Die Stuttgart 21-Gegner demonstrieren noch immer. Auf mittlerweile 161 Montagsdemonstrationen haben sie gegen den Bahnhofsbau protestiert, sie haben hunderten Rednern zugehört, in Tausende von Trillerpfeifen und Vuvuzelas geblasen, immer wieder für ihr Anliegen Geld gesammelt.
Der Widerstand war im Laufe der inzwischen drei Jahre schwächer geworden, aber verschwunden ist er nicht. Und in den vergangenen Wochen hat er sogar wieder Zulauf bekommen. Zu einer Großdemo Ende Februar kamen rund 8000 Bahnhofsgegner. Sie haben neue Hoffnung geschöpft, dass der Bahnhofsbau zu Stuttgart doch noch beendet werden kann:
"- "Also, ich bin der festen Überzeugung, dass Stuttgart 21 beendet wird."
- "Frau Merkel hat ja auch nach Fukushima schon mal gesagt: Atomkraft ist doch nichts. Vielleicht ist sie ja lernfähig und sagt vielleicht jetzt: Stuttgart 21 ist doch nichts.""
Am Dienstag will der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn über die Zukunft von Stuttgart 21 entscheiden. Die Bahnhofsgegner hoffen, dass das umstrittene Bauprojekt doch noch gestoppt wird. Mut macht ihnen die neu entflammte Diskussion, seitdem klar ist, dass Stuttgart 21 viel teurer wird als geplant.
Im Dezember hatte der Bahnvorstand erklärt, dass die Kostenobergrenze von 4,5 Milliarden Euro nicht zu halten ist. Nun hieß es, der Bau könne bis zu 6,8 Milliarden kosten.
Die Projektpartner vor Ort, also die grün-rote Landesregierung in Baden-Württemberg und der neue Stuttgarter Oberbürgermeister Fritz Kuhn von den Grünen sprachen daraufhin von einer Krise des Projekts. Fritz Kuhn:
"Die Vertrauenskrise bleibt bestehen, weil man das nicht in zwei Stunden ausräumen kann, sondern weil das ein langwieriger Prozess ist."
Zweifel bekam nun offenbar auch die Bundesregierung, die Eigentümerin der Bahn. Im Februar gelangte ein Papier aus dem Bundesverkehrsministerium an die Öffentlichkeit, das als Sitzungsvorlage für die drei Staatssekretäre gedacht war, die die Bundesregierung im Bahn-Aufsichtsrat vertreten. Dieser sogenannte Sprechzettel, der dem Deutschlandfunk vorliegt, enthält kritische Fragen bezüglich Kostenrahmen und Zeitplan. Ein maßgeblicher Vorwurf: Die vorgelegten Zahlen seien nicht valide.
Die von der DB AG ermittelten Mehrkosten sind nur teilweise belastbar und keinesfalls abschließend. Die Argumente, eine weitere Finanzierung nicht abzulehnen, sind mit Abstand zu schwach.
Die Veröffentlichung erwischte den Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer, CSU, auf einer Auslandsreise im heißen Bagdad. Er dementierte sogleich. Es handele sich bei dem Dossier um Einzelmeinungen aus der untersten Ebene seines Ministeriums. Natürlich stehe der Bund weiterhin zu Stuttgart 21.
Kritiker des Bahnprojekts wie der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann von den Grünen allerdings fühlen sich bestätigt:
"Also, wir wissen seit diesen Veröffentlichungen, dass es doch auch beim Bahn-Aufsichtsrat und auch beim Bund inzwischen erhebliche Zweifel gibt an diesem Projekt. An der der Wirtschaftlichkeit, an den Berechnungen. Und es gibt auch einen Ärger darüber, dass man sich nicht ordentlich, nicht rechtzeitig, nicht umfassend informiert fühlt vom Bahnvorstand."
Aus Sicht der Bahn stellt sich die Frage, wo nun das Geld für die Mehrkosten herkommen soll. Der für Stuttgart 21 zuständige Vorstand Volker Kefer schlug zunächst vor, dass die Bahn einen Teil selbst trägt:
"Die Empfehlung, die wir dem Aufsichtsrat gegeben haben als Vorstand, beinhaltet die Übernahme der 1,1 Milliarden durch die Deutsche Bahn."
Wenig später machte er sich auf den Weg nach Stuttgart, um dort mit den Projektpartnern Landesregierung und Landeshauptstadt darüber zu sprechen, ob auch sie bereit wären, einen Teil der Mehrkosten zu übernehmen. Doch er musste Absagen entgegen nehmen:
"Die Zuwendungen sind gedeckelt."
Sagte der grüne Verkehrsminister Winfried Hermann.
Das Land hatte sich im Jahr 2009 noch unter der schwarz-gelben Regierung verpflichtet, für den Bau des neuen Bahnhofs 930 Millionen Euro zu bezahlen. Doch mehr soll es nicht werden, das bekräftigte auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann jetzt noch einmal:
"Wir tragen keine Mehrkosten mit. Was das Land leistet zu Stuttgart 21 ist eine freiwillige Leistung. Die haben wir vereinbart vertraglich und daran halten wir uns. Also kann man doch nicht sagen, bloß weil ihr euch da einmal beteiligt habt mit 930 Millionen, jetzt müsst ihr euch da immer weiter beteiligen."
