Es sind die leeren Flächen, die von der Gewalt erzählen. Die fensterlosen Betonruinen, durch die Gras wächst. Die paar Steine, die von der früheren Moschee noch übrig sind. Wobei Kirchen und Moscheen in Kaduna eher Wellblechhütten sind, als prachtvolle Gotteshäuser.
Das muslimische Viertel Rigasa im Norden der Stadt. Geteerte Straßen gibt es nicht - die Häuser sind Bretterverschläge, davor grasen abgemagerte Ziegen. In Rigasa regiert die Armut - und doch ziehen immer mehr in das Viertel. Sie kommen vom Land, vom Rand der Wüste, wo Brennholz immer spärlicher - und das Leben immer beschwerlicher wird. Die alteingesessenen, oft wohlhabenden Christen der Stadt fühlen sich an den Rand gedrängt. Einige von ihnen behandeln die Zugezogenen als Menschen zweiter Klasse. Ein Konflikt der Armut, ein Konflikt um Ressourcen und Teilhabe, bei dem es nur oberflächlich um Religion geht.
Auch der Moslem Salihu ist Zugereister. Er ist gelernter Kartograf, muss sich aber als Lehrer und Taxifahrer sein Geld verdienen.
"Wir leben hier in der Finsternis in Nigeria. Es fehlt uns an allem. Die Zeit wird kommen, wenn wir mit der Regierung kämpfen. Wir wollen so leben, wie ihr in Deutschland! Wir haben uns Filme aus Deutschland angesehen, schauen auch die Bundesliga! Wir wissen, wie es bei euch aussieht!"
Das Problem seien die Politiker der Region, sagt Salihu. Die Männer, die Wahlen fälschten und die Demokratie mit Füßen träten. Der Imam Mohammed Ashafa geht noch einen Schritt weiter. Einige Politiker säten hier Gewalt, indem sie Menschen gegeneinander aufhetzten.
"Viele unserer Politiker haben nichts zu bieten. Wenn sie einem guten Argument nichts entgegensetzen können, sagen sie Dinge wie: 'Ich wurde benachteiligt, weil ich Moslem bin.' – 'Ich wurde ausgestoßen, weil ich Christ bin.' Religion kann eine große Wirkung entfalten. Sie kann mehr Energie freisetzen, als eine Atombombe."
In Nigeria wird die Religion oft instrumentalisiert. Den geistigen Brandstiftern geht es um Macht und Geld. Sie kennen die Empfindlichkeiten der Menschen, wissen um die Aggressionen und die Rachegefühle, die sich oft über Jahre angestaut haben. Und nutzen dann eine Provokation, eine Kleinigkeit dazu, einen Sturm der Gewalt zu entfesseln, eine ganze Gemeinde in einen Blutrausch zu versetzen.
Imam Mohammed Ashafa kennt das Prinzip gut. Er ist um die 50, in seinem langen schwarzen Bart kräuseln sich ein paar graue Haare. Als junger Mann war Ashafa Teil einer Gruppe militanter Moslems. Auch er hat sich aufstacheln lassen. Bei Unruhen hat er Cousins und seinen Lehrer verloren. Man findet Ashafa im obersten Stockwerk eines heruntergekommenen Geschäftshauses in Kaduna. Er teilt sich die Räume mit Pastor James Wuye. Der Moslem und der Christ kennen sich seit über 17 Jahren - und bilden heute ein unzertrennliches Gespann. Auch Pastor James hat Verwandte verloren, auch er war bei einer militanten Jugendgruppe dabei.
"Als 1992 die Krise begann, bin ich mit einer Gruppe von jungen Leuten losgezogen, um die Kirche zu schützen. Wir wurden angegriffen. Mir wurde ein Arm abgeschlagen, einer meiner Mitstreiter war sofort tot. Es war grauenhaft."
Mohammed und James begegnen sich zum ersten Mal bei einem Empfang im Haus des Gouverneurs von Kaduna. Nur zögernd nehmen die beiden miteinander Kontakt auf. Sie sind voller Hass- und Rachegefühle, verspüren auch Mordgelüste. Trotzdem: Beide versuchen, über ihren Schatten zu springen. Langsam nähern sie sich an, treffen sich immer wieder, um über ihre Konfession, über Vergebung, über Gott - und über die Welt zu sprechen. Bald sind sie davon überzeugt: Vergeben ist die Lösung, nicht Rache.
Christliche und muslimische Führer der Region überzeugen sie 2002 davon, eine Friedenserklärung zu unterzeichnen. Aber die Euphorie währt nur kurz. Bald darauf fliegen wieder Steine, brennen wieder Häuser, werden wieder Menschen getötet. Mohammed und James wird klar: Sie müssen früher eingreifen, müssen Konflikte schneller erkennen - und in der Lage sein, den Streit zu schlichten, bevor alles in Flammen steht. Sie sprechen Meinungsführer in den Gemeinden an - und drücken ihnen Handys in die Hand. Mohammed Ashafa:
"Sie haben einen direkten Draht zum Direktor der lokalen Polizei, zum Geheimdienstchef und sogar zum Büro des Gouverneurs. Die Helfer bekommen ein Training, um zu erkennen, bei welchen Anzeichen ein Konflikt droht - und wie man diese Konflikte frühzeitig eindämmen kann. Wenn alles nicht klappt, ruft man den Gouverneur an."
