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Zwischen Mythos und Isolation

Man nannte sie "die Göttliche", die Stockholmer Verkäuferin Greta Lovisa Gustafsson, die mit 17 als Greta Garbo zum Star wurde und in Hollywood Filme machte, die um die ganze Welt gingen. Sie war die "Kameliendame", die Königin "Christina von Schweden", "Mata Hari", die Spionin, oder die sowjetische Kommissarin "Ninotschka". Fast immer war sie exzentrisch - und immer voller Geheimnisse. Sie starb 1990 und würde heute 100 Jahre alt.

Von Peter W. Jansen |
    "Freundlicher Leser! Ich bin nicht die, für die du mich hältst. Ich bin eine Frau wie alle anderen. Ich verdiene weder mehr Aufmerksamkeit noch auch mehr Liebe als alle, die die Straßen bevölkern und deinen Weg kreuzen. Das Mysterium Greta Garbo ist nichts als eine Massensuggestion."

    Sie war 21, als sie das schrieb, und sie hatte gerade mal sieben Filme gedreht, in Schweden und in Deutschland, und zwei kamen soeben in Amerika heraus. In jedem dieser Filme ist ihre Sinnlichkeit fast ohne jedes Interesse, unbedingt etwas haben oder erreichen zu wollen. Sie fährt lieber ihren Sportwagen gegen einen Baum, als das Leben des Geliebten zu gefährden; lieber hustet sie sich als Kameliendame zutode, immerhin in den Armen von Robert Taylor. Das Sein ist wichtiger als das Haben. Oft hat man den Eindruck, dass sie sich selbst noch am ehesten genügt. Die Bilder, die sie in der Umarmung zeigen, stellen sie stets als die Frau vor, die aufblickt zum Mann, der sie um Haupteslänge überragt. Doch diese Bilder täuschen. Greta Garbo ist nicht die Frau, die erst aufblüht, wenn ein Mann die Szene betritt. Sie öffnet ihre Sensibilität auch für einen Baum, eine Blume oder das Bild, das eine Wolke an den Himmel zeichnet. In GRAND HOTEL liebkost die Tänzerin Grusinskaja den Telefonhörer, über den sie mit ihrem unverhofften Geliebten spricht, dem Hoteldieb, der bei ihr eingebrochen ist und sie vor dem Selbstmord bewahrt hat.

    Sie meint, wenn sie den Telefonhörer streichelt, nur für unsere Phantasie auch einen anderen Gegenstand; für sich selbst meint sie nichts als den Apparat. Denn sie hat keine Beziehung zum Lasterhaften oder Zweideutigen. Ihre Schönheit ist zweckfrei, monologisch, autonom. Und so wenig sie sich nur den Männern öffnet, so wenig ist sie auch unbedingt heterosexuell. Als Königin Christine von Schweden, in den knapp anliegenden Männerkleidern, wirkt sie androgyn. Als sowjetische Kommissarin in NINOTCHKA muss sie schon einem sehr damenhaften Hut begegnen, um von der Männerrolle Abschied zu nehmen. Vorher hat sie dem verführerischen Beau Melvyn Douglas erklärt, was die Liebe ist - und sie sagt es, natürlich, mit russischem Akzent.

    Sie ist kaum ein Objekt der Begierde wie ihre Zeitgenossin Mae West. Sie weckt weder die Gier nach Besitz noch die Qualen der Eifersucht noch die dunkle Lust nach Zerstörung. Immer bleibt bei diesem Vamp eine Aura von Distanz und Exotismus, auch wenn Greta Garbo zum Exzentrischen neigt. Wenn sie exaltiert agiert, ist sie die Venus, die sich nach ihren verlorenen Armen sehnt. Als ihr Entdecker gilt Mauritz Stiller, der schon weltberühmt war, als er die Verkäuferin Greta Lovisa Gustafsson in seinem Film GÖSTA BERLINGS SAGA als Greta Garbo mitspielen liess. Dann ging der Vierzigjährige mit der Siebzehnjährigen auf Reisen und vermittelte ihr in Berlin die Rolle der Greta Rumfort in der FREUDLOSEN GASSE. Als Stiller nach Hollywood geholt wurde, nahm er seine Entdeckung mit. Für ihn selbst wurde Amerika ein Desaster, während die Frau, die er außer seinem Handgepäck mitgebracht hatte, zur "Göttlichen" aufstieg. Diese Geschichte einer Liebe, auch wenn sie keine gewesen sein mag, hat die Stargeschichte der Greta Garbo entscheidend mitgeprägt. Auch privat blieb sie, was sie auf der Leinwand war: ein Solitär. Wie kein anderer Star aus Hollywood hat sie sich jeder Publicity entziehen können, das stand sogar in ihrem Vertrag. Die Werbung machte daraus die Kunstfigur Greta Garbo, bei der Leben und Darstellung von Leben punktgenau zusammenpassten. Selten hat es eine Übereinkunft von Industrie und Person gegeben, die glücklicher und erfolgreicher war. Und selten hat es einen erfolgreichen Menschen gegeben, der unglücklicher war. Dass Greta Garbo, die sich mit noch nicht einmal Vierzig aus dem Kino zurückzog, aus Fleisch und Blut war, wusste man erst wieder, als sie 1990 gestorben war. Und sich in ihrer Wohnung in New York ganze Batterien leerer Whiskyflaschen fanden. In der frühen autobiografischen Notiz heißt es am Schluss:

    "Sie haben gesehen, wie ich mich gestaltet habe. Warten Sie, bis ich mich auflöse. Dann werden Sie sich vielleicht wieder über meine Lebensgeschichte beugen."