Auch beim grünen Stuttgarter Oberbürgermeister Fritz Kuhn kassierte Kefer eine Absage:
"Ich habe klargestellt, dass die Stadt nicht gedenkt, und da gibt es einen entsprechenden Beschluss des Gemeinderats, da weiter Kosten zu übernehmen."
Bahnvorstand Volker Kefer zog vor seiner Rückreise nach Berlin eine nüchterne Bilanz und wollte auch das einige Wochen zuvor gemachte Angebot, dass die Bahn freiwillig 1,1 Milliarden der Mehrkosten übernimmt, jetzt nicht mehr wiederholen:
"Was wir gemäß Vertrag haben möchten, ist eine Förderung des Projektes. Und Förderung heißt, eine aktive Unterstützung des Projektes. Und dort ist es eben schon so, dass aktive Unterstützung etwas anderes ist, als was wir zurzeit erleben."
Auch auf Bundesebene sind die Meinungen zu Stuttgart 21 gemischt. Raum E 600 im Paul-Löbe-Haus im Berliner Regierungsviertel. In wenigen Minuten beginnt die Sitzung des Bundestagsverkehrsausschusses. Der Andrang ist groß: Schließlich ist die hohe Riege der Stuttgart-21-Verantwortlichen an diesem Mittwoch geladen, um den Parlamentariern Rede und Antwort zu stehen.
Die Bahn-Vorstände Rüdiger Grube und Volker Kefer, der Aufsichtsratsvorsitzende der Bahn AG, Utz-Hellmuth Felcht, und Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer von der CSU sollen Auskunft geben über Kosten und Kostenübernahmen, Aufsichtsratsbeschlüsse und Ausstiegsszenarien.
Die Fernsehteams versuchen, letzte Bilder von den Teilnehmern der Sitzung zu erhaschen, bevor der Vorsitzende des Ausschusses, der Grünen-Politiker Anton Hofreiter, die Presse vor die Tür bittet.
Die Sitzung ist nicht öffentlich. Und so harren die Journalisten vor dem Saal aus, warten, dass etwas passiert. Ab und an verlässt ein Bundestagsabgeordneter die Sitzung, flüstert ins Mobiltelefon, nickt der wartenden Pressemeute zu und geht wieder rein.
Der grüne Parlamentarier Harald Ebner ist weniger verhalten: Bereitwillig schildert er, was sich hinter der Holztür abspielt.
"Die Auskunft war spärlich. Insbesondere vom Aufsichtsratsvorsitzenden, die war gleich Null. Er war, glaube ich, mit einem Satz fertig. Aber was anderes war da auch nicht zu erwarten, nachdem er sich so lange ziemlich arrogant geweigert hatte, überhaupt dem Parlament Rede und Antwort zu stehen sprich: überhaupt aufzutauchen."
Utz-Hellmuth Felcht, Vorsitzender des Aufsichtsrats der Deutschen Bahn, war erst nach mehrfacher Aufforderung der Einladung gefolgt. Er hätte eigentlich gar nicht auftauchen müssen, erklärt Patrick Döring, FDP-Generalsekretär, Mitglied des Verkehrsausschusses und des Deutsche-Bahn-Aufsichtsrats. Er wirbt für Verständnis,
"dass eine AG, auch wenn sie 100 Prozent der öffentlichen Hand gehört, immer auch dem Aktienrecht unterliegt. Und deshalb gibt es unterschiedliche Informationsstadien für Aufsichtsrat und Vorstand einerseits. Und dem Parlament. Das ist für die Opposition immer unerfreulich, das will ich überhaupt nicht bestreiten."
Innerhalb des Ausschusses sind die parteipolitischen Linien klar abgegrenzt. Die Regierungsparteien unterstützen den Bahnhofsbau. Stefan Kaufmann, CDU-Bundestagsabgeordneter aus Stuttgart:
"Wir stehen hinter diesem Projekt, auch wegen der volkswirtschaftlichen Bedeutung für die gesamte, nicht nur die Region Stuttgart, sondern auch für den Bund."
Ebenso bleiben Grüne und Linke ihrer Meinung treu und lehnen den Weiterbau strikt ab. Die SPD hingegen steckt in einem besonderen Dilemma: Die Bundespartei ist im Grunde gegen Stuttgart 21, im Ländle Baden-Württemberg sind die Sozialdemokraten allerdings große Verfechter des Bauprojekts.
Doch letztendlich spielt das Geschehen im Verkehrsausschuss kaum eine Rolle. Die Parlamentarier können zwar ihre Fragen, Wünsche und Kritik äußern. Das hat aber keinen Einfluss auf die Entscheidungen von Aufsichtsrat, Bahn und Bund. Anton Hofreiter von den Grünen ist sogar davon überzeugt: Die Zukunft von Stuttgart 21 entscheidet sich im Kanzleramt.
"Das Kanzleramt ist unter Frau Merkel leider dazu übergegangen, Dingen nur noch aus rein machttaktischer Perspektive zu beurteilen. Und die sind zu dem Schluss gekommen, dass es machttaktisch für die CDU klüger ist, das Projekt fortzuführen."