Eine Art Frühwarnsystem - mit Eskalationsstufen. Hassan Balamatu ist einer dieser Frühwarner. Ein wohlhabender Geschäftsmann, ein Christ, aus einem der besseren Viertel von Kaduna. Jeder kennt ihn hier.
"Wenn wir Informationen über einen potenziellen Konflikt bekommen, warnen wir die entsprechenden Stellen vor. Wenn sich das ganze in der Nähe abspielt, fahre ich selbst hin. Und wenn wir die Hauptakteure kennen, sprechen wir sie an und sagen: 'Du musst nicht diesen Weg gehen, warum wählst Du nicht einen anderen?' Natürlich wollen nicht viele diese Arbeit machen. Sie ist riskant – und du bekommst noch nicht mal Geld dafür. Wenn die Hauptakteure merken, dass du ihnen im Wege stehst, dann prägen sie sich gut dein Gesicht ein. Ich mache das mit Leidenschaft. Denn ich bin Christ und dazu berufen, Frieden zu schaffen."
Das Engagement der Verständigungsinitiative wirkt. In den vergangenen Jahren ist es in Kaduna einigermaßen friedlich geblieben. Trotz Mohammed-Karikaturen, Irak- und Afghanistan-Krieg. Was aber nicht heißt, dass der Imam und der Pastor es heute sehr viel leichter hätten, ihre Botschaft unters Volk zu bringen.
"Manche in unseren Gemeinden sehen uns als Verräter. Manche sehen uns als Menschen, die Vertrauen missbrauchen oder die zu kompromissbereit sind. Nur wenige sagen offen: Das, was ihr macht, ist super. Ich bin ein ziemlich einsamer Mensch geworden. Aber wir bleiben dabei: Wir können nicht mit der Gewalt und der Zerstörung weitermachen!"
"Ich wünschte, ich hätte den Imam früher kennengelernt. Viele Menschen, die nun tot sind, wären nicht gestorben, wenn wir anders gedacht hätten. Ich habe erkannt, dass ich ein Leben gelebt habe, dass noch nicht einmal christlich war! Denn der Christ muss seinen Nächsten lieben wie sich selbst. Also, wir müssen uns einmischen, ob wir das wollen, oder nicht. Und wir müssen lernen, zu vergeben."
Das muslimische Viertel Rigasa im Norden der Stadt. Geteerte Straßen gibt es nicht - die Häuser sind Bretterverschläge, davor grasen abgemagerte Ziegen. In Rigasa regiert die Armut - und doch ziehen immer mehr in das Viertel. Sie kommen vom Land, vom Rand der Wüste, wo Brennholz immer spärlicher - und das Leben immer beschwerlicher wird. Die alteingesessenen, oft wohlhabenden Christen der Stadt fühlen sich an den Rand gedrängt. Einige von ihnen behandeln die Zugezogenen als Menschen zweiter Klasse. Ein Konflikt der Armut, ein Konflikt um Ressourcen und Teilhabe, bei dem es nur oberflächlich um Religion geht.
Auch der Moslem Salihu ist Zugereister. Er ist gelernter Kartograf, muss sich aber als Lehrer und Taxifahrer sein Geld verdienen.
"Wir leben hier in der Finsternis in Nigeria. Es fehlt uns an allem. Die Zeit wird kommen, wenn wir mit der Regierung kämpfen. Wir wollen so leben, wie ihr in Deutschland! Wir haben uns Filme aus Deutschland angesehen, schauen auch die Bundesliga! Wir wissen, wie es bei euch aussieht!"
Das Problem seien die Politiker der Region, sagt Salihu. Die Männer, die Wahlen fälschten und die Demokratie mit Füßen träten. Der Imam Mohammed Ashafa geht noch einen Schritt weiter. Einige Politiker säten hier Gewalt, indem sie Menschen gegeneinander aufhetzten.
"Viele unserer Politiker haben nichts zu bieten. Wenn sie einem guten Argument nichts entgegensetzen können, sagen sie Dinge wie: 'Ich wurde benachteiligt, weil ich Moslem bin.' – 'Ich wurde ausgestoßen, weil ich Christ bin.' Religion kann eine große Wirkung entfalten. Sie kann mehr Energie freisetzen, als eine Atombombe."
In Nigeria wird die Religion oft instrumentalisiert. Den geistigen Brandstiftern geht es um Macht und Geld. Sie kennen die Empfindlichkeiten der Menschen, wissen um die Aggressionen und die Rachegefühle, die sich oft über Jahre angestaut haben. Und nutzen dann eine Provokation, eine Kleinigkeit dazu, einen Sturm der Gewalt zu entfesseln, eine ganze Gemeinde in einen Blutrausch zu versetzen.
