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Zwischen Ohnmacht und Gestaltungswillen

Die europäischen Länder wollen sich künftig bessere Regeln geben und eine härtere Finanzpolitik betreiben - so der Plan. Doch zur Überwindung der Finanzkrise müsse noch mehr geschehen, meint Uwe Jean Heuser.

Ein Radioessay von Uwe Jean Heuser |
    I. Ohnmachtsgefühle
    Ein Schreckensjahr lang hat es gedauert, dann hat Europa kurz vor Jahresschluss 2011 doch noch Farbe bekannt. Die Euroländer und einige EU-Partner wollen enger zusammenrücken und das mit Leben füllen, was zuvor nur auf dem Papier stand: eine Stabilitätsunion. Schuldensünder sollen anders als früher tatsächlich bestraft, Schuldenbremsen eingerichtet werden. Dafür stellt Europa schneller mehr Geld bereit als zuvor geplant, teils über Brüssel, teils über den Währungsfonds in Washington.

    Nicht alle EU-Länder sind bei diesem Projekt dabei, aber das dürfte wohl vor allem das Problem derjenigen sein, die es vorgezogen haben, draußen zu bleiben. Vor allem Großbritannien wird wenig Freude an seiner selbst gewählten Isolation haben. Es macht seine Banker glücklich, aber nicht seine Bürger.

    Es war kurz zuvor, im November 2011, als viele Bürger zum ersten Mal realisierten: Die Euro-Schuldenkrise könnte richtig gefährlich werden. Sie merkten, dass sie sogar im wirtschaftlich erfolgreichen Deutschland nicht gefeit sind gegen die Geschehnisse in den Krisenländern und auf den Finanzmärkten.

    Der Krisenfall Irland war noch klein und weit weg gewesen, Portugal auch, und Griechenland erhitzte die Gemüter, aber immer war klar, auch die Griechen können wir retten, wenn es sein muss. Dann kam die italienische Herausforderung. Explodierende Zinsen zwangen den Katastrophen-Premier Silvio Berlusconi in Rom aus dem Amt. An seine Stelle trat der Wirtschaftsprofessor Mario Monti mit seinem Expertenkabinett, in das sich hochrangige Parlamentarier gar nicht erst hineintrauten. Noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg ist eine Regierung in einem zentralen europäischen Land auf diese eigentlich höchst undemokratische Art gebildet worden. Ein Zeichen höchster Not. Ein Notruf. Ein Weckruf.

    Die Wahrheit sprach sich schnell herum: Die Europäer können das kleine Griechenland leicht mit durchschleppen, das große Italien nicht. Mitgefangen, mitgehangen, heißt es da auch für viele deutsche Bürger: Allein der Münchner Versicherungskonzern Allianz, der für viele von ihnen die Altersvorsorge verwaltet, hat den Italienern gut 26 Milliarden Euro geliehen. Zum Vergleich: Die Griechen schlagen bei der Allianz mit weniger als einer Milliarde zu Buche.

    Seither steht fest: Egal, wie groß der neueste Rettungsplan und der neueste Tabubruch auch ausfallen, Europa steht vor einer langen Reise vorbei an hohen, gefährlichen Klippen. Es darf nicht mehr viel schiefgehen. Italien darf genauso wenig wie jedes andere große Euro-Land im Politchaos versinken. Auch seine Bürger müssen mitziehen und den Wandel spätestens Anfang 2013 auch wählen. Überhaupt müssen die Südvölker Europas sich auf den Deal einlassen, der da heißt: Wir halten uns an neue Euro-Regeln und akzeptieren Sparkontrollen, und dafür hilft der Norden uns und der ganzen Gemeinschaft aus der Patsche.

    Europa hat sich daran gewöhnt, wütend auf Deutschland zu sein. Erst, weil es so wenig tat. Jetzt, weil es den Kontinent auf eiserne Disziplin festgelegt hat. Doch von den Deutschen wird auch viel verlangt: Sie sollen alle Tabus brechen, die sie beim Geld kennen. Sie sollen akzeptieren, dass die Notenbank Geld druckt. Sie sollen viele eigene Mittel in Rettungsfonds stecken und dafür ihr Triple-A-Rating riskieren. Und am Ende könnte das stehen, was die Deutschen aus ihrer Geschichte heraus mehr fürchten als jede andere Nation in Europa: Inflation.

