" war bisher besetzt durch die unvergessene Stimme der Maria Callas. Und lange hat die Operndiva Gruberova diese Rolle gemieden; gestern wurde sie umjubelt für ihre "Norma", als nach der Premiere an der ausverkauften Bayerischen Staatsoper der Vorhang fiel. Der Regisseur Jürgen Rose allerdings konnte es sich nicht verkneifen, die gallisch-keltischen Bezüge der Oper ins grelle Licht modernen Guerilla-Krieges zu setzen.

Von Holger Noltze |
    Die Bühne hat eine Klappe. Manchmal öffnet sie sich wie von Geisterhand; ein Vorgang, den man begrüßt, denn dann entsteigt die Priesterin Norma ihrer unterirdischen Bunkerbehausung. Es handelt sich aber um die Sopranistin Edita Gruberova. Die amtierende Primadonna assoluta kreiert in München zum ersten Mal die Norma auf einer Opernbühne, und wenn die Klappe aufgeht und sie auf dieser Bühne steht, hat der Abend seine relevanten Stellen.

    Im Zuschauerraum Tumulte nach "Casta diva". Es gibt tausend Arten, ein piano zu singen, la Gruberova beherrscht wahrscheinlich neunhundertachtundneunzig davon, und eine faszinierende Sammlung daraus schenkt sie ihrer Norma. Für diese Partie ist eine seltene, beinah unmögliche Spezies gefordert: ein soprano drammatico d’agilità: mit Beweglichkeit und dramatischer Kraft also, und welchen Respekt Gruberova vor dieser Aufgabe hat, wird deutlich, wenn ihr Forte zuerst etwas scharfkantig wirkt, oder wenn sie die für sie zu tiefen Töne nach unten wegstößt. Frappierend aber ihre Kontrolle der dynamischen Nuancen, das frei gestaltete An- und Abschwellen der Töne, zu Perlenketten gereiht in ständig neu changierenden Farben: große Kunst. Und ein kräftiger Schluck aus der Pulle für die allzu oft darbenden Melomanen.

    Bellinis Druidenoper nur als Anlass zu Schöngesang zu begreifen, heißt, ihre dramatische Sprengkraft zu übersehen. Felice Romanis gern geschmähtes Libretto erzählt eine Dreiecksgeschichte: gallische Priesterin liebt (und hat heimlich Kinder) mit dem römischen Besatzer-Anführer Pollione, der sich in die Novizin Adalgisa verliebt; hinter der Konvention aber wird in erstaunlicher Dichte das gesamte Konfliktpotential des 19. Jahrhunderts entfaltet: Normas verbotene Liebe zum Kriegsgegner steht gegen die Treue einerseits zum "Vaterland", andererseits zur Religion – und drittens zur "Familie": schon hebt sie den Dolch, um die beiden Kleinen zu töten.

    Gleich zweimal tötet sie, was sie liebt, nicht. Die Lösung der italienischen Romantik aus solchen Lagen ist das Selbstopfer: Selten wurde ein Opernfinale als Menschenopfer so grausam exponiert: Norma betritt den Scheiterhaufen unter dem Gesang von Priester und Volk: "verdammt bis in den Tod". Wagner, spätere Liebes- und Erlösungstode im Sinn, hat sich aus guten Gründen sehr dafür interessiert.

    Jürgen Rose, in München, umgeht das Ungeheuerliche, indem er Norma einfach nach hinten abgehen lässt. Der Regisseur und Bühnenbildner hat bekannt, das Stück habe ihm Albträume gemacht. Doch so brav das Ganze arrangiert ist, hätte er eigentlich ruhig schlafen können. Vor allem den Chor der Gallier stellt er oft einfach zu schönen Bildern nur hin. Dabei ist er hier der zentrale Deutungs-Träger, denn die Frauen tragen Burka und Schnellfeuergewehre, und die Herren schließlich diese grässlichen Mützenmasken der Terrorkämpfer. Guerra, guerra, singen sie, und zielen ins Parkett.

    Bellinis Explosivgemisch aus Politik und Religion nicht auf nahöstliche Besatzungs-Verhältnisse zu aktualisieren, scheint kaum möglich. Roses Kurzschlüssigkeit schlägt aber keine Funken, zwischen Baum und Burka bleibt das Ganze eine Art Bedeutungsdekoration: Es gruselt nur ein bisschen. Was bleibt, ist Musik: Die wunderbar dunklen Schattierungskünste der Adalgisa von Sonia Ganassi, und ihre perfekten Terzenläufe mit Gruberova.

    Zoran Todorovich als Pollione: ein Poseur der Breitbeinigkeit, viril, zuverlässig, aber eindimensional. Das Bayerische Staatsorchester unter Friedrich Haider braucht einige Zeit, bis es zum richtigen Mitatmen kommt, manchmal war es zu laut, der Kontakt zur Bühne bisweilen wacklig. Was soll’s: München hatte sein Sängerfest, und solange nur Gruberova aus der Klappe kommt, ist der Abend gerettet.