Sprecherin
Sind die Würfel also längst gefallen? Ist es nur eine rhetorische Frage, die Bahnchef Rüdiger Grube formuliert:
Grube: "Machen wir weiter? Oder steigen wir aus?"
Fest steht: Unter heutigen Gesichtspunkten würde Stuttgart 21 nicht gebaut werden. Das wissen alle Beteiligten, auch Patrick Döring von der FDP:
"Auch aus Sicht der Bahn muss man sagen: ein Projekt aus den 90er-Jahren, das man heute so sicherlich nicht mehr planen würde. Aber wir sind jetzt so weit fortgeschritten, mit Planung und politischen Entscheidungsprozessen, dass ein Abbruch aus meiner Sicht nicht mehr realistisch ist."
"Die Frage ist: Wie kann man aus der jetzigen Situation für das Unternehmen Bahn und für die Lösung der Verkehrsprobleme im Großraum Stuttgart das Beste herausholen. Und im Augenblick sieht es danach aus, als sei ein Weiterbau unter Minimierung der noch absehbaren Kosten der sinnvollste Weg."
sagt Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer. Seine Unterstützung für das Projekt Stuttgart 21 bekräftigt er auch nach der Sitzung des Bundesverkehrsausschusses:
"Ich halte es nach wie vor für sinnvoll. Sowohl in verkehrlicher Hinsicht als auch in städtebaulicher Hinsicht."
Der Vorsitzende der mächtigen Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft und Arbeitnehmervertreter im Bahn-Aufsichtsrat, Alexander Kirchner, hat sich hingegen noch nicht entschieden. Seiner Meinung nach ist noch offen, ob Stuttgart 21 weitergebaut wird oder nicht. Im Vorfeld der morgigen Aufsichtsratssitzung hatte Kirchner an den Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann und Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn einen Brief geschrieben und um die Beantwortung einiger Fragen gebeten:
"Insbesondere geht es uns um die Fragen, ob denn die Projektbeteiligten bereit sind, die Bahn von der Projektdurchführungsverpflichtung zu befreien. Ob sie auch bereit sind, sich an den Ausstiegskosten zu beteiligen."
Für den Aufsichtsrat Patrick Döring von der FDP, der damit auch die Linie seiner Partei vertritt, ist ein Weiterbau von Stuttgart 21 wirtschaftlicher als der Ausstieg. Döring verlässt sich dabei auf die Kalkulationen des Bahn-Vorstandes:
"Die Eigenmittel der Bahn werden im Worst-Case 3,5 bis 3,7 Milliarden Euro betragen. Das ist viel Geld. Wenn man sich aber überlegt, dass wir jetzt zwei Milliarden Ausstiegskosten hätten, dann muss man entscheiden: Kriegt man für die Differenz von 3,7 und zwei Milliarden, also 1,7 Milliarden einen Kopfbahnhof realisiert? Mit komplett neuer Planfeststellung? Zehn Jahren Stillstand in der Stadt? Dann kommt man zu dem Ergebnis, dass es doch jetzt die wirtschaftlichere Variante ist, die planfestgestellten baurechtlich abgesicherten Tiefbaupläne zu verwirklichen."
Kritiker wie Anton Hofreiter sagen allerdings, ein Stopp koste nur zwischen 200 und 600 Millionen Euro. Ein Teil der Investition wäre gar nicht verloren: Es würde ja etwas gebaut. Doch das maßgebliche Argument, Stuttgart 21 weiterzubauen, sei ein ganz anderes, so der Grünen-Politiker:
"Man muss natürlich ganz klar sagen, dass ein Großteil Kosten, wenn das Projekt weitergebaut wird, in den Jahren 2018, 2019, 2020 auftreten. Und das hat natürlich große Vorteile für jetzt alle Beteiligten. Denn wenn man jetzt abbricht, treten die eher geringen Kosten jetzt auf. Wenn man jetzt weiterbaut, treten die sehr hohen Kosten auf, wenn längst andere an der Macht sind."
Doch es bleibt die Frage: Wer soll die Mehrkosten tragen?
Ausgerechnet bei dieser Frage ist der Finanzierungsvertrag für Stuttgart 21, den die Bahn, das Land Baden-Württemberg sowie Stadt und Region Stuttgart 2009 geschlossen haben, unklar. Im Fall von Mehrkosten sollen sich die Partner zusammensetzen und Gespräche aufnehmen, heißt es in dem Vertrag.
Was diese sogenannte Sprechklausel aber konkret bedeutet, darüber haben die Bahn und vor allem das Land Baden-Württemberg sehr unterschiedliche Ansichten. Für das Land sagt Verkehrsminister Winfried Hermann:
"Aus unserer Sicht ist es so: Wir sind verpflichtet, mit den anderen Projektpartnern zu sprechen, aber wir sind nicht verpflichtet, zu zahlen."
Die Bahn sieht es anders. Sprechen bedeute unter Partnern auch, über Geld zu sprechen und wenn nötig, mehr zu zahlen, sagt Bahnvorstand Volker Kefer.
"Wir sind der klaren Auffassung, dass wir es hier nicht zu tun haben mit eine herkömmlichen Liefer- und Leistungsvertrag, also dass der eine liefert und der andere zahlt. Sondern mit einem Partnerschaftsvertrag und hier erwarten wir schon, dass wir dann auch partnerschaftlich behandelt werden."
