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Zwischen Spaß und Sucht
Wenn Computerspielen zur Krankheit wird

Am Fernseher, auf dem PC und immer öfter auf dem Smartphone: Millionen Deutsche verbringen ihre Zeit mit Computerspielen. Damit nimmt aber auch das Risiko, süchtig zu werden, zu. Mit drastischen Folgen für das Leben der Betroffenen.

Von Yannic Hannebohn | 25.10.2018
    22.08.2018, Nordrhein-Westfalen, Köln: Besucher der Gamescom spielen. Zum zehnten Mal findet die Computer Spielemesse in Köln statt. Foto: Oliver Berg/dpa | Verwendung weltweit
    Ob auf dem Smartphone, der Konsole oder am PC: Computerspiele machen Spaß, können aber auch süchtig machen (dpa)
    Als Kind fängt Jakob an zu spielen.
    "Ich glaube, das erste Mal Computer gespielt habe ich mit sechs oder sieben Jahren. Mein Vater hatte zu der Zeit noch einen schönen alten Computer mit dem wunderschönen Spiel 'Die Siedler 3'. Und da ist meine Faszination dazu erwacht. Und danach habe ich ziemlich bald meinen eigenen Computer bekommen, bin in die Spielewelt eingetaucht und sie hat mich sehr fasziniert."
    Das hat Folgen. In der Grundschule, und später auch auf dem Gymnasium, ist er nicht wirklich präsent. Er denkt an Computerspiele, seine Mitschüler ignorieren ihn. In der virtuellen Welt ist das anders. Da ist er Commander, Stratege, kann im geschützten Rahmen spielen, sich verwirklichen.
    "'Die Siedler' ist so ein Aufbauspiel, Strategiespiel. Du baust Burgen aus, Ländereien aus und versuchst den Gegner zu besiegen. Da habe ich mich mal einen Sonntag hingesetzt und ein Riesenspiel angefangen, das heißt, eines, das dann schon mal acht Stunden dauert, und habe es dann an einem Tag durchgespielt. Dann kam mein Vater ins Zimmer und hat dann schon ziemlich... war nicht gerade sehr galant in der Umgangsform dann - du musst jetzt rausgehen, du hast keine Freunde und so weiter. Du kümmerst dich schon gar nicht mehr um die Schule. Wie kannst du nur acht Stunden spielen. Ich habe mir gedacht: Ja, stimmt irgendwie noch, aber ich wollte das nicht wahrhaben."
    Tag und Nacht vor dem PC
    Tatsächlich verbringt Jakob als Jugendlicher ganze Tage vor dem PC. Irgendwann steigt er auf Online-Spiele um, die ihn zu immer längeren Spielzeiten animieren. Auch nachts sitzt er am Computer. Morgens geht er müde in die Schule.
    "Das war dann schon nicht mehr ganz so gesund. Und dazu kam dann der starke Stress mit den Eltern."
    Die sorgen sich. Während Jakobs Mutter über ihren Sohn den Kopf schüttelt, maßregelt sein Vater ihn mit immer neuen Verboten – vergeblich, denn Jakob lässt sich seine lieb gewonnene Welt nicht mehr nehmen.
    "Vater oder Mutter sperren das Internet. Ich klaue mir das Internet wieder, das heißt, ich gehe auf den PC meines Vaters und gehe in die Fritz-Box rein und hebe die Kindersperre auf, oder ich kaufe mir selbst Kabel, um meinen PC direkt mit dem Router zu verbinden. Das ist dann natürlich immer wieder eskaliert. Es gab nie körperliche Gewalt, aber verbal war es schon auf einem sehr hohen Niveau."
    Denn Jakob ist computerspielsüchtig.
    Computerspiel-Sucht ist - verglichen mit anderen Suchtkrankheiten - eine relativ junge Sucht. 2013 wurde sie zum ersten Mal offiziell als Forschungsdiagnose aufgenommen, in die fünfte Revision des Diagnostic and Statistical Manual, kurz DSM – dem Suchtkatalog der Amerikanischen psychiatrischen Gesellschaft.
