Am Ende dieses Monats wird Paris den 100. Jahrestag eines der größten Premierenskandale der Tanzgeschichte festlich begehen. Igor Strawinskys "Le Sacre du printemps" wurde am 29. Mai 1913 in der Choreografie von Vaclav Nijinsky uraufgeführt und erregte deshalb so viel Aufsehen, weil die schockierende Vermischung von Volkskunst- Anteilen, der Anmutung eines heidnischen Rituals mit kühner, moderner Rhythmik und betörender Melodik wie ein Überfall auf die Sinne wirkt. Ein außergewöhnlicher Ballettabend läutete den Sacre-Jubiläums-Monat jetzt an der Pariser Oper ein. Mit Strawinskys "L'oiseau de feu", in Mikhail Fokins Fassung 1910 uraufgeführt, begann das Programm, allerdings in einer 1970 von Maurice Béjart für das Ballett der Pariser Oper geschaffenen wilden Fassung voller revolutionärer Arbeiter.
Zwar ist der Feuervogel auch bei Béjart ein mystisches Wesen im roten Trikot, aber hier trägt er nicht dazu bei, Prinzessinnen zu befreien, sondern die internationale antikapitalistische Solidarität zu entfachen. Das nimmt sich im Abstand von 40 Jahren etwas zahm aus, aber es könnte sein, dass die Absicht damals einfach war, die Revolution schön aussehen zu lassen. Im mittleren Teil des Abends berühren sich zwei Versionen desselben Stücks, von Claude Debussys "Nachmittag eines Fauns".
Etoile Nicolas LeRiche spielt den lüsternen Faun im gemusterten Trikot, in dem er wie ein fleckiges Tier durch Léon Baksts herrliche Grashügel streift. Die Einstudierung des Originals von 1912 durch Ghislaine Thesmar wirkt authentisch fremdartig. Im Gegensatz zu Nijinsky, der das satyrhaft endende Traumspiel schuf, lässt Jerome Robbins in seiner nachgestellten Version von 1953 offen, ob die Ballerina, die zu seinem in den eigenen Anblick versunkenen probenden Tänzer hereintritt, real ist oder ein herbeigesehntes Trugbild für einen bloß fantasierten Pas de deux.
Dieser sehr lebendig präsentierte tanzhistorische Hintergrund bereitete für die aufsehenerregend besetzte Uraufführung von Maurice Ravels "Bolero" ideal vor. Béjarts "Feuervogel" hatte daran erinnert, dass die hypnotischste Version des "Bolero" von ihm stammt, während die erste Bolero-Choreografie 1928 von der Schwester unseres Fauns geschaffen wurde, von Bronislawa Nijinska. Der neue Bolero von den Choreografen Sidi Larbi Cherkaoui und Damien Jalet und der Performancekünstlerin Marina Abramovic beweist mit einer von elf Tänzern vor einem riesigen, schräg gekippten Hintergrundspiegel vollkommen ins Individuelle aufgelösten Choreografie, dass so unterschiedliche Geister, wie Diaghilew sie bei den ballets russes zusammenbrachte, auch in der Gegenwart ko-existieren und zu ästhetisch außergewöhnlichen gemeinsamen Ergebnissen kommen könne. Außer dem großen Spiegel hat Abramovic für schwarzweiße Projektionen gesorgt, in denen sich drehende Spiralen wie bewegte Zielscheiben abwechseln mit einem visuellen Schneefall. Die tranceartige Wirkung der Musik wird durch diese wunderschön halluzinativen Bilder noch enorm verstärkt. Der Tanz übersetzt die Spiralform in einen schwindelerregenden Taumel virtuoser, aber ganz entspannt ausgeführter Drehungen auf verschiedenen horizontalen Ebenen.
Dem geheimnisvoll beschwörenden Sog des Stücks fügen die Kostüme des berühmten Givenchy-Designers Riccardo Tisci Eleganz und Magie hinzu. Treten zunächst die elf Tänzer noch ohne Musik, aber von Dirigent Vello Pähn mit dem Taktstock begleitet, in schwarzen weit schwingenden bodenlangen Mänteln hinein, so kommen beim Ablegen der Stofffülle durchsichtige Organza-Kleider zum Vorschein, unter denen die Tänzer hautfarbene Trikots anhaben mit Skelettapplikationen aus kostbarer weißer Spitze. Der Tanz der vornehmen und fragilen Knochenmänner wirkt nur darum nicht unheimlich oder grotesk, weil ihre weichen schwingenden Drehungen zu innigen Duetten und einem tief berührenden Trio im Zentrum führen. Und wenn Marie-Agnès Gillot am Ende im schwarzen Mantel wie der Tod allein inmitten von fünf Paaren steht, halten die Männer die Frauen wie Kinder auf den Armen, als könnten Umarmungen nicht auseinandergerissen werden, als würde man, wenn man den Tod nicht anschaut, auch von ihm nicht gesehen.
