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Zwischen menschlicher Gier und technischer Machbarkeit

Der Wettlauf um die Reichtümer am Meeresgrund ist längst entbrannt - weit über die lange laufende Ausbeutung von Öl- und Gasvorkommen hinaus. Diese Entwicklung hat nicht nur ökologische, sondern auch geopolitische Implikationen. Beide hat Sarah Zierul in " Der Kampf um die Tiefsee" untersucht.

Von Britta Fecke | 30.05.2011
    Welch riesige Rohstoffreserven in der Tiefsee lagern, wissen wir spätestens seit der Explosion der BP-Bohrinsel "Deepwater Horizon" im Golf von Mexiko. Wir wissen leider auch, dass die Menge so groß und die Ausbeutung so attraktiv ist, dass die Sicherheit hinten ansteht. Und spätestens seit Amerika mit den Folgen der schlimmsten Umweltkatastrophe seiner Geschichte kämpft, fragen sich nicht nur Fischer und Umweltschützer, um welchen Preis die Schätze der Tiefsee eigentlich geborgen werden. Oder wie es die Journalistin Sarah Zierul zusammenfasst:

    "Je tiefer die Forscher und Konzerne ins Meer vordringen und je mehr Rohstoffe sie dort entdecken, desto dringender stellt sich die Frage: Wem gehören die Rohstoffe der Tiefsee? Und wer darf sie ausbeuten?"

    Der Wettlauf um die Schürf- und Bohrrechte hat natürlich schon lange vor der Katastrophe im Golf von Mexiko begonnen, aber die Folgen waren selten so offensichtlich wie im vergangenen Sommer. Der Zeitpunkt für ein Buch, dass die Rohstoffreserven der Tiefsee zum Thema hat, die geopolitischen Verwerfungen im Kampf um Gas- oder Ölfelder und die ökologischen Auswirkungen, ist also gut gewählt. Und so nimmt Zierul den Leser mit in die Tiefen der See und die Untiefen der politischen Interessen, taucht ab zwischen geologischen Formationen, menschlicher Gier und technischer Machbarkeit. Um die Verstrickungen zu entwirren, war Sarah Zierul in den Laboren, in den Archiven und auf den Forschungsschiffen von der Südsee bis in die Arktis:

    "Die Bilder der Expedition gehen um die Welt: Unter der arktischen Sonne arbeitet sich ein imposanter Eisbrecher durch krachende Eisschollen. An Bord weht eine russische Fahne. Ein weiteres Schiff transportiert wertvolle Fracht: die russischen Forschungs-U-Boote Mir 1 und Mir 2, die bis auf 6000 Meter Tiefe tauchen können. Nacheinander werden sie ins eisige Wasser gelassen. Wenig später steht die russische Flagge am Boden der Arktis. In 4261 Metern Tiefe. Genau am geografischen Nordpol."

    Sarah Zierul beschreibt die Reaktionen auf diese politische Provokation mit all ihren Facetten. Benennt die Interessen von Norwegen und Grönland, Kanada und den USA. Und sie erklärt, worum es beim Kampf unter der Arktis wirklich geht:

    "Noch immer glauben sie (die Geologen), dass bis zu 90 Milliarden Barrel Öl unter der Arktis schlummern. Das wären 7,5 Prozent der weltweit bekannten Erdölvorkommen. Hinzu kommen geschätzte 47 Billionen Kubikmeter Erdgas, was etwa 30 Prozent der weltweiten Vorkommen entspräche. Die Anrainerstaaten spekulieren auf ein Milliardengeschäft in der arktischen Tiefsee. Allen voran Russland."

