Manfred Götzke: Selten, eigentlich nie haben wir bei "Campus & Karriere" Gelegenheit, uns mit dem Bösen an sich zu beschäftigen, mit dunklen Mächten, mit Monstern. Heute schon, denn neben mir sitzt heute der Analytiker des Monströsen: Deutschlands erster Monsterologe, Matthias Burchardt. Und Matthias Burchardt ist kein Esoteriklehrer aus Berlin-Friedrichshain, sondern ein seriöser Wissenschaftler, Anthropologe von der Universität zu Köln. Guten Tag, Herr Burchardt!
Matthias Burchardt: Guten Tag!
Götzke: Herr Burchardt, bevor wir loslegen, möchte ich mal ganz kurz Ihre Kompetenzen checken. Wir spielen Ihnen jetzt mal drei Forschungsexemplare vor, und Sie sagen mir, um wen es sich handelt.
Burchardt: Oh mein Gott, jetzt stellen Sie mich auf die Probe. Leider hat die Regie gerade dazwischengesprochen. Habe ich das Krümelmonster richtig gehört?
Götzke: Richtig.
Burchardt: King Kong gehört?
Götzke: Das ist falsch.
Burchardt: Das war falsch. Godzilla?
Götzke: Richtig!
Burchardt: Und den letzten, das war Hannibal Lecter.
Götzke: Nein, es war nicht Hannibal Lecter, es war Frankensteins Monster!
Burchardt: Oh mein Gott, ich bitte um Verzeihung!
Götzke: Aber Sie kennen sich einigermaßen aus. Trotzdem muss ich Sie zuerst mal fragen, wie ernst meinen Sie das mit den Monstern und der Monsterforschung?
Burchardt: Ich meine das natürlich bitterernst, weil wir in monströsen Zeiten leben und gerade an der Universität passiert ja im Moment einiges Politisches, was dazu Anlass gibt, die Zeit mit Sorge zu betrachten. Zugleich meine ich es absolut ironisch, weil der Begriff des Monströsen bei mir sehr weit gefasst wird und auch Phänomene der Kultur fasst, die normalerweise da nicht rubriziert werden.
Götzke: Was ist Monsterologie?
Burchardt: Monsterologie ist für mich nicht eine Disziplin der Biologie, also etwa jetzt Spezies zu klassifizieren und Abstammungen und Verwandtschaften aufzuweisen, sondern eine Disziplin der Kulturanthropologie. Mich interessiert das Monster als Kulturphänomen, also gewissermaßen als eine Art Vergrößerungsglas, an dem ich Zeitgeschichte und kulturelle Befindlichkeiten ablesen kann.
Götzke: Was kann man denn am Monster ablesen oder am Monströsen?
Burchardt: Das kann ich an Beispielen zeigen: King Kong beispielsweise ist sozusagen die ungebändigte Natur, die dem Formungswillen des Menschen, der mit Technik und Zivilisation den Bereich des Natürlichen weitmöglich zurückdrängen will, eine scharfe Grenze setzt und im Gegenteil diese zivilisatorischen Errungenschaften mit einem Schlag zerstört. Er greift nach dem Flugzeug, er zertrampelt die Häuser und vor allem, er begehrt die weiße Frau.
Götzke: Es ist ja nicht selten, dass wir auch Diktatoren, kriminelle Mörder mit dem Begriff Monster belegen - dient das auch so ein bisschen dazu, das Grauen von uns fernzuhalten, uns zu distanzieren?
Burchardt: Das ist tatsächlich eine Strategie der Monsterifizierung, dass man also etwas, was uns als absonderlich erscheint, eben nicht nur in der äußeren Erscheinung, sondern auch in der geistigen oder charakterlichen Disposition erst mal zum Monster erklärt. Hitler beispielsweise, da stellt man sich dann vor, der wacht morgens auf und begeht erst mal monströse Taten - ich darf das jetzt gar nicht so lustig erzählen, weil es sehr, sehr ernst ist. Meines Erachtens unterschlägt diese Deklaration zum Monster eben auch politische Konstellationen, die diese Figuren hervorgebracht haben, und insofern wird ja durch die Deklaration auch durchaus politische Realität geschaffen.
Götzke: Inwiefern?
Burchardt: Ja zum Beispiel, dass man nicht mehr auf die Bedingungen guckt, die etwa den Faschismus ermöglicht haben, die sozialen Bedingungen, die wirtschaftlichen Bedingungen, und auch die Mitläufer und die Helfershelfer dieser Dimension.
Götzke: Man hat nur ein Monster, und die anderen sind irrelevant dafür?
Burchardt: Dem schiebt man es dann in die Schuhe, der war's, der Österreicher ist nach Deutschland gekommen und hat uns alle da verhext. Also so einfach ist das, glaube ich, nicht.