    Es ist ein historischer, aber auch ein aus der Not geborener Deal, der sich da anbahnt. Ein Mehr an Gemeinschaft und Kooperation als einzige verbliebene Antwort auf eine gemeinsame Bedrohung.

    Auch wenn dieser Deal gelingt, bleiben aufregende Jahre zu bestehen. Wie aufregend, das hat auch im November 2011 der deutsche Wirtschaftssachverständigenrat in einem Vorschlag offenbart. Die bekannte Professorin Beatrice Weder di Mauro und ihre vier männlichen Kollegen verlangten, dass jedes Land, welches noch Euroland sein will, die Abkehr von einer immer neuen Verschuldung in seine Verfassung schreiben soll. Außerdem schlugen die Experten vor, dass diese Länder ihre übermäßigen Schulden in einem gemeinsamen Fonds vereinen, bedienen und langsam abbauen. 20 bis 25 Jahre würde es dauern, bis auch Italien wieder sicher wäre.

    Mit anderen Worten sagten die Sachverständigen: Damit es gut geht mit Euroland, brauchen wir ein Vierteljahrhundert äußerster Disziplin. Größer könnte die Herausforderung nicht sein.

    Vor genau einer Dekade kam der Euro. Auf den Tag zehn Jahre ist er jetzt alt. Neun Jahre lang hatten sich die Bürger an ihn gewöhnt. Jetzt lehrt der Euro sie fürchten. Selbst Politiker fühlen sich den Mächten dieser Krise immer noch ausgeliefert. Die Menschen nehmen ihre Regierungen trotz aller neuen Versuche als reagierende Institutionen wahr, und Ohnmacht ist für eine Demokratie ein gefährliches Gefühl.

    Zeit zu fragen, wer die Krise überhaupt verursacht hat.

    II. Verantwortung
    Am liebsten führen die Menschen alles auf einen einzigen Grund zurück. Auch die große Finanz- und Schuldenkrise, die gegenwärtig den Lauf der Welt dominiert. Bloß hat jeder einen anderen Schuldigen zu bieten. Die Notenbanken zum Beispiel. Oder die Wall Street. Oder die Politik.

    Wer also hat versagt? Tatsächlich sind es alle zusammen.

    Die Finanzmärkte sind zwar nicht halb so irre oder böse, wie sie heute oft hingestellt werden. Aber sie sind als Korrektiv auch nicht vertrauenswürdig. Man kann ihnen dafür danken, dass sie Rom zur Vernunft zwingen. Tadeln muss man sie dafür, dass sie es viel zu spät tun. Genau das ist die Dialektik der ebenso verzögert wie brutal reagierenden Märkte: Ohne große Vorwarnung lassen sie die Zinsen eines Landes explodieren - und machen es dem Land dadurch umso schwerer, sich noch zu retten.

    Lange blenden die Finanzmärkte also eine Gefahr vollkommen aus, um sie dann in den Fokus zu rücken und zu übertreiben. Fast über das gesamte vergangene Jahrzehnt gewährten sie Griechenland und Italien Kredite zu niedrigsten Zinsen. Natürlich war bekannt, dass sich beide Länder mit merkwürdigen Statistiken in den Euro hinein geschummelt hatten. Das störte aber niemanden, denn es war Aufschwung- und Partyzeit. Als aber erst einmal die Angst einsetzte, begann eine Massenflucht aus den Anleihen der Südeuropäer. Ergebnis: Die südeuropäischen Staaten erhielten fast ein Jahrzehnt lang Geld so billig wie Deutschland. Und nun, quasi über Nacht, müssen sie doppelt so hohe Zinsen bezahlen wie ein südamerikanisches Schwellenland.

    Finanzmärkte operieren immer in einem bestimmten Modus. Mal optimistisch mit Blick auf die Chancen, dann abrupt pessimistisch. Man könnte sie als manisch-depressiv bezeichnen. So machten sie die Finanzkrise von 2008 erst möglich. So eskalieren sie heute die Euro-Krise.

