Ein Zug nach Belgrad. Es riecht nach Öl. Staub tanzt in der Sonne. In einem solchen Abteil trifft eines Tages der Bankvertriebsleiter Pohotni auf einen Mann, der sich als Gott vorstellt. Das Problem: Der Mann heißt nicht nur so. Er ist Gott. Und Pohotni wird von ihm erfahren, dass er sich in anderthalb Jahren in den Kopf schießen wird. Der Autor dieser eigentlich unmöglichen Geschichte kommt gerade von einer Lesung aus der Provinz zurück.
"Ich bin Zoran Zivkovic, Professor für kreatives Schreiben an der Universität Belgrad. Ich habe 18 Bücher geschrieben, die in mehr als 20 Sprachen übersetzt wurden."
Zoran Zivkovic ist der meistübersetzte serbische Autor. Und neben Patrick Süßkind und Haruki Murakami der einzige Nichtamerikaner, der den begehrten World-Fantasy-Award erhielt. In Deutschland ist soeben sein Buch "Der unmögliche Roman" erschienen. In Serbien, seinem eigenen Heimatland, kennen ihn nur wenige. Warum?
"Keine Ahnung, wirklich keine Ahnung. I really don't know. Das literarische Establishment in Serbien ist sehr konservativ. In seinen Augen ist jede Fantastik nur niedrige Literatur."
Zoran Zivkovic hat sich stets vom offiziellen Literaturbetrieb ferngehalten. Zuviel Politik, zu wenig Literatur, kommentiert er sein Verhalten. Man müsse nur einen Blick in die Buchhandlungen werfen.
Wer sich vom Bahnhof ins Zentrum Belgrads aufmacht, dem fällt auf, wie viel sich seit dem Sturz Milosevics verändert hat: Die bunten Kioske, in denen noch vor Jahren ein Hauptteil des Buchhandels abgewickelt wurde, sind verschwunden. Und mit ihnen die Biografien von Kriegsverbrechern, die zur Milosevic-Zeit in so mancher Auslage als Blickfang dienten.
In der Delfi-Buchhandlung sind um diese Zeit nur wenige Kunden, zumeist Studenten, die auf dem Weg zur Uni kurz vorbeischauen.
"Das hier ist die größte Buchhandlung von Belgrad. In den meisten Buchhandlungen finden sie nur bestimmte Titel, hier aber alles. Wer also etwas Spezielles sucht, kommt hierher","
meint Kunde Nebojsa Barac. Tatsächlich ist der serbische Buchhandel nach wie vor fest in der Hand von Verlagen, die auf diese Weise das Geschäft mit der Literatur kontrollieren und ihren eigenen Programmen Marktvorteile verschaffen wollen. Dejan Popic, Vorsitzender des unabhängigen Verlegerverbandes, will mit seiner Delfi-Buchhandlung ein Zeichen gegen solche Machenschaften setzen:
""Es gibt eine Gruppe von Verlagen, die sehr eng mit der Regierung verbunden ist. Vor allem mit dem Kulturministerium. Diese Verlage bekommen den Löwenanteil der Förderungen zugeschustert. Hier existieren nach wie vor die Strukturen aus sozialistischen Zeiten. Im Kulturministerium ist die neue Zeit noch nicht angekommen."
Wer sich in der Delfi-Buchhandlung durch die serbische Gegenwartsliteratur blättert, der wird den Eindruck nicht los, dass sich viele serbische Autoren noch immer schwer tun mit der jüngsten Vergangenheit ihres Landes.
Es geht an die Donau. Zu einem Treffen mit Zvonko Karanovic. Der Dichter und Romanautor sitzt auf einem der Hunderten Restaurant-Hausboote, die am Ufer der Save auf und ab wippen:
"Unsere Literatur hat sich noch immer nicht genügend geöffnet für neue Einflüsse von außen. Stillschweigend werden noch immer jene Literaten favorisiert, bei denen stets das Nationalgefühl mitschwingt und Restschichten jener Zeit, in der man nicht einmal kleine Wahrheiten anerkennen wollte, etwa das unsere Soldaten Häuser plünderten, geschweige denn irgendwelche große Verbrechen. Der Umgang mit der Wahrheit ist das größte Problem der serbischen Literatur."