Götzke: Wie sind Sie darauf gekommen, sich mit dem Monströsen zu beschäftigen?
Burchardt: Wie so oft haben wissenschaftliche Themen ja einen Sitz im Leben, und bei mir ist das einerseits eine Außenseitererfahrung, also es ist die Party und man selber steht am Rand und fühlt sich fremd, weil man lieber Gedichte schreibt, als Alkohol zu trinken. Oder man gehört zu einer Gruppe und sieht andere am Rand stehen und fragt sich, liegt es an mir oder liegt es an dieser Gruppe. Das ist eine Erfahrung dann. Für mich sehr prägend der Film von David Lynch, "Der Elefantenmensch", wo das Monster, die abnorme Figur, eigentlich der menschlichste Protagonist des ganzen Filmes war, während die Gesellschaft monströs war. Und ich hab mich dann gefragt als Anthropologe: Ist jemand an sich Monster oder wird man zum Monster gemacht dadurch, dass eine Norm und eine Gesellschaft definiert, du gehörst nicht dazu und du bist das Monströse.
Götzke: Sie haben mich überzeugt, das ist ein interessantes Thema - warum muss es unbedingt eine ganze neue Disziplin sein, Monsterologie?
Burchardt: Also bitte nehmen Sie das auch vor allem als ironischen Titel. Es wird jetzt in Köln keinen Bachelor oder gar Master of Monsterology geben - das muss ja immer englisch sein, auch das eine Monströsität an deutschen Universitäten -, also das steht nicht an. Es ist als Disziplin ein leicht ironischer Titel, der auch sich ironisch zu anderen Disziplintiteln verhält. Was aber Sinn hat im Rahmen einer Lehramtsausbildung, ist zum Beispiel, sich mit der Frage des Fremdseins und des Abweichens zu beschäftigen, denn auch Kinder haben den Charakter eines Monsters: Sie brechen in die Welt der Erwachsenen ein, bedrohen deren Ordnung, rauben ihnen die Zeit und sind einfach völlige Fremdlinge in der Welt. Und man kann jetzt sagen, ich mach euch gleich, oder ich versuche mich reinzudenken in das Fremde und entdecke damit auch das kleine Monster in mir, mit dem ich mich dann befreunden kann. Das ist eine große Bildungschance - unabhängig davon jetzt, ob ich Lehrer werde oder in anderer Weise pädagogisch oder gar akademisch tätig werde.
Götzke: Sagt Matthias Burchardt, Deutschlands erster Monsterologe. Vielen Dank für den Besuch bei uns im Studio!
Burchardt: Gerne!
Matthias Burchardt: Guten Tag!
Götzke: Herr Burchardt, bevor wir loslegen, möchte ich mal ganz kurz Ihre Kompetenzen checken. Wir spielen Ihnen jetzt mal drei Forschungsexemplare vor, und Sie sagen mir, um wen es sich handelt.
Burchardt: Oh mein Gott, jetzt stellen Sie mich auf die Probe. Leider hat die Regie gerade dazwischengesprochen. Habe ich das Krümelmonster richtig gehört?
Götzke: Richtig.
Burchardt: King Kong gehört?
Götzke: Das ist falsch.
Burchardt: Das war falsch. Godzilla?
Götzke: Richtig!
Burchardt: Und den letzten, das war Hannibal Lecter.
Götzke: Nein, es war nicht Hannibal Lecter, es war Frankensteins Monster!
Burchardt: Oh mein Gott, ich bitte um Verzeihung!
Götzke: Aber Sie kennen sich einigermaßen aus. Trotzdem muss ich Sie zuerst mal fragen, wie ernst meinen Sie das mit den Monstern und der Monsterforschung?
Burchardt: Ich meine das natürlich bitterernst, weil wir in monströsen Zeiten leben und gerade an der Universität passiert ja im Moment einiges Politisches, was dazu Anlass gibt, die Zeit mit Sorge zu betrachten. Zugleich meine ich es absolut ironisch, weil der Begriff des Monströsen bei mir sehr weit gefasst wird und auch Phänomene der Kultur fasst, die normalerweise da nicht rubriziert werden.
Götzke: Was ist Monsterologie?
Burchardt: Monsterologie ist für mich nicht eine Disziplin der Biologie, also etwa jetzt Spezies zu klassifizieren und Abstammungen und Verwandtschaften aufzuweisen, sondern eine Disziplin der Kulturanthropologie. Mich interessiert das Monster als Kulturphänomen, also gewissermaßen als eine Art Vergrößerungsglas, an dem ich Zeitgeschichte und kulturelle Befindlichkeiten ablesen kann.