    Ähnlich süchtig machend wie Glücksspiel
    2018 hat Europa nachgelegt: in Zuge der Entscheidung der Weltgesundheitsorganisation WHO, Computerspiele-Sucht als Krankheit einzustufen. Diese Sucht ist damit nach der Glücksspielsucht die zweite Verhaltenssucht und kann ab sofort auch als Diagnose gestellt werden.

    "Es gibt durchaus, das muss man sagen, wenn man sich die komplette Literatur mal anschaut, deutliche Zusammenhänge zwischen den Ergebnissen, die man in der Computerspielsuchtforschung beobachtet hat, die man zuvor eben auch bei der Erforschung von substanzgebundener Süchten, wie Alkoholismus und Nikotinabhängigkeit, Kokainabhängigkeit beobachten konnte.
    Besucher auf der Gamescom 2018 warten darauf, das Videospiel "Battlefield 5" zu spielen.
    Nicht jeder, der Stunden vor dem PC oder dem Smartphone verbringt, muss süchtig sein (picture alliance / dpa / Christophe Gateau)
    Das soll jetzt nicht so platt klingen, dass das alles das Gleiche wäre, sondern ich rede ganz dezidiert über die psychologischen Suchtmechanismen, die meines Erachtens nach Sichten der Literatur deutliche Überlappungen zeigen mit anderen Formen der Sucht, die schon lange anerkannt sind."
    Sagt Professor Christian Montag. Er leitet die Abteilung Molekulare Psychologie an der Universität Ulm und forscht seit 2009 zur Videospielabhängigkeit. Für ihn ist die Krankheit ein spannendes Phänomen, vor allem, weil dort Suchtmechanismen ohne Verzerrungen untersucht werden können.
    "Sie haben natürlich immer das Problem, wenn Sie Sucht beim Alkoholiker untersuchen, dass der Suchtmechanismus immer auch von einer toxischen Substanz überlagert wird. Diese toxische Substanz kann natürlich auch diese Suchtmechanismen verzerren. Das heißt, wir haben hier eigentlich ein reineres Suchtmodell, weil der Patient oder die Patientengruppen eben hier tatsächlich keine Substanz konsumieren. Das ist für Wissenschaftler sehr hilfreich, um auch generell Süchte besser zu verstehen."

    Ein Interesse Montags liegt dabei in der ungleichen Verteilung zwischen männlichen und weiblichen Süchtigen und dem Zusammenhang mit genetischen Faktoren. Montag untersuchte dazu die pränatalen Testosteronwerte von abhängigen und nicht-abhängigen Spielern. Diese Werte können im Verhältnis von Ring- zu Zeigefinger abgeleitet werden. Längerer Ringfinger bedeutet: Die Menschen haben als Ungeborene mehr Testosteron ausgebildet, ein kürzerer deutet auf weniger hin.
    "Und was wir in unserer Arbeit zeigen konnten ist tatsächlich, dass eine weiblichere Hand mit einer geringeren Tendenz zur Computerspielsucht einhergeht. Sodass das ein Stück weit zeigt, dass ein geringerer pränataler Testosteronspiegel zumindest eine kleine Erklärung dafür liefern kann, warum es zu den Unterschieden in den Geschlechtern hier kommt."
    Eine Entwicklung, die auch Jakob Florack vom Vivantes-Klinikum in Berlin-Friedrichshain gut kennt. Der Kinderpsychiater betreut Fälle von Computerspiel- und Mediensucht und hatte in den vergangenen Jahren eine einzige weibliche Patientin. Um eine möglichst enge Bindung mit seinen Patienten aufzubauen – unter anderem hat Florack auch den computerspielsüchtigen Jakob betreut – versucht der Psychiater, sich so gut es geht in der Welt der Jugendlichen zurechtzufinden.
    Eine Behandlung bei Florack beginnt zunächst mit einer Medienanamnese, einer Befragung, wie hoch der Medienkonsum ist. Im nächsten Schritt will er herausfinden, ob ihr Konsum für die Jugendlichen schädlich ist.