"Ich werde den Terminator anheuern, damit er in die Vergangenheit zurückkehrt und jene tötet, die all das begonnen haben", heißt es wütend in einem von Zvonko Karanovics Gedichten. Als Erster wagte er eine umfassende literarische Aufarbeitung des jugoslawischen Zerfalls. In seiner Trilogie "Tagebücher eines Deserteurs" spannt er den Bogen bis zum Kosovo-Krieg. Eine deutsche Übersetzung ist bis heute nicht in Sicht. Sein Schreiben ist für viele, vor allem jüngere Autoren, ein Orientierungspunkt. Auch für die Dichterin Dragana Mladenovic. Sie wohnt in Pancevo, einer Industriestadt, die mit Belgrad über eine Metro-Linie verbunden ist.
Dragana Mladenovic hat mit einem Lyrikband für Aufmerksamkeit gesorgt, in dem sie den Umgang Serbiens mit seinen Kriegsverbrechern zum Thema machte. Sie wohnt in einer Plattenbauwohnung, der Fahrstuhl funktioniert nicht. Schmale Treppen führen hinauf in den zweiten Stock.
"Ich halte es für ein wenig deplatziert, heute über zwischenmenschliche Beziehungen zu schreiben. Ich habe selbst erlebt, wie einer von diesen Kriegsverbrechern bei einer Familie untergebracht wurde, die ich kannte. Da wurde mir bewusst, dass diese Leute sich überall verstecken können. Der Kriegsverbrecher in meinem Poem steht stellvertretend für sie alle."
Aus einem fiktiven Protokoll einer Polizeiwache formt Mladenovic das Psychogramm einer noch immer gespaltenen Gesellschaft. Da ist der Rentner mit dem Spitznamen "der Stumme", weil er bis jetzt geschwiegen hat. Der stumme Serbe, der plötzlich zu reden beginnt, weil er nicht auch noch den letzten Anstand verlieren, weil er seine Ängste überwinden will. Mladenovic markiert damit auch den Beginn einer neuen, mutigeren Auseinandersetzung der serbischen Literatur mit der jüngsten Vergangenheit.
Leipziger Buchmesse
"Ich bin Zoran Zivkovic, Professor für kreatives Schreiben an der Universität Belgrad. Ich habe 18 Bücher geschrieben, die in mehr als 20 Sprachen übersetzt wurden."
Zoran Zivkovic ist der meistübersetzte serbische Autor. Und neben Patrick Süßkind und Haruki Murakami der einzige Nichtamerikaner, der den begehrten World-Fantasy-Award erhielt. In Deutschland ist soeben sein Buch "Der unmögliche Roman" erschienen. In Serbien, seinem eigenen Heimatland, kennen ihn nur wenige. Warum?
"Keine Ahnung, wirklich keine Ahnung. I really don't know. Das literarische Establishment in Serbien ist sehr konservativ. In seinen Augen ist jede Fantastik nur niedrige Literatur."
Zoran Zivkovic hat sich stets vom offiziellen Literaturbetrieb ferngehalten. Zuviel Politik, zu wenig Literatur, kommentiert er sein Verhalten. Man müsse nur einen Blick in die Buchhandlungen werfen.
Wer sich vom Bahnhof ins Zentrum Belgrads aufmacht, dem fällt auf, wie viel sich seit dem Sturz Milosevics verändert hat: Die bunten Kioske, in denen noch vor Jahren ein Hauptteil des Buchhandels abgewickelt wurde, sind verschwunden. Und mit ihnen die Biografien von Kriegsverbrechern, die zur Milosevic-Zeit in so mancher Auslage als Blickfang dienten.
In der Delfi-Buchhandlung sind um diese Zeit nur wenige Kunden, zumeist Studenten, die auf dem Weg zur Uni kurz vorbeischauen.
