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Zwischen den Rocky Mountains und der Realität

Boulder ist eine Stadt, die nicht recht in den republikanischen US-Bundesstaat Colorado passen will. Es gibt dort keine Viehherden und keine Ölförderung, keine Schwerindustrie und keine Hochhäuser – dafür weitläufige Parks, einzigartige Forschungszentren und eine bunte Flaniermeile mit vielen Straßenkünstlern. Extremkletterer und Klimaforscher, Raumfahrtingenieure und Beatpoeten leben hier friedlich neben- und miteinander. Während Physiker mit Teleportation experimentieren, ergründen buddhistische Meditationsexperten im Auftrag des Dalai Lama neue Wege der Hirnforschung und Schmerztherapie. Der Bürgermeister fährt mit dem Fahrrad zur Arbeit und alle trennen ihren Müll in dieser für amerikanische Verhältnisse sehr alternativen Stadt. Eine Insel der Seligen ist Boulder deshalb aber nicht, denn schon knapp außerhalb der Stadtgrenze beginnen die Probleme: Die Umweltverschmutzung in der Region um die Rocky Mountains wird immer größer. Gold- und Silberminen belasten die Flüsse, und Energieunternehmen kaufen immer größere, einst landwirtschaftlich genutzte Flächen auf, um dort Erdgas zu fördern.

Von Jan Lublinski |
    Der Highway 36 führt diagonal durch den rechteckigen US-Bundesstaat Colorado. Richtung Nordwesten verlässt er die Hauptstadt Denver mit ihren in der Sonne blitzenden Wolkenkratzern und läuft auf eine Bergkette zu, die steil aus dem flachen Land empor steigt, grünblau, mit schneebedeckten Gipfeln. Die Rocky Mountains.
    Direkt am Fuße der Berge liegt das Universitätsstädtchen Boulder: Hochhäuser gibt es hier keine, dafür viele gepflegte Gebäude aus Holz, weitläufige Parks und unzähligen Sportanlagen. Der Freizeitwert ist hoch, in Boulder leben Sportfreaks und Klimaforscher, Raumfahrtingenieure und Dichter friedlich neben- und miteinander. Der Bürgermeister fährt mit dem Fahrrad zur Arbeit und alle trennen ihren Müll in dieser für amerikanische Verhältnisse bemerkenswert umweltfreundlichen Stadt.

    Alice Wood ist eine junge, braungebrannte Frau. Sie trägt Jeans und ein ärmelloses T-Shirt, und sie fährt einen alten Toyota Pick-up-Truck. Die Stoßstangen sind völlig durchgerostet und sowohl die Ladefläche als auch die Fahrerkabine sind voller Dreck.

    Die Umweltforscherin von der Universität Boulder ist auf einer Farm in Indiana aufgewachsen und hat den alten Wagen ihrer Eltern übernommen. Heute fährt sie am Left-Hand-Creek entlang, einem Gebirgsfluss, der nördlich der Stadt hinunter in die Ebene rauscht. Nach einigen Kilometern bergauf durch tiefe Wälder öffnet sich plötzlich ein kleines Tal, in dem keine Bäume mehr stehen. Vor etwas mehr als hundert Jahren wurden sie alle gefällt, als der Gold- und Silberrausch auf seinem Höhepunkt war und hier eine Mine in den Berg gegraben wurde.

    Etwa 200 Bergarbeiter waren hier einst beschäftigt, jetzt ist das Tal völlig verlassen. Der Eingang zum Stollen ist offen, und er führt direkt in den Berg hinein.

    Hier drin spürt man die kalte Luft aus der Mine. Und man sieht, wo sich die Bergarbeiter hindurchkämpfen mussten, damals, mit ihren einfachen Werkzeugen: Durch harten Stein. Die Mine hatte 5 Ebenen, das heißt: alle 30 Meter kommt ein neuer Stollen, der dann tausende von Metern in den Berg hinein führt, je nach dem wo das Erz zu finden war.

