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Zwischen Kunstfilm, Videoinstallation und Spielfilm

Er ist ein Grenzgänger der Kunst, spielt mit Kategorien und Genres. In den Niederlanden gehört Aernout Mik zu den Stars der Kunstszene, in Deutschland sind seine Arbeiten jetzt in der Retrospektive "Communitas" im Museum Folkwang zu entdecken.

Von Peter Backof |
    "Auf den ersten Blick ist es ein Gerichtsraum. O.k., das kenn ich! Aber dann, je länger man kuckt, sind es eigentlich eine Reihe von Momenten, die man nicht beherrschen kann."

    Oder nicht einordnen: "Shifting Sitting" heißt die jüngste Videoinstallation von Aernout Mik. Drei mannsgroße Projektionsflächen, Besucher haben sich in einem Gerichtssaal zu einem Sit-in niedergelassen. In einem Parallelfilm: ein Politiker, der äußerlich an Silvio Berlusconi erinnert, wie er mit einem ominösen Zettel wedelt. Er wird dann selbst zu einem Anwalt und hält ein Plädoyer. Wofür oder wogegen, erfährt man nicht. Überhaupt sind es die ständigen Metamorphosen von Bild- und Sinnebenen aus der Dramaturgie von Träumen, die Aernout Miks Werke prägen.

    "Die meisten Arbeiten sind inszeniert, mit Leuten rekonstruiert. Einerseits sind sie Rekonstruktion, andererseits spekulativ, weil Sachen passieren, die nicht möglich sein"

    Die Schwelle zwischen Wirklichkeit und Fiktion. Meistens fehlt der Ton, eine Strategie der Verfremdung.

    In "Raw Footage", einer "Rohmaterial"-Videoinstallation, hört man, dann doch einmal: wie geschossen wird. Die Sonne scheint, ab und zu kommt ein Panzer um die Ecke gefahren und feuert, irgendwohin, ins Leere. Daneben, im zweiten - und dritten – Bild: Soldaten aus nächster Nähe, die miteinander plaudern, ab und zu schießen.

    "Material von dem Krieg, was damals in Jugoslawien war. Material, das ich gesammelt habe, was eigentlich gemacht ist für die großen Press Agencies, wie Reuters: um Nachrichten zu sein."

    Nur sah man solche Bilder, in Nachrichten, gekürzt. Mik dagegen lässt lange Einstellungen unkommentiert, macht sie nur durch das Schildchen in der Ausstellung als originales Material kenntlich. Und man erfährt nicht, wer da genau gegen wen kämpft. Es ist ein eher allgemeines Portrait eines Kriegszustands: Ein Sinnbild für die sprichwörtliche Banalität des Bösen.

    "Und das ist was, was in normalen Nachrichten total anders organisiert ist, wo man - oberflächlich gesprochen - ein härteres Bild kriegt, aber keinen Zugang dazu."

    Aernout Miks Ausstellungsarchitektur muss man sich erlaufen. Das Licht im Saal des Museum Folkwang ist auf zehn Prozent der Tageshelligkeit heruntergefahren. Man kann stehen bleiben, sich in Details verlieren oder: laufen, durch ein Labyrinth aus Dutzenden von Projektionsflächen, die verwinkelt zueinander gestellt sind. Schon beim Betreten des Parcours muss man sich entscheiden: Gehe ich links herum oder rechts herum? Man betritt die Konstruktion einer eigenen Wirklichkeit.

    Sabine Maria Schmidt, Kuratorin der Ausstellung am Folkwang Museum, beobachtet die Entwicklung der eigentümlichen Bildsprache von Aernout Mik seit 1999.

    "Die Relativität des Bildes: Sie haben nicht nur verschiedene Kameraperspektiven, dadurch, dass es immer mehrteilige Videoinstallationen sind, sondern Sie haben auch Bildformate, 16 zu 9, 4 zu 3 und Sonderformate. Alles ist immer leicht versetzt, leicht verdreht, alles leicht neben dem, was wir kennen."
    Auch inhaltlich. Am Ende eines Tunnels aus Stellwänden schimmert ein anderes stummes Traumbild auf. Es wackelt nach vorne und hinten. Fast unmerklich, als sei aus einer schwingenden Abrissbirne heraus gefilmt worden. Menschen drängen auf einer Rolltreppe nach oben, zwar hektisch, aber nicht in größter Panik, so scheint es. Im Hintergrund des Films fallen dann Gebäudetrümmer durchs Bild. Ein Erdbeben! – Aber die Kamera zoomt sich so nah an die Szene, dass man nicht weiß: woher, wohin drängen diese Menschen auf der Rolltreppe; ist das vielleicht sogar eine Film-Montage?

    " Wir sind mittendrin in allen Themen, die unsere Zeit in den letzten zehn Jahren beschäftigen: Das sind ökonomische und ökologische Schwierigkeiten, der Ausnahmezustand als mittlerweile Dauerzustand einer Gesellschaft. Eine sehr angstvolle Gesellschaft."

    Vom Katastrophenvideo über das Kriegsbild bis zum Bürgerprotest: Man denkt, man müsste sich hier selber in irgendeiner Form beteiligen, Stellung beziehen, mitmachen - oder nicht. Mik dokumentierte und rekonstruierte im Verlauf der letzten zehn Jahre Aufbrüche und destillierte damit Bewegungsmuster heraus, die jeder kennt, im Grunde Gefühle und Antriebe, sich selbst bewegen zu müssen.

    "Man kann sehen, in die alten Arbeiten: so etwas wie Lähmung. Und in der letzten Zeit: eine Art von Initiative, zum Beispiel in 'Communitas', eine von den letzten Arbeiten, wo Leute versuchen, sich zu organisieren. So, das ist eine Drehung, die in den Arbeiten stattfindet und die man vielleicht auch in der Gesellschaft jetzt sehen kann."