Sprecher
Bahnchef Rüdiger Grube jedenfalls sagte bei einem Besuch in Baden-Württemberg vor wenigen Tagen:
Grube: "Wir ziehen die Sprechklausel und die besagt ja, wenn wir oberhalb von 4,563 Milliarden sind, dass dann die Projektpartner sich an einen Tisch setzen müssen, um sich über die Aufteilung der Kosten zu verständigen."
In gewisser Weise ist die logische Konsequenz, dass die Bahn auch juristisch klären lässt, ob sprechen in diesem Fall auch zahlen bedeutet. Rüdiger Grube fügte deshalb auf Nachfrage hinzu:
"Naja, wenn wir uns nicht einigen, dann wird so was sicherlich im Gericht landen. Aber bis dahin ist noch ein weiter Weg."
Eine gerichtliche Auseinandersetzung würde das ohnehin schwierige Verhältnis zwischen den Projektpartnern noch weiter belasten. Wie vergiftet das Klima bereits ist, zeigt sich an dem erbitterten Streit der vergangenen Tage, wer denn nun für die Verzögerungen am Bau verantwortlich ist.
Tatsache ist, dass der Stuttgarter Schlossgarten vor einem Jahr unter schwerem Polizeieinsatz geräumt und über 150 Bäume gefällt wurden. Die Bahn hatte zunächst angekündigt, dass der Bau in wenigen Monaten beginnen würde. Tatsächlich aber ist wenig passiert. Weswegen die Bahn dem Land und der Stadt - Zitat - behördlichen Schwergang vorwirft.
Die Landesregierung weist das zurück. Alle Verzögerungen habe allein die Bahn zu vertreten, sagt Ministerpräsident Winfried Kretschmann:
"Erstens: die Verschiebung des Beginns des Grundwassertaktes um ein Jahr. Eine Entscheidung des VGH wegen unterbliebener naturschutzrechtlicher Abwägung. Verantwortlich die Bahn. Zweitens: Probleme beim Brandschutz. Überarbeitung des Brandschutzkonzeptes. Verantwortlich die Bahn. Also, wir dürfen mal festhalten, es ist überhaupt nicht nachweisbar, dass aufgrund der Landesregierung irgendwelche Verzögerungen eingetreten sind. Ausschließlich geht das alles auf das Konto der Bahn."
Der Streit setzt sich in der Landespolitik fort. Die CDU-Opposition kritisiert vor allem Verkehrsminister Winfried Hermann. CDU-Landeschef Thomas Strobl:
"Das hat ja wirklich zahllose Versuche insbesondere seitens des Verkehrsministers gegeben, das Projekt zu hintertreiben, zu verzögern und damit auch zu verteuern. Und teilweise ist ihm das auch offenkundig gelungen. Das muss jetzt aufhören."
Es gibt noch einen weiteren Streitpunkt, der in diesem Fall auch die Koalition spaltet. Ein Ergebnis der Schlichtung war der sogenannte Filderdialog, durch den die Anbindung des künftigen Flughafenbahnhofs an Nah- und Fernverkehr verbessert werden sollte.
Das Ergebnis ist ein Bahnhof, der voraussichtlich deutlich teurer wird als die ursprünglich von der Bahn geplante Anbindung. Und nicht nur Bahn und CDU, sondern auch die SPD ist der Auffassung, dass hier das Prinzip gelten muss, wer bestellt, bezahlt auch. SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel:
"Wenn man mehr will als im Finanzierungsvertrag drin steht, dass man sich dann an diesen Kosten auch beteiligt."
Die Grünen hingegen sagen auch hier: Das Land zahlt 930 Millionen und keinen Cent mehr. Mit Blick auf die Aufsichtsratssitzung der Bahn in Berlin aber haben die Koalitionspartner in Baden-Württemberg ähnliche Erwartungen:
"Es wird ein grundsätzliches Go geben für das Projekt."
"Der Bahnvorstand wird dem Aufsichtsrat vorschlagen, Mehrkosten von mehr als 1,1, Milliarden Euro zu übernehmen und die übrigen Kosten auf das Land oder auf die Projektpartner abzuwickeln, beziehungsweise. sie auf dem Klageweg einzuklagen."
Medienberichten zufolge will der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn an diesem Dienstag dem Bahn-Vorstand möglicherweise die Hoheit über Stuttgart 21 entziehen und ein neues Kontrollgremium ins Leben rufen.
Was auch immer der Aufsichtsrat in Berlin entscheiden wird – in Stuttgart gehen die Bahnhofsgegner weiter auf die Straße. Früher riefen sie "Mappus weg” oder "Schuster weg”, und meinten den damaligen Ministerpräsidenten und den früheren Oberbürgermeister von Stuttgart. Die Demonstranten wissen mittlerweile: Die letzte Entscheidung über Stuttgart 21 wird wohl im Kanzleramt getroffen. Jetzt skandieren sie: Merkel weg:
Merkel weg, Merkel weg, Merkel weg.