    Natürlich waren es auch die zuvorderst angelsächsischen Banken und Fonds, die diese Wogen hochschäumen ließen. Mit ihrem unverantwortlichen Verhalten blähten sie die Häuser-Blase in den USA auf und zogen die ganze Welt mit in den Strudel. Viele europäische Banken - und nicht zuletzt die deutschen staatlichen Banken - spielten das Spiel mit, ohne es genau zu kennen. Es kam zum Crash. Dann mussten die Staaten die Banken retten und verausgabten sich dabei so sehr, dass viele von ihnen - die sich ohnehin schon vorher viel zu hoch verschuldet hatten - heute bis über beide Ohren in der Schuldenkrise stecken und über den Euro auch die Bundesrepublik in ihr Debakel hineinziehen.

    All das wäre ohne die Politiker zwischen Washington und Berlin nicht möglich gewesen, die noch bis 2007 die Finanzmärkte deregulierten und der Bankenlobby jeden Wunsch nach mehr Freiheit von den Augen ablasen. Es fällt schwer, etwa die deutsche Regierung für ihre Krisenbekämpfung generell zu schelten. Immerhin hat sie bisher den großen Absturz verhindert. Nein, die Hauptverantwortung liegt - wie bei den meisten Regierungen - in der Zeit davor. In Griechenland etwa schauten sie zu, wie sich ein großer Teil der Bürger via Beamtenprivilegien, Korruption und Steuerkriminalität selbst bereicherte. In Italien waren die Regierenden nur darauf ausgerichtet, einen Medienmogul und Lebemann an der Macht zu halten, ohne auch nur eine einzige Reform anzupacken.

    All das aber hätte niemals so schlimme Folgen gehabt, wäre die amerikanische Zentralbank nicht gewesen. Man muss sich die damalige Situation vor Augen halten. In den neunziger Jahren herrschte Wirtschaftswunder in Amerika. Der Staat erzielte sogar Überschüsse, und die Konsumenten kauften riesige Warenmengen aus aller Welt. Dann kam der Zusammenbruch der New Economy, kurz darauf der Terroranschlag vom 11. September. Statt die Wirtschaft der Vereinigten Staaten sich nun gesundschrumpfen zu lassen, verschuldete sich der Staat, und die Zentralbank unter dem damals gottgleich verehrten Alan Greenspan half Jahr um Jahr mit Niedrigstzinsen nach. Kredite auf der ganzen Welt wurden so viel zu billig.

    Wir müssen stark sein, sagte Amerika nach dem Schicksalsjahr 2001 -und schuf die Grundlage für die nachfolgende Krise samt der eigenen Schwächung.

    III. Geburtsfehler
    Schlimm wäre es für Europa so oder so geworden in dieser nunmehr fast fünf Jahre währenden Krise. Doch nun ist es schlimmer gekommen als irgendwo sonst auf der Welt. Die Frage, wie die Krise so weite Kreise ziehen konnte, wo sie doch als Hypothekenkrise in den USA begonnen hatte - diese Frage führt zur Verantwortung des politischen Europa und zu den Geburtsfehlern des Euro.

    Um die Krise zu verstehen und zu überwinden, ist ein Rückblick auf die Gründungsdebatte erforderlich. Nirgends tobte sie stärker als in Deutschland. Die Skeptiker, vornehmlich Ökonomen, glaubten nicht, dass einige gemeinsame Verschuldungsregeln, wie sie der Vertrag von Maastricht vorsieht, eine gemeinsame Währung begründen könnten. Ebenso wenig glaubten sie, dass die Mittelmeerländer aus eigenem Antrieb zu einer Stabilitätskultur finden würden, wie sie die Deutschen stets favorisierten.

    Die sind nicht so wie wir, riefen die Pessimisten mit Blick auf Griechen, Italiener oder Spanier. Aber sie können so werden, konterten die Optimisten. Der Euro wird den Wohlstand für ganz Europa steigern, der Einheit der Währung wird die politische Einheit folgen. Und eine gemeinsame Finanz- und Wirtschaftspolitik wird dann dafür sorgen, dass sich die Euro-Länder nicht auseinanderentwickeln, sondern aufeinander zu.

    Die Optimisten hatten bisher leider Unrecht. Mag sein, dass die Südländer sich auf ein stabiles Wirtschaften besinnen können, getan haben sie es zehn Jahre lang nicht. Vielmehr haben sie die billigen Kredite in der neuen Währung gerne genommen, ohne sich aber zu reformieren. Und an eine gemeinsame europäische Finanzpolitik war während all der Zeit überhaupt nicht zu denken.

