Empfang mit militärischen Ehren: Über den Köpfen dröhnt ein AWACS-Flieger durch die tiefstehende Nachmittagssonne, im Zielanflug auf den NATO-Flugplatz Geilenkirchen. Für die Menschen in Birgden ist das Alltag am Himmel.
Knapp 20 Kilometer lang war die erste Etappe unserer Wanderung vom westlichsten zum östlichsten Punkt in Deutschland - und eigentlich eine Sommerwanderung, so warm und golden war der Oktobertag.
Der Weg führte von Isenbruch an der niederländischen Grenze über schmale Straßen und Feldwege durch Ortschaften wie Millen und Höngen. Ganz flach das Land, auf den Wiesen uralte Eichen und Obstbäume, die Häuser rot geklinkert mit pieksauberen Vorgärten.
Auch ein Stück Wirklichkeit dazwischen: Die "B56n", die neue Bundesstraße mit sieben Brücken, die die Gegend zerteilen. Und, genauso wenig romantisch: die vielen Discounter mit riesigen Parkplätzen an den Ortseingängen. Das ist kein kleiner, sondern ein ziemlich großer Grenzverkehr zwischen Deutschland, den Niederlanden und Belgien.
Gegen 16.30 Uhr erreichen wir Birgden, ein Dorf mit 3.000 Einwohnern. Ein paar Schritte noch entlang an einem übermannshohen Maisfeld, dann öffnet sich links das 11.000 Quadratmeter große Areal mit dem Namen "Spielträume". Ein "Mehrgenerationen-Raum".
Jetzt gerade spielen überall Kinder. Sie schnitzen Weidenruten, schaukeln bis kurz vor Überschlag, und der siebenjährige Jannis fragt, wann endlich das Lagerfeuer angezündet wird. Es gibt Kaffee und Fla, einen dünnen, saftigen Kuchen mit einer Füllung aus Obstmus. Und viele Gespräche mit Leuten aus dem Dorf.
Ein fester Händedruck, ein breites Lachen im Gesicht: Das ist Jürgen "Huggy" Hagen. Er gehört mit seiner Frau Heidi und seiner Tochter Eva zu jenen, die mit den öffentlichen Spielplätzen so unzufrieden waren, dass sie einen eigenen wollten und dafür einen Verein gründeten. Mitgliederzahl: 45 aktive.
So wurde aus einem ehemaligen Rübenacker mit einer Menge Disteln ein Spielplatz für alle Generationen. "Wir haben allein einen Tag lang nur Löcher gegraben für die neuen Pflanzen", erzählt Heidi. Heute sind es 1.200 Stück - darunter neben Sträuchern und Weiden auch Apfel-, Kirsch- und Mirabellenbäumchen für die Streuobstwiese. Natürlich alte Sorten.
Schnell drehen sich die Gespräche auch um andere Themen: Politik, Religion, Finanzen. Die Gemeinde Gangelt, zu der Birgden gehört, ist überwiegend katholisch, CDU-geprägt - und schuldenfrei. Das liegt nach Heidis Meinung an dem ehrenamtlichen Engagement vieler Bürger, die gemeinsam die Plätze wie den "Großen Pley" im Ortskern sauber halten und die öffentlichen Kassen nach ihrer Darstellung damit entlasten.
Plötzlich riecht es ländlich: "Aha, die Biogasanlage", kommentiert jemand. Die großen Gebäude in einigen hundert Metern Entfernung werden von den Maisfeldern verdeckt, aber der Duft - übrigens nicht ganz so schlimm wie klassische Gülle - kennt keine Grenzen.
Mit der Energie aus dem Biogas wird heute die Grundschule beheizt, inklusive "Lehrschwimmbecken". Der Rücklauf des warmen Wassers kommt dem Schützenheim zugute - so profitieren zwei dörfliche Einrichtungen von der grünen, geruchsintensiven Energie.
Auch über Inklusion sprechen wir: Jannis, der sich so auf das Lagerfeuer freut, hat Down-Syndrom - kann aber ganz in der Nähe auf eine Regelschule gehen. "Leider nicht in Birgden", erzählen seine Eltern Edith und Thomas, "dafür aber in Breberen, das sind nur ein paar Kilometer".
Am Thema Integration könnte der Spielplatz noch wachsen: Es gibt in Birgden auch Asylbewerber. Sie wohnen im Mitarbeiterhaus einer ehemaligen Seidenweberei. Plant denn "Huggy", auch diese Menschen mal auf den Spielplatz einzuladen, für einen Mehrkulturen-Raum gewissermaßen? "Nein, darüber haben wir noch nicht nachgedacht", sagt er offen.
Es wird Abend in Birgden. Wir schlagen die Zelte auf, "Huggy" macht Feuer, und wenig später sitzen 15, 20 Menschen aus drei Generationen auf Klappbänken vor den Flammen. Es gibt kaltes Bier, Würstchen und Stockbrot - auf eigens angefertigten Metallstäben mit Griff. Die Kinder singen "Unsere Oma fährt im Hühnerstall Motorrad" - mit eigenem Text, auf Birgden zugeschnitten.
Es wird kühl und feucht, und gegen 23 Uhr kriechen wir in die Schlafsäcke, über uns der Große Wagen und ein klarer Halbmond. Das Lagerfeuer knackt noch leise, im Hintergrund röhrt auch jetzt noch ein Trecker: normal zur Zeit der Maisernte. Und mit dem Duft der Biogasanlage schlafen wir ein.
Deutschland ist ein Spielplatz: Auf 11.000 Quadratmetern haben wir viele der großen politischen Themen eingesammelt: Demographie, Energiewende, bürgerschaftliches Engagement, Inklusion, Integration.
Am nächsten Morgen bringen "Huggy", Heidi und Eva uns Kaffee, belegte Brötchen und selbstgezogene Tomaten. Man spürt, dass ihnen das wichtig ist, dieses Füreinander da sein, das Geben, das Miteinander.
Wir brechen auf in Richtung Erkelenz, lassen Birgden hinter uns und tauchen ein in die Feldwege zwischen den riesigen Maisfeldern, während sich bis zum Horizont die Windräder drehen, irgendwo, ganz im Westen.