Imam Mohammed Ashafa kennt das Prinzip gut. Er ist um die 50, in seinem langen schwarzen Bart kräuseln sich ein paar graue Haare. Als junger Mann war Ashafa Teil einer Gruppe militanter Moslems. Auch er hat sich aufstacheln lassen. Bei Unruhen hat er Cousins und seinen Lehrer verloren. Man findet Ashafa im obersten Stockwerk eines heruntergekommenen Geschäftshauses in Kaduna. Er teilt sich die Räume mit Pastor James Wuye. Der Moslem und der Christ kennen sich seit über 17 Jahren - und bilden heute ein unzertrennliches Gespann. Auch Pastor James hat Verwandte verloren, auch er war bei einer militanten Jugendgruppe dabei.
"Als 1992 die Krise begann, bin ich mit einer Gruppe von jungen Leuten losgezogen, um die Kirche zu schützen. Wir wurden angegriffen. Mir wurde ein Arm abgeschlagen, einer meiner Mitstreiter war sofort tot. Es war grauenhaft."
Mohammed und James begegnen sich zum ersten Mal bei einem Empfang im Haus des Gouverneurs von Kaduna. Nur zögernd nehmen die beiden miteinander Kontakt auf. Sie sind voller Hass- und Rachegefühle, verspüren auch Mordgelüste. Trotzdem: Beide versuchen, über ihren Schatten zu springen. Langsam nähern sie sich an, treffen sich immer wieder, um über ihre Konfession, über Vergebung, über Gott - und über die Welt zu sprechen. Bald sind sie davon überzeugt: Vergeben ist die Lösung, nicht Rache.
Christliche und muslimische Führer der Region überzeugen sie 2002 davon, eine Friedenserklärung zu unterzeichnen. Aber die Euphorie währt nur kurz. Bald darauf fliegen wieder Steine, brennen wieder Häuser, werden wieder Menschen getötet. Mohammed und James wird klar: Sie müssen früher eingreifen, müssen Konflikte schneller erkennen - und in der Lage sein, den Streit zu schlichten, bevor alles in Flammen steht. Sie sprechen Meinungsführer in den Gemeinden an - und drücken ihnen Handys in die Hand. Mohammed Ashafa:
"Sie haben einen direkten Draht zum Direktor der lokalen Polizei, zum Geheimdienstchef und sogar zum Büro des Gouverneurs. Die Helfer bekommen ein Training, um zu erkennen, bei welchen Anzeichen ein Konflikt droht - und wie man diese Konflikte frühzeitig eindämmen kann. Wenn alles nicht klappt, ruft man den Gouverneur an."
Eine Art Frühwarnsystem - mit Eskalationsstufen. Hassan Balamatu ist einer dieser Frühwarner. Ein wohlhabender Geschäftsmann, ein Christ, aus einem der besseren Viertel von Kaduna. Jeder kennt ihn hier.
"Wenn wir Informationen über einen potenziellen Konflikt bekommen, warnen wir die entsprechenden Stellen vor. Wenn sich das ganze in der Nähe abspielt, fahre ich selbst hin. Und wenn wir die Hauptakteure kennen, sprechen wir sie an und sagen: 'Du musst nicht diesen Weg gehen, warum wählst Du nicht einen anderen?' Natürlich wollen nicht viele diese Arbeit machen. Sie ist riskant – und du bekommst noch nicht mal Geld dafür. Wenn die Hauptakteure merken, dass du ihnen im Wege stehst, dann prägen sie sich gut dein Gesicht ein. Ich mache das mit Leidenschaft. Denn ich bin Christ und dazu berufen, Frieden zu schaffen."
Das Engagement der Verständigungsinitiative wirkt. In den vergangenen Jahren ist es in Kaduna einigermaßen friedlich geblieben. Trotz Mohammed-Karikaturen, Irak- und Afghanistan-Krieg. Was aber nicht heißt, dass der Imam und der Pastor es heute sehr viel leichter hätten, ihre Botschaft unters Volk zu bringen.
"Manche in unseren Gemeinden sehen uns als Verräter. Manche sehen uns als Menschen, die Vertrauen missbrauchen oder die zu kompromissbereit sind. Nur wenige sagen offen: Das, was ihr macht, ist super. Ich bin ein ziemlich einsamer Mensch geworden. Aber wir bleiben dabei: Wir können nicht mit der Gewalt und der Zerstörung weitermachen!"
"Ich wünschte, ich hätte den Imam früher kennengelernt. Viele Menschen, die nun tot sind, wären nicht gestorben, wenn wir anders gedacht hätten. Ich habe erkannt, dass ich ein Leben gelebt habe, dass noch nicht einmal christlich war! Denn der Christ muss seinen Nächsten lieben wie sich selbst. Also, wir müssen uns einmischen, ob wir das wollen, oder nicht. Und wir müssen lernen, zu vergeben."