    "Es kann Techniken des Fragens geben, da gibt es auch Leute, die sich damit intensiv beschäftigt haben. Das nennt sich dann Motivational Interviewing, wo ich hinterfrage, ob denn die wahrgenommene Realität des Jugendlichen tatsächlich der Realität entsprechen. Da kann ich dann zum Beispiel so etwas machen wie Extremformulierungen verwenden: Ach, also ist mit deinem Medienkonsum tatsächlich alles in Ordnung? Da gibt es überhaupt keine Probleme. Und dann bringt man die Jugendlichen mitunter in eine Rolle, wo der nicht sagt: Ja, stimmt, es gibt überhaupt keine Probleme, sondern formuliert dann doch eigene Bedenken. Sowas kann ein Ansatzpunkt sein."
    Ein Spieler sitzt mit Kopfhörer und Mikrofon vor einem Monitor.
    Vor allem Männer sind von Computerspiel-Sucht betroffen (dpa / Marius Becker)
    Kriterien für Computerspiel-Sucht
    Die Fragen schaffen ebenso Klarheit darüber, wer der Leidtragende des Computerspielens überhaupt ist. Es kommt nämlich ebenso vor, dass Florack vor Eltern steht, die ihrem Kind eine Computerspielsucht vorwerfen, nur weil die Noten um ein paar Nachkommastellen schlechter geworden sind. Florack wundert sich dann – vor allem, wenn die Eltern nicht einmal wissen, welche Spiele ihre Kinder eigentlich am Computer spielen. Nach der Anamnese gleicht Florack das Verhalten des Jugendlichen mit den WHO-Kriterien für Computerspielsucht ab.
    Erstens: Beeinträchtigte Kontrolle, was Intensität, Häufigkeit und Dauer des Spielens anbelangt.
    Zweitens: eine zunehmende Priorisierung des Spielens bis zum Ersetzen von anderen Aktivitäten.
    Drittens: das Weiterspielen trotz negativer Konsequenzen.
    Treffen diese Kriterien zu, kann von einem krankhaften Verhalten gesprochen werden. Das kann im Extremfall zur Beeinträchtigung in der Familie, im Sozialleben, bei Bildung, Beschäftigung und in anderen Lebensbereichen führen.
    Eine 13-jährige Jugendliche spieltauf ihrem Smartphone das Spiel "Candy Crush".
    Indem den Spieler Belohnungen in Aussicht gestellt werden, wenn sie das Level schaffen, manipuliert man die User, um sie möglichst lange im Spiel zu halten (picture alliance / dpa / Henning Kaiser)
    Diese Definition kam allerdings nicht ohne kontroverse Diskussionen unter Forschern zustande. Vor allem die Aufnahme in den WHO-Suchtkatalog, erst in den USA, dann in Europa, wurde von manchen als "vorschnell" bezeichnet. Die Studienlage sei 2013 nicht ausreichend gewesen. Die Befürchtung, dahinterliegende Probleme durch die Diagnose "computerspielsüchtig" zu überdecken und eine Alltagshandlung zu pathologisieren, stand in der Diskussion. Immerhin zeigen aktuelle Studien, dass über 99 Prozent aller Spieler und Spielerinnen in Deutschland – 2016 waren das gut 30 Millionen Menschen, knapp die Hälfte davon Frauen – ein gesundes Spielverhalten besitzen. Psychologe Christian Montag kennt diese Einwände.
    "Der Hauptgrund ist, dass – das haben wir alle vor Augen –, dass wir eben nicht wollen, dass große Gruppen von Menschen zu Unrecht mit einem Label wie Sucht versehen werden, gerade wenn es um Alltagshandlungen geht. Und man kann natürlich sagen: Ja, Computerspielen macht Spaß, das ist auch erst mal per se nichts Pathologisches Computerspiele zu mögen und zu zocken. Genauso ist es ähnlich, wenn wir über jemanden sprechen, der gerne mal irgendwie in der Stadt einkaufen geht.
    Aber das sind ja nicht die Probleme über die wir sprechen. Wir sprechen über eine eher kleine aber sicherlich stabile Gruppe von Menschen, die ein Problem hat aufgrund der Computerspiele und die eben professionelle Hilfe brauchen."
