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Zwischenbericht der Aufarbeitungskommission
Sexuelle Gewalt gegen Kinder ist "immenses Risiko"

Rund zehn Prozent der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland haben sexuelle Gewalterfahrung in ihrer Kindheit gemacht, schätzt Sabine Andresen, Vorsitzende der Kommission zur Aufarbeitung von Kindesmissbrauch, bei der Vorstellung ihres Zwischenberichts. Es sei dringend notwendig, dass die Politik Betroffene stärker unterstütze.

Von Stefan Maas |
    Die Vorsitzende der Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs, Sabine Andresen
    Die Vorsitzende der Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs, Sabine Andresen (pa/dpa/Hijti)
    Die Politik habe mit der Einrichtung der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung von Kindesmissbrauch eine wichtige Entscheidung getroffen, sagte die Vorsitzende, Sabine Andresen, bei der Vorstellung des ersten Zwischenberichts in Berlin.
    Seit Mai 2016 hätten sich rund 1000 Betroffene bei dem Gremium gemeldet, 200 von ihnen konnten die Mitglieder bisher anhören. Über 170 weitere Fälle liegen schriftliche Berichte vor. Die Kommission, die nach aktuellem Stand bis März 2019 arbeiten soll, habe als Schwerpunkt für ihren ersten Zwischenbericht das Thema Missbrauch in der Familie gewählt, sagte Andresen im Deutschlandfunk, weil "70 Prozent haben sexuellen Kindesmissbrauch in ihrer Familie oder im nahen Umfeld erfahren."
    In den Gesprächen mit Betroffenen habe sich gezeigt, dass sie als Kinder oft keine oder erst spät Hilfe bekommen hätten, weil Familienangehörige zwar von den Taten gewusst, aber nicht gehandelt hätten.
    "Was wir aber auch sehen, ist, dass ein großer Anteil derjenigen, die sich bei uns gemeldet haben, dann auch in anderen Einrichtungen Missbrauch erfahren haben. Also in der Familie und dann etwa in einer Heimeinrichtung. Und es gibt neben dieser Mehrfachbetroffenheit eben auch organisierten, kriminellen Missbrauch."
    Mehr Befugnisse für die Komission gewünscht
    Deshalb wird sich die Kommission in diesem und im kommenden Jahr auch mit den Themen Kindesmissbrauch in der DDR und in Kirchen beschäftigen. Außerdem mit rituellem, organisiertem Missbrauch.
    "Es ist leider immer noch so, dass sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche ein immenses Risiko darstellt", sagte Matthias Katsch im ARD-Morgenmagazin. Katsch ist Mitglied im Betroffenenrat des Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung.
    "Wir gehen davon aus, dass zehn Prozent der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland diese Gewalterfahrung in ihrer Kindheit gemacht haben, es gibt leider keine Anzeichen dafür, dass es weniger geworden ist."
    Sie habe sich deshalb auch mehr Unterstützung und Befugnisse für die Kommission gewünscht, sagte deren Vorsitzende Andresen.
    "Wir haben uns eine andere Ausstattung und auch eine andere gesetzliche Rahmung gewünscht. Etwa die Möglichkeit, dass wir auch Vertreter von Organisationen vorladen können, oder dass wir mit Täterinnen und Tätern sprechen können. Und auch eine gesetzliche Grundlage, die es uns ermöglicht, Akteneinsicht nehmen zu können. Das haben wir bislang nicht. Wir hätten uns auch im Vergleich zu anderen Kommissionen im Ausland sehr viel mehr finanzielle Unterstützung gewünscht."
    Ein erschütternder Bericht
    Durch zusätzliche Gelder vom Familienministerium konnte die Kommission zwar schon doppelt so viele Betroffene anhören wie anfangs möglich, neue Anmeldung für vertrauliche Gespräche kann die Kommission aber nicht mehr annehmen.
    Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe, der Bericht sei sehr erschütternd. Er sei sehr froh, dass der Regierung diese unabhängige Kommission gegen Widerstand in der Großen Koalition habe abgerungen werden können. Rörig beklagte, dass die Bekämpfung des Missbrauchs in der Zeit der Großen Koalition auf Sparflamme gelaufen sei. Die Zahl der Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch sei nicht zurückgegangen. Jedes Jahr gebe es mehr als 12.000 Ermittlungsverfahren.
    Arbeitsministerin Andrea Nahles warf der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung vor, die Reform des Opferentschädigungsgesetzes nicht auf den Weg gebracht zu haben. Das Verfahren, das Betroffenen derzeit zugemutet werde, sei des Rechtsstaats nicht würdig.