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Zwischen überbordender Emphase und unkontrollierten Wutausbrüchen

An der Columbia University in New York hatten sie sich kennen gelernt: Allen Ginsberg und Jack Kerouac. Jeder für sich, aber in regem Austausch, suchten sie nach Ausdrucksmöglichkeiten für das, was sie zu Leitfiguren der Beat-Kultur machen sollte. Die in dem Band "Ruhm tötet alles" versammelten Briefe bestechen durch die Intensität, mit der die beiden um ihre Literatur ringen.

Von Michael Schmitt |
    "Ruhm tötet alles" ist der Titel der deutschen Ausgabe der gesammelten Briefe von Jack Kerouac und Allen Ginsberg, die vor zwei Jahren in den USA erschienen sind. Das klingt griffig, fasst auch die Dynamik der Beziehung dieser beiden Schriftsteller, so wie sie sich in diesen Briefen darstellt, angemessen zusammen, erklärt sie unter der Hand aber auch zu einem Dokument, das von einem wie auch immer bedeutsamen, möglicherweise auch bedauerlichen Ende her wahrgenommen und verstanden werden sollte. Das ist in diesem Fall jedoch nicht die eindringlichste Art der Lektüre. Die Originalausgabe, herausgegeben von Bill Morgan und David Stanford, heißt schlicht "The Letters", suggeriert dem Leser dadurch viel weniger und schickt ihn einfach auf den Weg vom Jahr 1944 bis zum Sommer 1963, als der zeitweise sehr dichte Briefwechsel ausläuft.

    Ginsberg und Kerouac hatten sich an der Columbia University in New York als junge Männer kennen gelernt, vernachlässigten schon bald ihre regulären Studien, um jeder für sich, aber in regem Austausch, nach sprachlich-literarischen Ausdrucksmöglichkeiten für das zu suchen, was sie umtrieb und was sie mehr als ein Jahrzehnt später zu Leitfiguren der Beat-Kultur machen würde. Zu ihrem Freundeskreis zählten der etwas ältere William S. Burroughs, Peter Orlovsky, Lucien Carr und viele andere. Allen Ginsberg wird schließlich durch sein Gedicht "Howl" 1956 berühmt und berüchtigt; Jack Kerouac verzeichnet nach langem Warten 1957 mit "On the Road" sogar einen großen Erfolg und avanciert umgehend zum "talk of the town" - allerdings ein Jahrzehnt zu spät für sein eigenes Empfinden. Er stirbt 1969, nachdem er sich zunehmend abgekapselt hat und dem Alkohol verfallen ist. Allen Ginsberg hingegen wird zum Guru und zum Literaturprofessor und stirbt 1997.

    In der "New York Times" hieß es zum Erscheinen des Buches vor zwei Jahren, man könne verfolgen, wie die beiden nach und nach zu sehr von ihren Verpflichtungen vereinnahmt würden, um noch Freunde zu sein. Das zeigt nicht nur die immer größeren Abstände zwischen den Briefen, das zeigen auch die immer weiter auseinander driftenden Interessen und Ansichten. Jack Kerouac, der sich schon seit Ende der Fünfziger ständig von einer jüngeren Generation verschmäht und verspottet fühlt, schreibt 1963:

    "(...) die Essenz unseres Geistes ist total zerschossen von Musik, Leuten, Büchern, Zeitungen, Filmen, Spielen, Sex, Gesprächen, Geschäften, Steuern, Autos, Ärschen, Märschen babbeldiba etc. (…)."

    Allen Ginsberg resümiert demgegenüber in seinem letzten Brief viel gelassener und fragt:

    "(...) was haben wir denn schon außer Gefühlen, haben wir große Ideen oder was anderes, was wir sein könnten außer unserem Herz?"

    Von solchen "letzten Worten" her gelesen fügt sich das Hin und Her ihrer Korrespondenz tatsächlich zu einer melancholischen Geschichte.

