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Zwischen Verbot und Boykott

Ursprünglich sollte Bagdad arabische Kulturhauptstadt werden. Doch der Irak zeigte kein Interesse und da wurde Jerusalem angefragt. Palästinenserpräsident Abbas sagte zu, doch der Nahostkonflikt überschattet auch das Kulturhauptstadtjahr.

Von Natascha Freundel | 12.08.2009
    Eine Stadt voller Leben sei Jerusalem vor 15, 20 Jahren gewesen, erinnert sich Sayed Kashua. Eine Stadt der Kunst und Kultur:

    "In meiner Studentenzeit bin ich gern ins Theater gegangen und zu Konzerten in Ost-Jerusalem. Dann ich habe gesehen, wie die Stadt seit dem Oslo-Vertrag abgeschnitten wurde von Ramallah, Bethlehem, dem ganzen Westjordanland, sodass die Menschen zum Beispiel nicht mehr ins Hakawati-Theater kommen konnten. Das Haus war eine Legende für mich, seit ich in Jerusalem lebe, bin ich dorthin gegangen. Von der Musik- und Theaterszene damals ist heute kaum etwas übrig."

    Der 34-jährige Schriftsteller, Kolumnist und Drehbuchautor, Araber mit israelischem Pass, wird in seiner Stammkneipe mit großem Hallo begrüßt. Hier plaudert er Hebräisch, dort Arabisch. Die Bar sei eine der letzten Enklaven des geselligen Zusammenlebens, erklärt Sayed Kashua. Wenn aber etwa im Hakawati-Theater das Kulturfestival "Jerusalem - arabische Kulturhauptstadt 2009" gefeiert werden soll, rückt die israelische Polizei an. Schon als zur Eröffnung Kinder durch die Stadt marschieren, Luftballons aufsteigen und Bilder malen sollten, sei es zu Blockaden und Verhaftungen gekommen, berichtet die Pressesprecherin des Organisationsbüros in Ramallah, Reem Abd Ulhamid:

    "Die Veranstaltungen in Jerusalem müssen geheim gehalten und immer wieder spontan verlegt werden, sonst wären sie gar nicht möglich."

    Schon im März erklärte ein israelischer Polizeioffizier alle Kulturaktionen in Jerusalem für gescheitert. Der damalige israelische Minister für innere Sicherheit Avi Dichter begründete die Polizeiblockaden mit rechtlichen Abkommen, wonach der palästinensischen Autonomiebehörde Aktivitäten auf israelischem Gebiet untersagt seien.

    Kultureller Widerstand, gewaltloser Widerstand, friedliche Demonstrationen, die Schaffung von Tatsachen, die andere Tatsachen infrage stellen - das sei der richtige Weg, glaubt Mustafa Barghouti. Der palästinensische Aktivist und Arzt, der eine Nichtregierungsorganisation für medizinische Hilfe in Ramallah leitet, ist seinem Freund Daniel Barenboim dafür dankbar, dass dieser sich immer wieder für die Palästinenser und für Jerusalem als geteilte, israelische und palästinensische Hauptstadt ausspricht. Wie etwa vergangene Woche in Genf mit einem Konzert des israelisch-arabischen Jugendorchesters "West-östlicher Diwan", das der arabischen Kulturhauptstadt Jerusalem gewidmet war. In der umstrittenen Region selber vermisst Barghouti starke Stimmen, echtes Engagement. Das Jerusalemer Kulturjahr müsste viel größer begangen werden, trotz der israelischen Blockaden. Doch die Geschäftsführerin des Organisationsbüros in Ramallah, Varsen Aghabekian, sagt:

    "Wir tun, was wir können. Wir haben Theater, Kino, Publikationen, Kinderzeitschriften, Podiumsdiskussionen, viele verschiedene Sachen passieren, durchgeführt werden sie aber nicht von uns, sondern von Zivilorganisationen, in Jerusalem und den anderen Gebieten."

    Das Kulturjahr solle vor allem palästinensischen Kindern und Jugendlichen vermitteln, dass sie zusammengehören - ob sie nun in Hebron oder Jenin im Westjordanland leben, im Gazastreifen, im israelischen Nazareth oder in der Diaspora, etwa im jordanischen Amman. Fünf Millionen Dollar habe die Autonomiebehörde den Organisatoren zugesagt, erst drei Millionen seien gezahlt worden. Rund sieben Millionen hätten arabische Geldgeber für den Bau von Bibliotheken, Theatern und anderen Kultureinrichtungen bereitgestellt. Doch die meisten Verpflichtungen der arabischen Kulturminister, sich mit Projekten und Geld zu beteiligen, blieben bis dato uneingelöst, so Aghabekian. Trotzdem, erklärt die Geschäftsführerin mit beinah verzweifelter Hartnäckigkeit, "Jerusalem 2009" sei eine Erfolgsgeschichte, weise sie doch auf eine unumstößliche Tatsache hin:

    "Frieden ohne Ost-Jerusalem wird es niemals geben. Das ist eine rote Linie für Palästinenser. Wäre ich Israeli, würde ich das sehr ernst nehmen und mich jetzt darum kümmern."