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Zwischen Machtkalkül und Überforderung

In vielen Unternehmen und Konzernen sitzen in Aufsichtsgremien Politiker, die ihrer Aufgabe nicht ganz gewachsen zu sein scheinen. Auch über SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück kamen jetzt unangenehme Details ans Licht aus seiner Zeit als Aufsichtsratsmitglied von ThyssenKrupp.

Von Michael Braun |
    Auch in Frankfurt fragt man sich natürlich, wer die Aufsichtsratsprotokolle von ThyssenKrupp durchgestochen habe, wer Peer Steinbrück schaden wolle. Die Gewerkschaften vielleicht, weil sie einen anderen SPD-Kanzlerkandidaten wollen?

    Warum überhaupt Politiker nicht nur Aufsichtsräte großer öffentlicher Projektgesellschaften wie beim Berliner Flughafen leiten, sondern auch in von börsennotierten Unternehmen berufen werden, erschließt sich der Aktionärsvereinigung DSW nur mühsam. Grundsätzlich dagegen ist der Vizepräsident der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz nicht, Klaus Nieding:

    "Ich habe grundsätzlich überhaupt kein Problem damit, dass Politiker in Aufsichtsräten sitzen. Wichtig ist nur, dass sie zweierlei mitbringen: Kompetenz und Zeit für das Mandat. Kompetenz bedeutet: Ich muss das Unternehmen kennen, um das ich mich als Aufsichtsrat kümmern soll, ich muss die Branche kennen, ich muss die Konkurrenten kennen. Und Zeit bedeutet eben, ich muss ausreichend Zeit haben, um dieses Aufsichtsratsmandat persönlich wahrnehmen zu können und nicht mir meine Arbeit durch Dritte, etwa durch mein Backoffice, vorbereiten zu lassen."

    Eine besondere Kompetenz in der Stahlindustrie ist aus Peer Steinbrücks Lebenslauf nicht ersichtlich. ThyssenKrupp habe die wohl auch nicht verlangt, sondern andere Interessen gehabt:

    "Man erhofft sich mit Politikern in Aufsichtsräten entsprechende Einflussnahmemöglichkeiten, man erhofft sich Kontakte. Und man erhofft sich natürlich auch Initiativen für bestimmte Geschäftszwecke, wie sie ja offensichtlich, nach den Protokollen, die öffentlich geworden sind, von dem Aufsichtsratsmitglied auch angeboten sein sollen."

    Es scheint, als sei die Rekrutierung von Aufsichtsräten nicht von der Absicht getragen, wirkliche Kontrolleure zu finden. Dieter Hein, Analyst in der bankunabhängigen Gesellschaft fairesearch, hat dies beobachtet:

    "Es ist ja nicht so bei einer Aufsichtsratswahl, dass, wenn Sie zehn Mandate zu vergeben haben, 30 Kandidaten haben. Sondern Sie haben dann auch nur zehn Kandidaten. Also alleine daran merkt man schon, dass die Wahl in dieser Hinsicht auf eine gewisse Weise einfach eine Farce ist. Und wer schlägt vor? Das läuft meistens, aus meiner Sicht, ein bisschen hinten herum, auch wieder über den Vorstand. Also der sich dann wieder Leute vorschlägt oder dem Aufsichtsrat nahebringt, die der Aufsichtsrat dann wieder selber vorschlägt, die ihm genehm sind."

    Die, die beaufsichtigt werden sollen, suchen sich also oft ihre Kontrolleure aus. Dabei werden noch andere mögliche Interessenkonflikte offenbar billigend in Kauf genommen. Die Deutsche Bank wird unter anderem von Johannes Teyssen und Peter Löscher beaufsichtigt, der eine Chef von E.On, der andere von Siemens. Beide vom Hauptberuf vermutlich zeitlich stark belastet. Beide vermutlich aber auch Kunden der Deutschen Bank. Werden sie dem Deutsche Bank-Vorstand als Aufsichtsräte notfalls auf die Finger hauen, während sie andererseits mit diesem Vorstand um Kredite feilschen?

    "Das sind ja eher Kunden, als dass sie unabhängig die Bank kontrollieren können."

    Hinzu kommt, vor allem bei Aufsichtsratsmandaten in öffentlichen Unternehmen wie dem Berliner Flughafen, dies: Dort kontrollieren Politiker als Aufsichtsräte das Geld der Steuerzahler. Der Münchner Betriebswirtschaftsprofessor Manuel René Theisen hat sich mit Unternehmensführung befasst und meint, es sein ein gravierender Unterschied, ob ein Privatinvestor sein eigenes Geld in einem Aufsichtsrat kontrolliere - oder ob er als politischer Vertreter das Geld der Steuerzahler beaufsichtige.

    Die Unternehmen, so Analyst Hein, würden neue Formen der Aufsichtsratsrekrutierung kaum ansteuern:

    "Ich habe den Eindruck, dass die Unternehmen dabei überfordert sind."

    Dann muss wohl der Gesetzgeber ran.