    Die Befürworter des Euro in Deutschland setzten auf mehr Frieden und mehr Wohlstand durch eine gemeinsame Währung. Doch sie ignorierten dabei einen Satz, der zum Merksatz hätte werden sollen: Was ökonomisch falsch ist, kann politisch nicht richtig sein. Gerade wenn das Fundament für mehr Europa ein rein ökonomisches sein sollte, hätte es eines sein müssen, das den Stürmen einer wirtschaftlichen Krise trotzt.

    Wenn den Euroforikern also eines anzulasten ist, dann dieses: Sie haben mit Wunschdenken statt mit wirtschaftlich vollends durchdachten Konzepten agiert - und nach dem Motto: Wird schon werden, ist ja immer noch gut gegangen. Diese Haltung war selbst noch anzutreffen, als die Schuldenkrise längst in vollem Gang war. Griechenland sei vielleicht ein Problem, gaben die Euroforiker zu, aber um Italien müsse man sich keine Sorgen machen - das sei vor allem bei den eigenen Bürgern verschuldet.

    Abgesehen davon, dass Letzteres nicht stimmt, ignorierte diese Haltung Italiens Grundproblem: Es ist doppelt so hoch verschuldet wie offiziell im Euroraum erlaubt, bei fehlendem Wachstum. Diese Kombination ist nicht nachhaltig. Und wirtschaftliche Fehler haben die Eigenart, sich immer im schlimmsten Moment zu rächen. Dann nämlich, wenn die Krise ohnehin auf einen neuen Höhepunkt zusteuert.

    Es ist kein Zufall, dass mit Italien und Griechenland jetzt just jene beiden Euroländer ihre liebe Not haben, die nach den Euro-Kriterien niemals hätten aufgenommen werden dürfen. Das kam als Geburtsfehler also noch hinzu: Nicht nur waren die Regeln des Euro ungeeignet, alle Länder zur Stabilität zu bekehren. Die Regeln wurden auch noch unterlaufen, weil man Griechenland und Italien aus politischen Gründen nicht außen vorhalten wollte. Schließlich sind diese beiden Länder die Wiege der abendländischen Kultur.

    Was ökonomisch falsch war, wurde eben politisch doch gemacht. Jetzt zahlt Europa die Rechnung.

    Europa hat sich nun entschlossen, sich bessere Regeln zu geben und eine härtere Finanzpolitik zu betreiben. Aber um die Krise zu überwinden, muss noch mehr geschehen. Dafür müsste der Politik und müsste den Nationen aller Euroländer das Bekenntnis zum soliden Wirtschaften ebenso abgerungen werden wie die Erkenntnis, dass übermäßige Schulden ins Verderben führen. Wie schwer das ist, zeigt das Beispiel Deutschlands, jenes Landes also, das im Moment vergleichsweise gut dasteht. Aber noch 2004 war es ausgerechnet die Bundesrepublik, die als kranker Mann Europas galt, den Vertrag von Maastricht aushebelte und zusammen mit Frankreich verhinderte, dass beide Länder für ihren viel zu hohen Schuldenstand bestraft wurden - obwohl die Verträge das so vorsahen.

    Geradezu beispielhaft zeigt Deutschland auf diese Weise, wie das Vertrauen in Europa und ins gemeinsame Geld zerstört werden kann.

    Immerhin, die Bundesrepublik hat sich reformiert. Südeuropa muss dauerhaft folgen. Ein paar Monate Expertenregierung wie jetzt in Athen und Rom reichen da nicht aus. Es muss alltägliche Politik daraus werden.

    IV. Expertokratie
    Lasst die Fachleute ran! Diese Forderung an die Adresse des Staates erschallt aus Kreisen der Wirtschaft schon länger. Unternehmer erheben sie im Gespräch, Manager und Ökonomen ebenso. Mit Fachleuten sind in der Regel Wirtschaftsexperten gemeint. Und deren Urteil müsse stärker die Politik bestimmen, so lautet das Argument: Nur so könne der Westen den Wettbewerb mit dem stärker von Experten geführten China und anderen asiatischen Ländern bestehen.

