Musik: J. S. Bach, Konzert für Violine und Oboe
Beim Zuhören dieses Konzerts von Johann Sebastian Bach merkt der Laie erstmal nichts. Beim Zuschauen auch nicht. Auf der Bühne spielen 19 Musiker. Die meisten Männer tragen Bart wie es im südlichen Mittelmeerraum üblich ist, die Frauen haben fast alle dunkle Haare und alle lächeln. Keiner könnte sagen, wer von welcher Seite der Insel kommt, vom zyperngriechischen Süden oder vom zyperntürkischen Norden. Ende letzen Jahres präsentierte sich das erste gesamt-zyprische Kammerorchester der Öffentlichkeit. Die zyperngriechische Oboistin Natalie Neophytou gründete es zusammen mit ihrem Kollegen Nihat Agdac, einem zyperntürkischen Geiger:
"Es war ein Risiko, weil wir wussten nicht, was die Leute denken würden. Nicht alle wollen mit Zyperntürken zu tun haben und umgekehrt. Wir hatten bisher jedoch nur positive Rückmeldungen, insbesondere von unseren Musikern. Keiner hat abgelehnt. Es gab sogar Leute, die uns anriefen, um zu fragen, ob sie mitspielen können. Wir sagten dann 'Entschuldigung, ihr müsst warten'."
Annäherung trotz schwieriger Geschichte
Im geteilten Zypern sind die Spuren des Krieges immer noch zu sehen, etwa die Kugeleinschläge auf den Gebäuden entlang der Pufferzone. 1974 versuchten zyperngriechischen Offiziere die Insel an Griechenland anzuschließen. Die Türkei, eine der drei Garantiemächte für die Unabhängigkeit von Zypern, besetzte dann den Norden der Insel. Sie wollte damit die zyperntürkische Minderheit beschützen. 1983 erklärte der Norden einseitig seine Unabhängigkeit und 40 Jahre nach dem Krieg sind immer noch 35.000 türkische Soldaten dort stationiert. Die Musiker des bikommunalen Orchesters sind in dieser politischen Gemengelage ausgewachsen.
Musik: J. S. Bach, Konzert für Violine und Oboe
Die Idee ein solches Orchester aufzubauen entstand vor zwei Jahren in London. Dort studierten Natalie Neophytou und Nihat Agdac unter anderem an der renommierten Royal Academy of Music. Der Zyperntürke erinnert sich, wie die Freundschaft mit seiner zyperngriechischen Kollegin zustande kam:
"Wenn man im Ausland lebt, betrachtet man einen Zyperngriechen oder einen Zyperntürken als jemanden aus dem eigenen Land. Im Vergleich zu den anderen dort fühlt man sich dieser Person näher. Wenn man im Ausland lebt, möchte man mit Freunden zusammen sein, die den gleichen Boden kennen wie man selbst. Es geht hier nicht um Nationalismus oder Patriotismus, sondern um Kultur. In London weiß man, dass wenn man Nathalie vorschlägt, einen Kebab essen zu gehen, dann sagt sie nicht 'ach wirklich?'. Oder wenn sie sagt 'Lass uns heute in der Taverna Mithopolis Wein trinken und tanzen gehen', dann weiß sie, dass ich nicht nein sagen werde."
Begegnungen außerhalb Zyperns
Für den Aufbau des Orchesters bekamen sie 10.000 Euro, dank eines Preises der Stiftung von Stelios Haji-Ioannou, Gründer der Fluggesellschaft Easyjet. Für Nihat Agdac geht es nicht nur um Musik, sondern darum, Austausch zwischen Zyperntürken und Zyperngriechen zu schaffen. Bis 2003 war die Grenze geschlossen und die Jugendlichen, die nach dem Krieg geboren wurden, kannten ihre Nachbarn nicht:
"Den ersten Kontakt zu einer Zyperngriechin hatte ich außerhalb der Insel, als die Grenze noch zu war, vor fast 20 Jahren. Und zwar in den USA. Ich war erst zwölf Jahre alt. Sie spielte auch Geige. Nach vielen Jahren habe ich festgestellt, dass sie auch in London lebte. Ich habe mich dafür entschieden, sie anzurufen und später haben wir zusammen ein Konzert am Hellenic Center dort gegeben."
Musik: W. A. Mozart, Sinfonie Nr. 29
Außer Nihat Agdac und Natalie Neophytou gibt es keine festen Mitglieder des Orchesters. Denn es sollen so viele professionelle Musiker wie möglich am Projekt teilnehmen. Als der Geiger Halit Sarp einen Anruf von Nihat Agdac bekam, freute sich der Zyperntürke sehr, auch wenn die Beziehung mit manchen Zyperngriechen kompliziert sein kann, wie er meint. Vor dem Konzert war er daher auch ein bisschen nervös:
"Um ehrlich zu sein, als ich im Jugendorchester im Süden mitgespielt habe, gab es einige jüngere zyperngriechische Musiker, die sagten, dass sie mich kennen, dass ich ein guter Musiker sei, aber dass sie die Türken trotzdem nicht akzeptieren können. Das habe ich so gehört."
Zusammen musizieren ohne Dirigent
Inzwischen hat er auch positive Erfahrungen gemacht und das Konzert gehört dazu. Die 400 Karten waren ausverkauft. Es kamen Zuschauer aus dem Norden, aus dem Süden, Familien und Kollegen. Aber auch Menschen, mit denen die Musiker nicht unbedingt gerechnet hätten, weil sie dem Annäherungsprozess eher kritisch gegenüber stehen. Hier kann das Orchester als gutes Beispiel dienen, denn es hat eine Besonderheit. Die Musiker spielen ohne Dirigent. Dafür müssen sie dem Anderen zuhören, ihm in die Augen gucken und zusammen atmen. Für die Gründer des Orchesters ist dies auch eine politische Botschaft. Sie können es auch ohne Dirigent schaffen, zusammen zu arbeiten, als Musiker und als Zyprer.
Musik: W. A. Mozart, Sinfonie Nr. 29