    Mehrere Dutzend solcher Minen wurden Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts entlang des Left-Hand-Creeks gegraben. Die Stadt Boulder entwickelte sich in dieser Zeit zum zentralen Umschlagplatz. Hier gab es Wohnraum für die Goldsucher, Werkzeuggeschäfte, aber auch Läden, in denen man seinen frisch gewonnenen Reichtum vertrinken und verspielen konnte. Und auf der Pearl-Street florierte das Geschäft der Prostituierten.
    Bald aber kamen auch immer mehr bürgerliche Familien in die Stadt. Sie organisierten Konzerte und Theaterabende, und im Jahr 1877 gründeten sie die Universität von Colorado.

    Heute ist die ehemals rot beleuchtete Pearl Street eine bunte Flaniermeile mit vielen Musikern und Straßenkünstlern. Kleine Brauereien laden zum Verweilen ein, aus tibetanischen Geschäften mit Buddhas in den Schaufenstern dringt der Duft von Räucherstäbchen. Im traditionsreichen "Boulder Bookstore" mit angeschlossenem Café sitzen Studenten an weißen Macintosh-Laptops und surfen drahtlos im Internet, während draußen auf der Straße ein bärtiger Hippie auf seiner Harfe spielt.

    Am anderen Ende der Stadt, im Satellitenforschungszentrum LASP, sitzen Jordan Spatz und Jason Durrie an einer langen Reihe von Computern. Sie studieren im dritten Jahr Raumfahrttechnik und sind bereits voll integriert in den Betrieb eines NASA-Satelliten mit Namen "Source". Er misst die Strahlung, die von der Sonne kommt über viele Jahre hinweg. Damit das Beobachtungsprogramm reibungslos ablaufen kann, planen Jordan und Jason alle Kommandos eine Woche im Voraus – und programmieren die entsprechende Software.

    Die Atmosphäre an diesem Institut ist ziemlich locker und offen. Die Leute hier bemühen sich, uns Studenten früh in ihre Projekte zu integrieren. Denn wenn man hier neu anfängt, weiß man natürlich erst einmal nur sehr wenig.

    Zwei Zimmer weiter kontrolliert Larry Esposito Messinstrumente der Raumsonde Cassini, die derzeit um den Planeten Saturn kreist. Boulder bietet für seine Forschung das ideale Umfeld, betont er.

    Die Universität zieht kleine High-Tech-Firmen an, die gut bezahlte Jobs anbieten, so dass noch mehr kreative Menschen nach Boulder kommen können. Die Stadtverwaltung achtet darauf, dass hier keine stinkenden Fabriken errichtet werden. Wir alle wollen, dass dies eine freie, angenehme Gegend bleibt – in der man gute Wissenschaft betreiben kann. Es gibt Leute die sagen: Boulder liegt zwischen den Rocky Mountains und der Realität. Ein Ort der Freiheit und Alternativkultur. Ganz ähnlich wie Berkeley in Kalifornien. Manche nennen diese Stadt sogar die "Volksrepublik Boulder", weil sie eine Bastion des liberalen Denkens und des Widerstandes ist gegen die Interessen der konservativen Agrar- und Bergbau-Lobby, die im Rest des Bundesstaates Colorado das Sagen hat.

    Die Umweltforscherin Alice Wood fährt weiter die Berge hinauf zu einer Ortschaft, die sich "Ward" nennt und die nur aus wenigen Häusern besteht.

    Dieses Schild hier ist ein sehr gutes Beispiel für die Mentalität hier oben: "Brems deinen Arsch ab und pass auf die Hunde auf". Den großen Stein da vorn hat jemand wohl absichtlich auf die Straße gelegt, damit die Leute hier nicht reinfahren. – Keine Angst die Hunde kennen mich. Ich springe gleich raus und gebe ihnen ein paar Plätzchen.

    Der Ort ähnelt dem Hinterhof eines Schrotthändlers: Autos ohne Räder stehen hier herum, Kühlschränke, eine rostige Kinderschaukel und ein ausrangiertes Sofa. Die wenigen Menschen, die hier teils legal, teils illegal leben, wollen in Ruhe gelassen werden, erklärt Alice Wood.

    Hinter einer Biegung kommt ein seltsamer Hügel zum Vorschein: er besteht aus vielen Tonnen hellgelber Steine. Es riecht nach Schwefel, und ein kleiner orangefarbener Bach fließt den Hügel herunter und sammelt sich zu einem kleinen See. Dahinter befindet sich die "Big Five" Goldmine. Auch sie ist völlig verlassen.