    Nachhaltiger, eindrucksvoller, aber auch enervierender ist das Leseerlebnis jedoch, wenn man den Weg der beiden mitgeht, ohne an dieses Ende – den Ruhm beider und die Tragik im Leben Kerouacs – zu denken. Denn dann fesselt vor allem, wie Alltag und Liebe, Geldsorgen und Sendungsbewusstsein über Jahre hin Satz für Satz aufs engste verschmolzen sind. Dann besticht die Intensität, mit der die beiden um ihre Literatur ringen, um einen Ausdruck für die Empfindungen, mit denen sie sich aus dem muffigen amerikanischen Alltag heraus katapultieren, in den sie als junge Männer hineingeraten sind.

    Überbordende Emphase und Beteuerungen der Zusammengehörigkeit gehören genauso dazu wie unkontrollierte Wutausbrüche als Reaktion auf eingehende Kritik an Texten, die sie sich gegenseitig zu lesen geben. Ebenso das ständige neuerliche Abtippen von Manuskripten, um sie immer wieder und lange Zeit vergeblich bei Verlagen oder Agenten vorzulegen. Und andauernd geht es um Liebestaumel und Liebeshändel, um homo- wie um heterosexuelle Affären, um den legendären Neal Cassidy, der für Allen Ginsberg noch viel länger als für Jack Kerouac als Inspiration und als Gefährte dient.

    Die Emphase haben beide gemeinsam; die Art, in der sie sie ausleben, unterscheidet sie. Jack Kerouac bleibt sich in all den Jahren in gewisser Weise als ein durchaus bodenständiger Amerikaner treu, der nur sein "Beat"-Thema verfolgen und durchsetzen will, dabei aber immer wieder an Grenzen stößt – auch an seine eigenen –, und nie zu dem ganz großen Erfolg kommt, von dem er eigentlich träumt. Allen Ginsberg, anfangs psychisch vermutlich noch labiler, erscheint in den Briefen dagegen zunehmend offener und neugieriger, beschränkt die Eskapaden in seinem Leben nicht nur auf sexuelle Freizügigkeit und unbürgerliche Gesten, sondern experimentiert genauso mit LSD wie mit östlicher Philosophie, liest sich in die Literaturgeschichte ferner und naher Epochen ein und arbeitet schon früh an der Vernetzung im Literaturbetrieb und bei Verlagen.

    192 Briefe sind in der amerikanischen Ausgabe versammelt, 300 haben die beiden wohl tatsächlich gewechselt – schon amerikanische Kritiker haben die berechtigte Frage gestellt, nach welchen Kriterien diese Auswahl zusammengestellt worden sei. Weder das Vorwort der Herausgeber noch die knappen Überleitungen dort, wo Briefe ausgelassen oder Ereignisse im Leben der beiden kursorisch zusammengefasst werden, geben darauf präzise Antworten, einen editorischen Apparat sucht man in der amerikanischen wie in der deutschen Ausgabe, die noch einmal gekürzt worden ist, ebenfalls vergeblich. Für wissenschaftliche Ansprüche sind beide also nicht wirklich gemacht. Das kann man bedauern, aber muss man als "common reader" mehr wissen, als jetzt schon in der Ausgabe des Briefwechsels zu finden ist? Der Eindringlichkeit der Lektüre entspricht ja auch eine gewisse Pein, wenn manche Themen, vor allem die privaten, immer wieder und stets auf höchstem Energieniveau verhandelt werden. Eigentlich möchte das manchmal gar nicht so genau erfahren – aber es sind zwei Seiten einer Medaille, die sich nicht auseinanderdividieren lassen. Es ist der Stoff, aus dem die Literatur beider Schriftsteller überhaupt erst werden konntet.

    Jack Kerouac und Allen Ginsberg: Ruhm tötet alles. Die Briefe.
    Hrsg. v. Bill Morgan und David Stanford.
    Deutsch von Michael Kellner.
    Rogner & Bernhard, Berlin 2012, 502 Seiten.