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Zypern
Das gemeinsam erfahrene Leid eint

Seit Juli 1974 ist Zypern geteilt: Die Kontakte zwischen den beiden Teilen sind in den vergangenen Jahren gewachsen, doch vor einer möglichen Wiedervereinigung steht – immer noch - die Trauer um die Toten. Diese ist seit 40 Jahren nun erstmals gemeinsam möglich.

Von Michael Lehmann |
    Blick auf die Flagge Zyperns
    Die Flagge Zyperns (dpa / Jp Amet)
    Schwarz-Weiß-Fotos werden in die Sonne gehalten im Garten des Goethe-Instituts in Nikosia - zum ersten Mal haben sich Familien aus dem griechischen und dem türkischen Teil der Insel getroffen, um über ihre immer noch vermissten Angehörigen zu sprechen. Auf den Fotos sind die Menschen zu sehen, die 1974 während der Kämpfe sehr wahrscheinlich umkamen - offiziell gelten sie als vermisst.
    Vor der Teilung waren sie Nachbarn
    Sie waren Nachbarn vor der Teilung. Die Angriffe 1974 haben sie zu Feinden gemacht. Jetzt, im Frühjahr 2014, gibt eine türkisch-zyprische Frau ihren früheren Nachbarn, einer griechisch-zyprischen Familie Auskunft - sie erzählt von den schrecklichen Erlebnissen 1974, als sie einen der Nachbarn flüchten sah - ein Opfer der Kämpfe soll er geworden sein. Hinweise auf seinen letzten Aufenthaltsort gibt sie, manches ist vage, die Angehörigen auf griechischer Seite schreiben viele Details mit. In der Hoffnung, dass die Hinweise helfen, die sterblichen Überreste zu finden. Undenkbar wären solche Szenen noch vor wenigen Monaten gewesen, sagt Florian von König, der Leiter des Komitees für Vermisste in Zypern:
    "Die Familien sind auf beiden Seiten extrem aktiv. Die sind auch politisch durchaus wichtig und einflussreich auf beiden Seiten. Aber was eben selten vorkommt, ist, dass die Familien sich sehen. Und das ist heute einer der ja doch wenigen aber wichtigen Momente hier, wo plötzlich Familien auf beiden Seiten für ein paar Stunden zusammen sind."
    Es ist eine Art Wiedervereinigung im Kleinen, die sich da am Goetheinstitut auf neutralem Gebiet in der UN-Pufferzone abspielt griechisch- und türkisch-stämmige Zyprer sprechen miteinander, essen und trinken gemeinsam wollen die Feindschaft überwinden - und Klarheit haben für die Zukunft.
    Sevgül Uludag heißt die Frau, die seit Jahren der vielleicht wichtigste Mensch für Angehörige auf beiden Seiten geworden ist. Uludag sammelt Hinweise auf Orte, an denen die sterblichen Überreste von Kriegsopfern vermutet werden:
    "Ich sammle alle diese Informationen ehrenamtlich, nicht als Teil eines Projekts oder irgendeiner Initiative. Ich sehe das als meine ganz persönliche humanitäre Aufgabe - und leite die Hinweise an das Komitee für Vermisste weiter. Und ich helfe diesem, sterbliche Überreste zu finden. Das Komitee hat noch nie ein solches Treffen wie hier heute in Nikosia gehabt. Das ist das erste überhaupt in Zypern."
    Suche nach Vermissten wird immer schwieriger
    Etwa 140 der seit 1974 Vermissten werden jedes Jahr gefunden. Dafür arbeiten Archäologen, Genetiker und Anthropologen in beiden Teilen Zyperns Tag für Tag an ganz unterschiedlichen Plätzen. Die Suche wird immer schwieriger, sagt Florian von König:
    "Seit sieben Jahren sind ungefähr, sieben, acht, neun Teams in allen Ecken der Insel unterwegs und graben von morgens bis abends. Und das Problem das sie haben: Sie müssen im Moment ungefähr fünf Grabungen unternehmen, um einmal Erfolg zu haben."
    Es ist nicht nur das gemeinsam erfahrene menschliche Leid auf beiden Seiten, das die Hoffnung auf ein wieder vereinigtes Zypern nährt, es geht auch um wirtschaftliche Erfolge, auf die vor allem die jungen Zyprer bauen wollen. Die unter dem Meer vor Zypern entdeckten Öl- und Gasvorkommen sind das am heftigsten diskutierte Thema im Moment ohne Lösung in der Zypern-Frage, ohne deutliche Fortschritte bei der Wiedervereinigung kann es auch keine erfolgreiche Erschließung dieser Energie-Reserven geben, sagt Hubert Faustmann, der Leiter des Goethe-Instituts in Nikosia:
    "Wir haben derzeit einen absolut ernsthaften Versuch und wohl auch die beste Chance seit dem gescheiterten Referendum 2004 auf eine Wiedervereinigung. Und der Grund sind einfach diese Öl- und Gas-Funde, die die Amerikaner auch wieder auf die Bühne gebracht haben. Und die Amerikaner versuchen gerade ganz massiv eine Allianz zu schmieden, die über die Energie zusammengehalten werden soll - zwischen Israel, Zypern, Türkei und auch Griechenland."
    Riesenchance durch Öl- und Gasfunde
    Auch wenn Energieexperten vor zuviel Optimismus warnen, weil erst noch kalkuliert werden muss, ob eine schnelle Förderung der Öl und Gasvorkommen rentabel wäre, Zypern habe gerade eine Riesenchance, sagt Faustmann:
    "Das große Bindeglied, wo alle Seiten gewinnen können, entweder indem sie Energie verkaufen oder indem sie billig und verlässlich Energie beziehen können, sind diese Öl- und Gas-Funde. Im Idealfall ist das der verändernde Faktor, der sogar binnen dieses Jahres zu einer Lösung dieses seit 1974 offen schwelenden Konflikts führen können."