    Doch kaum jemand aus dieser Riege glaubt, dass die parlamentarische Demokratie ganz automatisch dafür sorgt, dass die richtigen Experten regieren. Schnell steht die Forderung im Raum, dass sich die Politik gewisse, fachmännisch geprägte Aufgaben selbst entzieht und sie einem Expertengremium überantwortet. Die Festlegung der Rente. Teile der Finanzpolitik oder der Arbeitsmarktpolitik, um nur einige Beispiele zu nennen.

    Auch im Internet ist die Hoffnung auf eine wachsende Expertenrolle groß. Die Netzbürger der Zukunft sollen zwar selbst über viele Fragen von zu Hause aus abstimmen dürfen. Aber sie sollen auch immer die Möglichkeit haben, die eigene Entscheidung Experten zu überlassen. Der Schwarm kann also mit seiner eigenen Intelligenz bestimmen, wer die entscheidenden Fachleute sein sollen.

    Und nun also, in höchster finanzpolitischer Not und unter dem Druck aus Berlin, Brüssel und Washington, haben Griechenland und Italien genau das gemacht: ausgewiesene Experten an die Spitze geholt. In Athen ist es der europaweit bekannte Notenbanker Papademos, in Rom der international anerkannte Ökonom Monti. In Italien geht die Expertokratie sogar weiter als in Griechenland. Die Minister sind ausnahmslos Experten und keine gewählten Volksvertreter.

    So verständlich es ist, dass die beiden notleidenden Länder zu dieser Lösung greifen - sie sollte doch die Ausnahme bleiben. Sie ist nämlich keine Weiterentwicklung der Demokratie, sondern nur ihre Karikatur.

    Erstens sind sich Experten keineswegs immer einig, und wenn sie sich einig sind, kann es durchaus sein, dass sie allesamt in die falsche Richtung marschieren - so wie die Ökonomen, die vor der Krise ganz mehrheitlich die große Finanzderegulierung unterstützten. In einer Expertokratie aber fehlt der gesunde Menschenverstand als Korrektiv. Die Experten marschieren einfach durch.

    Zweitens sind es ja nicht immer wirtschaftliche Probleme, die im Vordergrund stehen. Kommt im Falle einer Kriegsgefahr der Militärexperte ans Ruder, im Falle einer Klimakatastrophe der Öko-Technokrat? Fachleute sind eben keine Experten fürs Allgemeine, was sie mit Blick auf das Große und Ganze und die Gesamtverantwortung problematisch macht.

    Drittens nehmen Experten dem Volk die Willensbildung weg. Sie sind ja immer im Vorteil des begründeteren Urteils - schließlich sind sie die Leute mit dem Fachwissen. Also wächst die Distanz zwischen Bürger und Staat, die doch eigentlich kleiner werden müsste.

    Es wäre also fatal, wenn Europa aus dieser Krise lernte, dass wir Expertenregierungen brauchen. Immer wieder zwingt uns die Krise, Lösungen anzuwenden, die gegen Prinzipien der Freiheit und Verantwortung verstoßen. Marode Banken retten, für Pleitestaaten bezahlen, sich gemeinsam verschulden - das sind nur drei Beispiele dafür. Eine Expertenregierung einzusetzen, ist ein weiteres Exempel für den Bruch mit den eigenen Grundsätzen.

    Ein Europa der Experten - das ist die EU heute schon viel zu sehr. Wir brauchen aber ein Europa der Völker, das lehrt uns diese Krise. Die europäischen Staaten müssen eine gemeinsame Stabilitätskultur aufbauen. Sich dazu bekennen und: Sie wählen. Sie mit geeigneten Regeln und Institutionen versehen. Gegen die Fährnisse der kurzsichtigen Demokratie bedarf es nicht noch mehr Experten. Vielmehr muss die Demokratie sich langfristig auf ökonomische Vernunft festlegen - wie zum Beispiel durch die Schuldenbremse, mit der ein Staat sich künftiges Schuldenmachen selbst verbietet.

    Es ist das gute Recht eines Landes, dies nicht zu wollen. Allerdings darf es dann auf Dauer auch nicht zur Union der Euroländer gehören. Nur auf diese Weise entsteht wieder Vertrauen, das über den Glauben an einzelne Politiker hinausgeht.

    Uwe Jean Heuser ist Leiter der Wirtschaftsredaktion der Wochenzeitung "Die Zeit".