    Eine hochgradig professionelle Branche
    Betrachtet man die Computer- und Videospielindustrie wird schnell klar, dass man es mit einer hochgradig professionalisierten und diversifizierten Branche zu tun hat, die allein 2017 in Deutschland 3,3 Milliarden Euro umgesetzt hat. Das wird auch Ende der Woche wieder in Hamburg zu sehen sein. Dann treffen sich Tausende junge Menschen, um Profispielern bei einem Turnier über die Schulter zu schauen. Bei diesen Veranstaltungen geht es oft um Preisgelder in Höhe von mehreren hunderttausend Euro.

    Neben kompetitiven Spielen, die sich vor allem für Spiele-Ligen und Turniere eignen, ist durch die Verbreitung von leistungsfähigen Mobiltelefonen, der Smartphone-Spielemarkt rasant gewachsen. Ein Markt, der auch zunehmend Frauen als Zielgruppe in den Blick nimmt. Besonders beliebt in diesem Bereich ist die so genannte Free-to-Play-Vermarktung
    "Das Free To Play-Konzept, das muss man vielleicht kurz noch mal sagen, ist halt ein Umsonst-Spiel, das man halt runterlädt, ohne was zu bezahlen."
    Sagt Spieledesigner Arnold Rauers, der selbst in einer Firma gearbeitet hat, die Free-To-Play-Spiele herstellt. Neben dem kostenlosen Download gebe es…
    "Aber In-App-Käufe. Das heißt, ab einer gewissen Zeit im Spiel kann man dann im Spiel Geld ausgeben, sozusagen benutzt, um ja, möglichst viele User daran zu bekommen zu spielen und dann einen gewissen Prozentsatz dieser User, der meistens sehr gering ist, tatsächlich Geld aus der Tasche zu ziehen."
    Besucher der Gamescom 2018 probieren an einem Stand von EA Sports das Videospiel Fifa 19 aus. 
    E-Sport hat bei jungen Menschen einen hohen Stellenwert. Gleich süchtig sind sie deshalb aber nicht. (dpa)
    Es geht ums Geld
    Rauers, der heute mit seiner eigenen Firma Spiele designt, bestätigt, dass Spielefirmen immer öfter Daten von ihren Nutzern erheben, um genau zu berechnen, mit welcher Wahrscheinlichkeit welche Handlung erfolgt.

    "Also es gibt grundsätzlich natürlich so simple Sachen wie: Wie viele User pro Tag, wie viele User pro Monat. Das sind halt so Kernzahlen, die so ein Spiel sozusagen ausspuckt. Aber es geht dann teilweise in den Leveldesign-Bereich rein, wo halt wirklich auf Prozente Komma eins genau ausgerechnet werden kann: Wie viele von den Usern haben das Level geschafft? Wie viele von den Usern sind an welcher Stelle hängengeblieben? Und dann wird noch geguckt, wie viele von den Usern, die da hängenbleiben, kaufen etwas. Und dann werden wiederrum Rückschlüsse gezogen: Warum an der Stelle etwas gekauft wird oder noch besser, warum nicht und wo man es schwieriger machen müsste, dass da die 0,01% Chance erhöht, damit jemand etwas kaufen würde an der Stelle."
    Diese Erkenntnisse fließen direkt ins Spieledesign ein. Durch minimale Veränderungen sollen die Spieler so dazu gebracht werden, an kniffligen Stellen nicht aufzugeben, sondern stattdessen einige Euro für In-Game-Käufe auszugeben, um das Hindernis zu überwinden. Fortschrittsmanipulation nennt sich dieses Prinzip – nicht der einzige Trick der Designer mit der Psyche der Spieler zu spielen.
    Auch das Phänomen, dass Menschen gerne Dinge abschließen, das Spiel seine Nutzer aber durch Werbeunterbrechungen oder knapp bemessene Spieleleben daran hindert, ist eine oft eingesetzte Technik. Der einzige Ausweg: Die Spieler zahlen.

    "Also diese Mechanismen, wenn Sie mich persönlich fragen, spielen eine große Rolle, sind aber zum großen Teil unerforscht. Wir sehen das sehr schön auch bei diesen ganzen Freemium-Handygames. Dort gib es sehr viele Mechanismen, die den Nutzer dazu verleiten, mehr Zeit auf dem Spiel zu verbringen als er eigentlich möchte.