    Es geht heiß her im arktischen Eis: Welche politischen Probleme im Nordmeer entstehen, welche technischen und wissenschaftlichen Herausforderungen die Bergung der Erdöl- und Gasvorkommen mit sich bringen und welche Gefahren für das empfindliche Ökosystem bestehen, all das hat Zierul ausführlich recherchiert. Zudem versäumt es die Politologin nie, die Zahlen und Größen in allgemein verständliche Relation zu setzten. Das macht dieses Buch für jeden Laien gut lesbar und könnte in dieser Hinsicht vielen Wissenschaftlern zum Vorbild dienen. Außerdem kommt der Leser auf den 335 Seiten ordentlich rum, denn Sarah Zierul war nicht nur im Eismeer, sondern auch südlich des Äquators unterwegs:

    "Wegen des Erdöls aus der Tiefsee droht immer öfter Streit zwischen Staaten, die um die Hoheitsrechte auf See zu kämpfen bereit sind. Solche Konflikte kündigen sich sowohl vor Angola als auch vor Brasilien an - und vor den Küsten vieler weiterer Staaten."

    Viele Küsten hat die Autorin selbst in Augenschein genommen und das Hinterland gleich mit, und wenn sie mit dem Taxi zum Beispiel durch Angolas Hauptstadt Luanda fährt, erfährt der Leser auch noch wie der Alltag gleich neben den repräsentativen Palästen der Ölkonzerne aussieht:

    "Neben den vielen Wunden, die der Krieg im Land geschlagen hat, ist Angola noch immer übersät mit Landminen. Auf jeden Bewohner kommt eine Mine, sagt man in Luanda. Das wären knapp 13 Millionen Minen, die vor allem dort versteckt wurden, wo sie am meisten Schaden anrichten sollten: auf Straßen und Wegen, entlang der Eisenbahnlinien und auf landwirtschaftlich genutzten Feldern. Täglich werden Kinder und Erwachsene in der Luft zerrissen, weil sie versehentlich auf eine Mine getreten sind."

    Und während der Bauer sein Feld nur unter Lebensgefahr bestellen kann und kaum sein Auskommen hat, machen einige wenige in Angola das große Geld: Angolas Einkünfte werden allein durch die Erdölbohrungen auf 20 Milliarden Dollar im Jahr geschätzt!

    Die Wirtschaft des afrikanischen Landes wächst seit fünf Jahren um knapp 20 Prozent jährlich. Die Auswirkungen beschreibt Zierul genau und bricht sie unter anderem runter auf die Mietpreise:

    "Mitarbeiter ausländischer Hilfsorganisationen berichten, dass die Miete für eine Zweizimmerwohnung in Luanda inzwischen auf unfassbare 15.000 Dollar im Monat gestiegen ist. Die Hauptstadt eines der ärmsten Länder Afrikas übertrifft damit London."

    Wie das schwarze Gold zur schwarzen Pest wird, wer an der Krankheit verdient und wer an ihr zugrunde geht, wer forscht und wer sucht - und das nicht nur nach Öl, sondern auch nach wertvollen Mineralien vom Meeresgrund, all das ordnet die Autorin hervorragend ein. Sie will aber auch die ökologischen Probleme rund um die Ausbeutung der Tiefsee behandeln, und das gelingt ihr nicht immer so gut. Der Blick der Politologin auf das naturwissenschaftliche Arbeiten ist zwar voller Begeisterung, aber leider oft auch ermüdend umständlich und manchmal geradezu naiv. Auch die Erwähnung ihrer Inspiration macht sie nicht überzeugender:

    "Schließlich hatte ich in Frank Schätzings Roman 'Der Schwarm' von einem, fiktiven Tiefsee-Simulator gelesen."

    Und schon auf der nächsten Seite heißt es wieder:

    "Auch in 'Der Schwarm' spielen die Hydrate eine wichtige Rolle für die fiktive Geschichte einer Verschwörung der Meeresbewohner gegen den Menschen."

    Sarah Zierul tut sich in diesem Fall keinen Gefallen, wenn Sie in ihrer Analyse so gerne fiktive Romane zitiert! Wem das wissenschaftliche Arbeiten also vertraut sein sollte und wer ihre Schwäche für Frank Schätzing nicht teilt, der mag die ersten Kapitel vielleicht lieber überspringen und die Lektüre erst ab dem dritten beginnen. Denn die Biologie der Tiefsee haben andere vor Sarah Zierul besser beschrieben. Wer aber wissen will, wie die politischen und geostrategischen Fäden verwoben sind, wer welche Waffen im "Kampf um die Tiefsee" führt, der ist mit gleichnamigem Buch sehr gut beraten!