Zwar ist der Feuervogel auch bei Béjart ein mystisches Wesen im roten Trikot, aber hier trägt er nicht dazu bei, Prinzessinnen zu befreien, sondern die internationale antikapitalistische Solidarität zu entfachen. Das nimmt sich im Abstand von 40 Jahren etwas zahm aus, aber es könnte sein, dass die Absicht damals einfach war, die Revolution schön aussehen zu lassen. Im mittleren Teil des Abends berühren sich zwei Versionen desselben Stücks, von Claude Debussys "Nachmittag eines Fauns".
Etoile Nicolas LeRiche spielt den lüsternen Faun im gemusterten Trikot, in dem er wie ein fleckiges Tier durch Léon Baksts herrliche Grashügel streift. Die Einstudierung des Originals von 1912 durch Ghislaine Thesmar wirkt authentisch fremdartig. Im Gegensatz zu Nijinsky, der das satyrhaft endende Traumspiel schuf, lässt Jerome Robbins in seiner nachgestellten Version von 1953 offen, ob die Ballerina, die zu seinem in den eigenen Anblick versunkenen probenden Tänzer hereintritt, real ist oder ein herbeigesehntes Trugbild für einen bloß fantasierten Pas de deux.
Dieser sehr lebendig präsentierte tanzhistorische Hintergrund bereitete für die aufsehenerregend besetzte Uraufführung von Maurice Ravels "Bolero" ideal vor. Béjarts "Feuervogel" hatte daran erinnert, dass die hypnotischste Version des "Bolero" von ihm stammt, während die erste Bolero-Choreografie 1928 von der Schwester unseres Fauns geschaffen wurde, von Bronislawa Nijinska. Der neue Bolero von den Choreografen Sidi Larbi Cherkaoui und Damien Jalet und der Performancekünstlerin Marina Abramovic beweist mit einer von elf Tänzern vor einem riesigen, schräg gekippten Hintergrundspiegel vollkommen ins Individuelle aufgelösten Choreografie, dass so unterschiedliche Geister, wie Diaghilew sie bei den ballets russes zusammenbrachte, auch in der Gegenwart ko-existieren und zu ästhetisch außergewöhnlichen gemeinsamen Ergebnissen kommen könne. Außer dem großen Spiegel hat Abramovic für schwarzweiße Projektionen gesorgt, in denen sich drehende Spiralen wie bewegte Zielscheiben abwechseln mit einem visuellen Schneefall. Die tranceartige Wirkung der Musik wird durch diese wunderschön halluzinativen Bilder noch enorm verstärkt. Der Tanz übersetzt die Spiralform in einen schwindelerregenden Taumel virtuoser, aber ganz entspannt ausgeführter Drehungen auf verschiedenen horizontalen Ebenen.
Dem geheimnisvoll beschwörenden Sog des Stücks fügen die Kostüme des berühmten Givenchy-Designers Riccardo Tisci Eleganz und Magie hinzu. Treten zunächst die elf Tänzer noch ohne Musik, aber von Dirigent Vello Pähn mit dem Taktstock begleitet, in schwarzen weit schwingenden bodenlangen Mänteln hinein, so kommen beim Ablegen der Stofffülle durchsichtige Organza-Kleider zum Vorschein, unter denen die Tänzer hautfarbene Trikots anhaben mit Skelettapplikationen aus kostbarer weißer Spitze. Der Tanz der vornehmen und fragilen Knochenmänner wirkt nur darum nicht unheimlich oder grotesk, weil ihre weichen schwingenden Drehungen zu innigen Duetten und einem tief berührenden Trio im Zentrum führen. Und wenn Marie-Agnès Gillot am Ende im schwarzen Mantel wie der Tod allein inmitten von fünf Paaren steht, halten die Männer die Frauen wie Kinder auf den Armen, als könnten Umarmungen nicht auseinandergerissen werden, als würde man, wenn man den Tod nicht anschaut, auch von ihm nicht gesehen.