    Dieses Wasser fließt aus der Mine heraus und durch diesen aufgeschütteten Hügel aus Abfall-Gestein. Es hat einen pH-Wert von 2, ist also sehr sauer. Weiter unten wird die Schwefelsäure wieder mit sauberem Wasser verdünnt, und das im Wasser gelöste Eisen fällt aus. Darum ist dieser kleine See da unten dunkelrot gefärbt.

    Noch weiter unten, wenn der Bach aus der Mine in den Fluss mündet, fällen dann noch andere Metalle aus - Zink, Kupfer und Blei - Stoffe, die für die Lebewesen im Wasser tödlich sind und die eine Gefahr darstellen für die Menschen, die hier leben. Außerdem bedrohen die Metalle ein Trinkwasserreservoir am Fuße der Berge, das 14.000 Menschen versorgt.

    Wir müssen hier sehr eingehende Untersuchungen vornehmen. Es gibt hier viele Minen. Wir müssen herausfinden, welche besonders große Umweltprobleme verursachen, so dass wir uns dann bei der Sanierung auf diese konzentrieren können.

    Der Beat-Poet Allen Ginsberg beginnt eine Dichterlesung mit einem Mantra. Das Aah steht im tibetanischen Buddhismus für Reinigung der menschlichen Sprache, für Freude über den Raum und die umgebende Natur. Ginsberg macht diese Übung an der Naropa Universität in Boulder, einer buddhistisch inspirierten Hochschule, die vor allem bekannt dafür ist, dass dort viele berühmte Künstler als Gastdozenten tätig waren und sind. Er selbst hat hier in den 70er Jahren die "Jack-Kerouac-School of Disembodied Poetics", gegründet, gemeinsam mit seiner Dichter-Kollegin Anne Waldman.

    Wir haben sämtliche Auftritte, Vorlesungen und Diskussionsrunden mit all den Poeten, die hier waren, auf Band. 3000 Stunden insgesamt. Damit verfügen wir über eines der wichtigsten Archive der amerikanischen Nachkriegsliteratur.

    Allerdings hatten Steven Taylor und seine Kollegen von der Naropa Universität, diese Aufnahmen nur auf billigen Audio-Kassetten gemacht. Nun aber haben sie ein modernes Studio eingerichtet und bemühen sich darum, die alten Tondokumente zu digitalisieren, akustisch zu restaurieren und im Internet zur Verfügung zu stellen. Die einst so spontane und gesellschaftskritische Poesie der Beat-Generation: in Boulder lebt sie noch heute - und wird mit modernster Computertechnik unsterblich gemacht.

    Ein Testfeld des Nationalen Atmosphären-Forschungszentrums NCAR in Boulder. Auf dem Dach eines weißen Containers dreht sich eine große Parabolantenne mit einem Durchmesser von 10-Metern.

    Mit diesem Gerät will die Atmosphärenphysikerin Marsha Politovich ein Problem lösen, das jedes Jahr den Absturz von etwa 40 kleineren Flugzeugen verursacht: Bei bestimmten Wetterbedingungen bilden sich in Wolken winzige Wasser-Tröpfchen, die trotz Temperaturen knapp unter dem Gefrierpunkt noch flüssig bleiben. Fliegt ein Flugzeug hindurch, setzen sich die Tröpfchen auf die Flügel, gefrieren dort und verändern die aerodynamische Situation so, dass der Pilot die Kontrolle verliert.

    Die Vision ist, dass wir ein Radargerät hätten, mit dem sich die Wolken über einem Flughafen untersuchen ließen. Wenn wir sehen könnten, dass sich die Eis-Tröpfchen bilden, könnten wir die Flugzeuge schnell herunter holen, oder sie unter den Wolken fliegen lassen, wo die Luft wärmer ist.

    Zur Früherkennung der gefährlichen Wassertröpfchen arbeitet Politovich mit der 10-Meter-Radar-Schüssel, die Strahlung mit einer Wellenlänge von 10 cm aussendet und wieder einfängt. Zusätzlich nutzt sie eine kleinere Parabolantenne, die mit zehn Mal kürzeren Wellenlängen arbeitet. Beide Signale werden vom Wasser in den Wolken unterschiedlich reflektiert. Vergleicht man sie miteinander, kann man herausfinden, wie viel flüssiges Wasser sich in der Atmosphäre befindet.