"Also, wenn sie glaubt, dass sie, wenn sie jetzt die Zusage gibt für zwei Milliarden, dass sie das damit aus dem Bundestagswahlkampf raushält, dann kann ich ihr nur sagen: Danke für das Geschenk. Jetzt haben sie es in den Bundestagswahlkampf gebracht!"
Der Widerstand war im Laufe der inzwischen drei Jahre schwächer geworden, aber verschwunden ist er nicht. Und in den vergangenen Wochen hat er sogar wieder Zulauf bekommen. Zu einer Großdemo Ende Februar kamen rund 8000 Bahnhofsgegner. Sie haben neue Hoffnung geschöpft, dass der Bahnhofsbau zu Stuttgart doch noch beendet werden kann:
"- "Also, ich bin der festen Überzeugung, dass Stuttgart 21 beendet wird."
- "Frau Merkel hat ja auch nach Fukushima schon mal gesagt: Atomkraft ist doch nichts. Vielleicht ist sie ja lernfähig und sagt vielleicht jetzt: Stuttgart 21 ist doch nichts.""
Am Dienstag will der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn über die Zukunft von Stuttgart 21 entscheiden. Die Bahnhofsgegner hoffen, dass das umstrittene Bauprojekt doch noch gestoppt wird. Mut macht ihnen die neu entflammte Diskussion, seitdem klar ist, dass Stuttgart 21 viel teurer wird als geplant.
Im Dezember hatte der Bahnvorstand erklärt, dass die Kostenobergrenze von 4,5 Milliarden Euro nicht zu halten ist. Nun hieß es, der Bau könne bis zu 6,8 Milliarden kosten.
Die Projektpartner vor Ort, also die grün-rote Landesregierung in Baden-Württemberg und der neue Stuttgarter Oberbürgermeister Fritz Kuhn von den Grünen sprachen daraufhin von einer Krise des Projekts. Fritz Kuhn:
"Die Vertrauenskrise bleibt bestehen, weil man das nicht in zwei Stunden ausräumen kann, sondern weil das ein langwieriger Prozess ist."
Zweifel bekam nun offenbar auch die Bundesregierung, die Eigentümerin der Bahn. Im Februar gelangte ein Papier aus dem Bundesverkehrsministerium an die Öffentlichkeit, das als Sitzungsvorlage für die drei Staatssekretäre gedacht war, die die Bundesregierung im Bahn-Aufsichtsrat vertreten. Dieser sogenannte Sprechzettel, der dem Deutschlandfunk vorliegt, enthält kritische Fragen bezüglich Kostenrahmen und Zeitplan. Ein maßgeblicher Vorwurf: Die vorgelegten Zahlen seien nicht valide.
Die von der DB AG ermittelten Mehrkosten sind nur teilweise belastbar und keinesfalls abschließend. Die Argumente, eine weitere Finanzierung nicht abzulehnen, sind mit Abstand zu schwach.
Die Veröffentlichung erwischte den Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer, CSU, auf einer Auslandsreise im heißen Bagdad. Er dementierte sogleich. Es handele sich bei dem Dossier um Einzelmeinungen aus der untersten Ebene seines Ministeriums. Natürlich stehe der Bund weiterhin zu Stuttgart 21.
Kritiker des Bahnprojekts wie der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann von den Grünen allerdings fühlen sich bestätigt:
"Also, wir wissen seit diesen Veröffentlichungen, dass es doch auch beim Bahn-Aufsichtsrat und auch beim Bund inzwischen erhebliche Zweifel gibt an diesem Projekt. An der der Wirtschaftlichkeit, an den Berechnungen. Und es gibt auch einen Ärger darüber, dass man sich nicht ordentlich, nicht rechtzeitig, nicht umfassend informiert fühlt vom Bahnvorstand."
Aus Sicht der Bahn stellt sich die Frage, wo nun das Geld für die Mehrkosten herkommen soll. Der für Stuttgart 21 zuständige Vorstand Volker Kefer schlug zunächst vor, dass die Bahn einen Teil selbst trägt:
"Die Empfehlung, die wir dem Aufsichtsrat gegeben haben als Vorstand, beinhaltet die Übernahme der 1,1 Milliarden durch die Deutsche Bahn."
Wenig später machte er sich auf den Weg nach Stuttgart, um dort mit den Projektpartnern Landesregierung und Landeshauptstadt darüber zu sprechen, ob auch sie bereit wären, einen Teil der Mehrkosten zu übernehmen. Doch er musste Absagen entgegen nehmen:
"Die Zuwendungen sind gedeckelt."
Sagte der grüne Verkehrsminister Winfried Hermann.
Das Land hatte sich im Jahr 2009 noch unter der schwarz-gelben Regierung verpflichtet, für den Bau des neuen Bahnhofs 930 Millionen Euro zu bezahlen. Doch mehr soll es nicht werden, das bekräftigte auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann jetzt noch einmal:
"Wir tragen keine Mehrkosten mit. Was das Land leistet zu Stuttgart 21 ist eine freiwillige Leistung. Die haben wir vereinbart vertraglich und daran halten wir uns. Also kann man doch nicht sagen, bloß weil ihr euch da einmal beteiligt habt mit 930 Millionen, jetzt müsst ihr euch da immer weiter beteiligen."