    Eine Hand bedient das Geschicklichkeitsspiel "Bubble Island" auf einem Tablet.
    Spiele auf Smartphones und iPads können nicht nur für Kinder teuer und gefährlich werden. (dpa / Jens Kalaene)
    Ich sage mal 'Candy Crush' ist ein gutes Beispiel, wo man eben eine bestimmte Anzahl an Leben hat und wenn die weg sind, muss man halt relativ lang warten bis wieder die Spielenergie aufgeladen hat. Und das ist psychologisch insofern für uns relativ schwer zu ertragen. Es gibt so etwas wie den so genannten Zeigarnik/Ovisiankina-Effekt. Das ist ein altes psychologisches Konstrukt, was sagt: Wenn ich in einer Handlung unterbrochen werde, also bei Computerspielen, bedeutet das: Ich habe beim Spiel dieses Level nicht zu Ende geschafft. Dann klebt das so richtig wie Kleister im Gehirn und wir können eben diese Energie, die aufgestaut wird, erst dann entlassen, wenn wir das Level erfolgreich gelöst haben", sagt Christian Montag von der Universität Ulm.
    Mechanismen aus der Glücksspielbranche
    Ebenso beliebt: das Spiel mit der Verlustangst. Dem Spieler werden am Anfang etwa eine gute Startposition und viele Vorschüsse geschenkt, die ihm dann im weiteren Verlauf genommen werden.
    Einer der gewichtigsten Gründe für Computerspiel-Sucht sei aber der ausgeklügelte Wettkampf mit anderen Spielern. Spieledesigner Arnold Rauers:
    "Wettkampf ist vor allem in männlichen Spielern tief verankert, einfach auch urmenschtechnisch: Der Stärkere überlebt. Das ist die ganze Zeit das gleiche Konzept und ich habe 'League of Legends' auch eine Zeit lang gespielt, ist noch sehr viel stärker auf diesem 'Ich kann andere auch dominieren-Konzept' aufgebaut. Es geht dann schon auch um diese Power-Phantasy, also dieses: Ich bin stärker als mein Gegner. Der Wettkampf ist da auf jeden Fall ein ganz starkes Element.."
    Heute werden Spiele noch nicht auf ihre Suchtfaktoren analysiert, obwohl das notwendig wäre, sagt Christian Montag. Die Spieledesigns könnten Spieler zu Süchtigen machen.
    Auch Mechanismen, die man sonst nur aus der Glücksspielbranche kennt, werden verwendet, wie die zufällige Ausgabe von wertvollen Gegenständen in Rollenspielen nach einem erfolgreichen Spielabschnitt, oder der Verkauf von so genannten Lootboxen. Virtuelle Kisten mit zufälligen Inhalten, die die Spiele grafisch aufwerten und die Sammellust beim Spieler aktivieren sollen.
    Gaming-Industrie ist gefordert
    Um den Suchtfaktor zu begrenzen, sieht Psychologie-Professor Christian Montag vor allem die Hersteller in der Verantwortung. Denn hier sei:
    "Die Gaming-Industrie auch mal gefragt, zu sagen: Was machen wir denn überhaupt in dem Bereich? In allen anderen Bereichen der Sucht, sagen wir mal Alkoholismus, Nikotinabhängigkeit, gibt es natürlich schon deutlich länger Bestrebungen. Denken wir gerade an Nikotinabhängigkeit. Ein gutes Beispiel, wie das eingedämmt worden ist in den letzten Jahren. Dass meines Erachtens es bisher so war, dass sich die Gaming-Industrie sich einen ganz schlanken Fuß gemacht hat, was das Thema betrifft. Und jetzt, wo es eine offizielle Anerkennung durch die WHO gibt, sagt man jetzt: Oah, das geht jetzt alles gar nicht, und kommt dann mit Argumenten, dass Computerspiele generell gar nicht schlecht sind, und schaut Literatur einseitig an und geht dann auch dahin bestimmte Dinge zu vermischen."
    Kritik an WHO-Entscheidung
    Tatsächlich findet Felix Falk, der Geschäftsführer des Branchenverbands GAME, dass die WHO-Entscheidung nicht richtig war.
