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Zwischen Richard Strauss und Darth Vader
Sinfonische Rariäten von Ottorino Respighi

Hier ein wenig Richard Strauss, dort eine Prise Debussy oder Ravel, dazu die rhythmische Sprengkraft von Strawinsky – Kritiker haben Ottorino Respighi immer wieder vorgeworfen, dass er sich für seine Musik zu viel bei anderen bedient und zu wenig einen eigenen Stil entwickelt habe. Im Rückblick betrachtet könnte man jedoch gerade diesen musikalischen Eklektizismus als zukunftsweisend betrachten.

Von Jochen Hubmacher |
    Der italienische Komponist Ottorino Respighi in einer zeitgenössischen Aufnahme. Er wurde am 9. Juli 1879 in Bologna geboren und verstarb am 18. April 1936 in Rom.
    Der italienische Komponist Ottorio Respighi ein einer zeitgenössischen Aufnahme am Klavier. (picture alliance / dpa / Ullstein)
    "Atonalität? – Dem Himmel sei Dank, das ist vorbei! Die Zukunft der Musik? Wer weiß! Ich glaube, dass jeder Komponist zu allererst individuell sein muss."
    Das sagte Ottorino Respighi 1925 in einem Interview mit der Zeitschrift "Musical America". Sein Ruhm eilte dem Komponisten da bereits weit über die Grenzen Italiens bis in die Neue Welt voraus. Den Grundstein dafür hatte Respighi mit den sinfonischen Dichtungen "Fontane di Roma" und "Pini di Roma" gelegt, den ersten beiden Teilen seiner römischen Trilogie. Er hatte damit etwas vollbracht, was seit den Zeiten Antonio Vivaldis kaum einem Italiener mehr gelungen war: Ein großes internationales Publikum nicht durch Opern, sondern mit Instrumentalmusik zu begeistern. Respighis Reputation zeigt sich etwa daran, dass er gemeinsam mit Kollegen wie Igor Strawinsky, Paul Hindemith oder Sergej Prokofjew zu denen gehörte, die vom Boston Symphony Orchestra mit einer Komposition beauftragt wurden, als das Orchester sein 50-jähriges Bestehen feierte. Respighi kannte die außerordentliche Qualität des Traditionsensembles von der Ostküste, er hatte es auf einer seiner USA-Reisen dirigiert. So konnte er den Musikern aus Boston mit "Metamorphoseon" ein effektvolles Orchesterkonzert quasi auf den Leib komponieren.
    Heute gehört es zu den absoluten Raritäten auf den Spielplänen der Sinfonieorchester. Um welche Repertoireperle es sich hier handelt, das demonstriert das Orchestre Philharmonique Royal de Liège, die königliche Philharmonie aus Lüttich in Belgien. Unter der Leitung von John Neschling hat sie das Stück jetzt beim Label BIS auf CD veröffentlicht.
    Musik:
    Ottorino Respighi, Aus "Metamorphoseon, modi XII", Tema
    Im November 1930 wurde Ottorino Respighis "Metamorphoseon" in Boston uraufgeführt. Mit "kolossalem Erfolg" wie ein Musikkritiker des "Boston Traveler" berichtet. Der Komponist selbst war von seinem Werk jedoch nicht so überzeugt. Respighi sah darin nicht viel mehr als eine Stilübung und daher unternahm er auch keine großen Anstrengungen, "Metarmorphoseon" in Europa bekannt zu machen. Dabei ist gerade dieses Stück besonders spannend, da es über weite Strecken einen Respighi jenseits der manchmal übergroßen musikalischen Gesten zeigt, die das Geschehen etwa in seinen "Pinien von Rom" dominieren.
    "Metarmorphoseon" basiert auf dem gerade gehörten Thema. Wie so oft in Respighis Musik hat es etwas Archaisches, es erinnert an gregorianische Gesänge. Schon früh beschäftigte sich Respighi mit alter Musik. Zeitlebens blieb sie für ihn eine wichtige Inspirationsquelle.
    Respighi lässt dem Thema zwölf Variationen folgen, die durch ihre meisterhafte Instrumentierung bestechen. Der Komponist wusste aus eigener Erfahrung als Geiger und Bratscher im Orchester des Teatro Communale von Bologna, welche kompositorischen Ideen in der Praxis gut funktionieren. Während eines Gastspiels in St. Petersburg nahm Respighi zudem Unterricht bei Nikolai Rimsky-Korsakow. Was er dort im Winter 1900 in nur wenigen Stunden vor allem in Bezug auf Orchestrierung lernte, prägte den damals 21-jährigen Kompositionsstudenten maßgeblich.