Auch beim grünen Stuttgarter Oberbürgermeister Fritz Kuhn kassierte Kefer eine Absage:
"Ich habe klargestellt, dass die Stadt nicht gedenkt, und da gibt es einen entsprechenden Beschluss des Gemeinderats, da weiter Kosten zu übernehmen."
Bahnvorstand Volker Kefer zog vor seiner Rückreise nach Berlin eine nüchterne Bilanz und wollte auch das einige Wochen zuvor gemachte Angebot, dass die Bahn freiwillig 1,1 Milliarden der Mehrkosten übernimmt, jetzt nicht mehr wiederholen:
"Was wir gemäß Vertrag haben möchten, ist eine Förderung des Projektes. Und Förderung heißt, eine aktive Unterstützung des Projektes. Und dort ist es eben schon so, dass aktive Unterstützung etwas anderes ist, als was wir zurzeit erleben."
Auch auf Bundesebene sind die Meinungen zu Stuttgart 21 gemischt. Raum E 600 im Paul-Löbe-Haus im Berliner Regierungsviertel. In wenigen Minuten beginnt die Sitzung des Bundestagsverkehrsausschusses. Der Andrang ist groß: Schließlich ist die hohe Riege der Stuttgart-21-Verantwortlichen an diesem Mittwoch geladen, um den Parlamentariern Rede und Antwort zu stehen.
Die Bahn-Vorstände Rüdiger Grube und Volker Kefer, der Aufsichtsratsvorsitzende der Bahn AG, Utz-Hellmuth Felcht, und Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer von der CSU sollen Auskunft geben über Kosten und Kostenübernahmen, Aufsichtsratsbeschlüsse und Ausstiegsszenarien.
Die Fernsehteams versuchen, letzte Bilder von den Teilnehmern der Sitzung zu erhaschen, bevor der Vorsitzende des Ausschusses, der Grünen-Politiker Anton Hofreiter, die Presse vor die Tür bittet.
Die Sitzung ist nicht öffentlich. Und so harren die Journalisten vor dem Saal aus, warten, dass etwas passiert. Ab und an verlässt ein Bundestagsabgeordneter die Sitzung, flüstert ins Mobiltelefon, nickt der wartenden Pressemeute zu und geht wieder rein.
Der grüne Parlamentarier Harald Ebner ist weniger verhalten: Bereitwillig schildert er, was sich hinter der Holztür abspielt.
"Die Auskunft war spärlich. Insbesondere vom Aufsichtsratsvorsitzenden, die war gleich Null. Er war, glaube ich, mit einem Satz fertig. Aber was anderes war da auch nicht zu erwarten, nachdem er sich so lange ziemlich arrogant geweigert hatte, überhaupt dem Parlament Rede und Antwort zu stehen sprich: überhaupt aufzutauchen."
Utz-Hellmuth Felcht, Vorsitzender des Aufsichtsrats der Deutschen Bahn, war erst nach mehrfacher Aufforderung der Einladung gefolgt. Er hätte eigentlich gar nicht auftauchen müssen, erklärt Patrick Döring, FDP-Generalsekretär, Mitglied des Verkehrsausschusses und des Deutsche-Bahn-Aufsichtsrats. Er wirbt für Verständnis,
"dass eine AG, auch wenn sie 100 Prozent der öffentlichen Hand gehört, immer auch dem Aktienrecht unterliegt. Und deshalb gibt es unterschiedliche Informationsstadien für Aufsichtsrat und Vorstand einerseits. Und dem Parlament. Das ist für die Opposition immer unerfreulich, das will ich überhaupt nicht bestreiten."
Innerhalb des Ausschusses sind die parteipolitischen Linien klar abgegrenzt. Die Regierungsparteien unterstützen den Bahnhofsbau. Stefan Kaufmann, CDU-Bundestagsabgeordneter aus Stuttgart:
"Wir stehen hinter diesem Projekt, auch wegen der volkswirtschaftlichen Bedeutung für die gesamte, nicht nur die Region Stuttgart, sondern auch für den Bund."
Ebenso bleiben Grüne und Linke ihrer Meinung treu und lehnen den Weiterbau strikt ab. Die SPD hingegen steckt in einem besonderen Dilemma: Die Bundespartei ist im Grunde gegen Stuttgart 21, im Ländle Baden-Württemberg sind die Sozialdemokraten allerdings große Verfechter des Bauprojekts.
Doch letztendlich spielt das Geschehen im Verkehrsausschuss kaum eine Rolle. Die Parlamentarier können zwar ihre Fragen, Wünsche und Kritik äußern. Das hat aber keinen Einfluss auf die Entscheidungen von Aufsichtsrat, Bahn und Bund. Anton Hofreiter von den Grünen ist sogar davon überzeugt: Die Zukunft von Stuttgart 21 entscheidet sich im Kanzleramt.
"Das Kanzleramt ist unter Frau Merkel leider dazu übergegangen, Dingen nur noch aus rein machttaktischer Perspektive zu beurteilen. Und die sind zu dem Schluss gekommen, dass es machttaktisch für die CDU klüger ist, das Projekt fortzuführen."
Sprecherin
Sind die Würfel also längst gefallen? Ist es nur eine rhetorische Frage, die Bahnchef Rüdiger Grube formuliert:
Grube: "Machen wir weiter? Oder steigen wir aus?"