    "Ich glaube, dass die Entscheidung zu vorschnell getroffen wurde, weil eben wissenschaftlich noch nicht belegt ist, beziehungsweise sehr umstritten ist, ob Computerspiel-Sucht als Krankheit klassifiziert werden sollte."
    Er wehrt sich gegen die Darstellung, dass Computer- und Videospiele süchtig machende Waren seien, die Spieler verführen würden.
    "Die Tatsache, dass es Geschäftsmodelle gibt, wie beispielsweise Free-To-Play, wo ich nicht 70 Euro für ein Spiel bezahle, was mir nach zehn Minuten vielleicht gar nicht mehr passt und gar nicht gefällt, aber die 70 Euro sind weg, sondern ich spiele erst einmal ein Spiel und erst wenn es mir gefällt und ich es lange nutze, dann kaufe ich mir zusätzliche Inhalte. Das ist eigentlich ein sehr faires Geschäftsmodell, wo auch der Erfolg bei den Nutzern zeigt, dass es sehr gut angenommen wird.
    Aber klar, kann ich nie für den Einzelfall sprechen, wo ein Nutzer sich ärgert und sagt: Mist, jetzt habe ich zu viel Geld ausgegeben, aber das wollte ich jetzt eigentlich gar nicht, aber das hat mir so viel Spaß gemacht.
    Das passiert auch woanders. Da müsste man jetzt auch den Cliffhanger nehmen bei einer Serie, die mich anleitet, doch gleich die nächste Folge noch hinterher zu schauen, obwohl ich doch nur eine schauen wollte, könnte man auch sagen: Ist ein Mechanismus, um die Leute dranbleiben zu lassen. Das gibt es bei Spielen natürlich auch."

    "Das hat damit zu tun, dass nicht alle Grundbedürfnisse durch Serien erfüllt werden können."
    Sozialer Druck kann Computerspiel-Sucht begünstigen
    Kinderpsychiater Jakob Florack widerspricht dem Branchenvertreter. Denn:
    "Sehr viel mehr noch als bei den Serien zum Beispiel, leben viele Spiele davon, dass sie einen ausgeprägten sozialen Kontext anbieten, ich bewege mich in Gildenstrukturen, oder Clanstrukturen, je nach Spiel heißt das unterschiedlich, und innerhalb dieser Strukturen bekomme ich Anerkennung von anderen Leuten. Das werde ich in einer Serie nicht bekommen. Und ich habe etwas, das ist glaube ich noch ausschlaggebender, das nennt sich Selbstwirksamkeitserleben. Das heißt, ich spiel zum Beispiel 'World of Warcraft' und strenge mich drei Stunden an, in einem sogenannten Raid und am Ende dieser Erfahrung werde ich einen Gegenstand zur Belohnung bekommen."
    Klar ist, dass Spiele besonders auf ihre Nutzer wirken. Die Überzeugung, schwierige Situationen aus eigener Kraft erfolgreich bewältigen zu können, das Gruppengefühl und die virtuellen Gewinne sind wesentliche Faktoren, die rund ein Prozent der Spieler in Deutschland in die Sucht treiben. Die Gefahren des Gruppengefühls hat auch Branchenvertreter Felix Falk vor Augen. Aber er sieht auch andere Akteure in der Verantwortung:
    "Wenn jemand mit anderen sozial vernetzt spielt und da fünf in der Gruppe sagen: Mensch, lass uns weiterspielen, und der sechste sagt: Ne, ich wollte eigentlich nicht mehr spielen, dann ist da natürlich ein Sozialdruck da. Das hat aber weniger mit Spielen direkt, konkret mit den Inhalten zu tun, als mit dem Fakt, dass Spiele inzwischen so sind, dass man zusammen spielt, dass man sozial vernetzt spielt, mit anderen Menschen gemeinsam spielt und dass sind dann soziale Faktoren, die vielleicht auch zu einer exzessiven Nutzung bei Einzelnen führen können, und wo man, glaube ich, gesamtgesellschaftliche Antworten braucht."
    Auch für Jakob hatte das "zu einer Gruppe gehören" einen wesentlichen Anteil an der Computerspielsucht. Heute hat der mittlerweile geheilte 18-Jährige woanders Anschluss gefunden: bei Freunden – online und offline.