Götzke: Was kann man denn am Monster ablesen oder am Monströsen?
Burchardt: Das kann ich an Beispielen zeigen: King Kong beispielsweise ist sozusagen die ungebändigte Natur, die dem Formungswillen des Menschen, der mit Technik und Zivilisation den Bereich des Natürlichen weitmöglich zurückdrängen will, eine scharfe Grenze setzt und im Gegenteil diese zivilisatorischen Errungenschaften mit einem Schlag zerstört. Er greift nach dem Flugzeug, er zertrampelt die Häuser und vor allem, er begehrt die weiße Frau.
Götzke: Es ist ja nicht selten, dass wir auch Diktatoren, kriminelle Mörder mit dem Begriff Monster belegen - dient das auch so ein bisschen dazu, das Grauen von uns fernzuhalten, uns zu distanzieren?
Burchardt: Das ist tatsächlich eine Strategie der Monsterifizierung, dass man also etwas, was uns als absonderlich erscheint, eben nicht nur in der äußeren Erscheinung, sondern auch in der geistigen oder charakterlichen Disposition erst mal zum Monster erklärt. Hitler beispielsweise, da stellt man sich dann vor, der wacht morgens auf und begeht erst mal monströse Taten - ich darf das jetzt gar nicht so lustig erzählen, weil es sehr, sehr ernst ist. Meines Erachtens unterschlägt diese Deklaration zum Monster eben auch politische Konstellationen, die diese Figuren hervorgebracht haben, und insofern wird ja durch die Deklaration auch durchaus politische Realität geschaffen.
Götzke: Inwiefern?
Burchardt: Ja zum Beispiel, dass man nicht mehr auf die Bedingungen guckt, die etwa den Faschismus ermöglicht haben, die sozialen Bedingungen, die wirtschaftlichen Bedingungen, und auch die Mitläufer und die Helfershelfer dieser Dimension.
Götzke: Man hat nur ein Monster, und die anderen sind irrelevant dafür?
Burchardt: Dem schiebt man es dann in die Schuhe, der war's, der Österreicher ist nach Deutschland gekommen und hat uns alle da verhext. Also so einfach ist das, glaube ich, nicht.
Götzke: Wie sind Sie darauf gekommen, sich mit dem Monströsen zu beschäftigen?
Burchardt: Wie so oft haben wissenschaftliche Themen ja einen Sitz im Leben, und bei mir ist das einerseits eine Außenseitererfahrung, also es ist die Party und man selber steht am Rand und fühlt sich fremd, weil man lieber Gedichte schreibt, als Alkohol zu trinken. Oder man gehört zu einer Gruppe und sieht andere am Rand stehen und fragt sich, liegt es an mir oder liegt es an dieser Gruppe. Das ist eine Erfahrung dann. Für mich sehr prägend der Film von David Lynch, "Der Elefantenmensch", wo das Monster, die abnorme Figur, eigentlich der menschlichste Protagonist des ganzen Filmes war, während die Gesellschaft monströs war. Und ich hab mich dann gefragt als Anthropologe: Ist jemand an sich Monster oder wird man zum Monster gemacht dadurch, dass eine Norm und eine Gesellschaft definiert, du gehörst nicht dazu und du bist das Monströse.
Götzke: Sie haben mich überzeugt, das ist ein interessantes Thema - warum muss es unbedingt eine ganze neue Disziplin sein, Monsterologie?
Burchardt: Also bitte nehmen Sie das auch vor allem als ironischen Titel. Es wird jetzt in Köln keinen Bachelor oder gar Master of Monsterology geben - das muss ja immer englisch sein, auch das eine Monströsität an deutschen Universitäten -, also das steht nicht an. Es ist als Disziplin ein leicht ironischer Titel, der auch sich ironisch zu anderen Disziplintiteln verhält. Was aber Sinn hat im Rahmen einer Lehramtsausbildung, ist zum Beispiel, sich mit der Frage des Fremdseins und des Abweichens zu beschäftigen, denn auch Kinder haben den Charakter eines Monsters: Sie brechen in die Welt der Erwachsenen ein, bedrohen deren Ordnung, rauben ihnen die Zeit und sind einfach völlige Fremdlinge in der Welt. Und man kann jetzt sagen, ich mach euch gleich, oder ich versuche mich reinzudenken in das Fremde und entdecke damit auch das kleine Monster in mir, mit dem ich mich dann befreunden kann. Das ist eine große Bildungschance - unabhängig davon jetzt, ob ich Lehrer werde oder in anderer Weise pädagogisch oder gar akademisch tätig werde.
Götzke: Sagt Matthias Burchardt, Deutschlands erster Monsterologe. Vielen Dank für den Besuch bei uns im Studio!
Burchardt: Gerne!