    Die ersten Untersuchungs-Reihen haben viel versprechende Ergebnisse gebracht. Doch es werden noch einige Tests nötig sein, bevor dieses System tatsächlich an Flughäfen zum Einsatz kommen kann.

    Die Forschung an und mit Radargeräten hat Tradition in Boulder: Anfang der 50er Jahre suchte die US-Regierung nach einem geeigneten Standort für eine Institution, die neue Radargeräte und Funksysteme testen sollte, insbesondere für militärische Anwendungen. Boulder bot ideale geologische Bedingungen: Richteten die Experten ihre Geräte nach Westen aus, so konnten sie untersuchen, wie die Signale von den Rocky Mountains reflektiert wurden, während sie ihre Signale nach Osten hin ohne Hindernisse übers flache Land hinaus senden konnten. In den Folgejahren gründete das National Institute for Standards and Technology, kurz NIST, eine Außenstelle in Boulder, die auf einem kleinen Hügel etwas außerhalb der Stadt errichtet wurde. In diesem Präzisionslabor brechen Physiker in regelmäßigen Abständen den Weltrekord für die genaueste Atomuhr, und sie haben Boulder zu einem Zentrum für einen besonderen physikalischen Extremsport entwickelt: Die Quantenoptik.

    Unrasiert und mit einem T-Shirt bekleidet kommt Professor Eric Cornell an diesem Tag zur Arbeit. "Versteckt das Kokain, wir haben einen Journalisten zu Besuch", ruft er seinen Studenten lachend zu. Sein Labor besteht aus einem großen Tisch, der die Räume fast vollständig ausfüllt und über den ein undurchsichtiger Urwald aus Kabeln und Messgeräten wächst.

    Der wichtigste Trick ist: wenn man ein Kabel einmal richtig gesteckt hat, dann nimmt man es am besten nie wieder heraus.

    Eric Cornell hat vor 3 Jahren den Physik-Nobelpreis gewonnen. Ihm ist es gelungen, den kältesten Ort der Welt zu erzeugen: Ein so genanntes Bose-Einstein-Kondensat, bestehend aus einem Tröpfchen aus ultrakalten Rubidium-Atomen, die eine Art Kollektiv bilden. Sie verhalten sich als wären sie alle ein und dasselbe Teilchen. Was vor Jahren noch als außergewöhnliche Leistung galt, ist heute zur Routine geworden: Cornell stellt den neuen Materie-Zustand im Minuten-Takt her.
    Wir schalten jetzt die Laser aus und diese beiden Spulen hier ein. Sie halten den Tropfen aus Atomen zusammen und lassen ihn schweben. Und wenn wir diese Spulen bewegen, kommt der Tropfen mit. - Jetzt ist der Tropfen zwischen zwei noch stärkeren Spulen gefangen, die ein hohes Magnetfeld erzeugen. Einige Atome haben noch zu viel Energie und fliegen raus, und die anderen kühlen sich dabei noch weiter ab – bis sie ein Bose-Einstein-Kondensat bilden. Wir schauen uns das Ganze dann mit einer Art Fernsehkamera an, und werten die Bilder aus.

    Im Nachbarlabor ist es Debbie Jin neuerdings gelungen, ein so genanntes "fermionisches Bose-Einstein-Kondensat" herzustellen. Dieses könnte in Zukunft ein Modellsystem für Supraleiter werden, also für Materialien, die Strom ohne Widerstand leiten.

    Das hier ist reine Grundlagenforschung, wir sind noch weit von Anwendungen entfernt. Aber wir haben die große Hoffnung, dass wir mit diesem System die Supraleiter bald besser verstehen können. Vielen Kollegen, die sich seit vielen Jahren theoretisch mit Supraleitern befasst haben, wird jetzt klar, dass sie ihre Theorien mit unserem System werden testen können.

    Die Laserphysikerin Margaret Murmane von der Universität von Colorado in Boulder erzeugt derweil in ihrem Labor die kürzesten Lichtblitze der Welt: Sie sind nur noch wenige Femtosekunden lang. Damit kann sie chemische Reaktionen im Detail untersuchen – aber nicht nur das.