"Das hier ist die größte Buchhandlung von Belgrad. In den meisten Buchhandlungen finden sie nur bestimmte Titel, hier aber alles. Wer also etwas Spezielles sucht, kommt hierher","
meint Kunde Nebojsa Barac. Tatsächlich ist der serbische Buchhandel nach wie vor fest in der Hand von Verlagen, die auf diese Weise das Geschäft mit der Literatur kontrollieren und ihren eigenen Programmen Marktvorteile verschaffen wollen. Dejan Popic, Vorsitzender des unabhängigen Verlegerverbandes, will mit seiner Delfi-Buchhandlung ein Zeichen gegen solche Machenschaften setzen:
""Es gibt eine Gruppe von Verlagen, die sehr eng mit der Regierung verbunden ist. Vor allem mit dem Kulturministerium. Diese Verlage bekommen den Löwenanteil der Förderungen zugeschustert. Hier existieren nach wie vor die Strukturen aus sozialistischen Zeiten. Im Kulturministerium ist die neue Zeit noch nicht angekommen."
Wer sich in der Delfi-Buchhandlung durch die serbische Gegenwartsliteratur blättert, der wird den Eindruck nicht los, dass sich viele serbische Autoren noch immer schwer tun mit der jüngsten Vergangenheit ihres Landes.
Es geht an die Donau. Zu einem Treffen mit Zvonko Karanovic. Der Dichter und Romanautor sitzt auf einem der Hunderten Restaurant-Hausboote, die am Ufer der Save auf und ab wippen:
"Unsere Literatur hat sich noch immer nicht genügend geöffnet für neue Einflüsse von außen. Stillschweigend werden noch immer jene Literaten favorisiert, bei denen stets das Nationalgefühl mitschwingt und Restschichten jener Zeit, in der man nicht einmal kleine Wahrheiten anerkennen wollte, etwa das unsere Soldaten Häuser plünderten, geschweige denn irgendwelche große Verbrechen. Der Umgang mit der Wahrheit ist das größte Problem der serbischen Literatur."
"Ich werde den Terminator anheuern, damit er in die Vergangenheit zurückkehrt und jene tötet, die all das begonnen haben", heißt es wütend in einem von Zvonko Karanovics Gedichten. Als Erster wagte er eine umfassende literarische Aufarbeitung des jugoslawischen Zerfalls. In seiner Trilogie "Tagebücher eines Deserteurs" spannt er den Bogen bis zum Kosovo-Krieg. Eine deutsche Übersetzung ist bis heute nicht in Sicht. Sein Schreiben ist für viele, vor allem jüngere Autoren, ein Orientierungspunkt. Auch für die Dichterin Dragana Mladenovic. Sie wohnt in Pancevo, einer Industriestadt, die mit Belgrad über eine Metro-Linie verbunden ist.
Dragana Mladenovic hat mit einem Lyrikband für Aufmerksamkeit gesorgt, in dem sie den Umgang Serbiens mit seinen Kriegsverbrechern zum Thema machte. Sie wohnt in einer Plattenbauwohnung, der Fahrstuhl funktioniert nicht. Schmale Treppen führen hinauf in den zweiten Stock.
"Ich halte es für ein wenig deplatziert, heute über zwischenmenschliche Beziehungen zu schreiben. Ich habe selbst erlebt, wie einer von diesen Kriegsverbrechern bei einer Familie untergebracht wurde, die ich kannte. Da wurde mir bewusst, dass diese Leute sich überall verstecken können. Der Kriegsverbrecher in meinem Poem steht stellvertretend für sie alle."
Aus einem fiktiven Protokoll einer Polizeiwache formt Mladenovic das Psychogramm einer noch immer gespaltenen Gesellschaft. Da ist der Rentner mit dem Spitznamen "der Stumme", weil er bis jetzt geschwiegen hat. Der stumme Serbe, der plötzlich zu reden beginnt, weil er nicht auch noch den letzten Anstand verlieren, weil er seine Ängste überwinden will. Mladenovic markiert damit auch den Beginn einer neuen, mutigeren Auseinandersetzung der serbischen Literatur mit der jüngsten Vergangenheit.
Leipziger Buchmesse