Fest steht: Unter heutigen Gesichtspunkten würde Stuttgart 21 nicht gebaut werden. Das wissen alle Beteiligten, auch Patrick Döring von der FDP:
"Auch aus Sicht der Bahn muss man sagen: ein Projekt aus den 90er-Jahren, das man heute so sicherlich nicht mehr planen würde. Aber wir sind jetzt so weit fortgeschritten, mit Planung und politischen Entscheidungsprozessen, dass ein Abbruch aus meiner Sicht nicht mehr realistisch ist."
"Die Frage ist: Wie kann man aus der jetzigen Situation für das Unternehmen Bahn und für die Lösung der Verkehrsprobleme im Großraum Stuttgart das Beste herausholen. Und im Augenblick sieht es danach aus, als sei ein Weiterbau unter Minimierung der noch absehbaren Kosten der sinnvollste Weg."
sagt Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer. Seine Unterstützung für das Projekt Stuttgart 21 bekräftigt er auch nach der Sitzung des Bundesverkehrsausschusses:
"Ich halte es nach wie vor für sinnvoll. Sowohl in verkehrlicher Hinsicht als auch in städtebaulicher Hinsicht."
Der Vorsitzende der mächtigen Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft und Arbeitnehmervertreter im Bahn-Aufsichtsrat, Alexander Kirchner, hat sich hingegen noch nicht entschieden. Seiner Meinung nach ist noch offen, ob Stuttgart 21 weitergebaut wird oder nicht. Im Vorfeld der morgigen Aufsichtsratssitzung hatte Kirchner an den Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann und Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn einen Brief geschrieben und um die Beantwortung einiger Fragen gebeten:
"Insbesondere geht es uns um die Fragen, ob denn die Projektbeteiligten bereit sind, die Bahn von der Projektdurchführungsverpflichtung zu befreien. Ob sie auch bereit sind, sich an den Ausstiegskosten zu beteiligen."
Für den Aufsichtsrat Patrick Döring von der FDP, der damit auch die Linie seiner Partei vertritt, ist ein Weiterbau von Stuttgart 21 wirtschaftlicher als der Ausstieg. Döring verlässt sich dabei auf die Kalkulationen des Bahn-Vorstandes:
"Die Eigenmittel der Bahn werden im Worst-Case 3,5 bis 3,7 Milliarden Euro betragen. Das ist viel Geld. Wenn man sich aber überlegt, dass wir jetzt zwei Milliarden Ausstiegskosten hätten, dann muss man entscheiden: Kriegt man für die Differenz von 3,7 und zwei Milliarden, also 1,7 Milliarden einen Kopfbahnhof realisiert? Mit komplett neuer Planfeststellung? Zehn Jahren Stillstand in der Stadt? Dann kommt man zu dem Ergebnis, dass es doch jetzt die wirtschaftlichere Variante ist, die planfestgestellten baurechtlich abgesicherten Tiefbaupläne zu verwirklichen."
Kritiker wie Anton Hofreiter sagen allerdings, ein Stopp koste nur zwischen 200 und 600 Millionen Euro. Ein Teil der Investition wäre gar nicht verloren: Es würde ja etwas gebaut. Doch das maßgebliche Argument, Stuttgart 21 weiterzubauen, sei ein ganz anderes, so der Grünen-Politiker:
"Man muss natürlich ganz klar sagen, dass ein Großteil Kosten, wenn das Projekt weitergebaut wird, in den Jahren 2018, 2019, 2020 auftreten. Und das hat natürlich große Vorteile für jetzt alle Beteiligten. Denn wenn man jetzt abbricht, treten die eher geringen Kosten jetzt auf. Wenn man jetzt weiterbaut, treten die sehr hohen Kosten auf, wenn längst andere an der Macht sind."
Doch es bleibt die Frage: Wer soll die Mehrkosten tragen?
Ausgerechnet bei dieser Frage ist der Finanzierungsvertrag für Stuttgart 21, den die Bahn, das Land Baden-Württemberg sowie Stadt und Region Stuttgart 2009 geschlossen haben, unklar. Im Fall von Mehrkosten sollen sich die Partner zusammensetzen und Gespräche aufnehmen, heißt es in dem Vertrag.
Was diese sogenannte Sprechklausel aber konkret bedeutet, darüber haben die Bahn und vor allem das Land Baden-Württemberg sehr unterschiedliche Ansichten. Für das Land sagt Verkehrsminister Winfried Hermann:
"Aus unserer Sicht ist es so: Wir sind verpflichtet, mit den anderen Projektpartnern zu sprechen, aber wir sind nicht verpflichtet, zu zahlen."
Die Bahn sieht es anders. Sprechen bedeute unter Partnern auch, über Geld zu sprechen und wenn nötig, mehr zu zahlen, sagt Bahnvorstand Volker Kefer.
"Wir sind der klaren Auffassung, dass wir es hier nicht zu tun haben mit eine herkömmlichen Liefer- und Leistungsvertrag, also dass der eine liefert und der andere zahlt. Sondern mit einem Partnerschaftsvertrag und hier erwarten wir schon, dass wir dann auch partnerschaftlich behandelt werden."