    Wir erzeugen immer kürzere Laserpulse, um zunächst einmal die Dynamik von chemischen Reaktionen zu verstehen. Eine der größen Herausforderung des 21. Jahrhunderts aber besteht darin, diese Dynamik zu manipulieren. Wir wollen die Form der kurzen Lichtblitze so kontrollieren, dass wir Moleküle oder einzelne Elektronen dazu bringen, auf eine bestimmte Weise zu reagieren. Das heißt wir wollen bestimmte Prozesse in der Natur verstärken und kontrollieren, also nicht nur beobachten.

    David Wineland bemüht sich in seinem Labor am NIST darum, die seltsamen Gesetze der Teilchenphysik zu kontrollieren, mit dem Ziel, den Computer der Zukunft zu bauen. Statt mit den klassischen Bits, die entweder die Information "Null" oder "Eins" beinhalten, arbeitet sein so genannter Quantencomputer mit Qubits: Qubits können alle Zahlen zwischen 0 und 1 beinhalten.

    Wineland speichert Qubits in einzelnen Berillium-Ionen, die er in Magnetfeldern gefangen hält. Bislang galt es jedoch als schwierig, diese Information aus dem gefangenen Ionen wieder auszulesen und weiterzuverarbeiten. Wineland ist dieses Kunststück unlängst gelungen. Er nutzt hierfür einen weiteren seltsamen Quanten-Trick: Die Teleportation.

    Die Teleportation ist schon in vielen vorangegangen Experimenten demonstriert worden, als erstes mit Lichtteilchen. Wir haben nun zeigen können, dass man auch Qubits teleportieren kann. Sender und Empfänger dieser Nachricht sind jeweils gefangene Ionen, die an verschiedenen Orten sitzen. Wir können also über eine feste räumliche Entfernung hinweg kommunizieren.

    Die Quantenphysiker befassen sich mit den Grenzen des Mess- und Erfahrbaren. Sie behandeln Phänomene, die jenseits unseres Alttagsverständnisses liegen. Sie sind aber nicht die einzigen, die dies in Boulder tun. In Meditationszentren, an der Naropa Universität und in kleineren Kreisen suchen hier auch Buddhisten nach tieferer Erkenntnis.

    Adam Engle wohnt in einer weitläufigen Villa in einem der vornehmsten Viertel Boulders. Barfuß, die Beine im Schneidersitz, trohnt er kerzengerade auf einem weichen Sofa. Er ist der Gründer des "Mind and Life"-Institute, und in den vergangenen 10 Jahren ist es ihm gelungen, einen Dialog zwischen Buddhisten und westlichen Naturwissenschaftlern in Gang zu bringen.

    Anton Zeilinger, der berühmte Quantenphysiker aus Innsbruck hat gesagt, dass er in den wenigen Tagen, die er mit dem Dalai Lama verbracht hat, mehr gelernt hat, als von der westlichen Philosophie in seinem ganzen Leben. Auch der Dalai Lama fand diesen Dialog wertvoll, er hat aber auch darauf hingewiesen, dass die Ergebnisse nun auch in die Gesellschaft getragen werden müssen. Er hat vorgeschlagen, die Praktiken, die der Buddhismus in den vergangenen 2000 Jahren entwickelt hat, in westlichen Labors zu testen. Und wenn sich heraus stellt, dass sie den Menschen nützen, dann sollte man diese Dinge auch in nicht-religiösen Umgebungen lehren.

    Adam Engle ist derzeit dabei konkrete Forschungsprojekte anzuregen – zu grundlegenden Fragen des Bewusstseins und der Konzentration, aber auch zu klinisch relevanten Aspekten wie der Kontrolle von Emotionen und der Schmerzbewältigung.

    Ich denke, die westlichen Naturwissenschaftler haben sehr effektive Werkzeuge entwickelt, um den menschlichen Geist zu erforschen. Sie schauen in gewisser weise von außen nach innen. Und Leute, die den Weg der Meditation gehen, machen es genau umgekehrt, sie schauen von innen nach außen. Durch eine Zusammenarbeit werden beide Seiten sicher weiter kommen, als sie es alleine je könnten.