    Während zwei Aufenthalten in Berlin machte sich Respighi mit der Musik der deutschen "Hausgötter" Johannes Brahms und Richard Strauss vertraut. Insbesondere der Einfluss der sinfonischen Dichtungen und Opern von Richard Strauss tritt in den Werken des Italieners immer wieder hörbar zutage.
    Musik:
    Ottorino Respighi, "Metamorphoseon, modi XII"
    Hier ein wenig Richard Strauss, dort eine Prise Debussy oder Ravel, dazu die rhythmische Sprengkraft von Strawinsky – Kritiker haben Ottorino Respighi immer wieder vorgeworfen, dass er sich für seine Musik zu viel bei anderen bedient und zu wenig einen eigenen Stil entwickelt habe. Im Rückblick betrachtet könnte man jedoch gerade diesen musikalischen Eklektizismus als zukunftsweisend betrachten. Für nachfolgende Komponisten war die Musik Respighis jedenfalls durchaus stilbildend. Hollywood-Filmkomponist John Williams etwa zählt Ottorino Resphighi zu denjenigen, die ihn am meisten geprägt haben. Wie weit diese Prägung geht, das macht die folgende Passage aus Respighis "Ballata delle gnomidi" deutlich. Die Philharmoniker aus Lüttich haben die sinfonische Dichtung aus dem Jahr 1920 ebenfalls auf ihrer neuen CD eingespielt.
    Der Weg von Respighis Trauermarsch für einen Zwerg hin zum Thema für den "Star Wars"-Schurken Darth Vader ist hier nicht mehr als ein musikalischer Katzensprung.
    Musik:
    Ottorino Respighi, Aus: "Ballata delle Gnomidi"
    Den Abschluss der CD des Orchestre Philharmonique Royal de Liège bildet eine Orchestersuite mit Musik aus dem 1932 an der Mailänder Scala uraufgeführten Ballett "Belkis, Regina di Saba".
    Zur üppig-spätromantischen Klangfarbenpalette, die wiederum an Richard Strauss erinnert, diesmal an die Welt seiner Oper "Salome", fügt
    Ottorino Respighi hier Elemente authentischer orientalischer Musik hinzu. Im zweiten Satz, in dem die Königin von Saba zu Ehren der aufgehenden Sonne tanzt, schreibt er etwa ausdrücklich die Verwendung einer arabischen Trommel vor. Sie verleiht dem Tanz mit wechselnden 4/8- und 5/8-Takten einen fast schwerelosen Grundpuls.
    Musik:
    Ottorino Respighi, Aus: "Belkis, Regina di Saba" La danza di Belkis all'aurora
    Es ist oft ein schmaler Grat, auf dem sich Dirigenten und Orchester bewegen, wenn sie Musik von Ottorino Respighi interpretieren. Ein Stück wie die Orchestersuite aus "Belkis, Regina di Saba" oder auch "Pini di Roma" kann schnell so unglaublich banal klingen wie die Soundtapete für einen schlechten Sandalenfilm. Drücken die Musiker bei den martialischen Passagen zu sehr aufs Gaspedal oder lässt es der Dirigent zu, dass sie es tun, dann beschwören sie genau jene Klangkulisse herauf, vor der sich das faschistische Mussolini - Regime so gerne inszeniert hat.
    Respighis Musik sollte daher eigentlich ausschließlich von sehr guten Orchestern mit ausgezeichneten Solisten und noch besseren Dirigenten gespielt werden. Wie es gehen kann, das zeigt das Orchestre Philharmonique Royal de Liège auf seiner beim Label BIS erschienenen CD. Dirigent John Neschling, ein Brasilianer mit österreichischen Wurzeln und Großneffe von Arnold Schönberg, verfügt über ein ausgesprochen gutes Gespür für Klangbalance. So kommen, trotz des bisweilen riesigen Orchesterapparats, den Respighi vorschreibt, selbst kleinste Details der Partitur wunderbar zur Geltung.
    Dieser akribischen Genauigkeit setzt Neschling immer wieder kleine Freiheiten entgegen, die er sich und seinen Musikern gewährt: eine überraschende Tempoverzögerung hier, eine solistische Extravaganz dort. Unterm Strich führt das zu dem sehr organischen Gesamteindruck dieser CD. Die königliche Philharmonie aus Lüttich zeigt eindrucksvoll, dass es sich lohnt, einmal genauer hinzuschauen, was Ottorino Respighi neben römischen Brunnen, Pinien und Festen außerdem an sinfonischen Schätzen zu bieten hat.
    Musik:
    Ottorino Respighi, Aus: "Belkis, Regina di Saba", Danza orgiastica
    Die Neue Platte:
    Ottorino Respighi: "Metamorphoseon", "Ballata delle gnomidi", "Belkis, Regina di Saba (Suite)"
    Orchestre Philharmonique Royal de Liège
    Leitung: John Neschling
    Label: BIS Records
    LC: 03240