Sprecher
Bahnchef Rüdiger Grube jedenfalls sagte bei einem Besuch in Baden-Württemberg vor wenigen Tagen:
Grube: "Wir ziehen die Sprechklausel und die besagt ja, wenn wir oberhalb von 4,563 Milliarden sind, dass dann die Projektpartner sich an einen Tisch setzen müssen, um sich über die Aufteilung der Kosten zu verständigen."
In gewisser Weise ist die logische Konsequenz, dass die Bahn auch juristisch klären lässt, ob sprechen in diesem Fall auch zahlen bedeutet. Rüdiger Grube fügte deshalb auf Nachfrage hinzu:
"Naja, wenn wir uns nicht einigen, dann wird so was sicherlich im Gericht landen. Aber bis dahin ist noch ein weiter Weg."
Eine gerichtliche Auseinandersetzung würde das ohnehin schwierige Verhältnis zwischen den Projektpartnern noch weiter belasten. Wie vergiftet das Klima bereits ist, zeigt sich an dem erbitterten Streit der vergangenen Tage, wer denn nun für die Verzögerungen am Bau verantwortlich ist.
Tatsache ist, dass der Stuttgarter Schlossgarten vor einem Jahr unter schwerem Polizeieinsatz geräumt und über 150 Bäume gefällt wurden. Die Bahn hatte zunächst angekündigt, dass der Bau in wenigen Monaten beginnen würde. Tatsächlich aber ist wenig passiert. Weswegen die Bahn dem Land und der Stadt - Zitat - behördlichen Schwergang vorwirft.
Die Landesregierung weist das zurück. Alle Verzögerungen habe allein die Bahn zu vertreten, sagt Ministerpräsident Winfried Kretschmann:
"Erstens: die Verschiebung des Beginns des Grundwassertaktes um ein Jahr. Eine Entscheidung des VGH wegen unterbliebener naturschutzrechtlicher Abwägung. Verantwortlich die Bahn. Zweitens: Probleme beim Brandschutz. Überarbeitung des Brandschutzkonzeptes. Verantwortlich die Bahn. Also, wir dürfen mal festhalten, es ist überhaupt nicht nachweisbar, dass aufgrund der Landesregierung irgendwelche Verzögerungen eingetreten sind. Ausschließlich geht das alles auf das Konto der Bahn."
Der Streit setzt sich in der Landespolitik fort. Die CDU-Opposition kritisiert vor allem Verkehrsminister Winfried Hermann. CDU-Landeschef Thomas Strobl:
"Das hat ja wirklich zahllose Versuche insbesondere seitens des Verkehrsministers gegeben, das Projekt zu hintertreiben, zu verzögern und damit auch zu verteuern. Und teilweise ist ihm das auch offenkundig gelungen. Das muss jetzt aufhören."
Es gibt noch einen weiteren Streitpunkt, der in diesem Fall auch die Koalition spaltet. Ein Ergebnis der Schlichtung war der sogenannte Filderdialog, durch den die Anbindung des künftigen Flughafenbahnhofs an Nah- und Fernverkehr verbessert werden sollte.
Das Ergebnis ist ein Bahnhof, der voraussichtlich deutlich teurer wird als die ursprünglich von der Bahn geplante Anbindung. Und nicht nur Bahn und CDU, sondern auch die SPD ist der Auffassung, dass hier das Prinzip gelten muss, wer bestellt, bezahlt auch. SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel:
"Wenn man mehr will als im Finanzierungsvertrag drin steht, dass man sich dann an diesen Kosten auch beteiligt."
Die Grünen hingegen sagen auch hier: Das Land zahlt 930 Millionen und keinen Cent mehr. Mit Blick auf die Aufsichtsratssitzung der Bahn in Berlin aber haben die Koalitionspartner in Baden-Württemberg ähnliche Erwartungen:
"Es wird ein grundsätzliches Go geben für das Projekt."
"Der Bahnvorstand wird dem Aufsichtsrat vorschlagen, Mehrkosten von mehr als 1,1, Milliarden Euro zu übernehmen und die übrigen Kosten auf das Land oder auf die Projektpartner abzuwickeln, beziehungsweise. sie auf dem Klageweg einzuklagen."
Medienberichten zufolge will der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn an diesem Dienstag dem Bahn-Vorstand möglicherweise die Hoheit über Stuttgart 21 entziehen und ein neues Kontrollgremium ins Leben rufen.
Was auch immer der Aufsichtsrat in Berlin entscheiden wird – in Stuttgart gehen die Bahnhofsgegner weiter auf die Straße. Früher riefen sie "Mappus weg” oder "Schuster weg”, und meinten den damaligen Ministerpräsidenten und den früheren Oberbürgermeister von Stuttgart. Die Demonstranten wissen mittlerweile: Die letzte Entscheidung über Stuttgart 21 wird wohl im Kanzleramt getroffen. Jetzt skandieren sie: Merkel weg:
Merkel weg, Merkel weg, Merkel weg.
"Also, wenn sie glaubt, dass sie, wenn sie jetzt die Zusage gibt für zwei Milliarden, dass sie das damit aus dem Bundestagswahlkampf raushält, dann kann ich ihr nur sagen: Danke für das Geschenk. Jetzt haben sie es in den Bundestagswahlkampf gebracht!"