    Alice Wood, die Umweltforscherin in den Rocky Mountains, erhält an diesem Tag Besuch von einem Wissenschaftler-Team der amerikanischen Umweltbehörde. Gemeinsam klettern sie am Left-Hand-Creek eine Böschung hinab und nehmen verschiedene Wasserproben.

    Fische sind in dem Fluss schon lange keine mehr gesehen worden, wegen der Metall-Belastung aus den ehemaligen Goldminen. Einige Insekten-Arten aber leben hier noch. Der Biologe Richard Evans watet durchs Wasser, kickt mit seinem Stiefel in die Gräser am Ufer und fängt mit einem Netz eine handvoll kleiner Krabbeltiere ein.

    Wenn man die Anzahl der Insekten-Arten betrachtet, die in einem gesunden Fluss leben, so sind das üblicherweise so zwischen 40 und 150 Arten. In belasteten Gewässern wie diesem sind es dagegen nur 10 bis 15. Ein Unterschied wie Tag und Nacht. Insgesamt muss man sehr viele Informationen zusammen tragen, bevor man entscheiden kann, welche der 350 Minen in dieser Gegend die größte Gefahr darstellen. Für die Sanierung gibt es dann verschiedene Möglichkeiten. Meist wird die Mine versiegelt – eine sehr anspruchsvolle Aufgabe für die Geologen und Ingenieure. Außerdem kann man den Bereich unterhalb einer Mine abtragen. Billiger aber ist es, eine Schicht aus gutem Boden darüber zu legen, mit ein paar Pflanzen drauf. Vermutlich geben wir mehr Geld für diese Aufräumarbeiten aus, als wir jemals aus den Minen herausgeholt haben.

    Neben dem Bergbau und der Öl-Exploration setzen die Energieunternehmen neuerdings verstärkt auch auf die Förderung von Erdgas. Ric O’Connell, Umweltpolitikexperte von der Universität Boulder.

    Das Erdgas wird gefördert, in dem man Grundwasser in die entsprechenden Schichten pumpt. Das Gas kommt hoch – und mit ihm auch das Wasser, das dann an der Erdoberfläche liegen bleibt und verdunstet. Auf diese Weise werden gewaltige Mengen von Grundwasser verschwendet. Den Farmern, die in diesen Gegenden arbeiten, wird die Lebensgrundlage entzogen. Ein sehr ernstes Problem. Nun aber beginnen die Farmer und die Umweltschützer gemeinsam zu kämpfen. Weil die Umweltschützer in Colorado besser organisiert sind, gelingt das hier viel besser als in New Mexico oder Wyoming.

    Insbesondere im alternativen Boulder formiert sich der Widerstand gegen die Regierung Bush, die die Pläne der Energieunternehmen tatkräftig unterstützt. Mike Chiropolos arbeitet als Rechtsanwalt bei den Western Resources Advocates, eine Organisation, die sich gegen die Gas-Exploration wehrt.

    Insgesamt geht es hier um einige zehntausend Pumplagen, die jeweils die Fläche mehrerer Fußballfelder benötigen. Dazu kommen all die Zufahrtsstraßen, die neu gebaut werden. Wir werden zu einer Ressourcen-Kolonie für den Rest des Landes gemacht: Sie wollen das Gas heraus holen, aber was mit unseren Städten und Dörfern, unserer Tierwelt, unserer Wildnis passiert, ist ihnen egal. Was wir jetzt brauchen, sind kluge Kompromisse. Statt dessen aber erfüllt die Regierung der Öl- und Gasindustrie jeden Wunsch, überall dort, wo Ressourcen im Boden liegen.

    Die Bodenschätze haben die Menschen in und um die Rocky Mountains reich gemacht. Dass dabei Schäden entstehen, mit denen noch viele Generationen zu kämpfen haben werden, ist eine Einsicht, die sich nur langsam durchsetzt. Es sind die etwas verrückten Menschen in Boulder, die Hippies, die Natur- und Sportfanatiker, die Meditationsfans und die Wissenschaftler, die dieses Umdenken voran treiben. Vielleicht wird es ihnen gelingen, weil sie Umweltschutz, Kunst, Religion, moderne Forschung und Technologie nie als Gegensätze sondern immer als sich ergänzende Elemente verstanden haben.